Blickpunkt Film - 09.09.2019

(coco) #1
DAS ENDE DER
DINGE SPÜR‘N
Ingrid Berben als
Hanne in Dominik
Grafs gleichnamigen
Film

REVIEW TV-STARTS KW 38


AUFTRAGGEBER
NDR, Arte
PRODUKTION
Provobis -
Jens Christian Susa
REGIE
Dominik Graf
BUCH
Beate Langmaack
REDAKTION
Sabine Holtgreve,
Christian Granderath,
Andreas Schreitmüller
CAST
Iris Berben,
Petra Kleinert,
Herbert Knaup
TERMIN
ARD, 18.09,
20.15 Uhr

FILM DER WOCHE


Hanne Dominik Grafs Drama mit Iris Berben


erzählt im Tagebuch-Stil von einer Frau, deren


Dasein sich plötzlich radikal ändert.


D


ieser Film ist in vielerlei Hin-
sicht ungewöhnlich. Dominik
Grafs Drama ist das verfilmte
Tagebuch eines Wochenendes
und schildert mehrere Begeg-
nungen; die einen sind flüchtig, die ande-
ren ziemlich intensiv. Alle dienen letztlich
dem gleichen Zweck: der Ablenkung.
Im Grunde entspricht die Handlung (Dreh-
buch: Beate Langmaack) der Chronik eines
angekündigten Todes. Sie beginnt mit dem
letzten Arbeitstag von Hanne Dührsen
(Iris Berben), die viele Jahre lang die rechte
Hand des Chefs war und nun ihren Aus-
stand gibt. Mitten in die Vorbereitungen
platzt die Nachricht, der Chef sei tödlich
verunglückt; Hanne hält die Abschiedsrede
kurzerhand selbst.
Die Einführung soll verdeutlichen, dass
sich Hanne so schnell nicht aus der Bahn
werfen lässt; und doch erlebt sie kurz dar-
auf einen Moment, der ihr den Boden unter
den Füßen wegzieht. Es ist Freitagnachmit-
tag, sie hat einen Kliniktermin, um sich die

Krampfadern entfernen zu lassen, aber der
Arzt bittet sie um ein Gespräch, denn ihm
sind in ihrem Blutbild »Auffälligkeiten
aufgefallen«: Es besteht Verdacht auf
Blutkrebs; Näheres weiß er aber erst am
Montag. Bis dahin empfiehlt er der Patien-
tin, sich abzulenken, und bittet sie noch,
nicht auf eigene Faust im Internet zu
recherchieren. Natürlich ist das quasi das
erste, was Hanne tut, und die Erkenntnis
ist niederschmetternd: Ist die Krankheit
erkannt, bleiben den meisten Betroffenen
bloß noch fünf Monate.
Weil Hanne übers Wochenende die
Maler in der Wohnung hat, muss sie in ein
Hotel ausweichen. Auf diese Weise kommt
es zu den diversen Begegnungen: Beim
abendlichen Besuch einer Pizzeria fällt ihr
eine Frau (Petra Kleinert) auf, die herzlich
und lauthals über die nicht besonders lusti-
gen Witze ihres deutlich älteren Mannes
(Jörg Gudzuhn) lacht. Die beiden Frauen
entdecken große Sympathien füreinander
und verbringen einen feuchtfröhlichen

Abend; die Ablenkung für Tag eins ist
schon mal geglückt. Am Samstag kontak-
tiert Hanne aus einer Laune heraus eine
Jugendliebe aus Studienzeiten (Herbert
Knaup), am Sonntag trifft sie sich mit ihrem
Sohn (Trystan Pütter), der eine ebenso
wundervolle wie niederschmetternde
Nachricht hat: Seine Frau ist im dritten
Monat, Hanne wird Oma; vorausgesetzt,
sie lebt dann noch.
Aus dem Stoff hätte ein tränenreiches
Melodram werden können, aber Grafs
launige Umsetzung sorgt für eine völlig
andere Stimmung. Natürlich gibt es Mo-
mente, in denen Hanne vor ihrem Schicksal
kapituliert, aber gemessen am dramati-
schen Potenzial erzählt der Film seine Ge-
schichte fast als Komödie. Das liegt selbst-
verständlich auch an der Hauptdarstellerin:
Berben hat bei ihrer ersten Zusammenar-
beit mit Graf ein sichtbar großes Vergnügen
am darstellerischen Spektrum zwischen
Verzweiflung und Ausgelassenheit.
TILMANN P. GANGLOFF
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