Die Welt - 09.09.2019

(C. Jardin) #1

D


ass sie ein Ärgernis sind,
darüber sind sich die
meisten einig. Doch wer
schuld ist an den Minus-
zinsen, darüber herrscht
in der Wirtschafts- und Finanzwelt völ-
lige Uneinigkeit. Sind es die Notenban-
ken, die als Hauptverdächtige gelten,
oder sind es doch ganz andere Kräfte,
die die Zinsen in die Tiefe ziehen? Die
Antwort darauf ist für jeden Sparer von
Bedeutung. Denn je nachdem, wer
schuld ist an der verkehrten Zinswelt,
werden weitere Lockerungen der Wäh-
rungshüter die Lage entweder ver-
schlimmern oder wirkungslos bleiben.

VON ANJA ETTEL UND HOLGER ZSCHÄPITZ

In dieser Woche ist die Streitfrage so-
gar von besonderer Brisanz. Der Rat der
Europäischen Zentralbank (EZB) ent-
scheidet am Donnerstag über ein mögli-
ches weiteres Lockerungspaket. Speku-
liert wird darüber, dass die EZB auf der
vorletzten Sitzung des scheidenden
Präsidenten Mario Draghidie Zinsen
noch tiefer ins Minus senkt und mögli-
cherweise das Anleihekaufprogramm
erneut startet.
Der Zeitpunkt ist heikel. Europa
steht mal wieder am Rande einer Rezes-
sion. Gleichzeitig hat die Notenbank ihr
wichtigstes Instrument, den Zins, selbst
entwertet. In einer Welt, in der Schuld-
ner belohnt und Sparer bestraft werden,
sind die Gesetze der Ökonomie auf den
Kopf gestellt. Unternehmen begeben
Anleihen, als gäbe es kein Morgen. Auf
der anderen Seite verabschieden sich
Kaufleute von bisher eisernen Grund-
sätzen wie jenem, dass Zahlungsziele

gewissenhaft einzuhalten sind. Bestraft
wird jetzt, wer hohe Einlagen auf sei-
nem Konto hält. Bargeld wird im Ge-
schäftsleben herumgereicht, als wäre es
verflucht.
Wer ist schuld an der desolaten Lage?
Die Wissenschaftler streiten darüber.
Womöglich ist in einer alternden Bevöl-
kerung und in einer Zeit rasanter tech-
nologischer Fortschritte ganz einfach
grundsätzlich weniger Kapital nötig.
Der niedrige Zins wäre dann nur eine
Reaktion auf den Wandel in der Wirt-
schaftswelt – und die Notenbanken we-
nig mehr als passive Zuschauer. Das ist
die eine Lesart. Die andere sieht die
Schuld vor allem bei den Zentralban-
ken, durch deren fortgesetzte Krisenpo-
litik der Zins in den Keller der Finanz-
welt gedrückt wurde.
„Es gibt unterschiedliche Auffassun-
gen darüber, ob Notenbanken Opfer
oder Täter der Minuszinspolitik sind“,
sagt der ehemalige Chefvolkswirt der
EZB, Otmar Issing. „Unabhängig von al-
len Theorien: Mit ihrer Liquiditätsflut
befeuern die Notenbanken den Trend
zu immer niedrigeren Zinsen.“
Auf der Suche nach Antworten muss
man tief in die ökonomische Theorie
eintauchen. Im Mittelpunkt steht die
Frage, wo der sogenannte Gleichge-
wichtszins steht. Das ist der Zins, der
sich automatisch aus dem Angebot und
der Nachfrage nach Geld bildet. Früher
galt es als ausgeschlossen, dass dieser
Zins auf null oder sogar ins Minus fal-
len kann.
Doch die Menschen werden immer
älter und müssen daher immer mehr
Geld zur Seite legen. Das Gros der Er-
sparnisse fließt in Anleihen und drückt

damit die Zinsen. Gleichzeitig wird im-
mer weniger Geld in der Wirtschaft be-
nötigt. Die Digitalwirtschaft kommt mit
weniger Kapital aus als etwa klassische
Industrien: Investitionen in IT-Plattfor-
men und Patente beispielsweise benöti-
gen weniger Kapitaleinsatz als der Bau
von Fabriken oder Großanlagen. Damit
steigt das Angebot an Geld, während die
Nachfrage zurückgeht.

