Blickpunkt Film - 09.09.2019

(coco) #1

schlichten wussten einfach die darstelle-
rischen Qualitäten der beiden zu schät-
zen, die ja auch nicht zum ersten Mal in
ernstzunehmenden Filmen zu sehen
sind. The Laundromat gelang das Kunst-
stück, ein trockenes und komplexes
Thema wie den Panama-Papers-Skandal
in einen beschwingten und irre komi-
schen Film zu verpacken, der tonal ein
bisschen an Der Informant!, ebenfalls
eine Zusammenarbeit von Regisseur Ste-
ven Soderbergh und Drehbuchautor Scott
Z. Burns, erinnert, aber vielleicht noch
ein bisschen irrer und gewitzter ist. The
King schließlich erzählte die Geschichte
von Heinrich V. als impressionistisches
Schlachtengemälde, das Timothee Chala-
met die Gelegenheit gab, endlich einmal
in einer erwachsenen Rolle sein Starpo-
tenzial auszuspielen, als wäre der Film
eine Generalprobe für Dune von Denis
Villeneuve, in dem der 23-jährige Schau-
spieler als Paul Atreides in einer ähnlich
angelegten Rolle zu sehen sein wird. Dass
Filmemacher bei Netflix stets ihre ganz
persönliche Vision umsetzen dürfen, hat
sich allerdings nach wie vor nicht zur
Filmpresse herumgesprochen: Weiterhin
wird das Netflix-Logo zuverlässig ausge-
buht (und die Filme erhalten im An-
schluss ebenso zuverlässig viel Applaus).


aber auch echt eine Wucht, ein assoziati-
ver Bilderfluss im treibenden Rhythmus
des Reggaetons, in dem sich eine junge
Frau scheinbar ohne Halt tatsächlich als
Naturgewalt erweist, buchstäblich als
jeune fille en feu, die einen so ungeheu-
ren Plan schmiedet, wieder mit dem von
ihr zurückgegebenen Adoptivkind ver-
eint zu werden, dass man es bis kurz vor
Schluss nicht recht glauben will. Aber
auch The Perfect Candidate von Haifaa
Al-Mansour, einer von zwei von Frauen
gedrehten Filmen, sollte man nicht un-
terschätzen, auch wenn er als Film so be-
scheiden daherkommt mit seiner Ge-
schichte einer jungen Ärztin in
Saudi-Arabien, die sich eher unbeabsich-
tigt zu Kommunalwahlen aufstellen lässt
und erkennt, wie befreiend es ist, sich als
Frau Gehör zu verschaffen. Noch ist nicht
aller Tage Abend. Die erste Hälfte von Ve-
nedig, das war Kür, das war Schaulaufen,
das war roter Teppich und Glamour und
großes Hollywood mit Anspruch, bevor
die Festivalkarawane weiterzieht nach
Toronto. Die zweite Hälfte hat weniger
Superstarpower, hält aber vielleicht die
interessanteren Filme bereit, The Painted
Bird vielleicht oder den portugiesischen
Beitrag A herdade, die sicherlich auf ihre
Weise für Furore sorgen werden.
Wie eine Menetekel hängt über der
Mostra der lange Schatten der letztjähri-
gen Ausgabe: Ein Line-up wie Venedig 75
lässt sich eben nicht so einfach jedes Jahr
zaubern, und ein so offenkundiges Meis-
terwerk für die Ewigkeit wie Roma, flan-

Inwiefern die Netflix-Filme Aussich-
ten auf Löwen in Venedig haben, lässt
sich schwer einschätzen. Die Jury unter
Lucrezia Martel macht nicht den Ein-
druck, als sei sie zu sehr interessiert an
den amerikanischen Produktionen, egal
wie spektakulär ein Ad Astra – Zu den
Sternen mit dem einmal mehr phäno-
menalen Brad Pitt auch sein mag oder
wie sehr Joaquin Phoenix in äußerste
Schauspielsphären als Joker vordringen
mag. Tatsächlich gibt es nach den ersten
sechs Tagen in Venedig nur einen Film,
der als ernsthafter Löwen-Kandidat ge-
handelt wird: Ema von Pablo Larrain ist

GEFEIERT
Pedro Almodóvar
wurde für sein
Lebenswerk
geehrt

OSCAR-CHANCEN
Scarlett Johansson
überzeugte in
»Marriage Story«

KINO

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