Frankfurter Allgemeine Zeitung - 11.09.2019

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SEITE 4·MITTWOCH, 11. SEPTEMBER 2019·NR. 211 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


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BERLIN, 10. September. Das alte Dog-
ma der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) lautet, dass sich höhere Bildung
auszahlt, weil sie im Schnitt die Berufs-
und Verdienstaussichten verbessert. Die
jüngste Studie „Bildung auf einen Blick“
hat es bestätigt; Schwerpunkt der Unter-
suchung war die höhere akademische
und berufliche Bildung. Die Anzahl der
jungen Erwachsenen zwischen 25 und 34
Jahren mit einem solchen tertiären Ab-
schluss ist gestiegen. 2008 waren es noch
35 Prozent, 2018 schon 44 Prozent. In
Deutschland hatten im vergangenen Jahr
32 Prozent der jungen Erwachsenen ei-
nen tertiären Bildungsabschluss, 2008
waren es noch 24 Prozent. Dass Deutsch-
land hier unter dem OECD-Durchschnitt
liegt, hängt mit der starken Stellung der
dualen Berufsausbildung zusammen.
Der Deutsche Industrie- und Handels-
kammertag (DIHK) wies darauf hin,
dass die Einkommens- und Beschäfti-
gungsperspektiven der Fachkräfte häufig
besser seien als die von Akademikern.
Für die Unternehmen sei es wichtig, dass
die Bundesregierung die höhere Berufs-
bildung stärke, auch durch die Einfüh-
rung eines Aufstiegs-Bafög.
Wer einen höheren Bildungsabschluss
besitze, verdiene im Schnitt mehr – und
zwar über alle Fachrichtungen hinweg –
und sei seltener arbeitslos. „Bildung
lohnt sich und es gibt keinerlei Anzei-
chen dafür, dass der Arbeitsmarkt für hö-
here Qualifikationen gesättigt ist“, sagte
OECD-Vizegeneralsekretär Ludger Schu-
knecht bei der Vorstellung der Studie.
„Alles weist darauf hin, dass im Zuge der

sich verändernden Arbeitswelt in Zu-
kunft besonders Jobs mit niedrigem Qua-
lifikationsprofil wegfallen werden und
der Bedarf an Fachkräften zunimmt, die
kreativ sind, analytisch denken und selb-
ständig handeln.“ Damit gibt es weniger
Beschäftigungsmöglichkeiten für Gering-
qualifizierte, und die Kluft zwischen den
sehr gut Qualifizierten, die in jedem Fall
eine berufliche Zukunft haben, und den
Geringqualifizierten wächst.
Überdurchschnittlich viele haben in
Deutschland einen Master-Abschluss
oder eine Promotion (44 Prozent, in den
OECD-Ländern durchschnittlich 34 Pro-
zent). Absolventen der Geistes- und Sozi-
alwissenschaften, des Journalismus und
Informationswesens verdienten im
Schnitt ein Drittel mehr als Menschen
mit höherer Sekundarbildung; Absolven-
ten aus den Bereichen Ingenieurwesen,
verarbeitendes Gewerbe und Baugewer-
be sogar durchschnittlich 116 Prozent
mehr. Sogenannte MINT-Fächer sind bei
deutschen Absolventen beliebter als in
anderen OECD-Ländern. Gut 40 Pro-
zent aller Anfänger eines Bachelorstudi-
ums oder gleichwertigen beruflichen Pro-
gramms in Deutschland wählen ein
MINT-Fach. Im OECD-Durchschnitt
sind es nur 27 Prozent.„Deutschland ist
international führend in MINT“, sagte
Bundesbildungsministerin Anja Kar-
liczek (CDU) bei der Vorstellung der Stu-
die in Berlin. Rund 92 Prozent der Er-
wachsenen mit einem Informatik-Ab-
schluss in Deutschland sind in einem fes-
ten Beschäftigungsverhältnis.34 Prozent
der jungen Frauen erwerben einen tertiä-
ren Abschluss und 31 Prozent der jungen