„Die daraus resultierende Sparflut
treibt den ‚natürlichen‘ Zinssatz immer
tiefer und tiefer“, schreibt Joachim
Fels, Chefvolkswirt bei Pimco. Er ge-
hört zu denen, die die Notenbanken als
Opfer und nicht als Täter sehen. Sollte
sich nämlich der Gleichgewichtszins
tatsächlich tief im negativen Terrain
befinden, dann wäre die Notenbank ge-

zwungen, dem Marktzins zu folgen und
ihren eigenen Leitzins nach unten zu
drücken.
Das Argument vieler Ökonomen, dass
das theoretisch nicht sein könne, lässt
er nicht gelten. Fels verweist auf die
veränderte Zeitpräferenz der Verbrau-
cher. Früher galt die Annahme, dass
Menschen lieber heute als morgen Geld
haben und sie einen Zins verlangen,

wenn sie das Geld erst in der Zukunft
bekommen. Doch mit der steigenden
Lebenserwartung hat sich Fels zufolge
die Präferenz der Menschen verscho-
ben. Statt im Heute viel Geld zu haben,
ist es ihnen wichtiger, in der Zukunft
ausreichend versorgt zu sein.
Auch der Max-Planck-Ökonom Carl
Christian von Weizsäcker sieht den

Gleichgewichtszins als Folge der gesell-
schaftlichen Veränderungen negativ.
Früher hätten die privaten Ersparnisse
nicht ausgereicht, um den Kapitalbedarf
der Privatwirtschaft zu decken, was
zwangsläufig zu einem positiven Zins
geführt habe. Doch der größere Wohl-
stand, die längere Lebenserwartung und
die steigenden Sparanstrengungen hät-
ten das Verhältnis umgekehrt.
Skeptiker dieser Theorie räumen
zwar ein, dass der Gleichgewichtszins
in den vergangenen zwei Jahrzehnten
gesunken sei. Auch hätten sich die Kapi-
talneigungen der Menschen geändert.
Der Minuszins wird dadurch für sie al-
lerdings nicht erklärbar. „In einem frei-
en Markt kann der Zins nicht negativ
werden“, sagt Thorsten Polleit, Chef-
volkswirt bei Degussa Goldhandel.
Stattdessen würden die Menschen ihr
Geld auf dem Konto lassen.
Ein Minuszins könne nur dann ent-
stehen, wenn ein Akteur im Markt die-
sen durch Interventionen herbeiführe.
Etwa, indem er einen Minuszins setzt
oder mehr Anleihen kauft, als im Markt
verfügbar sind. Für Polleit stehen die
Schuldigen der Minuszins-Misere daher
eindeutig fest: die Notenbanken. „Und
die Investoren machen das Spiel mit,
weil sie wissen, dass die Notenbanken
die Zinsen noch weiter ins Minus drü-
cken und sie mit den Papieren zwar kei-
nen Kupon verdienen, aber auf Kursge-
winne hoffen dürfen“, sagt Polleit.
Am Donnerstag dürfte das nächste
Kapitel in der Diskussion eröffnet wer-
den: Dann nämlich, wenn die Europäi-
sche Zentralbank, wie von den meisten
erwartet, die Zinsen weiter ins Minus
drückt.

Frankfurter Skyline: Wer
ist Opfer, wer ist Täter?

DPA

/ BORIS ROESSLER

Getriebene des Marktes


Sind die Notenbanken schuld an den Minuszinsen? Vieles deutet darauf hin, dass sie letztlich einfach nur auf den


grundlegenden Wandel in der Wirtschafts- und Finanzwelt reagieren. Dennoch sind sie gleichzeitig auch Akteure


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Japan Deutschland Frankreich Euro-Zone restliche Welt

Ein Drittel aller Anleihen in der Welt haben Minuszinsen

Quelle: Bloomberg, Goldman Sachs Global Investment Research

Anteil der Anleihen mit Minuszinsen in Prozent

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12 WIRTSCHAFT DIE WELT MONTAG,9.SEPTEMBER


