Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.09.2019

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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MITTWOCH, 11. SEPTEMBER 2019·NR. 211·SEITE 3


MARSH HARBOUR/NASSAU,


  1. September


V


om Krankenhaus in Marsh Har-
bour aus eröffnet sich der Blick
auf eine unwirkliche Szenerie.
Das Hospital liegt auf einer An-
höhe, die eigentlich eine gute Übersicht
über die Stadt Great Abacos bietet. Doch
jetzt verschwimmt alles. Und das liegt
nicht nur an der flirrenden Sonne über
der Bahamas-Insel. Es ist keine Struktur
mehr zu erkennen. Über Hunderte Meter
reiht sich Schutthaufen an Schutthaufen.
So muss der Weltuntergang aussehen:
Umgestoßene Autos und entwurzelte Pal-
men liegen neben Bretterteilen und verbo-
genen Wellblechen. Wind und Wellen ha-
ben Sträucher, Trümmerteile, Plastikcon-
tainer und sonstigen Hausrat zu riesigen
Müllhaufen aufgetürmt. Einer dieser Hau-
fen hat einen Pritschenwagen begraben.
Auf einem anderen liegt ein Holzboot. Es
gibt Teile Marsh Harbours, in denen noch
einige, stark beschädigte Häuser stehen.
In diesem Viertel aber steht nichts mehr.
„The Mud“, wie der ehemalige Slum der
Stadt bezeichnenderweise hieß, ist voll-
ständig zerstört.
Am Sonntag vor acht Tagen traf Hurri-
kan Dorian in Abaco auf Land, ein Wir-
belsturm der höchsten Kategorie fünf.
Drei Tage wütete er im Norden des karibi-
schen Inselstaates. Er zog einfach nicht
weiter. Es war der schlimmste Hurrikan
für die Bahamas seit Beginn der Aufzeich-
nungen. 70 000 Personen sind obdachlos,
jeder fünfte Einwohner der Inselgruppe.
Einer von ihnen ist Wilson. Er ist mitge-
laufen vom Krankenhaus zum ehemali-
gen Slum. Er will zeigen, wo er gewohnt
hat, und er will klarmachen, dass unter
den Trümmerbergen auch noch anderes
begraben liegt. Je näher man dem Viertel
kommt, desto stärker wird der süßlich-ste-
chende Leichengeruch. „Hier liegen Hun-
derte“, sagt Wilson, „Hunderte“. Und nie-
mand mache etwas.
In „The Mud“ traf es die Ärmsten der
Armen. Manche folgten dem Evakuie-
rungsaufruf aus Sturheit nicht. Viele aber
glaubten einen guten Grund zu haben. In
dem Slum lebte der Großteil der haitiani-
schen Bevölkerung, die schon vor Jahr-
zehnten auf die Bahamas kam, um der Ar-
mut zu Hause zu entfliehen. Viele von ih-
nen hatten keine Aufenthaltsgenehmi-
gung. In die Notunterkünfte sind sie nicht
gegangen, weil sie dort registriert worden
wären.
Die Geschichte Wilsons, des 48 Jahre
alten Slumbewohners, ist die von so vie-
len in Marsh Harbour, das bis vor kurzem
gut 6000 Einwohner hatte. Am Sonntag
vor acht Tagen waren seine Frau und die
vier Kinder gerade in die Kirche gegan-
gen, als der Wirbelsturm und die Flutwel-
le kamen. Wilsons Blechhütte wurde ein-
fach weggeschwemmt. Jetzt, da das Was-
ser weg sei, könne man es sich nicht mehr
vorstellen, erzählt er, aber er sei aus sei-
nem Viertel herausgeschwommen. Er
habe zusehen müssen, wie Nachbarn er-
tranken. Seine Frau und die Kinder habe
er erst nach Tagen in der Kirche wiederge-
funden, die der Pastor spontan zur Notun-
terkunft erklärt hatte. Inzwischen seien
sie in Nassau, der Hauptstadt der Baha-
mas auf der südlichen Insel New Provi-
dence.
Wilson selbst will in Abaco bleiben.
Um Geld zu verdienen. Bisher hat er von
Gelegenheitsjobs gelebt. Und so will er
das auch künftig machen. Irgendwann
werde das Aufräumen beginnen müssen,
dann der Wiederaufbau. Da gebe es für
ihn genug zu tun. Er blickt auf die Trüm-
merlandschaft und sagt: „Das wird Jahre
dauern.“
Mauro Rodriguez hat gerade seine
Schicht im Krankenhaus beendet. Seit
drei Tagen geht es dort wesentlich ent-
spannter zu, seit der Flughafen von Marsh
Harbour wieder in Betrieb ist. Unmittel-
bar nach dem Hurrikan war nur die ameri-
kanische Küstenwache in den Ort gekom-
men, um Schwerverletzte mit dem Hub-
schrauber nach Nassau zu fliegen. Sonn-
tag dann lief die Evakuierung im großen
Stil über Flugzeuge an. Rodriguez und sei-
ne Kollegen arbeiten in drei Schichten
und fliegen dann nach 72 Stunden zurück
nach Nassau, wo sie herkommen. Die ei-
gentliche Belegschaft des Krankenhauses,
die die Tage nach dem Hurrikan rund um
die Uhr in den mit Generatoren betriebe-
nen Operationssälen gearbeitet hatte, ist
schon vor einigen Tagen ausgeflogen wor-
den. Im Moment betreue man nur Patien-
ten, die unbedingt in Abaco bleiben woll-
ten, erzählt der Arzt. Täglich kämen weni-
ger. Dafür sind die Schlangen am Flugha-
fen immer noch lang.
Montagmorgen um acht Uhr herrscht
am „Leonard Thompson Airport“ Hoch-
betrieb. Die kommerziellen Fluglinien
des Landes, aber auch amerikanische
Fluggesellschaften kommen morgens mit
leeren Flugzeugen nach Abaco und flie-
gen alle aus, die die Insel verlassen wol-

