Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.09.2019

(ff) #1
NR. 211·SEITE N 1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Natur und Wissenschaft MITTWOCH, 11. SEPTEMBER 2019


Bolivien ist viel kleiner als Brasilien, doch Brand-


rodungen gefährden dort ähnlich schnell und stark


eine besondere Tier- und Pflanzenwelt.Seite N2


Wie die Glücksplätzchen auf dem Umweg über


Amerika ein chinesisches Nationalprodukt wurden:


Forschung zur gastronomischen Migration.Seite N3


Der biotechnische Fortschritt nimmt immer weitere


Hürden. Doch anders als vor zwanzig Jahren herrscht


darüber gespenstisches Schweigen.Seite N4


D

ie meisten Menschen möch-
ten bekanntlich alt werden,
aber nur die wenigsten alt
sein. Wie es gelingt, bis ins
hohe Alter jugendlich frisch
zu bleiben, steht allerdings noch in den
Sternen. Ein Weg dorthin könnte laut ei-
ner Reihe von Beobachtungen das inter-
mittierende Fasten, auch Intervallfasten
genannt, sein. Bei Tieren können längere
Futterpausen jedenfalls altersbedingten
Krankheiten vorbeugen und das Leben
verlängern. Ob sich diese Erkenntnisse
auf den Menschen übertragen lassen, ist
hingegen unklar. Einer der Gründe für
die dürftige Datenlage liegt in der Schwie-
rigkeit, menschliche Probanden dazu zu
bringen, über einen längeren Zeitraum
hinweg strikte Ernährungsprotokolle ein-
zuhalten.
Dennoch bemühen sich einige Wissen-
schaftler darum, die bestehenden Wis-
senslücken zu füllen. So haben Forscher
um Frank Madeo vom Institut für moleku-
lare Biowissenschaften der Universität
Graz kürzlich untersucht, wie sich eintägi-
ge Essenspausen auf das Herzkreislaufsys-
tem und den Stoffwechsel von leicht über-
gewichtigen, aber gesunden Männern
und Frauen auswirken. Ihr Augenmerk
richteten sie dabei auf Prozesse, die über
eine Beschleunigung der Gefäßalterung
die Ausbildung von Herzinfarkten, Diabe-
tes und anderen Zivilisationskrankheiten
begünstigen. Von den insgesamt sechzig
Teilnehmern ihrer Studie hatte die eine
Hälfte jeden zweiten Tag nichts gegessen
und die andere Hälfte ihr Ernährungsver-
halten beibehalten.
Wie im Fachblatt „Cell Metabolism“
(doi: 10.1016/j.cmet.2019.07.016) nachzu-
lesen ist, aßen die Teilnehmer des Fasten-
regimes im Durchschnitt ein gutes Drittel
weniger als zuvor und verloren dabei
rund 3,5 Kilogramm an Gewicht. Damit
einhergehend, sank ihr Blutdruck um
rund fünf Millimeter Quecksilbersäule,
und auch ihr Puls verlangsamte sich et-
was. Umfassende Blutanalysen ergaben
zudem, dass etliche Proteine und Molekü-
le, die jedenfalls bei Tieren den Alterungs-
prozess beschleunigen, fehlten. Noch aus-
geprägter war dieser Effekt bei einer
Gruppe von dreißig Versuchspersonen,
die mehr als ein halbes Jahr lang jeden
zweiten Tag gefastet hatten.
Die Studie des österreichischen Wissen-
schaftlers, der zu den Pionieren der Fas-
tenforschung gehört, lässt allerdings viele
Fragen unbeantwortet. Offen bleibt unter
anderem, ob die günstigen Auswirkungen
des Intervallfastens nur auf den Gewichts-
verlust zurückgingen oder auch auf die Es-
senspausen. Denn die alternierenden Fas-
tentage wurden darin nicht mit einer gän-
gigen Schlankheitskur verglichen. Für et-
was mehr Klarheit sorgen diesbezüglich
die Ergebnisse einer Studie von For-
schern um John Trepanowski von der Uni-
versity of Illinois in Chicago. Die daran
beteiligten Probanden, insgesamt hun-
dert dickleibige Männer und Frauen, hat-
ten sich ein Jahr lang auf eine von drei Ar-
ten ernährt: Ein Drittel von ihnen hatte je-
den zweiten Tag gefastet, ein weiteres
Drittel die tägliche Kalorienzufuhr auf 75
Prozent des Bedarfs begrenzt, und das üb-
rige Drittel weiterhin so gegessen wie bis-
her. Ein halbes Jahr lang waren die Ver-
suchsteilnehmer bei ihren Diätbemühun-
gen engmaschig begleitet worden, danach
waren sie auf sich selbst gestellt gewesen.
Wie aus dem Bericht der Autoren im
„Jama Internal Medicine“ (doi:10.1001/ja-
mainternmed.2017.0936) hervorgeht, er-
wiesen sich das Intervallfasten und die ka-
lorienreduzierte Diät in vielerlei Hinsicht
als gleichwertig. Die Probanden beider
Gruppen verringerten ihre Kalorienauf-
nahme im ersten halben Jahr um durch-
schnittlich 21 Prozent und nahmen sechs
bis sieben Kilogramm ab. In den darauffol-
genden Monaten setzten sie die verlore-
nen Pfunde dann zum Teil wieder an, wo-
gen am Ende der Studie aber immer noch
rund fünf bis sechs Kilogramm weniger als
davor. Auch was den Blutdruck, den Puls,
den Blutzuckerspiegel, die Blutfettwerte
und weitere Gesundheitsparameter an-
geht, hatten beide Diätarten ähnlich vor-
teilhafte Wirkungen. Es gab allerdings ei-

