Blickpunkt Film - 09.09.2019

(coco) #1

DAS INTERVIEW


So erhielten wir auch mehr Raum, um
zum Beispiel der vierten Sektion,
»Perspectives«, die für Filme mit Rele-
vanz reserviert ist, eine breitere Platt-
form zu gewähren und stärker thema-
tisch zu programmieren. Bei der letzten
Runde haben wir hier den Fokus auf
schwarze Filmemacher aus Brasilien ge-
legt. Diese programmatischen Highlights
sind wichtig, um Aufmerksamkeit zu ge-
nerieren. Von den Festivalgästen werden
diese Angebote stets gerne angenom-
men: Sie sind immer ausgebucht! Ganz
interessant war auch die Präsentation
unserer Untersuchungen, welchen narra-
tiven Einfluss die Internetsprache auf
unsere Medienwelt hat, Kino inklusive.
Thematische Eingriffe dieser Art sind für
ein Festival auf den ersten Blick nicht na-
heliegend. Aber sie machen unheimlich
viel Spaß. Für mich ist Kino viel mehr als
nur Film. Diesen Gedanken haben wir
Jahr für Jahr erweitert und dem Festival
dadurch mehr Kontext gegeben. Auch
das Programm unserer Masterclasses
und Panels habe ich kräftig aufgestockt.
Mittlerweile lohnt es sich, das Festival
nur für die Masterclasses und Talks zu
besuchen. Wir hatten zuletzt Claire
Dénis oder Carlos Reygadas zu Gast, aber
auch Barry Jenkins oder Paul Schrader


haben uns schon besucht. Es gibt jeden
Festivaltag mindestens zwei oder drei
Talkrunden mit großen Filmemachern,
die mit viel Inbrunst über die Kinokunst
reden. Diese Nische haben wir unter
meiner Leitung immer größer gemacht.
Darüber hinaus habe ich auch die
visuelle Kunst mit ins Programm geholt,
die für mich auch zum Kino gehört.

Wie darf man sich diese Integration
vorstellen?
Zum Beispiel hat Philippe Parreno seine
Arbeit unter dem Titel »No More Reality«
präsentiert. Zudem war Jean-Luc Godard
mit seinem jüngsten Werk Le livre
d’image in Rotterdam oder Alfredo Jaar
mit seiner Installation »Shadows«. Wir
legen sehr viel Wert darauf, die gegen-
seitige Beeinflussung von Kunst und
Film unter die Lupe zu nehmen, indem
wir Ausstellungen, Performances oder

die Präsentation von Videokunst ein-
beziehen. Dann hatten wir ein Pro Hub
Panel, das unter dem Titel »Film, Art
and Commissioned Work« lief und sich
mit Fragen nach den Interessen von
Festivals und Museen bezüglich Auf-
tragsarbeiten beschäftigte. Auf dem
Podium saßen Filmemacher und Künst-
ler wie Johann Lurf und Jacques Per-
conte sowie die renommierte Bewegt-
bild-Theoretikerin Adadol Ingawanij.
Interessant war auch, als wir Apichat-
pong Wheerasethakul freie Hand
gelassen haben für die Kreation der
Installation »SleepCinemaHotel«, ein
Hotel-Kino, in dem der Übernachtungs-
gast Teil der Filmvorstellungen wurde.
Von Rotterdam erwartet man das An-
derssein. Gleichzeitig haben wir nie un-
sere Rolle des Verfechters des unabhän-
gigen, autorengetriebenen Kinos
vernachlässigt! Wenn ein Film wie
Moonlight von Barry Jenkins oder Der
seidene Faden von Paul Thomas Ander-
son eine große Plattform bei uns erhält,
dann schlägt das durchaus beim regulä-
ren Kinostart durch. Wir sorgen für or-
dentlich Buzz und versuchen, Filme und
Filmemacher auch das ganze Jahr über
im Gespräch zu halten.

MADE IN
HOLLAND
Sacha Polaks »Dirty
God« eröffnete
Rotterdam 2019;
ein »fantastischer
Film«, so Bero Beyer

DAS INTERVIEW

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