Blickpunkt Film - 09.09.2019

(coco) #1

PREVIEW NEU AUS VENEDIG


SMILE
Joaquin Phoenix
zeigt uns, wie aus
Arthur Fleck der
Joker wird

FOTOS

WARNER, FOX

VERLEIH
Warner Bros.
LAND/JAHR
USA 2019
LAUFZEIT
122 Min.
REGIE
Todd Phillips
DARSTELLER:
Joaquin Phoenix,
Robert De Niro,
Zazie Beetz, Bill
Camp, Frances Conroy
D-START


  1. Oktober
    US-START

  2. Oktober, bei Warner
    Bros.
    FESTIVAL:
    Venedig, Wettbewerb;
    Toronto


COMICVERFILMUNG


Joker Eine Comicverfilmung, wie es sie noch


nicht gab: Der Joker ist im Vigilantenkino der


Siebzigerjahre Zuhause.


N


ur auf den ersten Blick scheint
Hangover-Regisseur Todd Phil-
lips eine merkwürdige Wahl für
Joker, den Spinoff-Film, der die
Entstehung des beliebtesten
aller Batman-Bösewichte thematisiert.
Dabei sind schon seine frühen Komödien,
allen voran Roadtrip und Old School ge-
prägt von der Wut und Verzweiflung junger
Männer, von ihrer schier endlosen Lust an
der Zerstörung. »Manche Männer wollen
die Welt einfach nur brennen sehen«, sagt
der von Michael Caine gespielte Butler in
The Dark Knight, in dem Heath Ledger als
Joker zu sehen war und dafür posthum ei-
nen Oscar gewinnen konnte. Das trifft gut
zu auf das Kino von Todd Phillips, aber
eben auch auf Arthur Fleck, die Figur, die
Joaquin Phoenix in der nunmehr erstaun-
lichsten Darstellung in einer an erstaunli-
chen Darstellungen gewiss nicht armen
Karriere spielt - ein verwirrter, gestörter

Mann, den nur sieben verschiedene Medi-
kamente und ein wöchentlicher Besuch bei
einer Dame vom Sozialamt halbwegs auf
Spur halten. Wenn er in Stresssituation ge-
rät, beginnt Arthur hemmungslos zu la-
chen, wie eine Hyäne, bis er keine Luft
mehr bekommt und zu ersticken droht. Sel-
ten war es trauriger, einen Mann lachen zu
sehen. Er arbeitet als Leihclown bei einer
Agentur und träumt davon, einen Durch-
bruch als Standup-Comedian zu feiern, ob-
wohl er für jedermann ersichtlich außer ihm
selbst so lustig ist wie ein Herzinfarkt, und
in der Fernsehshow seines Vorbilds, Murray
Franklin, gespielt von Robert De Niro, auf-
zutreten. Er hat sich ein bisschen in seine
Nachbarin, die alleinerziehende Mutter
Sophie, verliebt und kann sein Glück nicht
fassen, als sie ihm ein Lächeln und ein biss-
chen Zuneigung schenkt. Und dann werden
die ohnehin nicht allzu großen Hoffnungen
eines Mannes, der nur aus Schmerz, Ent-

täuschungen und Verzweiflung zu bestehen
scheint, nach und nach, Stück um Stück
Zunichte gemacht. Und die tickende Zeit-
bombe namens Arthur Fleck wird scharf
gemacht, während um ihn herum die ganze
Stadt in Flammen aufgeht, ein Gotham, das
hier an die Mean Streets erinnert, wie Mar-
tin Scorsese sie in Filmen wie Taxi Driver
und King of Comedy verewigt hat. Diese
beiden Filme, wie eine ganze Reihe anderer
Filme aus den Siebzigern, von Ein Mann
sieht rot über Der Exorzist hin zu Clockwork
Orange, sind in die Textur von Joker regel-
recht eingeflochten, Teil der DNA des
Films, der so zielstrebig und ökonomisch
durch seine Story hin zum unweigerlichen
Ende strebt. Und dabei doch viele Überra-
schungen bereithält, weil Todd Phillips
damit auch dem Batman-Universum einen
Drall gibt, den man noch nicht kannte: Dies
ist weniger Comicverfilmung als Kino der
Revolution, gemacht von dem Studio, das
hinter Klassikern steht wie Bonnie & Clyde,
The Wild Bunch, Einer flog übers Kuckucks-
nest oder Natural Born Killers. Es ist eine
Charakterstudie, die auch punktgenau den
Finger in die Wunden der Gesellschaft legt,
mit denen sie heute zu kämpfen hat. Wer
hätte gedacht, dass so etwas mit einer
Comicverfilmung von Todd Phillips möglich
wäre?
THOMAS SCHULTZE
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