Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.09.2019

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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft MITTWOCH, 11. SEPTEMBER 2019·NR. 211·SEITE 17


ami.BERLIN, 10. September. Mitte Juli
hat das Bundeskabinett das Digitale-Ver-
sorgungs-Gesetz (DVG)verabschiedet. Da-
mit soll den gesetzlichen Krankenkassen
unter anderem erlaubt werden, bis zu zwei
Prozent ihrer Finanzreserven in Invest-
mentfonds anzulegen, die wiederum in
Start-ups für die digitale Versorgung inves-
tieren. Eines der Ziele dabei ist, dass die
Kassen frühzeitig von neuen technischen
Entwicklungen am Markt erfahren.
Doch noch bevor der Bundestag sich
überhaupt mit der Vorlage befasst hat, ma-
chen die privaten Krankenversicherungen
Nägel mit Köpfen. Sie kündigten am Diens-
tag an, bis zu 100 Millionen Euro in solche
Investmentfonds einzuzahlen. Für die pri-
vaten Unternehmen, die rund ein Zehntel
der Bundesbürger gegen Krankheitsrisi-
ken absichern, gelten die scharfen Begren-
zungen des Sozialgesetzbuches nicht.
Der von den Privatversicherungen auf-
gelegte Venture-Capital-Fonds hört auf
den bezeichnenden Namen „heal capital“.
Das – grob übersetzt – „Gesundheitskapi-


tal“ werde von den Berliner Digital-
Health-Investoren „Heartbeat Labs“ und
„Flying Health“ gemanagt, die ihrerseits ei-
nen einstelligen Millionenbetrag einzahl-
ten, erklärte der Verband der Privaten
Krankenversicherung (PKV). Beide Anbie-
ter sind für ihre gute Vernetzung in der di-
gitalen Gesundheits-Start-up-Szene be-
kannt.
Mit der Kooperation wolle man Start-
up-Unternehmen fördern, die digitale In-
novationen für die Gesundheitsversor-
gung entwickeln, erläuterte die PKV. Die
beteiligten Unternehmen – es blieb offen,
wie viele der 49 Verbandsmitglieder das
sind – würden „ein Zielvolumen von 100
Millionen Euro zur Verfügung stellen, um
mit diesem Gründerkapital gezielt die
Qualität der medizinischen Versorgung
in Deutschland und die Digitalisierung
des Gesundheitswesens voranzutreiben“.
Konkret soll es um digitale Gesundheits-
anwendungen, Telemedizin, digitale Prä-
vention und Digitalisierung der Pflege ge-
hen. Ralf Kantak, der Vorsitzende des

PKV-Verbands, sieht in den neugegründe-
ten Fonds einen Beleg dafür, „dass die Pri-
vate Krankenversicherung als Motor für
Innovationen im deutschen Gesundheits-
system wirkt, auch durch eine zukunfts-
weisende Anlageform“. Man wolle damit
zu einer besseren Versorgung in Deutsch-
land beitragen. Markus Müschenich, Ma-
naging Partner bei Flying Health, ließ
sich mit der Bemerkung zitieren, mit dem
PKV-Fonds „treiben wir die digitale
Transformation des deutschen Gesund-
heitswesens voran und sorgen dafür, dass
digitale Innovationen schneller in der Ver-
sorgung ankommen“. Heartbeat Labs hat
nach eigenen Angaben seit 2017 sechs
Unternehmen gegründet sowie in neun
Digital-Health-Unternehmen investiert.
Flying Health wiederum entwickelt seit
2012 durch gezielte Partnerschaften mit
teils großen Spielern in der Gesundheits-
wirtschaft, darunter Krankenkassen, digi-
tale Versorgungsmodelle.
Den Anfang beim Digital-Health-In-
vestment machte allerdings eine gesetzli-