nen Unterschied: In der Gruppe, die alter-
nierend fastete, warfen knapp 40 Prozent
der Teilnehmer vorzeitig das Handtuch
oder wechselten die Diät-Gruppe, im ande-
ren Kollektiv waren es knapp 30 Prozent.
„Dieses Ergebnis erstaunt mich nicht“,
sagt Andreas Michalsen, Chefarzt für Na-
turheilkunde am Immanuel-Krankenhaus
in Berlin. „Wie unsere Erfahrungen zei-
gen, fällt es den meisten Menschen ex-
trem schwer, jeden zweiten Tag ganz oder
weitgehend auf Nahrung zu verzichten.“

Dasselbe gilt auch für eine andere Form
von Intervallfasten, bei der man an zwei
Tagen in der Woche sehr wenig isst und
sich an den übrigen Tagen nicht beschrän-
ken muss. Laut Michalsen stoßen diese
Fastenarten vor allem deshalb auf wenig
Zuspruch, weil sie das Sozialleben stark
beeinträchtigen.
Deutlich besser integrierbar ist dem-
nach das sogenannte „Time-Restricted-
Eating“. Bei dieser besonderen Form des
Intervallfastens verzehrt man sämtliche

Speisen in einem begrenzten Zeitraum
von sechs bis zehn Stunden und nimmt in
den übrigen 18 bis 14 Stunden nichts Ka-
lorienhaltiges zu sich. Man spricht daher
auch vom 6:18-Intervallfasten bezie-
hungsweise vom 8:16- oder 10:14-Inter-
vallfasten. „Wir haben Hunderte von Pa-
tienten, die mit dieser Fastenart sehr gut
klarkommen. Die meisten essen am Mit-
tag und am Abend und lassen das Früh-
stück aus“, sagt Michalsen. Mit dieser
Form von Intervallfasten, bei der ein er-

