Focus - 06.09.2019

(singke) #1
LUFTFAHRT

Fotos: Neale Haynes für FOCUS-Magazin

FOCUS 37/2019 63

tioniert und könnten problemlos ein-
springen. Wenn das aber mit unseren
eingeplanten Reserve-Fliegern nicht
reichen sollte und wir Maschinen von
unseren großen Basen in Großbritan-
nien dann in die EU einführen müss-
ten, um sie irgendwo zwischen Lissa-
bon und Sofia zu stationieren, wird es
beim „No Deal“ richtig kompliziert und
wegen der Besteuerung auch teuer.
Was befürchten Sie noch?
Wir wissen nicht, wie sich die Nach-
frage nach Flügen vor allem in Groß-
britannien bei einem „No Deal“ entwi-
ckelt. Wird weniger geflogen? Können
wir als Reaktion darauf schnell genug
unser Flugangebot in nachfragestärke-
re Märkte umschichten? Es gibt bisher
kein historisches Beispiel, wir können
uns nur sehr begrenzt vorbereiten.
Wer soll die Mehraufwendungen
für Zoll, Passagier- und Gepäck-
kontrollen denn bezahlen?
Das werden die Kunden über teurere
Flugtickets tragen und die Fluggesell-
schaften mit weniger Gewinn. Dieses
Geld fehlt dann, um Innovationen anzu-
schieben und neue, sparsamere Maschi-
nen zu kaufen. Dabei brauchen wir drin-
gend mehr Innovationen in der Branche.
Das Argument führen Sie doch auch gegen
neue Flugsteuern oder Ökoabgaben an.
Aber natürlich! Wir zahlen heute
schon allein bei EasyJet jedes Jahr
mehr als 600 Millionen Euro für Ticket-
steuern. Es gibt ja immer noch Leu-
te, die meinen, die Flugindustrie sei
komplett steuerbefreit. Das ist falsch!
Europaweit kommen bei den größten
europäischen Fluglinien noch 590 Mil-
lionen Euro dazu für den CO 2 -Emis-
sionsrechtehandel, an dem wir Airlines
auch schon seit 2013 teilnehmen.
Es gibt viele neue Vorschläge, um das
Fliegen aus ökologischen Gründen zu ver-
teuern. Trifft das den Nerv der Branche?
Ja, das tut es. Aber Fliegen ist weiter-
hin auch umweltpolitisch verantwort-
bar. Weltweit ist die Luftfahrtindustrie
nur für 2,9 Prozent der CO 2 -Emissionen
zuständig.
Wobei CO 2 in Flughöhe mehr Schä-
den anrichtet als am Boden!
Das ist möglich, aber nicht entschei-
dend. Die Luftfahrtbranche hat zugesagt,
Kohlendioxid-Emissionen bis 2050 zu
halbieren – gemessen am Wert von 2005.
Wie genau will die Branche das schaffen?
Das können wir noch nicht exakt
sagen. Aber es wird eine Mischung

