V
ersammlungsfreiheit,
Meinungsfreiheit, Rede-
freiheit: Auf dem Papier
sind den marokkanischen Bür-
gern eine Reihe von Grund-
rechten garantiert. Die Regie-
rung des nordafrikanischen
Landes nimmt es mit der Ver-
fassung allerdings nicht ganz so
genau. Seit Jahren werden Re-
gierungskritiker und Medien-
schaffende in Marokko einge-
schüchtert, aufgrund ihrer Ar-
beit verfolgt und angeklagt. So
erging es auch dem Journalisten
Abdelkabir al-Hor.
Im August 2017 drangen Poli-
zisten in al-Hors Haus in Marra-
kesch ein, verhafteten ihn und
brachten ihn nach Casablanca.
Dort hielten sie den Journalis-
ten und Gründer der Nach-
richtenseite „Rassd Maroc“ für
fünf Tage fest. Am 11. August
folgte eine Anklage wegen „Ter-
rorismusverherrlichung“ und
„Anstiftung zur Rebellion“,
zwei Tatbestände, deren sich
al-Hor dem zuständigen Gericht
zufolge in Posts auf seinem
privaten Facebook-Profil schul-
dig gemacht hatte. Dort hatte
al-Hor seine Berichterstattung
über Proteste im Norden Ma-
rokkos geteilt.
Am 1. Februar 2018 wurde
al-Hor von einem marokka-
nischen Kriminalgericht zu vier
Jahren Haft verurteilt. Seit April
vergangenen Jahres befindet er
sich seinem Anwalt zufolge in
einem Hochsicherheitsgefäng-
nis in der Nähe von Rabat.
Auf der Rangliste der Presse-
freiheit von Reporter ohne
Grenzen liegt Marokko auf
Platz 135 von 180 Ländern.
#Free
them
all
Abdelkabir al-Hor FREETHEMALL
In Kooperation mit
„REPORTER OHNE GRENZEN“
AFP
/VIVEK PRAKASH
Gib mir fünf!
Trotz Zugeständnissen der Regierung hören die Proteste in Hong-
kong nicht auf. Zehntausende Demonstranten halten am Sonntag
ihr Hand hoch, um damit die fünf Forderungen der Freiheitsbewe-
gung zu symbolisieren. Der Aktivist Joshua Wong wird an der Ab-
reise nach Deutschland gehindert. Seite 9
1
09.09.19 Montag, 9. September 2019DWBE-HP
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D
ie Bundesregierung hat
ein Agrarpaket gepackt.
Darin enthalten sind
Absichtserklärungen, Vorschlä-
ge und, wo es sich absolut nicht
vermeiden ließ, auch ein paar
Regelungen. Beschlossene Sa-
che ist das freiwillige Tierwohl-
label. Darauf kann der Ver-
braucher ablesen, wie das
Schwein gelebt hat, bevor es tot
war. Die höchste Stufe des
Tierwohllabels bekommen nur
Schweine, die sich überwiegend
draußen, in Sichtweite eines
humanistischen Gymnasiums
oder einer Waldorfschule auf-
gehalten und sich freiwillig für
den Tod in einer Sterbehilfe-
Einrichtung entschieden haben.
Ebenfalls beschlossen wurde
ein Verbot von Glyphosat bis
- Schon ab 2020 darf es
nicht mehr als Zusatz in Baby-
nahrung und Longdrinks Ver-
wendung finden. Landwirte
müssen außerdem Rückzugs-
flächen für Insekten schaffen,
auf denen sie sich vom Kontakt
mit Pflanzenschutz- und Dün-
gemitteln erholen können. Die
Rückzugsflächen dürfen sich
auch im Haus des Landwirts
befinden, müssen aber gut
zugänglich sein, zumindest
sollten die Insekten wissen, wo
der Schlüssel liegt.