Männer – doch die höherqualifizierten
Frauen verdienen in Deutschland nach
wie vor erheblich weniger als die Männer
mit vergleichbarem Abschluss. Die
OECD vermutet, dass das daran liegen
könnte, dass Frauen in Bereichen arbei-
ten, in denen niedrigere Gehälter ge-
zahlt werden. Überdurchschnittlich vie-
le Deutsche beteiligen sich an der Wei-
terbildung. Mehr als die Hälfte aller Er-
wachsenen nimmt am lebensbegleiten-
den Lernen teil. Ob das auch in Zukunft
so sein wird, wenn der Plan des Bundes-
finanzministers Olaf Scholz aufgeht, für
allgemeine Weiterbildung eine Umsatz-
steuer zu erheben, ist offen. „Weiterbil-
dung muss einfacher werden, nicht teu-
rer“, kritisierte Jens Brandenburg (FDP)
das Vorhaben.
Insgesamt investiert Deutschland
4,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in
Bildung. Trotz absoluter Ausgabensteige-
rungen seien die Aufwendungen für Bil-
dung gemessen am guten Wirtschafts-
wachstum zurückgegangen. Die OECD-
Länder investieren im Schnitt fünf Pro-
zent des BIP. Insbesondere in der Grund-
schulbildung, also dort wo am ehesten
Bildungsnachteile ausgeglichen werden
können und die gesellschaftlichen Rendi-
ten aus Bildung besonders hoch sind,
sind die Investitionen in Deutschland ver-
gleichsweise niedrig. Das zeigt sich auch
an der Unterrichtsversorgung im Primar-
bereich. Im Vergleich zu anderen OECD-
Ländern investiert Deutschland im Pri-
marbereich längst nicht so viele Schul-
stunden in das Lesen und Schreiben wie
etwa Frankreich.
Für frühkindliche Bildung werden im
internationalen Vergleich vergleichswei-

se viele Mittel aufgewendet, allerdings
wird ein knappes Fünftel der Kosten von
den privaten Haushalten getragen. Auch
in der tertiären Bildung sind die Investi-
tionen vergleichsweise gering, wenn
man die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung (40 Prozent), die Studenten
nur mittelbar zugutekommen, unberück-
sichtigt lässt. Die Ausgaben für die Lehre
pro Student sind wieder auf den Stand
von 2005 gesunken, und es ist weniger
als im OECD-Mittel.
Das Einstiegsgehalt von Lehrern in
Deutschland ist knapp doppelt so hoch
wie im Mittel der 36 OECD-Mitgliedstaa-
ten. Nur in Luxemburg verdienen Lehrer
noch mehr. Allerdings zeigt der Ver-
gleich auch, dass nur die Einstiegsgehäl-
ter vergleichsweise hoch sind, die späte-
ren Steigerungen allerdings geringer aus-
fallen. Im hohen Lehrergehalt drücke
sich auch eine besondere Wertschätzung
aus, sagte der Präsident der Kultusminis-
terkonferenz, Hessens Kultusminister
Alexander Lorz (CDU). Dennoch müsse
der Lehrerberuf attraktiver werden. Wäh-
rend ein Lehrer in den übrigen OECD-
Ländern mit Steigerungen um fast 90 Pro-
zent rechnen kann, muss sich ein Lehrer
in Deutschland mit einer Gehaltssteige-
rung um ein Drittel zufriedengeben. „Es
geht wohl weniger darum, den Beruf fi-
nanziell attraktiver zu machen, als ihn in-
tellektuell attraktiver zu machen“, sagte
OECD-Bildungsdirektor Andreas Schlei-
cher im Deutschlandfunk. In anderen
Ländern hätten Lehrer viel bessere Kar-
rierechancen, ein vielfältigeres Arbeits-
umfeld und mehr Zeit für Forschungsar-
beit und Entwicklungsarbeit und nicht
nur für Unterricht.