len. Die meisten nach Nassau; einige, die
Familie in den Vereinigten Staaten ha-
ben, auch nach Fort Lauderdale in Flori-
da. Anfangs wollten die Fluglinien Geld
dafür nehmen. Nach Protesten der Öffent-
lichkeit verzichteten sie darauf.
Wieder ist eine Maschine gelandet. In
der kleinen Abflughalle bricht Unruhe
aus. Nicht alle haben es geschafft, ihren
Namen auf die Liste zu setzen. „Leute, ich
möchte, dass ihr eines wisst: Alle kom-
men heute nach Nassau“, sagt ein Flugha-
fenangestellter. „Ich weiß, gestern war
Chaos. Aber heute kommen viele Flugzeu-
ge rein. Wenn ihr nicht auf diesem Flug
seid, seid ihr auf dem nächsten. Verspro-
chen.“ Er guckt in müde Gesichter. Eini-
ge haben die Nacht
am Flughafen ver-
bracht. In der Ecke ste-
hen einige Matratzen.
Auf einem Tisch ha-
ben Helfer Snacks aus-
gebreitet. Ein paar
Leute versuchen, im
Gebäude für Ordnung
zu sorgen, schieben
Bänke beiseite und fe-
gen den Boden. Doch
in vielen Ecken stehen gefüllte Müllbeu-
tel und liegt schmutzige Kleidung herum.
Es riecht streng. Wer die Toiletten betritt,
läuft Gefahr, ohnmächtig zu werden.
Kinder haben ihre eigene Art, mit dem
Chaos umzugehen. Zwei kleine Mädchen
mit bunten Plastikperlen in den Zöpfen
springen und tanzen um die Koffer her-
um und klatschen einander in die Hände,
während ihre Eltern sich bemühen, ihre
Tränen zu unterdrücken. Sie sehen, wie
lang die Schlange ist, und wollen nicht
wieder vertröstet werden. Sie wollen end-
lich raus. Endlich nach Nassau. Und
dann? Mal sehen. Viele kommen bei
Freunden oder Familie unter. Andere wer-
den in eine der Notunterkünfte der Haupt-
stadt gebracht. Diejenigen, die es sich leis-
ten können, ziehen vorerst in ein kleines
Hotel.

