Die Welt - 09.09.2019

(C. Jardin) #1

10



  • Belichterfreigabe: ----Zeit:Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: ---Zeit:---Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe:
    Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:


DW_DirDW_DirDW_Dir/DW/DW/DW/DW/DWBE-HP/DWBE-HP
09.09.1909.09.1909.09.19/1/1/1/1/Pol5/Pol5 MAGERKOP 5% 25% 50% 75% 95%

10 THEMA DIE WELT MONTAG,9.SEPTEMBER


A


dolf Hitler hasste Dialekte.
Seinen österreichischen Ton
hatte er sich so komplett ab-
trainiert, dass der Soziologe
Norbert Elias, der ihn kurz
vor der Flucht ins Exil mehrmals Reden
schwingen gehört hatte, noch fast 60 Jah-
re später – im „Spiegel“-Sonderheft zu
Hitlers 100. Geburtstag 1989 – darüber
kaum aus dem Staunen kam. Als er die
Macht ergriffen hatte, untersagte der
Diktator jedwede öffentliche Förderung
für Dialekttheater und andere Mundart
erhaltende Maßnahmen.

VON MATTHIAS HEINE

Wenn man das Buch „Wörter, die es
nicht auf Hochdeutsch gibt“durchblät-
tert, ahnt man, wovor Hitler sich fürchte-
te. Wörter sind ein Weg zur Welterkennt-
nis und zur Weltbeschreibung. Phänome-
ne, für die es kein Wort gibt, lassen sich
nicht nur nicht aussprechen, sondern oft
noch nicht mal erkennen. Deswegen ar-
beiten in den USA beispielsweise Botani-
ker mit Linguisten zusammen; denn in
den zahllosen indigenen Sprachen gibt es
Wörter für Pflanzen, die die Naturwis-
senschaft bisher oft noch gar nicht als ei-
gene Spezies erkannt hat.
Totalitäre Systeme müssen deshalb
den Wortschatz minimieren, um ihn bes-
ser kontrollieren zu können. Dialekte, die
die Hoch- und Literatursprache mit im-
mer neuen wohlklingenden und treffen-
den Ausdrücken bereichern, sind ihnen
ein Gräuel. Das Wort Russenluft, das man
ihm Thüringischen und Hessischen für
einen eisigen Ostwind gebraucht, hätte
möglicherweise das „Unternehmen Bar-
barossa“ gefährden können, denn es
nahm ja sprachlich schon vorweg, was
dann im Winter 1941 vor Moskau den
deutschen Vormarsch stoppte. Mögli-
cherweise wäre sogar der ganze Natio-
nalsozialismus mit seinem angescheusel-
ten Personal (anscheuselnheißt in der
Oberlausitz „sich um Karneval besonders
scheußlich anziehen“) als Hundsverloche-
teerkannt worden – so nennt man im
Berndeutschen eine wenig lohnende Ver-
anstaltung.
Die Dialekte haben auch einen diffe-
renzierten Wortschatz für gesellschaftli-
che Phänomene, die im Analysevokabular
von Marx, Elias und Adorno nicht vor-
kommen. Auch solche Begriffsschärfe
macht die Mundarten zum natürlichen
Feind jeder totalitären Gedankenkon-
trolle. Die Autorin Sofia Blind und die
wie immer zwischen Idylle und Horror
changierenden Illustrationen von Niko-
laus Heidelbach öffnen dem Leser gera-
dezu die Augen für manche übersehene
menschliche Wahrheit.
Einige Ausdrücke wie Adabeifür einen
Menschen, den man ständig auf gesell-
schaftlichen Anlässen trifft, und
Gschaftlhuber für jemanden, der immerzu
geschäftig tut, sind auf dem Umweg über
die Literatur längst in die Standardspra-
che gelangt und stehen im Duden. Sie
sind schon fast so weit verbreitet und be-
kannt wie die immer mit der anzüglichen
fffranzösischen Aufforderung „Visitez maranzösischen Aufforderung „Visitez ma
tente!“ erklärten Fisimatenten,die es – wie
die Autorin in ihrem Vorwort berichtet –
in fast allen deutschen Gegenden gibt
und von denen Rheinländer, Badenser,
Sachsen und viele andere glauben, das
WWWort existiere nur bei ihnen. Wegen die-ort existiere nur bei ihnen. Wegen die-
ser Allgegenwart hat Sofia Blind den Aus-
druck nun gerade nicht aufgenommen.
Ausgeschieden hat sie auch Wörter, die
in den Mundarten einfach nur unfassbar
putzig klingen, aber sich problemlos
durch ein einziges hochdeutsches Wort
ersetzen lassen wie Plüschmors(Hum-
mel), Breschdlingssälz(Erdbeermarmela-
de), Oachkatzschwoaf (Eichhörnchen-
schwanz) und Chuchischächtli (Küchen-
schrank). Sie entschied sich stattdessen
für 50 Wörter, die auf Hochdeutsch nur
mehr oder weniger umständlich um-
schrieben werden müssen.
Manche davon müssen dringend über-
regional Karriere machen. Denn anders-
wo werden sie noch dringender benötigt
als in ihrem Ursprungsgebiet: Blomenkie-
ker für einen langsam fahrenden Touris-
ten könnte man im von Bier-Bikes, Bus-
sen und Fahrradkonvois geplagten Berlin
viel besser gebrauchen als im hohen Nor-
den. Und wenn einem der Makler eine
überteuerte Bruchbude andrehen will,
die kein Geheischnis(saarländisch: ein
Gefühl von Geborgenheit) hervorruft,
hätte man in jeder deutschen Großstadt
wohl gern das in der halleschen Mundart
gängige Hornskezur Verfügung. Dann
doch lieber boofen, so nennt es der Sach-
se, wenn er unter freiem Himmel schläft.
Besonders auf der Zunge zergehen
lässt man sich die präzisen Wörter für
Tisch- und Theken-Phänomene, die in
den Dialekten schlummern: Ein Tröstel-
beer wird im plattdeutschen Sprachraum
auf Beerdigungen ausgeschenkt, und
man kann nur hoffen, dass der Gestorbe-
ne, als er schondoadelte(bayrisch: dem
Tode nahe sein), noch die Chance hatte,
ein Fluchtachterl(wienerisch:. letztes
Glas Wein vor dem Aufbrechen) zu trin-
ken. Jemanden der ufflädigist, also sich