Genauso hätte ein rascheres Tempo
in Bürokratie und Verwaltung eine Be-
schleunigung des technologischen Fort-
schritts in der Wirtschaft zur Folge. Es
gehört zu den großen Tragödien der Ge-
genwart, dass angesichts eines drohen-
den Umwelt- und Klimakollapses einer-
seits Druck gemacht wird, rasch zu han-
deln und überholtes Verhalten anzupas-
sen. Andererseits aber bremsen und
verzögern veraltete Prozesse die Ein-
führung und Umsetzung von klima- und
umweltschonenden Innovationen.
Wenn Anträge vereinfacht, Zulassun-
gen erleichtert und Bewilligungen zügi-
ger erteilt würden, kämen Neuerungen
in allen Bereichen – in Produktion wie
Konsum – rascher zum Tragen. Unzäh-
lige Tüftler und Forscher stehen landes-
weit in den Startlöchern, sowohl bei
Start-ups als auch im Mittelstand sprie-
ßen Ideen, wie die Erderwärmung ge-
stoppt werden kann. Mit Entfesselung
und Befreiung dieser Potentiale wäre
weit mehr zu erreichen als mit Verzicht.
Mehr Effektivität und Effizienz in
Bürokratie, Verwaltung und Politik wür-
den Milliarden an öffentlichen Geldern
einsparen, die im Moment verschwen-
det werden. Die frei werdenden Mittel
könnten in Zukunftsinvestitionen –
auch zum Schutz von Umwelt und Kli-
ma – fließen. Steuern und Abgaben
müssten nicht erhöht, dem privaten
Konsum keine Kaufkraft entzogen wer-
den. Zudem ließe sich damit so schnell

und wirkungsvoll wie mit jedem Kon-
junkturpaket auf die vielerorts befürch-
tete Stagnation reagieren.
Aber trotz der richtigen Diagnose zur
lebensbedrohlichen Lage der Nation
geht es mit einem resignativen Schul-
terzucken weiter wie bisher. Keine ein-
schneidende Abkehr vom Bisherigen,
keine radikale Umkehr – als würde nicht
die Zukunft der Kinder und Kindeskin-
der auf dem Spiel stehen. An umfassen-
den Masterplänen und weitreichenden
Maßnahmenkatalogen mangelt es nicht.
Ganz im Gegenteil: Die Zahl der Vor-
schläge von klugen Sachverständigen,
um Deutschland von Staatsversagen,
Planungswahnsinn und ideologischem
Irrglauben zu verschonen oder zu be-
freien, ist immens.
Das Schicksal der gut gemeinten To-
Do-Listen erinnert an die Fabel über
den Überlebenskampf der Mäuse gegen
die Katze. Als der Ältestenrat der Mäuse
nach endlosen Beratungen hinter ver-
schlossenen Türen vorschlug, der Katze
eine Glocke umzuhängen, war im Reich
der Nager die Begeisterung über die ge-
niale Idee riesig. Die Euphorie über die
effektive Lösung aller Probleme fand je-
doch ein jähes Ende, als die Spitzmaus
leise nachfragte, wer denn der Katze die
Glocke umhängen solle.
Entscheidender, als am Reißbrett der
Politik großspurige Pläne zu entwerfen,
ist es zu wissen, wie gute Politik in der
Praxis umgesetzt werden kann. Wie

kann es gelingen, in der Bevölkerung ei-
ne breite Mehrheit für Veränderungen
zu finden und Zustimmung für eine Po-
litik zu erhalten, die das anpackt, was
gemacht werden muss? Die Modernisie-
rung wird kommen, doch entweder
kommt sie durch Krisen oder sie kommt
durch rechtzeitige Vernunft.
Eine Politik des „Weiter so“ führt erst
zu einer schleichenden Verschlechte-
rung der Lebensbedingungen, dann ins
ökonomische Abseits und schließlich in
den gesellschaftlichen Abgrund. Für
diesen Weg gibt es zahlreiche histori-
sche Beispiele vom Zusammenbruch
der großen Reiche, dem Ende des briti-
schen Empires, bis hin zum Kollaps der
Sowjetunion oder der Implosion ihrer
osteuropäischen Trabanten. Aus den
Trümmern sind überlebensfähige Nach-
folgestaaten entstanden.
Damit der zweite Fall eintritt,
braucht es Einsicht und Erkenntnis,
dass Modernisierung zwar teuer sein
mag, keine Modernisierung aber noch
teurer wird. Anders als fürs Krisensze-
nario finden sich für den Weg der Ver-
nunft weit weniger Vorbilder. Aber in
Skandinavien, den Niederlanden, der
Schweiz oder Österreich wird man
durchaus fündig. An deren Erfolgen
sollte sich eine „Koalition der Vernunft“
in Deutschland ein Beispiel nehmen
und die richtigen Schlussfolgerungen
ziehen, um (wieder) effizient und effek-
tiv funktionsfähig zu werden.