sein aus elektrischen und Hybrid-An-
trieben, Biosprit, synthetischem Sprit,
CO 2 -Speicherung und -Abscheidung.
Es gibt für all diese Innovationen noch
kein Datum, wann sie verfügbar sein
werden. Aber wir arbeiten daran.
Und in der Zwischenzeit verteu-
ern sich Flugtickets, ohne dass
es der Umwelt spürbar hilft?
Da widerspreche ich. Ein Drittel der
Kosten in der Luft-
fahrt macht das
Kerosin aus. Jede
Fluglinie ist schon
aus Wettbewerbs-
gründen daran inte-
ressiert, diese Kos-
ten zu senken. Wir
haben bei EasyJet
unsere CO 2 -Emissio-
nen pro Passagierki-
lometer seit 2005 um
32 Prozent gesenkt.
Sie können also nicht
sagen, unsere Bemü-
hungen hätten keine
Auswirkungen.
Aber Sie können nicht sagen,
wie viel CO 2 die Fluglinien 2050
noch ausstoßen werden?
Mir wäre null am liebsten, aber nein,
sagen kann ich es heute nicht. Ob der
Anteil der Fluglinien dann noch 2,9
oder neun Prozent oder viel weniger
beträgt, hängt ja auch vom Verhalten
aller anderen Marktteilnehmer ab.
Die Airlines sind Meister darin, andere
für eigene Versäumnisse verantwortlich
zu machen: 2018 waren es Streiks
von Piloten und Crews, davor die
zersplitterten Flugkorridore in Europa,
und immer wieder muss die Flug-
sicherung dafür herhalten, dass Jets
Warteschleifen fliegen und unnötig
die Luft verpesten. Vor allem jüngere
Menschen werfen Ihrer Branche vor,
beim Umweltschutz hintendran zu sein.
Dem widerspreche ich. Es ist bei uns
nicht erkennbar, dass junge Leute in
Europa wirklich weniger fliegen. Und
wir haben schon viel erreicht: Unse-
re Flotte ist im Schnitt sieben Jahre
alt, jedes neue Flugzeug der nächsten
Generation vermindert die Emissio-
nen um weitere 15 bis 20 Prozent. Das
bringt schon etwas.
Wie passt es zu Ihrem Umwelt-
bewusstsein, dass Sie umstrittene
Kurzflüge wie Berlin–Sylt oder Birming-
ham–Glasgow neu aufnehmen?

Der Kunde soll über das Transport-
mittel selbst entscheiden. Ich bin auch
für ein europaweites Hochgeschwindig-
keitsnetz der Bahnen, aber das haben
wir eben nicht überall. Was dabei jedoch
mitschwingt ist der Vorwurf, vor allem
Low-Cost-Airlines wie wir würden mit
günstigen Tickets künstliche Nachfrage
und damit Emissionen erzeugen, die es
sonst gar nicht gäbe. Das ist ein sehr eli-
täres Argument aus
Zeiten, als nur sehr
reiche Leute es sich
leisten konnten, mit
ineffizienten alther-
gebrachten Airlines
herumzufliegen.
Der Chef von
Eurowings bei-
spielsweise ist für
höhere Flugpreise.
Dabei ist Euro-
wings nicht mal eine
Low-Cost-Airline.
Die Debatte ist doch
schräg: Einfache Leu-
te sollen mit teureren
Tickets dann nicht mehr fliegen können?
Wenn wir etwas in unserer Welt brau-
chen, dann ist es ein Mehr an Begegnung
und Verständigung und nicht weniger.
Die Bundesregierung will die Ticket-
steuer von 7,38 Euro für die Kurz-
strecke in Europa verdoppeln und
mit dem Geld alternative Antriebe
und Sprit fördern. Ein guter Plan?
Die Luftfahrtindustrie kann dem Kli-
mawandel nur begegnen, wenn sie in
neue Technologien investiert, und eine
Steuer wird die Mittel, die den Flugge-
sellschaften für Investitionen zur Ver-
fügung stehen, reduzieren, während sie
sich nur sehr geringfügig auf die Emis-
sionen auswirkt.
EasyJet wollte nach der Air-Berlin-Pleite
größter Fluganbieter in Berlin werden.
Haben Sie das Ziel schon erreicht?
Das bleibt unser Ziel, und wir haben
heute schon 35 Maschinen in Berlin


  • 23 in Tegel und 12 in Schönefeld –
    stationiert. Wir bieten im Jahr 14 Mil-
    lionen Sitze an und bedienen mehr als
    100 Ziele. Damit ist Berlin unser zweit-
    größter Standort nach London-Gatwick.
    Daran sehen Sie die Bedeutung. Berlin
    ist die zweitgrößte Metropole in der EU
    und ab 31. Oktober nach dem Brexit
    womöglich die größte! n


INTERVIEW: MATTHIAS KOWALSKI

Gar nicht easy Der Aktienkurs von Europas fünft­
größter Fluglinie gleicht einem unruhigen Sinkflug


Alles easy, Kollegen EasyJet­Mitarbeiter
in der Firmenzentrale in London. Die
Firma beschäftigt über 14 000 Angestellte
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