heblicher Anteil der Essenspause gewis-
sermaßen verschlafen wird, gelinge es vie-
len Patienten, dauerhaft abzunehmen.
Lange Intervalle zwischen den Mahlzei-
ten sind auch deshalb vorteilhaft, weil die
Insulinproduktion dabei eine Verschnauf-
pause erhält. Läuft die Herstellung des Zu-
ckerverwertungshormons nämlich bestän-
dig auf Hochtouren, steigt das Risiko für
einen Alterszucker, einen Typ-2-Diabe-
tes, merklich an. Auch brennt offenbar
buchstäblich das Licht des Lebens in dem
Fall schneller ab. Bei Tieren gibt es jeden-
falls Belege für einen solchen Zusammen-
hang. Lange Essenspausen scheinen zu-
dem selbst dann vor einem Diabetes zu
schützen, wenn sie die Pfunde nicht zum
Schmelzen bringen. Hierfür sprechen zu-
mindest die Ergebnisse einer kleinen,
aber sehr sorgfältig überwachten Studie
von Forschern um Courtney Peterson von
der University of Alabama in Birming-
ham (doi:10.1016/j.cmet.2018.04.010).
Die daran beteiligten Personen, acht
übergewichtige Männer mit erhöhtem
Diabetesrisiko, hatten zweieinhalb Mona-
te lang alle Mahlzeiten unter den Augen
der Studienleiter eingenommen. Die eine
Hälfte hatte täglich achtzehn Stunden
lang gefastet, die andere Hälfte zwölf
Stunden lang. Der Energiegehalt ihrer
Speisen war dabei so bemessen, dass sie
weder ab- noch zunahmen. Wie sich zeig-
te, hatte das Intervallfasten in jedem Fall
einen ausgesprochen heilsamen Einfluss
auf den entgleisten Zuckerstoffwechsel
der Männer, und das, obwohl sich das Ge-
wicht der Probanden nicht änderte.

W

ie Stephan Herzig, Leiter
des Instituts für Diabetes
und Krebs am Helmholtz
Zentrum München, fest-
stellt, scheint sich dabei
eine auf sechs bis acht Stunden begrenzte
Nahrungsaufnahme auf viele Stoffwech-
selprozesse noch günstiger auszuwirken
als andere Arten von Intervallfasten –
und auch als eine kalorienreduzierte Er-
nährung. Wie man weiß, gelte dies nicht
nur für den Zuckerhaushalt, sondern
auch für den Fettstoffwechsel und für die
(einen Diabetes begleitende und vermut-
lich mit verursachende) Anreicherung
von Fett in der Leber. „Weshalb das Time-
Restricted-Eating so wirksam ist, lässt
sich noch nicht beantworten,“ sagt Her-
zig, „das sehen wir uns gerade bei Tieren
genauer an.“
Unklar ist darüber hinaus, ob tägliche
Essenspausen von 16 bis 18 Stunden auch
Entzündungen zu lindern vermögen. Ver-
mittelt vom Immunsystem, spielen ent-
zündliche Prozesse bei altersbedingten Ge-
brechen eine maßgebliche Rolle. Forscher
um Stefan Jordan von der Mount Sinai
School of Medicine in New York City sind
daher der Frage nachgegangen, wie sich
eine längere Essenspause auf die weißen
Blutzellen auswirkt. Im Blut von zwölf ge-
sunden jungen Männern bestimmten sie
den Gehalt verschiedener Arten von Im-
munzellen, und das einmal nach einer
knapp eintägigen Nulldiät und ein anderes
Mal nach einer reichlichen Mahlzeit. Wie
sie in der Zeitschrift „Cell“
(doi:10.1016/j.cell. 2019.07.050) schrei-
ben, führte die längere Essenspause zu ei-
nem markanten Rückgang der Zahl und
Aktivität von Monozyten. Dabei handelt
es sich um Immunzellen, die bei vielen Ent-
zündungsprozessen ihre Hände im Spiel
haben.
Vergleichbare Untersuchungen bei Mäu-
sen zeigten daraufhin, dass die Monozy-
ten nach einer kurzzeitigen Fastenperiode
nicht abstarben, sondern im Knochen-
mark verharrten – möglicherweise, weil
sie in der Peripherie weniger gebraucht
wurden. Dennoch konnten sich die Nager
weiterhin wirksam gegen Infektionen weh-
ren. Nach einer mehrtägigen Hungerpha-
se war dies hingegen nicht mehr der Fall.
Danach heilten Wunden langsamer ab,
und auch Krankheitserreger hatten leichte-
res Spiel. Insofern scheint nicht jede Art
von Fasten gleichermaßen unbedenklich
zu sein. Wie Michalsen in dem Zusammen-
hang anmerkt, besitzen längere und radi-
kalere Fastenkuren beim Menschen zwar
eine nachweislich entzündungshemmen-
de Wirkung, doch sollte man sie nicht
ohne ärztliche Begleitung vornehmen.