ZZZippert zapptippert zappt
N
ach der einstimmigen Wahl des Vizechefs
der hessischen NPD, Stefan Jagsch, zum
Ortsvorsteher im hessischen Altenstadt
durch Vertreter von CDU, SPD und FDP fordern Po-
litiker Konsequenzen für die Ortsbeiräte sowie eine
Korrektur der Entscheidung. Die Vorsitzende der
SPD-Fraktion in Hessen, Nancy Faeser, sagte WELT:
„Das Ziel aller demokratischen Parteien muss darin
liegen, Funktionären von verfassungsfeindlich ge-
sinnten Parteien, die offen oder indirekt agieren,
keine Verantwortung für das Allgemeinwohl zu
übertragen.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer
der SPD-Fraktion im Landtag, Günter Rudolph, sag-
te: „Die Stimmen von Mitgliedern des Ortsbeirates
für einen NPD-Funktionär, dessen Name regelmä-
ßig in Berichten des hessischen Landesamtes für
Verfassungsschutz auftaucht und dessen Partei of-
fen verfassungsfeindlich ist, sind unentschuldbar
und unter keinen Umständen auch nur im Gerings-
ten zu rechtfertigen.“ Klar sei auch, dass der NPD-
Funktionär kein Ortsvorsteher bleiben dürfe.
Die Vorsitzende der CDU Wetterau sagte, es sei
„unfassbar und unannehmbar“, dass ein langjähri-
ger NPD-Funktionär einstimmig zum Ortsvorste-
her gewählt worden sei. „Davon distanzieren wir
uns in aller Schärfe.“ In der Pressemitteilung hieß es
weiter, die Partei erwarte von den Mitgliedern des
Ortsbeirates, insbesondere von den Vertretern der
CDU, dass sie ihre falsche Entscheidung überden-
ken, einsehen und korrigieren. Verteidigungsstaats-
sekretär Peter Tauber (CDU), zu dessen Wahlkreis
der Ort gehört, drohte mit Konsequenzen. „Wer als
Demokrat Radikalen den Weg in ein Staatsamt eb-
net, geht unverantwortlich, pflicht- und geschichts-
vergessen mit seinem Mandat um“, twitterte er.
Die AfD streute Salz in die Wunde. „CDU, SPD
und FDP haben in der Wetterau ein Extremismus-
problem“, erklärte Landessprecher Robert Lam-
brou. „Der stellvertretende NPD-Landesvorsitzen-
de wurde doch nicht einfach aus Versehen oder
mangels Alternativen von Politikern der CDU, SPD
und FDP einstimmig zum Ortsvorsteher gewählt,
wie man uns jetzt weismachen will.“ Das sei „ein
Märchen, um sich nicht mit dem Extremismus in
den eigenen Reihen beschäftigen zu müssen“, sagte
Lambrou, in dessen Partei mehrere hochrangige Po-
litiker nachweislich Kontakte zu Rechtsextremen
unterhielten.
Jagsch ist Vizelandesvorsitzender und Landes-
schatzmeister der NPD. In der 12.000-Einwohner-
Gemeinde Altenstadt ist er Chef der vierköpfigen
NPD-Fraktion und vierter Stellvertreter des Vorsit-
zenden der Gemeindevertretung. Die NPD hatte bei
den Kommunalwahlen 2016 in Altenstadt zehn Pro-
zent der Stimmen geholt. Als Vorsteher vertritt er
nun den Ortsteil mit seinen rund 2600 Einwohnern.
Waldsiedlung ist nach dem Kernort der größte Orts-
teil der Gemeinde. Auf dem Facebook-Profil von
Jagsch finden sich Einträge, die auf seine rechtsradi-
kale Haltung hindeuten, beispielsweise vergleicht er
die Migration nach Europa mit einem Völkermord,
auch gratuliert ihm dort ein Facebook-Freund mit
den Worten „HH und alles Gute“. „HH“ gilt als Ab-
kürzung von „Heil Hitler“. MARCEL LEUBECHER
CDU und SPD wollen Wahl von NPD-Funktionär „korrigieren“
Ein rechtsextremer Politiker ist in Hessen Ortsvorsteher geworden. Nun soll die Entscheidung rückgängig gemacht werden
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A
ngesichts einer drohenden
Rezession in Deutschland
hat der Grünen-Vorsitzende
Robert Habeck eine Abkehr
von der strengen Haushalts-
disziplin und die Aufgabe der schwarzen
Null gefordert. Die Schuldenbremse, wie
sie jetzt bestehe, stamme aus einer Zeit,
in der politische Handlungsfähigkeit
durch hohe Zinsen eingeschränkt gewe-
sen sei, sagte Habeck WELT AM SONN-
TAG. Nun sei man in einer völlig anderen
Situation.