che Krankenkasse. Die Barmer Ersatzkas-
se hatte gegen viele Widerstände ein Mo-
dellprojekt durchgesetzt und im Jahre
2016 für die Dauer von zehn Jahren die In-
vestition von bis zu 15 Millionen Euro in
den Venture-Capital-Fonds Earlybird an-
gekündigt. Aktuell hat der Fonds ein Vo-
lumen von 28 Millionen Euro, wovon die
Barmer knapp 5 Millionen gezeichnet
hat. Der Fonds ist an 5 Digital-Unterneh-
men beteiligt. Da das Kapital der Kran-
kenkasse aus Beitragsgeldern stammt, ist
es durch Bürgschaften besonders gegen
Ausfallrisiken abgesichert. Im Gegenzug
ist die Verzinsung des Kapitals nach ei-
nem Verkauf der Beteiligungsunterneh-
men aber auch auf zwei Prozent gede-
ckelt. Genau dieses Modell stand auch
Pate für den Gesetzentwurf, mit dem sich
der Bundestag im September erstmals be-
fassen will. Stimmt er erwartungsgemäß
zu, können auch andere gesetzliche Kas-
sen ab dem nächsten Jahr in solch einen
Venture-Capital-Fonds für digitales „Ge-
sundheitskapital“ investieren.

bü. DÜSSELDORF, 10. September.
Von „Wettbewerb“ um den Bau neuer
Windräder mag die Bundesnetzagentur
bei solchen Ausschreibungsergebnissen
nicht mehr sprechen: Anlagen mit einer
Leistung von 500 Megawatt sollten in
der September-Auktion vergeben wer-
den, tatsächlich geboten wurde für le-
diglich 187 Megawatt. Lediglich 22 Pro-
jekte gingen ins Rennen, von denen ei-
nes auch noch ausgeschlossen werden
musste. Zum Zuge kommen Investoren,
die die geringste Einspeisevergütung
verlangen. Aber das geringe Interesse
hebelt die Preiskonkurrenz praktisch
völlig aus.
Die Netzagentur hatte die Obergren-
ze auf 6,20 Cent je Kilowattstunde
Strom festgesetzt, und genau auf die-
sem Höchstpreisniveau lag auch der
durchschnittliche Zuschlagswert. Die
meisten neuen Projekte können in
Schleswig-Holstein entstehen (sechs Zu-
schläge), Gewinner nach Zuschlagsmen-
ge war Nordrhein-Westfalen mit 64,

Megawatt in vier Geboten. Der Rest ver-
teilt sich auf sieben weitere Bundeslän-
der. Insgesamt bestätigte sich der Trend
aus den vorhergehenden Ausschreibun-
gen: Der für die Energiewende geforder-
te Ausbau der Windkraft an Land gerät
zunehmend ins Hintertreffen. Private
und öffentliche Investoren bemängeln
zu lange Genehmigungsfristen, es feh-
len ausgewiesene Flächen, der Wider-
stand in der Bevölkerung zieht Klagen
nach sich.
„Damit wird bei der Onshore-Wind-
energie die Lücke zwischen Ziel und tat-
sächlicher Umsetzung immer größer“,
sagte Katharina Reiche, Hauptge-
schäftsführerin des Verbandes kommu-
naler Unternehmen. Von den in diesem
Jahr bisher insgesamt ausgeschriebe-
nen 2500 Megawatt Onshore-Windener-
gie sei nicht einmal die Hälfte tatsäch-
lich vergeben worden. Erst in der vori-
gen Woche hatte Bundeswirtschaftsmi-
nister Peter Altmaier einen „Krisengip-
fel“ einberufen, um der Flaute Herr zu
werden.

ami.BERLIN, 10. September. Die Kos-
ten der Ökostromförderung ziehen wei-
ter an. Bis Ende August verbuchten die
Netzbetreiber dafür 18,7 Milliarden
Euro. Das waren 300 Millionen Euro
mehr als im Vorjahresmonat. Dagegen
wurden Einnahmen von 17 Milliarden
Euro erzielt, von denen 15,5 Milliarden
Euro aus dem Aufschlag auf den Strom-
preis stammen. Allein im August
schmolz die Rücklage um mehr als eine
halbe Milliarde Euro, weil die Ausgaben
mit 2,5 Milliarden Euro die Einnahmen
um 538 Millionen Euro übertrafen. Un-
ter dem Strich ist in diesem Jahr ein Fi-
nanzierungsdefizit von 1,6 Milliarden
Euro aufgelaufen, das aus den Rücklagen
gedeckt wurde. Ende August lagen sie
noch bei knapp drei Milliarden Euro, gut
eine Milliarde Euro unter dem Vorjahres-
niveau. Allerdings war das geplant. Die
Umlage nach dem Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz (EEG) war in diesem Jahr ei-
gens herabgesetzt worden, auf 6,4 von
6,8 Cent je Kilowattstunde. Die Höhe
der EEG-Umlage für das neue Jahr wird
im nächsten Monat festgelegt. Erste Pro-
gnosen gehen von einem leichten An-
stieg aus. Wichtig für die neue EEG-Um-
lagenhöhe sind vor allem drei Faktoren:
der (aktuell geringe) Zubau neuer Anla-
gen, die (in diesem Jahr hohe) Stromaus-
beute und der (steigende) Börsenstrom-
preis. Je höher er ist, desto höher sind
die Erlöse für den Ökostrom an der Bör-
se und desto geringer die Zahlungen aus
der Förderumlage.