Weniger ist Meer
Eine seetagelastige Kreuzfahrt
auf den Spuren der alten Gewürzroute

Bildungsrepublik Deutschland


Eine neue Studie der OECD zeigt: Immer mehr Menschen erwerben hohe Abschlüsse / Von Heike Schmoll


HANNOVER, 10. September

T

ausende Landwirte dürften sich ge-
genwärtig in eine neue Karte des
Landes Niedersachsen vertiefen,
die am Dienstag von der dortigen Agrar-
ministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) so-
wie Umweltminister Olaf Lies (SPD) vor-
gestellt wurde. Anhand der Karte lässt
sich auf den Meter genau nachvollziehen,
auf welche Landwirte in den kommenden
Jahren strenge Auflagen für die Düngung
ihrer Äcker und womöglich auch empfind-
liche Ertragseinbußen zukommen.
Den Hintergrund bildet der Streit über
die Wasserqualität in Deutschland.
Schon lange ist bekannt, dass der Nitrat-
gehalt im Grundwasser aufgrund von
Überdüngung der Böden vielerorts über
den Grenzwerten liegt. Die EU-Kommis-
sion, die Bundesregierung sowie die Lan-
desregierungen liegen seit Jahren dar-
über im Clinch. Deutschland hat lange
auf Zeit gespielt, doch seit einem Urteil
des Europäischen Gerichtshof ist nun
Eile geboten, um empfindliche Strafzah-
lungen aus Brüssel abzuwenden. Das
Agrarland Niedersachsen wird von den
Maßnahmen, die wahrscheinlich bald er-
griffen werden, besonders betroffen
sein. Der Streit über die Ausweitung der
sogenannten roten Gebiete wird dort des-
halb schärfer geführt als in anderen Bun-
desländern, die ihre Gebiete teils längst
ausgewiesen haben.
Denn im Westen Niedersachsens
schlägt das Herz der deutschen Viehwirt-
schaft. Dort gibt es einen hohen Be-
stand insbesondere an Geflügel und
Schweinen. Ein Mangel herrscht hinge-
gen an Flächen zur Ausbringung ihrer
Exkremente. Neben der hohen Nitratbe-
lastung zählt zu den Folgen dieses Aus-
einanderklaffens von Viehbestand und
Ackerfläche, dass in Regionen wie Clop-
penburg oder Vechta für allenfalls mittel-
mäßige Böden inzwischen horrende
Preise von 120 000 Euro je Hektar aufge-
rufen werden.

Die neue Karte macht allerdings klar,
dass längst nicht nur die Viehregionen in
Westniedersachsen betroffen sind. Die
Landesregierung musste wegen der ho-
hen Nitratbelastung der Grundwasserkör-
per insgesamt 39 Prozent der Landesflä-
che zu roten Gebieten erklären. Vieles
hängt von der Beschaffenheit der Böden
ab. Fein heraus scheint der bergige Süden
des Landes und der von Grünland domi-
nierte Nordwesten. Doch ansonsten zieht
sich von West bis Ost fast durchgängig
ein breiter, rot markierter Streifen über
das flache Land.
Auf die Landwirte in den markierten
Regionen kommt nun einiges zu. Die ge-
planten Maßnahmen – eine verpflichten-
de Analyse des Düngers vor seiner Aus-
bringung, seine Einarbeitung in den Bo-
den binnen einer Stunde sowie eine Vor-
schrift zur Erhöhung der Gülle-Lagerka-
pazitäten – bilden dabei bloß den Auf-
takt. Deutlich schwerer wiegt die geplan-
te pauschale Kürzung der Düngung um
zwanzig Prozent. Die Entscheidung dar-
über obliegt zwar der Bundesregierung.
Die niedersächsische Argarministerin
ließ am Dienstag allerdings keinen Zwei-
fel daran, dass die Zwanzig-Prozent-Kür-
zung realisiert wird. „Das wird kom-
men“, sagt Otte-Kinast, die sich in der
Vergangenheit vehement gegen diese
Maßnahme gewehrt hatte.