Eigentlich ist es in Nassau um diese Jah-
reszeit ruhig. Die Hauptsaison ist been-
det. Erst an Thanksgiving, Weihnachten
und Neujahr kommen die Touristen wie-
der in großen Zahlen. Nun aber haben
vor allem Flüchtlinge und Hilfskräfte die
Hotels belegt: die Flüchtlinge einfache
Pensionen, die Helfer die besseren Plätze
am Ort. Das Rote Kreuz, USAID, WHO –
alle sind inzwischen da. Koordiniert wird
die Arbeit von der „National Emergency
Management Agency“. Nema hat ihren
Sitz in einem überschaubaren Gebäude in
den Ausläufern der Hauptstadt. In einem
Staat mit nicht einmal 400 000 Einwoh-
nern kommen nationale Behörden wie
Einwohnermeldeämter daher. Auf eine
Krise wie diese war Nema nicht vorberei-
tet.
Brian hat im kleinen Vorzimmer des na-
tionalen Krisenzentrums Platz genom-
men. Der Rettungssanitäter aus Michigan
sitzt schon seit den Morgenstunden hier.
Doch keiner kann ihm an diesem Sonntag
helfen. Als Brian in der vergangenen Wo-
che im Fernsehen die Luftbilder von nörd-
lichen Bahamas-Inseln sah, buchte er
sich einen Flug. Natürlich wisse er, dass
es nichts bringe, auf eigene Faust mit ei-
ner Tasche voller Medikamente durchs
Land zu ziehen, sagt er. Da er aber von
Amerika aus keinen Ansprechpartner auf
den Bahamas fand, entschloss er sich, di-
rekt in Nassau an die Tür zu klopfen. Zu
seinem Erstaunen musste er feststellen,
dass das bahamaische Gesundheitsminis-
terium, bei dem sich Helfer registrieren
müssen, sonntags geschlossen ist – trotz
nationaler Krise.
Doch lässt sich Brian nicht entmuti-
gen. Nachmittags geht dann die Tür auf:
Captain Stephen Russell, der Nema-Di-
rektor, geht auf ihn zu: Es tue ihm leid,
dass er so lange habe warten müssen, sagt
Russell freundlich. Beide sprechen im
Zimmer des Direktors. Brian ist nicht der
Einzige, der gekommen ist, um zu helfen.
Auch die amerikanische Küstenwache
war schnell zur Stelle sowie zahlreiche

Nichtregierungsorganisationen und frei-
willige Helfer. 2017 war noch eine Debat-
te darüber entbrannt, ob die Trump-Re-
gierung schnell genug tätig geworden
war, nachdem Hurrikan Maria in Puerto
Rico wütete, einem amerikanischen Au-
ßenterritorium in der Karibik. Dieses
Mal sind beide Seiten mobilisiert: die
amerikanische Regierung und die Zivilge-
sellschaft.
„Jeder, der wegwill, kommt raus. Aber
keiner wird gezwungen“, sagt Carl Smith,
der Sprecher von Nema auf einer Presse-
konferenz am Sonntag. Es gebe keine Eva-
kuierungsanweisung. Smith nutzt die Ge-
legenheit, um einige Gerüchte zu zerstreu-
en. So habe er gehört, dass von einer

