Focus - 06.09.2019

(singke) #1
MUSIK

Fotos:


Magnetic Meat | Christian Hedel für FOCUS-Magazin


FOCUS 37/2019 93

„Ich wollte endlich dieses verdammte


Album aufnehmen“ Frank Schätzing


Röhre der 70er, die in Fernsehsendungen
wie Ilja Richters „Disco“ auftrat. Frank,
der leicht verschrobene Freak, war kom-
plett verschossen in die Lady im engen
Leder-Outfit, tapezierte seine Jugendzim-
merwand mit ihrem Starschnitt und woll-
te fortan selbst Rockstar werden, um bei
Ms. Quatro landen zu können.
Seine Eltern hatten ihm da schon eine
Gitarre geschenkt, allerdings eher in der
Hoffnung, er möge darauf den „Fröhlichen
Landmann“ zupfen. Stattdessen studierte
Schätzing nun Riffs ein und begann, Songs
zu schreiben. „Ich habe als Teenager und
in meinen Zwanzigern in diversen Bands
gespielt, alle möglichen Instrumente. Kei-
nes davon brillant, aber es erfüllte seinen
Zweck“, erzählt er. „Und ich sang. Ich war
beileibe nicht der beste Sänger, die ande-
ren waren einfach nur noch schlechter,
aber so blieb es an mir hängen.“
Ein Musiklehrer machte ihn damals
mit David Bowie bekannt. „Eine Offen-
barung“, wie Schätzing heute sagt. „Für
mich ist Bowie der größte Popstar aller
Zeiten. Wer sonst war fünf Jahrzehnte
lang so relevant und innovativ?“ Schät-
zing wollte eigentlich Musik studieren,
aber mit seinem Abi-Schnitt hätte er vier
Jahre warten müssen. Also ist er in die
Werbung gegangen. 1990 gründete er mit
Freunden eine Agentur, die innerhalb von
drei Jahren zu den Top 30 in Deutschland
gehörte. Doch wirklich glücklich mach-
te ihn der Job nicht. Da war ja noch der
Traum von der Künstlerexistenz.
Dass er es mit seiner Musik und den
Amateurbands nicht zu einem Platten-
vertrag bringen würde, war ihm da längst
klar. „Songs einfach ins Netz zu stellen so
wie heute, davon konnten wir bestenfalls
träumen“, sagt er. „Man musste durch
das Nadelöhr der Plattenfirmen, schickte
seine Demos ein und wurde mit beredtem
Schweigen belohnt.“ Er begann, Bücher
zu schreiben, erst Regionalkrimis, dann in
einem ungeheuren Kraftakt den Wissen-
schafts-Thriller „Der Schwarm“.
2004 kam das backsteindicke Buch auf
den Markt, es wurde zu einem internatio-
nalen Bestseller, zurzeit wird gerade eine
Fernsehserie entwickelt, von den Machern
des Welterfolgs „Game of Thrones“.
Von nun an war Schätzing im Hauptbe-
ruf Thriller-Autor mit einem Hang zum
Überbordenden. Er veröffentlichte „Limit“
(2009, 1328 Seiten), „Breaking News“
(2014, 976 Seiten) und „Die Tyrannei des
Schmetterlings“(2018, 736 Seiten). Seine
Auftritte gerieten zu Multimediashows mit

selbst komponierter Musik und ihm als
Entertainer auf der Bühne. In den Mona-
ten nach dem „Schwarm“-Erfolg gastier-
te Schätzing beinahe jeden Tag in einer
anderen Stadt. Es klingt nach Klischee,
aber manchmal wusste er wirklich nicht,
wo genau er am Abend zuvor eigentlich
gewesen war. Näher kann ein Schriftstel-
ler dem Rockstar-Leben nicht kommen.
Es sei denn, er nimmt ein Album auf.
Vor drei, vier Jahren verfestigte sich der
Plan. Ein paar Dutzend Songskizzen hat-
te Schätzing, jetzt begann er, sie aus-
zuarbeiten und, gemeinsam mit seiner
Frau, Texte zu schreiben. Wie so oft bei
ihm, drehten sich auch deren Themen um
Science-Fiction. „Taxi Galaxi“ nannte er
deshalb sein Musikprojekt. Frank-Schät-
zing-Band wäre ihm dann doch vermes-
sen vorgekommen.