ami.BERLIN, 10. September. In zehn Ta-
gen will das „Klimakabinett“ der Bundes-
regierung die Weichen für eine Beprei-
sung von Kohlendioxidemissionen stel-
len. Fast täglich kommen dazu neue Vor-
schläge auf den Tisch. Das deutsche Hand-
werk zeigt sich nun sehr besorgt darüber,
„mit welcher aktionistischen Hast nun
eine solche CO 2 -Bepreisung ohne jegli-
che Generalüberholung des vorhandenen
Instrumentariums realisiert werden soll“.
So steht es in einem neuen Positionspa-
pier seines Zentralverbands (ZDH) für
eine klimapolitisch effektive und ökono-
misch effiziente CO 2 -Bepreisung.
In dem Papier, das der F.A.Z. vorliegt,
bezieht der Verband eindeutig Position zu-
gunsten einer Ausweitung des Emissions-
handels auch auf die heute davon nicht be-
troffenen Bereiche Verkehr und Gebäu-
de. Dieser sei möglichst europaweit zu or-
ganisieren. Für eine Übergangszeit – und
nur dafür – sei auch eine Abgabe auf koh-
lendioxidhaltige Energieträger akzepta-
bel. Die Abgabe könne einfach bei jenen
ansetzen, die die Energieträger in Ver-
kehr brächten. Das wären etwa Raffine-
rien oder Gasnetzbetreiber. Für eine Ab-
gabe votiert der ZDH deshalb, weil deren
Einnahmen nicht in den allgemeinen
Steuertopf flössen, sondern zweckgebun-
den ausgegeben werden könnten.
Deshalb kommt für ihn die dritte Mög-
lichkeit, eine Steuer, ob neu oder als Erhö-
hung einer bestehenden, nicht in Be-

tracht. Zu schlecht sei damit kalkulierbar,
ob die für den Klimaschutz wirksamen
Mengenziele mit Sicherheit erreicht wer-
den könnten. Gutachten für das Bundes-
umweltministerium belegten, dass genau
dies nicht der Fall sei. „Jede administrati-
ve CO 2 -Bepreisung bleibt letztlich ein
Schuss ins Unbekannte“, hält der Hand-
werksverband fest. Überdies erinnert er
daran, dass einmal eingeführte Steuer lan-
ge bleibe, auch wenn sich ihr vorgeblicher
Zweck erledigt habe – wie die 1905 einge-
führte Schaumweinsteuer zur Finanzie-
rung der kaiserlichen Kriegsmarine.
Mit seiner prononcierten Stellungnah-
me nimmt der Handwerksverband poli-
tisch eindeutig Position – zugunsten von
CDU, CSU und FDP, die einem (über-
gangsweise national organisierten)
CO 2 -Emissionshandel im Verkehrs- und
Gebäudesektor zuneigen, und gegen SPD
und Grüne, die höhere Steuern auf Koh-
lendioxidemissionen verlangen.
Die meisten Ökonomen, zuletzt auch
die der Akademie der Technikwissen-
schaften Acatech, halten sich aus dem
Streit heraus, welche Art der Bepreisung
die bessere ist – scharfes Mengenziel mit
Handel oder Preisziel durch eine Steuer.
Die Hauptsache sei, es gebe überhaupt ei-
nen an dem CO 2 -Gehalt ansetzenden
Preis, sagte unlängst Felix Müsgens, Öko-
nomieprofessor in Cottbus.
Handwerks-Präsident Hans Peter Woll-
seifer ist da weniger gelassen. Er sagt:

„Unsere große Sorge im Handwerk ist,
dass die schon bisher kaum noch steuerba-
re Komplexität der Energiewende- und
Klimapolitik durch zusätzliche Regulie-
rungen und weiteren Instrumenten-Aktio-
nismus noch größer, damit noch störanfäl-
liger und teurer wird.“ Das dann noch mit
einer CO 2 -Steuer „anzureichern“ würde
mehr schaden als nützen.
Nützen würde es nach Auffassung des
Handwerks hingegen der gesamten Volks-
wirtschaft, wenn die durch den Klima-
schutz erzielten Einnahmen auch wieder
vollständig zurückflössen. Dessen Zen-
tralverband hat auch einen Vorschlag, wo
und wie die durch den Emissionshandel
oder eine CO 2 -Abgabe erzielten Einnah-
men vor allem eingesetzt werden sollten:
„Nicht zuletzt verfahrenstechnische Grün-
de sprechen dafür, hierbei die Stromprei-
se zu reduzieren, beginnend mit der Umfi-
nanzierung der bisherigen EEG-Umlage
bis hin zu einer deutlichen Absenkung
der Stromsteuer.“ Auf keinen Fall dürfe
der Staat die Mehreinnahmen verbuchen
und daraus andere Aufgaben finanzieren.
Zwei Dinge in die richtige Reihenfolge
zu bringen sind dem ZDH besonders wich-
tig: Zum einen müsse der weitere Ausbau
der Erneuerbaren „an die hierfür erforder-
liche Netzertüchtigung gebunden wer-
den“. Auch müsse endlich das beträchtli-
che Effizienzpotential im Gebäudebe-
reich gehoben werden. Dafür sei eine steu-
erliche Sanierungsförderung „unabding-
bar“.

Kaum Interesse an Windprojekten


Ausbau an Land gerät ins Hintertreffen


dc.BERLIN, 10. September. Wer sich als
Arbeitnehmer krankmeldet, muss seinem
Arbeitgeber bald keinen „gelben Zettel“
mehr vorlegen: Ein elektronisches Melde-
verfahren soll die Arbeitsunfähigkeitsbe-
scheinigung in Papierform ersetzen – der
Arbeitgeber bekommt die nötigen Daten
dann auf Abruf von der Krankenkasse.
Dies will die Bundesregierung mit ihrem
geplanten „Bürokratieentlastungsgesetz
III“ umsetzen, dessen Entwurf der F.A.Z.
vorliegt. Zusammen mit weiteren Rechts-
änderungen, darunter ein Umstieg auf
elektronische Meldezettel für Hotelgäste
und vereinfachte Aufbewahrungsvor-
schriften für Steuerunterlagen, soll dies
die Unternehmen rechnerisch um 1,1 Mil-
liarden Euro je Jahr entlasten.
Mit dem unter Federführung von Wirt-
schaftsminister Peter Altmaier (CDU) er-
stellten Gesetzentwurf will die Regierung
eine Vereinbarung zum Bürokratieabbau
umsetzen, auf die sich Union und SPD im
Koalitionsvertrag und auf einem Koali-
tionsgipfel im Mai geeinigt hatten. Im Ge-
genzug hatte die Union der SPD zugesagt,
Paketdiensten eine verschärfte Nachunter-
nehmerhaftung für Sozialbeiträge ihrer
Vertragspartner vorzuschreiben. Dazu hat
Sozialminister Hubertus Heil (SPD) ein
Gesetz vorbereitet. Mittelbar ist er durch
die Neuregelung zu Krankmeldungen auch
am geplanten Bürokratieabbau beteiligt.
Hierzu beruft sich der neue Gesetzent-
wurf auf Zahlen der Krankenkassen, wo-
nach jährlich fast 80 Millionen Arbeitsun-
fähigkeitsbescheinigungen erstellt und be-
arbeitet werden. Nun sollen Arbeitgeber
über die ärztliche Krankschreibung nicht
mehr dadurch informiert werden, dass
die Arbeitnehmer gelbe Zettel vorlegen.
Stattdessen soll die Kasse, die ohnehin
die Daten erhält, eine elektronische Mel-
dung erstellen, die der Arbeitgeber abru-
fen kann. So würden auch die im Alltag
zuweilen auftretenden Konflikte darüber
vermieden, ob der gelbe Zettel pünktlich
vorlag oder nicht, heißt es im Gesetzent-
wurf. Für die Wirtschaft soll sich der Bü-
rokratieaufwand damit um 549 Millionen
Euro verringern.
Als weiteren großen Baustein sieht das
Entlastungspaket vor, dass Unternehmen
alte elektronisch gespeicherte Steuerun-