I


n der Wildnis herrschen für Tierfor-
scher erschwerte Bedingungen:
Lichtverhältnisse lassen sich für Film-
aufnahmen ebenso wenig kontrollieren
wie die Forschungsobjekte selbst. So-
gar Experten fällt es oft schwer, einzel-
ne Tiere in der Gruppe zu identifizie-
ren, um deren Sozialverhalten zu analy-
sieren. Wissenschaftler der Universität
Oxford und der Kyoto-Universität ha-
ben nun eine Künstliche Intelligenz
(KI) entwickelt, die beim Auswerten
solcher Videos behilflich sein soll. Wie
in „Science Advances“ zu lesen ist, ver-
wendeten sie den Datensatz eines Lang-
zeitprojekts, bei dem eine Gruppe
Schimpansen in Bossou (Guinea), über
14 Jahre hinweg beobachtet worden
war. Mit zuvor markierten Bildern trai-
nierten sie ihr künstliches neuronales
Netz (Convolutional Neural Network)
darauf, 23 ausgewählte Schimpansenge-
sichter auch in der Bewegung zu erfas-
sen. Anschließend zeigten sie dem
Rechner Identität und Geschlecht der
markierten Affen an. Die KI lernte so
unter Anleitung, die einzelnen Tiere im
Video zu unterscheiden. Nach einiger
Zeit erfasste sie die Gesichter selbstän-
dig mit einer Präzision von 81 Prozent,
wusste zu gut 92 Prozent deren Identi-
tät und zu 96 Prozent deren Geschlecht
zu benennen. Während Experten bei ei-
nem Test mehr als 50 von 100 Bildern
falsch identifizierten und dazu gut eine
Stunde benötigten, erkannte die Ma-
schine 84 Affen in wenigen Sekunden.
Damit die KI mit Daten weiterer Tierar-
ten trainiert werden kann, ist der Quell-
text der Software frei zugänglich. jomi

KLUGVERDRAHTET


Waldbrände jenseits des Amazonas Was draufsteht, geht in Erfüllung Der Albtraum vom Leben-Machen


Immer kleiner und damit noch schneller
sollen die Schaltkreise auf den Mikrochips
werden. Doch die Transistoren auf Silizi-
umbasis können mit herkömmlichen Ver-
fahren nicht beliebig verkleinert werden.
Spätestens bei fünf Nanometer ist das
Ende der Fahnenstange erreicht, schätzen
die Experten. Bei noch kleineren Struktu-
ren ist mit störenden quantenmechani-
schen Effekten und Kurzschlüssen zu rech-
nen, die die Funktionsfähigkeit eines Mi-
krochips beeinträchtigen. Um die Compu-
tertechnik weiter voranzutreiben, setzen
die Wissenschaftler deshalb verstärkt auf
andere Chiparchitekturen, vor allem auf
neue Materialien.
Hoch im Kurs stehen wegen ihrer gerin-
gen Abmessungen und halbleitenden Ei-
genschaften einwandige Kohlenstoff-Na-
noröhrchen. Allerdings bereitet es bislang
große Schwierigkeiten, aus den zylindri-