beim Essen zu viel nimmt, hat wohl jeder
schon in Kantine oder am Büffet gesehen.
Das Gegenteil ist einer schnederfrässige
Person – so nennt man in der Schweiz
Leute, die sehr wählerisch beim Essen
sind. Die kommen dann auch nicht in die
Verlegenheit, ihre Leiberl(österreichisch:
Kleidungsstück, das auf dem Leib getra-
gen wird) allzu spack (rheinisch: sehr eng
sitzend) zu tragen, wie es nur Gasseglän-
zer(hessisch: Blender, die sich gern ande-
ren zeigen) tun.
Man sieht schon an dieser kleinen Aus-
wahl: In den deutschen Dialekten, Mund-
arten, Regional- und Stadtsprachen sind
noch viele Schätze zu heben. Vor allem
macht dieses Buch auf eine charmante
Weise anschaulich, dass Mundarten nicht


  • wie viele Menschen glauben – „fal-
    sches“ Deutsch von Zurückgebliebenen
    sind. Dialektesind eigene Sprachen mit
    eigenen lautlichen und grammatischen
    Gesetzmäßigkeiten und eigenem Wort-
    schatz. Sie sind viel älter als unser Hoch-
    deutsch, das erst etwa 500 Jahre lang
    existiert. Auch wenn man schon seit 800
    n. Chr. von Althochdeutsch spricht und
    die Epoche von 1050 bis 1350 als Mittel-
    hochdeutsch bezeichnet, gab es damals
    keine überregionale Standardsprache,
    sondern nur Dialekte. Ein in der ganzen
    Nation halbwegs verbindliches Deutsch
    ist erst nach der Erfindung des Buch-
    drucks entstanden. Luthers Bibel war da-
    für ein wichtiger Beschleuniger.
    Das Neuhochdeutsch ist aus einem
    Dialekt entstanden. Luther legte seiner
    Bibelübersetzung das Ostmitteldeutsche
    zugrunde, nicht nur weil es die Sprache
    seines Sachsens war, sondern weil er die-
    ser Mundart, die genau an der Grenze
    zwischen dem südlichen oberdeutschen
    und dem nördlichen niederdeutschen
    Raum entstanden war, am ehesten zu-
    traute, überall verstanden zu werden.
    Jedes deutsche Wort war also ur-
    sprünglich ein Dialektwort. Und unser
    Hochdeutsch ist ein Dialektgemisch.
    Denn sein ostmittelhochdeutscher Kern
    ist immer wieder um Wörter aus anderen
    Mundarten bereichert worden. Das fängt
    schon bei Luther an, der sich entschied,
    in seiner Bibelsprache niederdeutschen
    Wörtern wie Lippe, Träneoder Ziegeden
    Vorzug vor den oberdeutschen Formen
    Lefze, Zähreoder Geißzu geben.
    Und es geht immer weiter. Heute ganz
    hochsprachliche Wörter wie Grenze(aus
    altpolnisch granica) oder Horde(aus tata-
    risch ordo) waren ursprünglich Mundart-
    wörter in ostdeutschen Dialekten. Die
    Schriftsteller haben immer wieder
    Mundartwörter literaturfähig gemacht:
    Das Schweizerische hat uns den Putsch
    beschert, mit tatkräftiger Hilfe Gottfried
    Kellers. Fontane und Tucholsky hievten
    das berlinische blümerantin den überre-
    gionalen Standard.
    Und erst im 20. Jahrhundert sind
    Schlawiner aus der Münchner Stadtspra-
    che und hinterfotzigaus dem Bayerischen