VON DANIEL ECKERT
„Wir wollen die europäischen Stabili-
tätsvorgaben auf Deutschland übertra-
gen und daran entlang die Schulden-
bremse aktualisieren. Das würde dem
Staat zwischen 30 und 35 Milliarden Euro
jährlich an zusätzlichem Spielraum ge-
ben“, sagte Habeck. Es gehe darum, die
Schuldenbremse zu reformieren, nicht
aufzugeben.
Für diese Forderung bekommt Habeck
Unterstützung von Ökonomen. Oliver
Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-
Instituts für Wirtschaftsforschung Halle
(IWH), ist ebenfalls der Meinung, dass
die bisherigen Regelungen zu restriktiv
sind. „Die aktuelle Schuldenbremse
führt zu einer Investitionstätigkeit nach
Kassenlage, das ist nicht optimal“, er-
klärte Holtemöller.
Auch Gunther Schnabl, Professor für
Wirtschaftspolitik an der Universität
Leipzig, sieht Defizite: „Die Schulden-
bremse war für Deutschland von Nach-
teil, weil sie zu großen Kapitalabflüssen
geführt hat“, sagte der Ökonom. In Kom-
bination mit einer im Vergleich zum Aus-
land relativ restriktiven deutschen Fis-
kalpolitik im Zuge der schwarzen Null
hätten die niedrigen Zinsen der Europäi-
schen Zentralbank (EZB) die Inlands-
wirtschaft geschwächt. Für Schnabl ist
die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse
angesichts der unkonventionellen Geld-
politik der EZB infrage gestellt. Schon
jetzt habe die Nullzinspolitik den Staat
zu zusätzlichen Ausgaben verleitet, etwa
die Mütterrente oder das Baukindergeld.
Jens Südekum, Professor für Internatio-
nale Volkswirtschaftslehre an der Hein-
rich-Heine-Universität Düsseldorf, for-
derte, dass „Deutschland besser heute als
morgen mit einer großen Investitionsof-
fensive beginnt, um die Infrastruktur auf
Vordermann zu bringen und wieder
wettbewerbsfähiger zu werden“.
Kritik an Habecks Forderung kam hin-
gegen aus Union und FDP. „Wer immer
nur neue Schulden fordert, ist ge-
schichtsvergessen und denkfaul“, sagte
Eckhardt Rehberg, haushaltspolitischer
Sprecher der Unionsbundestagsfraktion.
„Hohe Schulden haben in der Geschichte
immer wieder Staaten in Krisen ge-
stürzt.“ Deutschland habe ausreichend
hohe Steuereinnahmen. „Wir können
nicht bei der ersten konjunkturellen
Schwäche nach neun Jahren alle unsere
Prinzipien über Bord werfen.“
Ähnlich sieht es Oliver Luksic von der
FDP. „Erstens schwimmt der Staat in Re-
kordeinnahmen dank hoher Steuern und
Niedrigzinsen, und man könnte auch mal
Subventionen kürzen, statt immer neue
Schulden zu fordern“, sagte der Sprecher
der FDP-Bundestagsfraktion für Verkehr
und digitale Infrastruktur. Zudem wür-
den jedes Jahr Investitionsmittel nicht
verbaut wegen mangelnder Kapazitäten
und dem komplizierten Planungs- und
Baurecht, „woran die Grünen ihren An-
teil haben“. Luksic: „Die Pläne der Grü-
nen für höhere Steuern und höhere
Schulden werden Bürger und Unterneh-
men massiv belasten und die Wirtschaft
endgültig abwürgen.“
WWWirtschaftsforscher befürwortenirtschaftsforscher befürworten
Lockerung der Schuldenbremse
Grünen-Chef Habeck hatte im Interview mit WELT AM SONNTAG eine Abkehr von strikten
Haushaltsvorgaben gefordert. CDU und FDP kritisieren das. Ökonomen sehen durchaus Änderungsbedarf
DIE WELT digital ISSN 0173-8437 210-37 ZKZ 7109
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Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir
strebt mit einer Kampfkandidatur
um den Fraktionsvorsitz im Bun-
destag zurück in die erste Reihe.
