Focus - 06.09.2019

(singke) #1

KULTUR


Fotos: Jacob Pritchard für FOCUS-Magazin (3), Nora Krug/Heimat - Ein

deutsches Familienalbum/Random House (2)

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weg bin, desto deutscher fühle ich mich.“
Im Alltag unterrichtet Krug als Professo-
rin Illustration an der Parsons School of
Design in New York. Bekannt aber wurde
sie durch ihr Buch „Heimat. Ein deutsches
Familienalbum“, das sich der Nazi-Ge-
schichte und ihrer Aufarbeitung annimmt.
Und zwar da, wo es am meisten wehtut:
bei den eigenen Vorfahren in Karlsruhe.
Das aufwendig illustrierte Werk ist
ein weltweiter Bestseller und gewann
reihenweise Preise. Die Rechte wurden
in 16 Länder verkauft. Es erzählt die
Geschichte einer deutschen Familie als
Kaleidoskop aus Illustrationen, Anekdo-
ten, Comics, alten Briefen, Fotos. Krug
sucht die Wahrheit in alten Schulheften,
bruchstückhaften Erinnerungen, die sie
mal liebevoll aufmalt, mal in einfachen
Worten schildert. Sie berichtet nicht von
den ganz großen Dramen aus dieser
schrecklichen Zeit, sondern von den all-
täglichen einer typischen Mitläuferfami-
lie – viel zu selten erzählt und noch nie
in dieser Form.
Seit ihrem großen Erfolg ist Krug ständig
unterwegs, kürzlich war sie in San Francis-
co, Los Angeles und Toronto auf Lesereise.
Meist sind es jüdische Vereine in Ame-
rika, die sie einladen. Auch in den Nie-
derlanden und anderen von Deutschland
während des Zweiten Weltkriegs besetz-
ten Ländern ist das Interesse groß. Hier
intensiviert man gerade die Bemühungen,
die Geschichte der eigenen Kollaboration
mit den Nationalsozialisten während der
Besatzungszeit aufzuarbeiten. Dieses ehr-
liche und sehr persönliche Buch kommt


schulkind, niedlich als Panther verkleidet,
das seine Mutter fragt, ob Juden böse
seien. Das hatte sie irgendwo aufge-
schnappt. Ihre Mutter faucht zurück, als
lebendiger Panther dargestellt: wo das
Kind denn so etwas herhabe?
Krug recherchierte in Stadtarchiven, in
den Entnazifizierungsakten ihrer Groß-
eltern, fand in einer Schublade der Mut-
ter Briefe eines Großonkels von der Front
und das Schulheft eines anderen, in dem
er von den Juden als „Giftpilze“ schreibt
und dafür die Note „Zwei“ bekommt, im
Rechtschreiben aber eine Drei. Ausge-
rechnet in der New York Public Library
am Bryant Park stieß sie auf das Buch
ihres alten Mathematiklehrers aus der
Gymnasialzeit über die Bombardierung
Karlsruhes – und sie erinnerte sich an
dessen lautmalerische Erzählungen
über die Bombenangriffe der Alliierten.
Wie sie damals darüber kichern musste:
„Wir machten uns als Jugendliche wenig
Gedanken, was das Trauma für ihn und
andere Karlsruher bedeutete.“
Ihr Großvater mütterlicherseits war
Fahrlehrer. Die Amerikaner hatten ihn
nach dem Krieg zunächst als Belasteten
eingestuft, er gehörte zu den etwa 15 Pro-
zent der Deutschen, die der NSDAP bei-
getreten waren – allerdings nur, um eine
Fahrschule im Zentrum kaufen zu können.
Später wurde er als Mitläufer eingeordnet
und durfte seinen Beruf wieder aufneh-
men. „Zuerst dachte ich, eine Kriegser-
zählung aus der Perspektive eines Mit-
läufers würde niemanden interessieren“,
sagt Krug. Aber ihr wurde schnell klar,

da genau richtig. Auch die Autorin selbst
empfand ihre Reise in die Vergangen-
heit als befreiend – sie hat Schuldgefühle
durch Verantwortung ersetzt.
Einfach aber war sie nicht, deswegen
schrieb sie auf Englisch, um Distanz zu
schaffen, immer auch die Familie ihres
eigenen jüdischen Ehemanns im Kopf.
Sie thematisiert aber auch das von ihrer
eigenen Familie ertragene Leid im Zweiten
Weltkrieg, ohne es in irgendeine Relation
zu den deutschen Gräueltaten zu stellen.
Sie sucht keine Entschuldigung: „Denn
für Unentschuldbares kann man nicht um
Verzeihung bitten.“

Die deutsche Erbschuld wirft ihre Schatten
Die Idee für das Buch kam Nora Krug bei
zufälligen Begegnungen. Einmal wurde sie
auf einem Markt in Brooklyn angespuckt,
weil sie Deutsch sprach. Ein anderes Mal
traf sie zufällig auf einer Dachterrasse in
New York mit einer Holocaust-Überleben-
den zusammen. Den wichtigsten Anstoß
aber gab die Liebe: Ihr Mann, ebenfalls
Illustrator, ist Amerikaner mit jüdischen
Wurzeln. Die deutsche Erbschuld wirft
immer noch ihre Schatten – drei Genera-
tionen nach dem Krieg.
Als Krug in Deutschland aufwuchs,
kam sie nie mit jüdischen Mitbürgern
oder jüdischer Kultur in Kontakt. In ihrem
Buch zeichnet sie sich selbst als Grund-

Krug hofft, dass ihr Buch


jeden Einzelnen auffordert,


kein Mitläufer zu sein


Autorin Die Texte schrieb sie mit der Hand und auf
Englisch. Das gab ihr die nötige Distanz, sagt sie

Malerin In zahlreichen Motiven illustriert Krug die Suche
nach ihrer wahren Familiengeschichte zur NS-Zeit

Sammlerin Die Liebe der Autorin zu Trödel-Fund-
stücken – wie diese Globen – merkt man dem Buch an

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