Wenn Schulbücher und Lehrmateria-
lien statt gedruckt flächendeckend elek-
tronisch daherkämen, würde das nicht
nur immense Mengen an Papierund
Transport sparen. Viel wichtiger ist die
Geschwindigkeit, mit der digitale Tech-
nologien helfen können, veraltete Un-
terrichtsmethoden, unzeitgemäße
Lehrkonzepte und überkommene Kom-
munikation zwischen Lehrenden und
Lernenden zu modernisieren. Neue Er-
kenntnisse finden buchstäblich über
Nacht Einzug in Lehrbücher und
Übungsaufgaben.

V


eraltete Vorschriften, unzweck-
mäßige Verfahren, verfehlte Re-
gulierungen – kaum jemand in
Deutschland wurde nicht schon mal de-
ren Opfer. Besonders traurig ist dabei,
dass viele der Unzulänglichkeiten, die
das Land und den hiesigen Alltag läh-
men, dank neuer Technologien einfach
zu überwinden wären. Digitalisierung
und künstliche Intelligenz bei der Da-
tenverarbeitung beispielsweise bieten
schon lange kostengünstige Verfahren,
um bürokratische Antrags- und Bewilli-
gungsprozesse oder Informations- und
Kontrollabläufe in der Verwaltung zu
optimieren und kundenfreundlich zu
gestalten.
Anstatt mit besserwisserischer Arro-
ganz die übrige Welt belehren zu wol-
len, dass Zukunft nur durch Askese ge-
lingen kann, wäre es ein Leichtes, vom
Ausland zu lernen. Vorbilder gibt es so-
wohl in der europäischen Nachbar-
schaft als auch in den gerade eher mit
Spott und Überheblichkeit kritisierten
USA. Ohne großen Aufwand ließe sich
lernen, wie alltägliche Verschwendung
verringert oder sogar komplett ge-
stoppt werden kann. Durch papierlose
Verwaltung zum Beispiel, automatisier-
te Verrechnungsprozesse, bargeldloses
Einkaufen, elektronische Kommunika-
tionswege und genauere Informationen
könnten Fehler in der Produktion, Lo-
gistik oder bei der Mobilität vermieden
und Abläufe effizienter werden.

GASTBEITRAG

Deutschland


braucht eine


KKKoalition deroalition der


VVVernunfternunft


THOMAS STRAUBHAAR

E


lon Musk ist ein Visionär und
Charismatiker. Sein Automobil-
unternehmen Tesla ist schick
und innovativ – die Marke der techni-
schen Avantgarde oder derer, die dazu-
gehören möchten. Wer hochklassige
Autos liebt, auf die Umwelt achten will
und sich beides leisten kann, fährt Tes-
la. Nur in einer Region der Erde ist der
E-Auto-Bauer nicht angesagt.