Für den einzelnen Landwirt bedeuten
zwanzig Prozent weniger Dünger deut-
lich weniger Ertrag und teils auch eine ge-
ringere Qualität der Erzeugnisse. Statt
Backweizen könnte mancher Bauer künf-
tig nur noch Futterweizen ernten. Und
der Gülleüberschuss des eigenen Viehbe-
stands steigt durch die geringere Dün-
gung der Felder ebenfalls. „Es wird Be-
triebe geben, die sagen, mir reicht es

jetzt“, befürchtet Otte-Kinast. Sie dürfte
ahnen, dass besonders ihre eigene Partei
in den kommenden Wahlen den Preis für
den Frust vieler Landwirte zahlen dürfte.
Das Landvolk Niedersachsen kritisier-
te die von der Ministerin präsentierte
Landkarte umgehend. Sie beruhe auf ei-
nem „sehr groben Raster“ und auf „nicht
repräsentativ verteilten Messstellen“.
Der Agrarverband hätte es gerne gese-
hen, wenn das rot markierte Gebiet we-
sentlich weniger als 39 Prozent der Lan-
desfläche umfasste.
Die oppositionellen Grünen weisen
hingegen darauf hin, dass das Grundwas-
ser auf mehr als sechzig Prozent der Lan-
desfläche nach dem Maßstab der EU-
Wasserrahmenrichtlinie in einem
schlechten chemischen Zustand ist. Die
rot-schwarze Landesregierung habe die-
se Fläche auf 39 Prozent kleingerechnet,
kritisiert die agrarpolitische Sprecherin
Miriam Staudte. Sie fordert, Viehbestand
und Ackerfläche wieder in Einklang zu
bringen, und bezeichnet als „Grund al-
len Übels“ das importierte Soja, mit dem
das Vieh gefüttert wird und das später als
Dünger auf den Feldern landet.
Der Streit über die Gülle geht also wei-
ter. Gedacht wird ohnehin in großen Zeit-
räumen. Bis sich die Maßnahmen auf die
Wasserqualität auswirken, werden Jahr-
zehnte vergehen.

mawy.HAMBURG, 10. September. Ma-
nuela Schwesig hat ihr Amt als kommissa-
rische SPD-Vorsitzende niedergelegt,
weil sie an Brustkrebs erkrankt ist. Das
hat sie am Dienstag zu Beginn der Kabi-
nettssitzung in Schwerin mitgeteilt.
Schwesig will aber Ministerpräsidentin
von Mecklenburg-Vorpommern und Vor-
sitzende der Landespartei bleiben. Sie sei
zuversichtlich, dass sie wieder vollständig
gesund werde. „Die gute Nachricht ist:
Dieser Krebs ist heilbar. Allerdings ist da-
für eine medizinische Behandlung not-
wendig“, äußerte Schwesig laut einer Mit-
teilung der Staatskanzlei. „Dies wird dazu
führen, dass ich in den kommenden Mo-
naten nicht an allen Tagen öffentliche Ter-
mine wahrnehmen kann. Ich habe des-
halb die Ministerinnen und Minister gebe-
ten, mich an diesen Tagen zu vertreten.“
Auf einer Pressekonferenz am Mittag äu-
ßerte Schwesig, sie habe die Diagnose
„vor einiger Zeit“ erhalten. Am Montag
habe sie schließlich mit ihren Ärzten den
Ablauf der Behandlung festgelegt. Sie
habe schon viele Kämpfe geführt in ih-
rem Leben und werde auch diesen füh-
ren. Die medizinische Behandlung werde
„überwiegend ambulant“ geschehen.
Die 45 Jahre alte Schwesig war seit
2009 stellvertretende Bundesvorsitzende
der SPD und führte die Partei kommissa-
risch seit dem Rücktritt von Andrea Nah-
les im Juni. Sie hatte bereits früh nach
dem Rücktritt von Nahles angegeben,
nicht als Kandidatin für den Parteivorsitz
zu Verfügung zu stehen – und unter ande-
rem auf die Arbeitsbelastung als Minister-
präsidentin in Mecklenburg-Vorpom-
mern verwiesen. Ministerpräsidentin und
Landesvorsitzende war sie im Sommer
2017 geworden, ihr Vorgänger Erwin Sel-
lering trat wegen einer Krebserkrankung
von allen Ämtern zurück und schlug sie
als seine Nachfolgerin vor. Nach der The-
rapie ist er nun wieder als einfacher Land-
tagsabgeordneter aktiv. Schwesigs Rück-
halt in der Landespartei ist stark, sie wur-
de im März mit knapp 95 Prozent der
Stimmen wieder zur Landesvorsitzenden
gewählt.
Schwesig äußerte am Dienstag in
Schwerin, viele an Brustkrebs erkrankte
Frauen in Deutschland zeigten, dass ein
couragierter Umgang mit der Krankheit,
Therapie und Berufstätigkeit vereinbar
seien. „Allerdings ist auch klar, dass ich
in den kommenden Monaten meine Kräf-
te auf Mecklenburg-Vorpommern, mei-
ne Gesundheit und meine Familie kon-
zentrieren muss.“ Zahlreiche Politiker
verschiedener Parteien äußerten Betrof-
fenheit und wünschten Schwesig alles
Gute für die Genesung. Die Bundes-SPD
wird zunächst nun von Malu Dreyer und
Thorsten Schäfer-Gümbel kommissa-
risch geführt. Schäfer-Gümbel will aller-
dings Anfang Oktober wie geplant die
Politik verlassen, und Dreyer wird die
Partei dann für kurze Zeit allein führen.
Der neue Parteivorstand soll auf einem
Parteitag Anfang Dezember in Berlin ge-
wählt werden.