„Bulldozer-Aktion“ die Rede sei, bei der
die Regierung den Schutt und die darun-
terliegenden Toten wegschaffen und ver-
graben lasse, angeblich aus Angst vor
dem Ausbruch der Cholera. Doch eine sol-
che Aktion gebe es nicht, sagt Smith.
Nicht auf Abaco und auch nicht auf
Grand Bahama, der anderen von Dorian
schwergetroffenen Insel. Die Rettung von
Überlebenden gehe weiter, und die Ber-
gung der Opfer geschehe auf eine würdi-
ge Art und Weise. Schließlich: Für diejeni-
gen, die partout in Abaco bleiben woll-
ten, und für jene, die möglichst schnell
von Nassau nach Marsh Harbour zurück-
kehren wollten, würden 4000 provisori-
sche Häuser gebaut. Das habe die Regie-
rung soeben beschlossen.
Wie hoch die Opferzahl jetzt sei, wird
er gefragt. Smith zögert. Die offizielle
Zahl wird von der Polizei immer noch –

wie schon seit fünf Tagen – mit 43 Perso-
nen angegeben. Er könne keine weiteren
Angaben machen. Fragen nach dem spä-
ten Beginn der Rettungs- und Bergungsar-
beiten erwidert Smith mit dem Hinweis,
dass Häfen und Flughäfen nun einmal we-
gen Überflutung über Tage nicht in Be-
trieb genommen werden konnten. Den
Umständen entsprechend, sei er mit der
Arbeit der Behörden zufrieden.
Die Bevölkerung in Nassau hingegen
sieht das anders. Viele sind der Meinung,
dass die Regierung von Premierminister
Hubert Minnis restlos überfordert sei. In
der haitianischen Gemeinde, die sich oh-
nehin diskriminiert fühlt, kursieren Ver-
schwörungstheorien: Es sei kein Zufall,
dass die Hilfe in Marsh Harbour, wo viele
Haitianer lebten, so viel später angelau-
fen sei als auf Grand Bahama. Man wolle
die schnell wachsende Minderheit nicht
auf den Bahamas haben.
Am Samstag waren 3500 Bewohner
aus Abacos ausgeflogen oder mit dem
Schiff an einen anderen Hafen gebracht
worden. Inzwischen muss die Zahl bei
über 4000 liegen. Als ein amerikanisches
Kreuzfahrtschiff Flüchtlinge nach West
Palm Beach brachte, hieß es noch, Wa-
shington werde den Opfern des Hurri-
kans unbürokratisch den Status von tem-
porären Flüchtlingen verleihen. Inzwi-
schen hat das Weiße Haus Bedenken geäu-
ßert: Zum einen gelte die Regelung nur
für Personen mit bahamaischem Pass,
nicht für Haitianer. Zum andern würden
die Sicherheitsbehörden die Personen
sehr wohl überprüfen, insbesondere ob
sie aus dem Milieu der Drogengangs kä-
men. Schließlich heißt es nun in Washing-
ton: In Nassau gebe es noch Kapazitäten.
Am Flughafen in Marsh Harbour
herrscht noch immer reger Betrieb. Ein
Mann mit einer gelben Weste ruft: „Ich
brauche neun Leute! Neun Leute für Nas-
sau – wer will?“ Eine amerikanische Flug-
linie, auf die eigentlich alle warten, ent-
lädt noch Fracht, und bei der Linie dauert
ohnehin alles länger, weil sie das Gepäck
durchleuchtet. Deshalb ergreifen einige
die Gelegenheit, mit einem Charterflug-
zeug ausgeflogen zu werden. Schnell bil-
det sich eine Gruppe, darunter eine kreo-
lisch sprechende Familie – Vater, Mutter,
Großmutter und vier Kinder. Auch zwei
Helferinnen einer christlichen Organisati-
on kommen dazu. Der Mann mit der gel-
ben Weste führt die Gruppe aufs Rollfeld.
Pilot Roy zieht die Brauen hoch: Er zählt
13 Leute, seine „Cessna Caravan“ hat
zehn Plätze, den Pilotensitz eingerechnet.
Er schaut in ängstliche Gesichter.
„Okay“, sagt er dann, „die Kinder müssen
auf den Schoß genommen werden.“
Roy erklärt, wo die Schwimmwesten
für den Fall der Fälle sind, und startet den
Motor. Eine der Damen von der christli-
chen Hilfsorganisation ruft: „Lasst uns be-
ten!“ Die kreolisch sprechende Mutter,
die gerade dabei ist, ihr Kind zu stillen,
herrscht ihren Mann an: Er solle still sein,
die Dame wolle jetzt beten. „Oh, lieber
Gott im Himmel, beschütze den Piloten“,
ruft die Kirchenfrau. Tonja, die sechsjähri-
ge Tochter der haitianischen Familie,
muss auf dem Schoß eines fremden Man-
nes Platz nehmen. Als Roy auf der Start-
bahn beschleunigt und die Cessna zu vi-
brieren beginnt, krallt sie sich mit beiden
Händen in die Oberschenkel des Mannes
und fragt auf Englisch: „Sind wir schon in
der Luft?“ Es ist Tonjas erster Flug.