terlagen nicht mehr dauerhaft in verschie-
denen Varianten vorhalten müssen, um
für eine mögliche Steuerprüfung gerüstet
zu sein: Bisher mussten sie sicherstellen,
dass die Daten auch noch nach zehn Jah-
ren über ihr gerade aktuelles Computer-
system ausgewertet werden können – was
bei einer Systemumstellung hohen Zusatz-
aufwand bedeutete. Künftig soll es dem
Gesetzentwurf zufolge stets ausreichen,
die Daten auf geeigneten Datenträgern
bereitzuhalten, die Betriebe müssen den
Prüfern aber nicht mehr selbst die „ma-
schinelle Auswertung“ der Daten abneh-
men. „Neben der Entlastung der Unter-

nehmen setzt dies auch Anreize für die Fi-
nanzverwaltung, Betriebsprüfungen zeit-
nah anzugehen“, heißt es im Entwurf.
Eine weitere Änderung im Steuerrecht
betrifft die Kleinunternehmergrenze im
Umsatzsteuerrecht: Sie soll von 17 500
auf 22 000 Euro im Jahr steigen. Wer als
Selbständiger – etwa im Nebenberuf – we-
niger Umsatz hat, wird auf Antrag von
der Umsatzsteuerpflicht befreit und spart
damit auch den Aufwand der vierteljähr-
lich Umsatzsteuer-Meldungen. Die Gren-
ze war seit mehr als 20 Jahren nicht er-
höht worden. Dem Gesetzentwurf zufol-
ge werden mit der geplanten Anhebung

knapp 70 000 Steuerpflichtige entlastet.
Insgesamt sieht der Gesetzentwurf ein
Dutzend Änderungen vor, darunter auch
die Anhebung und Angleichung mehrerer
Geringfügigkeitsgrenzen im Steuer- und
Abgabenrecht. Daneben sollen Hotels die
Option erhalten, ihre Gäste nicht mehr
mit dem traditionellen Meldezettel zu re-
gistrieren, sondern wahlweise digital. Da-
mit lasse sich zumindest ein Teil der jähr-
lich 150 Millionen Meldezettel einsparen,
so die Hoffnung. Das Bürokratieabbauge-
setz soll wie das Paketzusteller-Gesetz
noch im September vom Bundeskabinett
beschlossen werden.

dc./jvb. BERLIN/FRANKFURT, 10. Sep-
tember. Den 21 Millionen Rentnern in
Deutschland winkt im kommenden Jahr
eine besonders kräftige Rentenerhöhung


  • aber dafür wird es wohl ausgerechnet
    im Wahljahr 2021 nur eine Mini-Renten-
    erhöhung für sie geben. Ursache ist ein
    Sondereffekt aufgrund der turnusmäßi-
    gen Revision der Volkswirtschaftlichen
    Gesamtrechnung (VGR) in diesem Jahr,
    mit der die statistischen Werte zur Lohn-
    entwicklung in den vergangenen Jahren
    etwas nach oben korrigiert wurden. Da
    diese auch in die Berechnung der Renten-
    anpassungen einfließen, bahnt sich dort
    nun ein „Jojo-Effekt“ an, mit zunächst
    beschleunigten und dann verlangsamten
    Rentenerhöhungen. Ein ähnlicher Son-
    dereffekt hatte 2014 schon einmal hitzi-
    ge politische Debatten darüber ausge-
    löst, ob die Regierung kurzfristig die Ren-
    tenformel ändern solle, um Erwartun-
    gen der Rentner nicht zu enttäuschen.
    Eine am Dienstag veröffentlichte Ana-
    lyse des Kieler Instituts für Weltwirt-
    schaft (IfW) schätzt den nun bevorste-
    henden Sondereffekt erstmals näher ab.
    Demnach dürfte sich die reguläre Ren-
    tenerhöhung zum 1. Juli 2020 durch die
    Statistikänderung außerordentlich um
    zwei Prozent erhöhen. Ergäbe sich also
    unter normalen Umständen ein Plus von
    3 Prozent, würden die Renten tatsächlich
    um rund 5 Prozent erhöht. Mit der nächs-
    ten Rentenrunde zum 1. Juli 2021 würde
    der Sondereffekt dann aber durch eine
    verringerte Erhöhung wieder ausgegli-
    chen. Sollte sich regulär wieder ein Plus
    von 3 Prozent ergeben, würde sie also
    auf rund 1 Prozent gekürzt.
    Im aktuellen Fall hat das Statistische
    Bundesamt aufgrund neuer Datenerhe-
    bungen festgestellt, dass die Entwick-
    lung der Löhne und Gehälter in den ver-
    gangenen Jahren im gesamtwirtschaftli-
    chen Durchschnitt etwas günstiger war
    als bisher vermutet. Die Werte wurden
    für 20 Jahre rückwirkend nach oben kor-
    rigiert. Im Durchschnitt ergebe sich eine
    um 0,1 Prozentpunkte höhere jährliche
    Zuwachsrate der Bruttolöhne und -gehäl-
    ter je Arbeitnehmer sowie eine höhere
    Lohnquote, führt das IfW aus. Die Revisi-
    on der VGR findet alle fünf Jahre statt.
    Da die Bruttolohnsumme je Arbeit-
    nehmer in die Rentenformel einfließt,
    führt dies nun an der Schnittstelle von al-
    ten und neuen Werten zunächst zu ei-
    nem starken Rentenanstieg. Zugleich ist
    die Formel aber so konstruiert, dass sie
    technisch bedingte Ausschläge automa-