schen Gebilden komplexe und zuverlässig
arbeitende Transistoren und elektroni-
sche Schaltungen zu bauen. Die Gründe:
Nanoröhrchen können auch metallische
Eigenschaften aufweisen, wodurch sie un-
brauchbar sind. Hinzu kommen Hürden
bei der präzisen Plazierung auf einem
Chip. Einen großen Fortschritt in Rich-
tung „Post-Silizium-Elektronik“ haben
nun Forscher vom Massachusetts Institute
of Technology (MIT) in Cambridge er-
zielt. Ihnen ist es gelungen, aus Millionen
von Nanoröhrchen einen funktionsfähi-
gen Mikroprozessor herzustellen, der be-
reits so leistungsfähig ist wie ein Silizium-
prozessor aus dem Jahr 1985.
Seit vor 21 Jahren Wissenschaftler von
der TU Delft erstmals zeigten, dass man
aus Nanoröhrchen Feldeffekt-Transisto-
ren bauen kann, sind beträchtliche Fort-
schritte erzielt worden. So präsentierten

vor fünf Jahren Forscher der Stanford Uni-
versity einen Prozessor, der aus 178 Tran-
sistoren aus Kohlenstoff bestand und ein-
fache Operationen und Befehle ausführen
konnte. Obwohl er nur ein Bit nach dem
anderen verarbeitete, war seine Leistungs-
fähigkeit mit einem Mikroprozessor der
Firma Intel aus dem Jahr 1971 zu verglei-
chen. Die neue Errungenschaft aus dem
MIT-Labor kann nun bereits 16 Bits verar-
beiten. Moderne Chips schaffen 64 Bits.
Als Vorbild für ihren Prozessor diente
den Forschern um Max Shulaker die klassi-
sche Computertechnik, die im Wesentli-
chen auf der Fähigkeit von Transistoren
beruht, die Leitfähigkeit zwischen zwei
Kontakten mit einer Steuerelektrode zu
beeinflussen und damit die binären Zu-
stände „1“ und „0“ darzustellen. Durch die
geschickte Kombination der Transistoren
lassen sich beliebig komplizierte integrier-

te Schaltkreise herstellen, die elementare
logische Operationen ausführen.
Die MIT-Forscher brachten zunächst un-
zählige Nanoröhrchen auf einen zuvor
strukturierten Siliziumwafer. Dann ent-
fernten sie auf chemischem Weg all jene
Röhrchen, die keinen festen Kontakt mit
der Unterlage hatten oder miteinander ver-
knäuelt waren. Anschließend wurden die
verbliebenen Kohlenstoff-Zylinder mit
Metalloxiden bedampft, die dafür sorgten,
dass auch noch alle vorhandenen metalli-
schen Nanoröhrchen halbleitende Eigen-
schaften erhielten. Durch gezielt plazierte
Metall-Elektroden entstanden so aus den
Kohlenstoff-Röhrchen mehr als 14 000
Transistoren. Anschließend wurden je
zwei der Kohlenstoff-Schalter zu logi-
schen Nicht-Gattern verbunden. Danach
schlossen die Forscher ihren Prozessor an
eine Tastatur und einen Monitor an und

ließen ein Computerprogramm laufen,
das die Funktionsfähigkeit des Prozessors
testen sollte („Nature“, Bd. 572, S. 595).
Der Code generierte einen Text, mit dem
sich der Kohlenstoff-Chip selbst vorstell-
te: „Hello World! I am RV16CNano.“
Trotz der Vorschritte wird es noch eini-
ge Jahre dauern, bis Kohlenstoff-Rechner
mit den heutigen Silizium-Computern
konkurrieren können, schreibt Franz
Kreupl von der TU München in einem Be-
gleitkommentar. Um den MIT-Prozessor
schneller zu machen, müsse die Dichte
der Nanoröhrchen und damit die Zahl der
Transistoren auf dem Chip erhöht wer-
den. Zudem müsse die Länge der Nano-
röhrchen von derzeit einigen hundert auf
wenige Nanometer verkürzt werden.
Dann könnten auch Nanoröhrchen-Tran-
sistoren Spannungspulse deutlich schnel-
ler verarbeiten. MANFRED LINDINGER