Gemeinsam mit der Abgeordneten
Kirsten Kappert-Gontherwill er
die Fraktionschefs Anton Hofreiter
und Katrin Göring-Eckardt erset-
zen. „Wir sind überzeugt davon,
dass ein fairer Wettbewerb der
Fraktion guttut – nach außen wie
nach innen“, schrieben Özdemir
und Kappert-Gonther.
Siehe Kommentar und Seite 6
Özdemir will Fraktionschef
der Grünen werden
M
achtkampf in der Bundes-
tagsfraktion; weniger als er-
hofft in Sachsen und Bran-
denburg geholt; ein Hauch von Rück-
gang in den jüngsten Sonntagsfragen
- die Grünen kommen in der Realität
an. Vorbei sind die Zeiten, in denen
die Partei wie ein heliumgefüllter
Luftballon gen Himmel aufzufahren
schien.
Von der öffentlichen Meinung wur-
den die Grünen bislang gehätschelt
und von den Konkurrenten bis hin
zur CSU imitiert, weil ihre Themen
im Trend zu liegen schienen: CO 2 ,
Klima, Biene, Schmetterling und Vo-
gel. Wer nicht selbst auf Auto, Flüge
und Steaks verzichten mochte, er-
leichterte per Umfrage oder gar per
Wahlzettel sein Gewissen. Annalena
Baerbock und Robert Habeck wurden
zu den schutzbedürftigen Eisbären
des arktisfernen Gelegenheitsökos.
Weil Mülltrennung und der Jutebeu-
tel für den Einkauf in der Es-ist-fünf-
vor-zwölf-Stimmung zu wenig schie-
nen, tröstete die Solidarisierung mit
jenen, die eine saubere, nachhaltige,
gerechte Welt versprechen.
Funktioniert hat das vor allem im
Jahr 2018. Da wählten die Grünen im
Januar ein telegenes Duo an die Spit-
ze; der Hitzesommer wurde zum Vor-
boten der Apokalypse erklärt; im
Herbst wurde über ein Mädchen mit
Zöpfen berichtet, das jeden Freitag
vor dem Parlament in Stockholm für
die CO 2 -Reduzierung streikte. Bald
darauf gab es die „Fridays for Futu-
re“-Bewegung auch in Deutschland.
Sie wirkt wie der außerparlamentari-
sche Arm der Grünen.
Doch die Welt ist schnelllebig.
Manches hat sich geändert oder zu-
mindest den Reiz des Neuen einge-
büßt. Habeck und Baerbock scheinen
doch nicht über Wasser laufen zu
können. In diesem Sommer war es
ordentlich warm, aber als existenziel-
le Herausforderung wurde das von
den wenigsten empfunden. Die Kids
könnten allmählich freitags wieder
zur Schule gehen, denkt es in der
restvernünftigen Gesellschaft. Und
da das Wirtschaftswachstum nach
zehn beglückenden Jahren massiv ab-
kühlt, möglicherweise gar in eine Re-
zession umschlägt, werden ökologi-
sche Forderungen und ökonomische
Erfordernisse vom Wähler weniger
aufgeregt ausbalanciert.
Wenn sich die grüne Bundestags-
fraktion noch diesen Monat entschei-
den muss zwischen dem routinierten
Duo Katrin Göring-Eckardt/Anton
Hofreiter und der Comeback/Newco-
mer-Allianz aus Cem Özdemir und
Kirsten Kappert-Gonther, werden die
Abgeordneten vielleicht auch wieder
ernsthafter über Positionen streiten.
Grün ist die Modefarbe einer langen
Saison. Bald wird sie wieder zu einem
Angebot unter anderen.
KOMMENTAR
Grüne
Eisbären
[email protected]
ANSGAR GRAW
**D2,80EUROB Nr. 210
DW_DirDW_DirDW_Dir/DW/DW/DW/DW/DWBE-HP/DWBE-HP
09.09.1909.09.1909.09.19/1/1/1/1/TIBE/TIBE PMEYER1 5% 25% 50% 75% 95%
NICHT VERPASSEN! NICHT VERPASSEN!
LOTTO: 9 – 11 – 28 – 29 – 35 – 36
Superzahl: 3 Spiel77: 9 7 1 6 2 4 9
Super6: 1 5 3 8 1 4 ohne Gewähr
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