VON NIKOLAUS DOLL

Und zwar ausgerechnet im wohlha-
benden, sonst so fortschrittlichen und
umweltbewussten Stadtstaat Singapur.
Tesla? Brauchen wir hier nicht, wollen
wir nicht, heißt es dort. Und das sagen
nicht etwa lokale Umweltschützer, Glo-
balisierungskritiker oder Lobbyisten
deutscher Autobauer vor Ort, sondern
Vertreter der Regierung. Ganz offiziell.
In diesem Fall Masagos Zulkifli Bin Ma-
sagos Mohamad, Mitglied der Regie-
rungspartei People’s Action Party (PAP)
und im Kabinett zuständig für die Um-
welt und Wasserversorgung.
Dabei müsste Masagos Zulkifli ei-
gentlich schon von Amts wegen Tesla
genau recht kommen. Singapur geht es
gut, viele Menschen können sich dort
ein Auto leisten. Aber der Platz ist
knapp, der Verkehr wird immer dichter
und damit die Belastung der Umwelt.
Elektroautos könnten da genau das
Richtige sein, um Abhilfe zu schaffen.
Möchte man meinen. Teslasetwa, viel-
leicht sogar ein Werk, um sie vor Ort zu
produzieren. Damit könnte man der
Umwelt dienen, weitere Arbeitsplätze
schaffen und erneut unter Beweis stel-
len, dass Singapur ein der Zukunft zuge-
wandter Technologieträger ist.
Aber Masagos Zulkifli will nicht, we-
der Tesla und schon gar keine Produkti-
on von E-Autos vor Ort. Und keiner wi-
derspricht ihm im Kabinett. Der Nach-
richtenagentur Bloomberg sagte der
Minister: „Was Elon Musk produzieren
will, ist ein Lebensstil. Wir sind aber an
einem Lebensstil nicht interessiert“, so
Zulkifli. „Was wir brauchen, sind saube-
re Lösungen, um die Klimaprobleme in
den Griff zu bekommen.“ Und diese Lö-
sung könne nicht noch mehr Autos lau-
ten, selbst wenn die elektrisch angetrie-
ben würden, sagt der Minister.

Singapur schlägt sich seit Jahrzehn-
ten mit einer lange wachsenden Zahl
von Autos in dem begrenzten Territori-
um und den daraus resultierenden ne-
gativen Auswirkungen herum. Bereits
seit 1990 gibt es Zulassungsbeschrän-
kungen für Neuwagen, so, wie sie seit
einigen Jahren auch in großen Metropo-
len Chinas gelten. Die Lizenzen für die
Zulassung und die Steuern haben priva-
te Pkw inzwischen für viele Menschen
unerschwinglich gemacht. Laut Bloom-
berg ist Singapur „der teuerste Ort der
Welt, wenn man ein Auto besitzen will“.
Drei- bis viermal mehr müsse man dort
für ein Modell zahlen als anderswo.
Inzwischen haben in der Stadt nur
noch elf Prozent der Haushalte ein eige-
nes Auto. Das sind allerdings zusammen
immer noch eine Million Pkw – und das
auf einer Fläche, die halb so groß ist wie
Los Angeles. Deshalb hat die Regierung
Singapurs das Ziel formuliert, dass nur
noch so wenige Neuwagen wie möglich
zugelassen werden. Um das zu errei-
chen, wird unter anderem mit großem
finanziellem Aufwand der öffentliche
Personennahverkehr ausgebaut. Der
Aufbau von Ladesäulen für Elektroau-
tos geht dagegen für die sonstigen Ver-
hältnisse in Singapur eher schleppend
voran. Und Förderung für E-Autos gibt
es auch so gut wie keine. Im Gegenteil.
Elon Musk ärgert die E-Auto-Politik
Singapurs schon lange. Im vergangenen
Jahr hatte er bereits seiner Kritik an der
Regierung des Stadtstaats per Twitter
fffreien Lauf gelassen. Dort wolle man sau-reien Lauf gelassen. Dort wolle man sau-
bere Elektromobilität einfach nicht un-
terstützen, grollte Musk. Zuvor hatte die
Regierung nämlich auch Tesla mit einer
CO 2 -Steuer belegt. Und zwar im fünfstel-
ligen Dollar-Bereich für jedes Model S.
Schließlich müsse man auch den CO 2 -
AAAusstoß bei der Erzeugung des Stromsusstoß bei der Erzeugung des Stroms
fffür die leistungsstarken Batterien berück-ür die leistungsstarken Batterien berück-
sichtigen, hieß es seitens der Regierung.

Singapur will


keine Teslas


im Stadtstaat


Metropole setzt lieber auf
öffentlichen Nahverkehr

DIE REGIERUNG


HAT AUCH TESLA


MIT EINER


CO 2 -STEUER BELEGT


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