Klimaschutz – ein verbindlicher
Handlungsauftrag für
Deutschland und
die Europäische Union.

DÜSSELDORF, 10. September. Als
der nordrhein-westfälische Innenmi-
nister Herbert Reul (CDU) Ende Au-
gust ankündigte, die Polizei im bevöl-
kerungsreichsten Bundesland werde
künftig in ihren Berichten grundsätz-
lich die Nationalitäten von Tatverdäch-
tigen nennen, schien es, als sei die Sa-
che gründlich vorbereitet und inner-
halb der schwarz-gelben Landesregie-
rung abgestimmt. „Wir werden in Zu-
kunft alle Nationalitäten, die wir ken-
nen, benennen – auch die der deut-
schen Tatverdächtigen. Und dann kön-
nen Journalisten selbst entscheiden,
ob sie es schreiben wollen oder nicht“,
sagte Reul. Anhand der Polizei-Presse-
mitteilungen, die auch online verfüg-
bar sind, könne künftig jeder Interes-
sierte die Herkunft von Verdächtigen
nachvollziehen. Es gehe darum, den
Populisten den Wind aus den Segeln
zu nehmen, die hinter jeder Straftat ei-
nen Ausländer vermuten. Unmittelba-
re Auswirkungen hat die Ankündi-
gung Reuls bisher nicht. An einer No-
vellierung des derzeit gültigen Erlas-
ses für die Öffentlichkeitsarbeit der Po-
lizei aus dem Jahr 2011 wird in seinem
Ministerium zwar schon seit einiger
Zeit gearbeitet – ausformuliert ist sie
aber noch lange nicht. Nach aktuellem
Stand kann der Erlass erst Ende des
Jahres an die 47 Polizeipräsidien und
Kreispolizeibehörden im Land ver-
schickt werden.
Obendrein gibt es in der Landesre-
gierung noch erhebliche Kommunika-
tionsprobleme in der Frage. Jedenfalls
haben bisher weder mit dem Justiz-
noch mit dem Integrationsressort Ab-
stimmungen zu Reuls Vorhaben statt-
gefunden. In einem Bericht für die
Rechtsausschusssitzung an diesem
Mittwoch antwortet Justizminister Pe-
ter Biesenbach (CDU) auf die Frage,
ob „es Gespräche bzw. eine Zusam-
menarbeit“ zwischen seinem Haus
und dem Innenministerium gegeben
habe, knapp mit „Nein“. Sein Plazet
will der Justizminister schon gar nicht
so einfach zu der Maßnahme geben,
die Reul als Teil einer Transparenzof-
fensive von Schwarz-Gelb dargestellt
hatte. Im Gegenteil: Biesenbach
scheint mehr Risiken als Chancen zu
sehen. Der Justizminister gibt zu be-
denken, dass es sich bei Nationalität
und Staatenangehörigkeit um „perso-
nenbezogene Daten“ handelt, die vom
Recht auf informationelle Selbstbe-
stimmung umfasst sind. Es könne im
Einzelfall schwierig sein, dieses Recht
der Betroffenen mit dem berechtigten
Informationsinteresse der Öffentlich-
keit in Einklang zu bringen. Soweit
die europäische Datenschutz-Grund-
verordnung Anwendung finde, gälten
zudem für Mitteilungen, aus denen die
ethnische Herkunft hervorgehe, beson-
dere Anforderungen. Grundsätzlich
sei es aber möglich, „den unterschied-
lichen rechtlichen Anforderungen“ in
einem Erlass zu entsprechen. Für „sei-