rso. STUTTGART, 10. September.
Die Oberstaatsanwaltschaft Ankara
hat den ehemaligen Bundestagsabge-
ordneten Memet Kilic (Grüne) wegen
Beleidigung des türkischen Staatspräsi-
denten Erdogan angeklagt. Das bestä-
tigte Kilic im Gespräch mit dieser Zei-
tung. Der 52 Jahre alte Politiker sagte:
„Damit ist eine neue Stufe der Eskalati-
on erreicht, denn es wird zum ersten
Mal ein aktiver Politiker in Deutsch-
land von der türkischen Justiz ange-
klagt.“ Kilic gehörte dem Bundestag
von 2009 bis 2013 an. Bei der Bundes-
tagswahl 2013 verfügte er nicht mehr
über einen sicheren Listenplatz. Kilic
gehört zum linken Flügel der baden-
württembergischen Grünen, er sieht
sich weiterhin als aktiver Politiker,
weil er zum Beispiel Sprecher der Lan-
desarbeitsgemeinschaft Migration sei-
ner Partei und auch Vorstandsmitglied
des parteiunabhängigen Bundeszuwan-
derungsrates ist. Die türkischen Staats-
anwälte stützen ihre Anklage auf Aus-
sagen, die Kilic in einem Interview mit
der Internetzeitung „ABC Gazetesi“
im Juli 2017 gemacht hat. Er hatte in
dem Interview gesagt, Erdogan habe
der Türkei einen „untragbaren“ Scha-
den zugefügt. Wörtlich sagte Kilic da-
mals: „Ich bin als Politiker mit türki-
schen Wurzeln sehr traurig darüber,
dass mein Land in diese Lage gebracht
wurde, und bezeichne diejenigen, die
es in diese Lage gebracht gaben, als Va-
terlandsverräter.“ Kilics Anwalt wertet
diese Aussage als „politische Kritik“.
Der in Heidelberg lebende Kilic besitzt
die deutsche und dietürkische Staats-
bürgerschaft. Er sei von den türkischen
Behörden bislang nicht vernommen
worden, die türkischen Staatsanwälte
hätten ihn über die Ermittlungen sowie
die Anklage lange im Unklaren gelas-
sen, erst vor zwei Monaten sei ein Ver-
wandter über die Klage informiert wor-
den. Die Anzeige wegen Präsidentenbe-
leidigung habe das Büro des Generalse-
kretärs in Erdogans Präsidialamt erstat-
tet. „Man wollte mich in eine Falle lo-
cken und setzte darauf, dass ich in die
Türkei einreise.“ Mit der Anklage wolle
der türkische Staat auch erreichen, dass
er seine Anwaltszulassung in Ankara
verliere. Da er sein juristisches Examen
1990 in der Türkei abgelegt habe, wer-
de er dann auch seine Anwaltszulas-
sung in Deutschland verlieren.