tisch im Folgejahr wieder ausgleicht.
Trotzdem bringt dies nun neuen Zünd-
stoff in die ohnehin aufgeladene Renten-
debatte. 2014 hatte der Deutsche Ge-
werkschaftsbund (DGB) in Briefen an
Arbeitsministerium und Kanzleramt ver-
langt, einen Ausgleich für die verringer-
te Rentenerhöhung zu schaffen. Damals
hatte sich im Zuge einer Statistikrevision
die Beschäftigtenzahl erhöht. Das senk-
te die Lohnsumme je Arbeitnehmer –
und führte erst zu einer gekürzten Ren-
tenerhöhung, danach zu einer umso stär-
keren. 2015 stiegen die Renten nur um
gut 2 Prozent, 2016 dann aber um 4,
Prozent im Westen und 5,95 Prozent im
Osten. Der Sondereffekt wurde damals
mit etwa einem Prozentpunkt beziffert.
Damals begründete der DGB seine
Kritik allerdings auch damit, dass die
Ausgleichsmechanik die Rentner durch
den sogenannten Basiseffekt benachteili-
ge: Wird die Erhöhung erst verringert
und dann erhöht, kommt unterm Strich
etwas weniger heraus als bei umgekehr-
ter Reihenfolge. Diesmal hingegen dürf-
ten die Rentner von dem Sondereffekt
im Ergebnis sogar profitieren – mit dem
politischen Schönheitsfehler, dass ausge-
rechnet im Wahljahr die Rentenerhö-
hung kümmerlich ausfallen dürfte.
Davon abgesehen aber, verbessert sich
mit der Revision der VGR-Daten das oh-
nehin recht günstige Bild der Entwick-
lung in den Aufschwungjahren – auch
hinsichtlich der Verteilung des Volksein-
kommens: Der Anteil der Arbeitnehmer-
entgelte am Volkseinkommen betrage
nach neuem Rechenstand 70,8 Prozent
für 2018. Bisher war man von 69 Prozent
ausgegangen. „Die Lohnquote erreicht
nun wieder das Niveau der 1990er Jahre.
Der Rückgang während der Lohnmode-
ration in den 2000er Jahren wurde somit
wettgemacht“, sagte Stefan Kooths, Lei-
ter des Prognosezentrums am IfW.
Die Revision hat aber auch negative
Seiten. So stelle sich nun das Verhältnis
von Lohnkosten zu Arbeitsproduktivität
und Preisen, die Lohnstückkosten, deut-
lich ungünstiger dar. Nach altem Daten-
stand lagen sie bis zuletzt klar unter ih-
rem langjährigen Durchschnitt, was als
förderlich für den Beschäftigungsaufbau
galt. Nach den neuen Daten aber gingen
von der Lohnseite erstmals seit 15 Jah-
ren keine positiven Impulse mehr auf die
Arbeitsnachfrage der Unternehmen aus.
„Damit ist auch das Risiko eines Stellen-
abbaus infolge der schwachen Konjunk-
tur deutlich gestiegen“, sagte Kooths.

