Blickpunkt Film - 09.09.2019

(coco) #1

Fairerweise muss man daran erinnern,
dass entsprechende Vorhaben schon vor
Jahren an Wettbewerbshütern scheiter-
ten: Projekte mit Namen wie Germany’s
Gold oder Amazonas wurden vom Bun-
deskartellamt gestoppt; im Einzelfall mit
Unterstützung von Gerichten. Verständ-
lich daher, dass deutsche Medienunter-
nehmen nicht länger warten wollten, bis
jeder internationale SVoD- und AVoD-
Player seinen Claim in Deutschland abge-
steckt hat. Und so wird es voraussichtlich
dabei bleiben, dass hierzulande jeder
sein eigenes Süppchen kocht. Hat
Deutschland eine Chance verpasst? Mit
Blick aufs europäische Ausland lässt sich
das nicht mit Sicherheit sagen. In Groß-
britannien soll mit vereinten Kräften ein
Streamingdienst namens BritBox entste-
hen, in Frankreich einer mit dem Titel
Salto. Was sie vor allem eint: Bei beiden
Services engagieren sich öffentlich-recht-
liche und privatwirtschaftliche Sender-
gruppen gemeinsam. Eben das, was in
Deutschland nie eine tragfähige Basis
fand. Was sie, zumindest nach derzeiti-
gem Stand, ebenfalls eint: Alles braucht
seine Zeit. Am weitesten gediehen ist das
Projekt BritBox, das tatsächlich im vier-
ten Quartal 2019 online gehen soll. Wer
von BritBox schon mal gehört hat, liegt
womöglich richtig. Im März 2018 launch-
ten BBC-Tochter BBC Worldwide und iTV
in den USA den SVoD-Dienst BritBox, um
ein umfassendes Angebot an britischen
Produktionen verfügbar zu machen. Seit
2018 ist BritBox auch in Kanada präsent.
Für 6,99 Dollar können User auf bekann-
tes BBC/iTV-Programm zugreifen wie das
originale The Office, Absolutely Fabulous,
Filme mit Rowan Atkinson oder Gavin &
Stacey mit James Corden. Mit dem »Best
of British«-Konzept erreicht BritBox in
Nordamerika nach zwei Jahren etwa
650.000 Abonnenten. Kein Vergleich zu
Netflix, Hulu und anderen Schwerge-
wichten, doch das Projekt gilt aus Sicht
ihrer Trägerfirmen als Erfolg. Der erst
jetzt, mehr als zwei Jahre später, auf das
Heimatterritorium übertragen werden
soll. Erst jetzt deswegen, weil der erste
Anlauf scheiterte, nachdem bereits in


den Jahren 2007 bis 2009 BBC/iTV unter
dem Arbeitstitel Kangaroo an einer ge-
meinsam betriebenen Plattform gearbei-
tet hatten. Seinerzeit war auch Channel 4
im Boot. Britische Handels- und Wettbe-
werbsbehörden stoppten Anfang 2009
das Projekt formell mit der Begründung,
dass die Plattform zu mächtig werden
könne. Jetzt also doch: Im Juli kündigten
beide Partner an, dass der ko-gebrandete
Service für 5,99 Pfund pro Monat Tiefe
und Breite britischer Fernseh-Kreativität
präsentieren will. Unter Briten gebe es
nämlich »richtigen Appetit« auf einen bri-
tischen SVoD-Dienst. Oder in den Worten
von iTV-CEO Carolyn McCall: »Die Ver-
einbarung zur Einführung von BritBox ist
ein Meilenstein.« Ist sie das? Verdächtig
mutet schon die Pressetext-Formulie-
rung an, wonach sich die Briten das Brit-
Box-Abo zusätzlich (»in addition«) zu ih-
ren bestehenden Digitalabos leisten
sollen. Vertrauen in die eigene Marke
sieht eigentlich anders aus. Derzeit sieht
es so aus, als würde BritBox zum Start
eine Abspielstätte für Bekanntes aus der
Vergangenheit. Serien wie Broadchurch,
The Office, Victoria oder Happy Valley.
Aber auch Dating- und Sketchshows wie
Love Island und Famalam. Originäre
Filme oder Serien wurden mit der Juli-
Mitteilung zwar vage in Aussicht gestellt,
doch offiziell ist nichts. Und überhaupt:
Ab wann genau wären BBC- und iTV-In-
halte nach ihrer Free-Ausstrahlung auf
BritBox zu sehen? Schließlich verfügen
beide Vertragspartner mit dem iPlayer
und iTV Hub bereits funktionierende
Mediatheken. Erstaunlich war zuletzt die
Meldung, dass die britische Regulie-
rungsbehörde Ofcom der BBC vorläufig
grünes Licht gegeben hat für Pläne,
wonach Inhalte im iPlayer nicht nur rou-
tinemäßig 30 Tage, sondern ein ganzes
Jahr vorrätig gehalten werden dürfen.
Denn dies sei sozusagen im öffentlichen
Interesse. Dass die BBC sich ins Zeug
legen wird, um BritBox mit möglichst ak-
tuellen Inhalten zu versorgen, ist eher
nicht zu erwarten. Zumal die BBC nur
eine Art Juniorpartner abgibt: Während
das Nordamerika-Bündnis aus einem
klassischen Joint Venture besteht, also
jeder Partner 50 Prozent der Anteile