ne“ Justiz will Biesenbach die Idee sei-
nes Kabinettskollegen und Partei-
freundes gleichwohl nicht in einen Er-
lass gießen. Die Staatsanwaltschaften
in Nordrhein-Westfalen würden auch
künftig „eigenverantwortlich sowie un-
ter Berücksichtigung sämtlicher Um-
stände des jeweiligen Einzelfalls ent-
scheiden“, heißt es in Biesenbachs Be-
richt an den Rechtsausschuss.
Integrationsminister Joachim
Stamp (FDP) findet Reuls Vorhaben
grundsätzlich gut. Auch er ist dafür,
Verschwörungstheoretikern im Netz
so gut es eben geht die Basis zu entzie-
hen. Denn werde die Nationalität von
Straftätern nicht genannt, werde in In-
ternet-Kommentarspalten häufig un-
terstellt, es handele sich um Migran-
ten. Es sei wichtig, diesem Phänomen
mit Transparenz zu begegnen. Das sei
Auffassung des Integrationsministeri-
ums und des Ministeriums des Innern.
Die Landesregierung trete konse-
quent gegen Ressentiments und Stig-
matisierung von Minderheiten ein,
sagt Stamp, der auch stellvertretender
Ministerpräsident ist.
Uneingeschränkt folgen kann der In-
tegrationsminister Reuls Vorstoß den-
noch nicht. Konkrete Hinweise auf die
Täterstruktur und Herkunft seien
zwar sinnvoll, wenn aus einer spezifi-
schen Gruppe heraus spezifische Ta-
ten begangen werden – etwa durch or-
ganisierten Taschendiebstahl. „Wenn
man hier die Herkunft ausblendet,
würde dies ein geeignetes Vorgehen
und Lösungen erschweren.“ Eine gene-
relle Nennung der Nationalität müsse
jedoch „sehr sorgfältig abgewogen
werden, da sie eigentliche Zusammen-
hänge bei Straftätern, wie etwa sozia-
le Lebensumstände, psychische und
sonstige gesundheitliche Umstände,
relativiert und zumindest die Gefahr
birgt, falsche Schlussfolgerungen zu
ziehen“, gibt Stamp zu bedenken.
Eine rechtliche Würdigung des Vorha-
bens habe sein Ministerium aber noch
nicht vorgenommen. Da der vom In-
nenministerium geplante Erlass nicht
vor Ende des Jahres vorgesehen sei,
bleibe ausreichend Zeit, sich fachlich
auszutauschen.

Foto Majid Sattar

Morgen auf der Seite
Staat und Recht

Komplizierte


Transparenz


Streit über Reuls


Herkunftserlass


Von Reiner Burger


In der Hölle von Abaco


Trümmerfeld:Der Hurrikan Dorian hat „The Mud“ vollständig zerstört. Foto AP

Wilson

Im Slum von Marsh


Harbour steht nichts


mehr. Unter den


Trümmern vermuten


Anwohner Hunderte


Opfer des Hurrikans –


tut die bahamaische


Regierung genug?


Von Majid Sattar


Mühsame Aufräumarbeiten:Polizisten und Helfer bergen einen Toten. Foto Reuters

Abaco

Grand
Bahama

Nassau
New
Providence

Fort Lauderdale

West Palm Beach

Miami

BAHAMAS

Atlantik

Karibik

Andros

KUBA

VEREINIGTE
STAATEN
Florida

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F.A.Z.- Karte lev.

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