Weltstars auf dem Album des Amateurs
Dabei begann die galaktische Taxifahrt
als Ego-Trip. Zunächst spielte Schätzing
die meisten Instrumente selbst ein: Gitar-
re, Bass, Keyboards. Unterstützt wurde er
nur von seinem Freund Paul Schmitz am
Schlagzeug. Doch mit dem Einstieg von
Markus Reuter als Co-Produzent bekam

das Ganze einen professionellen Zug.
Reuter stellte den Kontakt zu Tony Levin
her, Bandmitglied bei Peter Gabriel, der
für einige Stücke Basspassagen beisteu-
erte, und auch David Bowies langjähriger
Pianist Mike Garson ist zu hören. Welt-
stars auf dem Album eines Amateurs,
wenn auch eines zweifellos sehr ambi-
tionierten.
Die Hoffnung, nach all den Jahren doch
noch einen richtigen Plattenvertrag zu
ergattern, hat Schätzing dann allerdings
schnell aufgegeben: „Die Termine mit den
Repräsentanten der Major Labels liefen
immer gleich ab“, sagt er. „Sie fanden
die Songs toll, lobten sie über den grü-
nen Klee, zuckten beim Hören aber auch
ständig zusammen, weil sie darüber nach-
dachten, ob so was Schräges massentaug-
lich ist, also ob es wie alles andere klingt,

was in den Playlists rotiert. Tat es natürlich
nicht.“ Irgendwann ging ihm auf, dass er
den Vertrag gar nicht brauchte. Er hatte
das Album komplett aus eigener Tasche
finanziert, warum sollte er sich von irgend-
jemandem reinreden lassen? Am Ende
hat er einen Deal geschlossen, der zu
diesem sehr eigensinnigen Projekt passt:
Schätzing selbst ist quasi das Label, Sony
fungiert als Vertriebsgesellschaft, um das
Album auf den Markt zu bringen.
Auch das Video zum Titelsong läuft über
die Abspielkanäle von Sony, produziert
aber hat es Schätzing selbst. Ein wenig un-
gelenk sieht es schon aus, wie er sich darin
in Rockstar-Pose wirft. Ein Roger Daltrey
wird wohl nicht mehr aus ihm.
Dennoch: „Taxi Galaxi“ soll auch auf
die Bühne kommen. Eine Live-Band hat
Schätzing gerade zusammengestellt. Alles
routinierte Musiker, Helmut Krumminga
etwa, der mit BAP, Wolf Maahn oder Inga
Rumpf gespielt hat. Einige Gigs soll es zur
Albumveröffentlichung geben. Wenn die
nicht völlig schiefgehen, vielleicht eine
Club-Tour im nächsten Jahr.
Schätzing ist sich aber natürlich bewusst,
dass das Projekt auch ein Fiasko werden
kann. Hierzulande sei man, anders als

in Amerika, nicht so gut zu sprechen auf
Leute, die sich plötzlich neu erfinden wol-
len, sagt er. „Schuster, bleib bei deinen
Leisten“ ist eine sehr deutsche Redensart.
„Ich kann nicht erwarten, dass jeder
meine Musik mag, und vielleicht wird die
Mehrheit sie nicht mögen. Dann hätte ich
eben Pech gehabt“, sagt Schätzing. „Der
Punkt ist, ich muss mir selbst in die Augen
schauen und sagen können: ,Die Produk-
tion stimmt, daran kann man fachlich nicht
kratzen.‘ Hätte ich daran Zweifel gehabt,
hätte ich das Album nicht veröffentlicht.“
Selbst wenn „Taxi Galaxi“ floppt, ist ihm
eins aber ohnehin nicht zu nehmen: das
Glücksgefühl, mit grandiosen Musikern
zusammengearbeitet und endlich den lang
gehegten Traum verwirklicht zu haben. n

JOBST-ULRICH BRAND
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