stah.TEL AVIV, 10. September. Eine
Woche vor der Wahl in Israel hat Minis-
terpräsident Benjamin Netanjahu ver-
sprochen, das gesamte Jordantal sowie
alle israelischen Siedlungen im palästi-
nensischen Westjordanland zu annek-
tieren, sollte er wiedergewählt werden.
Netanjahu, der nach Umfragen die Re-
gierungsmehrheit verfehlen wird, be-
gründete sein Versprechen mit der „ein-
zigartigen, einmaligen Gelegenheit“,
welche die derzeitige amerikanische
Regierung biete, die ihren Friedens-
plan unmittelbar nach der Wahl in Isra-
el präsentieren werde. „Aus Respekt
vor Präsident Trump“ werde er mit der
Annexion warten, bis der Plan vorge-
stellt werde. Deshalb benötige seine Li-
kud-Partei die meisten Stimmen, damit
er die Verhandlungen mit Amerika im
Sinne Israels führen könne.
Aus Washington gab es für diese Be-
hauptung zunächst keine Bestätigung.
Der amerikanische Botschafter David
Friedman hatte im Juni geäußert, Israel
habe das Recht, einige, jedoch „wahr-
scheinlich nicht alle“ Teile des Westjor-
danlands zu annektieren. „Geben Sie
mir das Mandat“, sagte Netanjahu in sei-
ner Fernsehansprache, „geben Sie mir
die Stärke, um Israels Ostgrenze festzu-
legen.“ Auf die im Jordantal gelegene
Stadt Jericho und palästinensische Dör-
fer würde „israelische Souveränität“
nicht übertragen werden, so Netanjahu,
diese erklärte er zu Enklaven.
Das oppositionelle Blau-Weiß-Bünd-
nis tat die Ansprache als „Propaganda“
ab. Gleichwohl habe auch Blau-Weiß
„stets klargemacht, dass das Jordantal
für immer Teil Israels bleibt“. Schon vor
der Wahl im April hatte Netanjahu vage
Versprechen gemacht, Siedlungen zu an-
nektieren, in den schließlich gescheiter-
ten Koalitionsverhandlungen kam die-
ser Punkt aber nicht zur Sprache.

Wohin mit dem ganzen Mist?


Sturm der Entrüstung:Ein niedersächsischer Bauer bringt Rindergülle auf seinem Feld in Wedemark aus. Foto dpa

Schwesig legt Amt


nach Diagnose von


Brustkrebs nieder


Baby come backbord
Der Zeichner Ulf Puder macht
einen bedenkenswerten Vorschlag

Türkei klagt


Grünen an


Netanjahu wirbt


mit Annexionsplan


In Niedersachsen soll um Wähler


weniger Dünger verteilt


werden,damit das


Grundwassersich


erholt. Die Bauern


erwarten sinkende


Erträge und steigende


Entsorgungsprobleme.


Von Reinhard Bingener


Nordsee

Quelle und Kartenvorlage: Niedersächsisches Ministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz/ F.A.Z.-Karte lev.

Hannover
Osnabrück

Lüneburg
Lüchow

Oldenburg

Göttingen

Braunschweig

Cloppenburg
Vechta

Nitratsensible Gebiete,
in denen Maßnahmen zum Schutz des
Grundwassers ergriffen werden

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darf das Reiseland kulinarisch an Bord
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