    in die allgemeine Hochsprache einge-
    wandert. Wie schnell ein Wort dann sei-
    nen mundartlichen Beiklang verlieren
    kann, zeigt sich deutlich am heute ge-
    samtdeutsch verbreiteten Abschiedsgruß
    tschüs, der noch bis 1950 weitgehend auf
    den niederdeutschen Sprachraum be-
    schränkt war und dort ursprünglich
    mundartlich atschüslautete.
    Bevor die Dialekte verschwinden und
    wir alle sprachlich zurückdummen (ost-
    preußisch: verblöden im Alter), sollten
    wir also dringend noch einmal in dieses
    Schatzkästlein greifen und so bezaubern-
    de Wörter wie Aminaschlupferle (im All-
    gäu: kleines Kind, das gerne kuschelt)
    oder Hollerfassli(fränkisch: Kinderspiel,
    bei dem man sich einen Hang runterrol-
    len lässt) zu retten.
    Es wäre nicht nur ein Akt des Antifa-
    schismus, sondern auch das Antikommu-
    nismus. Denn die DDR hatte – wenig
    überraschend – ein ähnliches Verhältnis
    zu den Dialekten wie Hitler. In der „Klei-
    nen Enzyklopädie Deutsche Sprache“,
    die 1983 in Ost-Berlin erschien, wird die
    Überwindung der Mundarten im Arbei-
    ter- und Bauernstaat gefeiert: „Allerdings
    scheint der Dialektgebrauch in der BRD
    langsamer zurückzugehen als in der
    DDR; das hat seine Ursache vermutlich
    in der Beibehaltung der für kapitalisti-
    sche Verhältnisse typischen sozioökono-
    mischen Struktur sowie im Fehlen eines
    einheitlichen und von Beschränkungen
    freien Bildungssystems.“
    Sozialismus und Nationalsozialismus
    waren sich eben einig: Sie wollten den
    neuen, hundertprozentig in ihrem Sinne
    funktionierenden Menschen. Keine Wul-
    kenschuber(plattdeutsch: Nichtstuer, der
    die Wolken beobachtet) sollten drömeln
    (westfälisch: verträumt herumtrödeln)
    oder gar tachinieren(österreichisch: sich
    vor der Arbeit drücken). Mit den Wör-
    tern wollten sie auch die Erinnerung da-
    ran auslöschen, dass solche kleinen Frei-
    heiten überhaupt möglich sind.


TSofia Blind (Text), Nikolaus
Heidelbach (Bilder): „Wörter, die es nicht
auf Hochdeutsch gibt. Von Anscheuseln
bis Zurückdummen“
(Dumont, 112 Seiten, 18 Euro)

WWWas unser Deutsch verliert,as unser Deutsch verliert,


wwwenn die enn die DIALEKTE sterben


Wir brauchen mehr „Geheischnis“ und „Hollerfassli“, aber weniger


„Hundsverlochete“. Hitler und die DDR wollten die Mundarten ausrotten. 50 besonders


schöne Dialektwörter zeigen, was damit verloren gegangen wäre


©
DUMONT BUCHVERLAG, BLIND/HEIDELBACH

(2)

Böffchen nennt man in Thüringen kleine in Karos geschnittene belegte Brote

„Aminaschlupferle” nennt man im Allgäu ein Kind, das gerne kuschelt. Nikolaus Heidelbachs Illustrationen veranschaulichen die Wörter

© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung DIE WELT -2019-09-09-ab-22 092850d0b19173f49b877e3191f9a9ac

RELEASED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws

Free download pdf