loe.BERLIN, 10. September. Die Immobi-
lienbranche fordert von der Politik deut-
lich mehr Geld für den Klimaschutz.
„Selbst bei konservativen Annahmen sind
allein für die vermieteten Wohnungen in
Deutschland jährlich mindestens 6 Milliar-
den Euro Unterstützung nötig, wenn die
Klimaziele im Gebäudebereich erreicht
werden sollen“, sagte Axel Gedaschko,
Präsident des Bundesverbands deutscher
Wohnungsunternehmen (GdW), am
Dienstag in Berlin. Der Gebäudebereich
macht derzeit 13,5 Prozent des deutschen
Treibhausgasausstoßes aus. Modernere
Fenster und Heizungen sowie eine bessere
Dämmung der Häuser können den Aus-
stoß des klimaschädlichen CO 2 senken. Al-
lerdings sind energetische Gebäudesanie-
rungen seit Jahren einer der Hauptstreit-
punkte zwischen Mietern und Vermietern.
Wohnungseigentümer können nach einer
solchen Sanierung die Jahresmiete dauer-
haft erhöhen. Der Aufschlag bemisst sich
an den Modernisierungskosten, 8 Prozent
sind derzeit erlaubt. Viele Mieter wehren
sich deshalb gegen die Maßnahmen. Woh-
nungskonzerne wie Vonovia haben schon
angekündigt, wegen der Proteste weniger
modernisieren zu wollen. Dann lassen
sich aber die Klimazieleim Gebäudebe-
reich noch schwerer erreichen. Politiker
argumentieren, dass nach Sanierungen
zwar die Kaltmiete steigt, dafür aber die
Heizkosten sinken. Mietervereine kon-
tern, dass die Erhöhung der Kaltmiete
meist deutlich größer ist als die Einspa-
rung bei den Nebenkosten.


Untersuchung gegen Google
Die Justiz in den Vereinigten Staaten ver-
stärkt ihr Vorgehen gegen große Digital-
konzerne wegen möglicher Verstöße ge-
gen das Wettbewerbsrecht. Nachdem
mehrere Bundesstaaten eine gemeinsa-
me Untersuchung von Facebook einge-
läutet hatten, kündigten am Montag fast
alle Bundesstaaten eine Überprüfung
vonGooglean. Dabei wollen sie prüfen,
ob der Konzern seine Marktmacht zu
Lasten von Kunden oder Wettbewerbern
ausnutzt. „Diese Untersuchung ist kein
Prozess“, sagte der texanische Justizmi-
nister Ken Paxton. Die vorläufige Unter-
suchung solle Fakten darüber sammeln,
wie Google mit gesammelten Daten um-
geht und von ihnen profitiert. AFP

Anti-Maut-Partei legt zu
In Norwegen hat die neugegründete
Anti-Maut-Partei in den Kommunalwah-
len in allen großen Städten den Einzug
ins Parlament geschafft. In der Haupt-
stadt Oslo kam sie aus dem Stand auf
knapp 6 Prozent der Stimmen, in Bergen
sogar auf rund 17 Prozent. Die Debatte
über die Höhe der City-Maut, die es in
norwegischen Großstädten gibt, hatte
den Wahlkampf geprägt; die neue Partei
fordert die Abschaffung der Maut
(F.A.Z. vom 7. September). Als zweiter
großer Gewinner in den Großstädten gin-
gen die Grünen aus den Wahlen hervor,
die sich für höhere Mautgebühren und
weniger Parkplätze in den Innenstädten
aussprechen. lzt.

Förderkosten für


Ökostrom steigen


Handwerk rügt „aktionistische Hast“ der Klimapolitik


Spitzenverband plädiert für den Emissionshandel und warnt vor einer neuen Steuer


100 Millionen Euro Gesundheitskapital


Private Krankenversicherung sticht gesetzliche Kassen mit Investitionen in digitale Gesundheits-Start-ups aus


Koalition schafft „gelbe Zettel“ für Krankmeldung ab


Bald auch elektronisch:Die gelbe Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Foto dpa

Renten steigen 2020 sprunghaft –


und dafür im Wahljahr 2021 kaum


Eine Revision statistischer Daten hat brisante Folgen


Wohnungswirtschaft will


Milliarden für das Klima


Kurze Meldungen


Union und SPD bauen etwas


Bürokratie ab. Ein Dutzend


Formalien sollen geändert


werden, zum Beispiel für


Hotels und kleine


Unternehmen.

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