besitzt, verfügt iTV in Großbritannien
über 90 Prozent. Bei Bedarf kann die BBC
ihre zehn Prozent auf 25 Prozent aufsto-
cken. Die Kontrolle über die UK-Ausgabe
von BritBox hat jedoch iTV. Daraus folgt
ein ungleich höheres Interesse an einer
Monetarisierung der Inhalte. Aber wel-
cher? Kevin Lygo, Director of Television
bei iTV, meldete sich kürzlich zu Wort
und machten deutlich, woraus es hinaus-
laufen dürfte: »Es [BritBox] ist kein Rivale
zu Netflix und Amazon, die Milliarden
und Abermilliarden ausgeben. Dies ist
eine Möglichkeit, das Archiv von BBC und
iTV zu nutzen.« Ziel ist also, die sicher
üppigen Backkataloge zu nutzen. Recht
hat Kevin Lygo natürlich mit der Aussage,
dass beliebte britische Produktionen
nicht auf Netflix und Amazon zu sehen
sein werden. Aber wollen ausreichend
viele UK-Bürger dafür zahlen? Denn man
muss genau hinschauen: Ausstrahlungs-
rechte von erfolgreichen Serien wie Body-
guard, die auf BBC-Sendern zu sehen wa-
ren, wurden von iTV an Netfllix verkauft.
Der Grund, weshalb im deutschen Netflix
Bodyguard zu sehen ist. Weitere Inhalte,
die man eigentlich BBC oder iTV zu-
schreiben würde, müssten für BritBox
erst lizensiert werden. Bereits im Januar
hatte der Guardian das Projekt BritBox
daher im Hinblick auf seine Finanzie-
rungsmöglichkeiten als »bizarr« und
»riskant« bezeichnet. Von den nach Auf-
fassung des Guardian 25 besten TV-Pro-
grammen des Jahres 2018 würde die BBC
nur an einer einzigen die vollständige
Verfügungsgewalt besitzen: Doctor Who.
Fest stehe, dass Sender-Finanzierung
über Gebühren und Werbeeinnahmen
problematisch werde und neue Quellen
erschlossen werden müssten. Was eben-
falls verständlich macht, dass iTV das
größere Interesse an BritBox hat. Was
Kevin Lygo mehr oder weniger selbst ein-
räumt, weil iTV »nach neuen Einnahme-
quellen Ausschau halten muss, ohne dass
bestehende Werbeeinnahmen kanniba-
lisiert werden«. Deswegen, so der iTV-
Manager, passe das Projekt BritBox in die
Diversifizierungsstrukturen des Unter-
nehmens.

Glaubt an die
Durchschlagskraft
von britischen
Produktionen: iTV-
CEO Carolyn McCall
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