Das richtige

Timing

D

ie Grenzen meiner Sprache bedeu-
ten die Grenzen meiner Welt“,
hatte Ludwig Wittgenstein in seinem
„Tractatus“ geschrieben und damit vie-
le nachfolgende Philosophen davon
überzeugt, dass unsere Sprache zentral
prägt, wie wir die Wirklichkeit erfah-
ren. Farben sind hierfür ein besonders
beliebtes Beispiel. Denn was gibt uns
vor, wo wir im kontinuierlichen Spek-
trum die Schnitte zwischen diskreten
Farbnamen setzen? Könnte es fremde
Völker geben, die ihre Umwelt so wie
wir wahrnehmen, aber Farben ganz an-
ders einteilen? Für die Blau und Grün
sich so ähnlich sehen wie für uns Ru-
bin- und Karminrot? Die aber dafür 25
verschiedene Gelbtöne als verschiede-
ne Farben unterscheiden? Farblinguis-
ten und Anthropologen arbeiten seit
vielen Jahrzehnten daran, diese Frage
empirisch zu beantworten, indem sie
mit Farbplättchensammlungen durch
die Welt ziehen und Menschen nach
Namen und Sortierung fragen. Eine
eindeutige Entscheidung der Frage, ob
Farben universell und sprachübergrei-
fend oder doch eher kulturell be-
stimmt sind, konnten diese Studien bis-
her aber nicht liefern. Nun versucht
eine Gruppe europäischer Mediziner
und Psychologen in der Zeitschrift
„Cell Reports“, ihren Beitrag zur Auf-
klärung zu leisten. Ihr Studienobjekt
ist ein 54-jähriger Schlaganfallpatient,
genannt „RDS“, der weitgehend die Fä-
higkeit verloren hat, Farben korrekt
beim Namen zu nennen. Der Franzö-
sisch sprechende Portugiese, dessen
Farbwahrnehmung von seinem Schlag-
anfall unbeeinträchtigt ist, konnte im
Bezeichnungstest nur jede dritte Farbe
korrekt benennen, wo gesunde Testper-
sonen eine 93-prozentige Erfolgsquote
aufwiesen. In einem sprachunabhängi-
gen Experiment legten die Forscher
ihm und den anderen Testpersonen je
zwei Tafeln mit jeweils zwei verschie-
denen Farben vor. Im Kategorientest
sollten sie bestimmen, auf welcher Ta-
fel sich Farben derselben Farbkatego-
rie befinden – beispielsweise Hell- und
Dunkelblau –, im Benennungstest, auf
welcher Tafel eine konkrete benannte
Farbe zu sehen ist. Während RDS kei-
ne besonderen Probleme hatte, zusam-
mengehörige Farbtöne zu identifizie-
ren, schnitt er wiederum deutlich
schlechter als die anderen ab, wenn es
darum ging, spezifische Farben zu fin-
den. Das Fazit der Wissenschaftler:
Die erfolgreiche Einteilung von Far-
ben in Kategorien ist von der Fähigkeit
unabhängig, sie zutreffend zu benen-
nen. Mit der Kernspintomographie
konnte außerdem diejenige geschädig-
te Region im Hirn des Schlaganfallpa-
tienten identifiziert werden, die wahr-
scheinlich für die Namensschwäche
verantwortlich ist. Zumindest also
scheinen Farbeinteilung und Farbbe-
nennung somit auf verschiedenen neu-
ronalen Prozessen zu beruhen, so die
Forscher. Was man nun aber von je-
mandem ohne Farbbegriffe über dieje-
nigen mit fremden Farbbegriffen ler-
nen kann, darüber dürfen nun wieder-
um die Philosophen streiten. sian

„Hello World“ – wie der Kohlenstoff die Elektronik erobert


Mit einem Mikroprozessor aus Nanoröhrchen könnte Silizium abgelöst und das befürchtete Ende der Miniaturisierung verhindert werden


Ein paar Stunden länger am Tag den Teller leer lassen, das schmeichelt dem Stoffwechsel. Foto Getty

Fremde Farben


Nicht die Radikaldiät hält den Körper jung, sondern


das sanfte Fasten in sorgfältig gewählten Intervallen.


Davon profitiert auch unser Immunsystem,


wie viele neue Studien belegen.


Von Nicola von Lutterotti

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