Die Welt Kompakt - 09.09.2019

(Ben Green) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,9.SEPTEMBER2019 FORUM 15


A


nnegret Kramp-Karrenbauer
hat gelernt. Und umge-
schaltet. Nach ihrer Wahl
zur CDU-Vorsitzenden woll-
te sie vieles ganz schnell und
sehr eindeutig ändern: die Halbzeitbilanz
der Koalition auf den Frühsommer vor-
ziehen, Europa einen Flugzeugträger
geben, die Finanzierung der Bundeswehr
aaaufstocken, sich nicht von eher derbenufstocken, sich nicht von eher derben
politischen Späßen abhalten lassen, die
Flügel der CDU zusammenführen. Da-
raus ist nun ein sehr allgemeiner
WWWunsch nach „Brücken bauen in beweg-unsch nach „Brücken bauen in beweg-
ten Zeiten“ geworden, so der Titel ihres
Beitrags jüngst in der „FAZ“ – Brücken
zzzwischen Stadt und Land, Alt und Jung,wischen Stadt und Land, Alt und Jung,
Klimaschützern und Klimawandels-
keptikern, Wirtschaft und Weltpolitik.
Die weltanschaulich Sehnsüchtigen,
die Anhänger von Klarheit und Wahrheit
mit dem Wunsch, endlich mal wieder
etwas durchzusetzen, werden verrückt
dabei. AKK kann nur Bla-bla, so lässt sich
die Kritik zusammenfassen. In der Be-
liebtheitsrangfolge des „Deutschland-
trends“ der vergangenen Woche nahm
Kramp-Karrenbauer den viertletzten
Platz ein – und hatte den höchsten Unzu-
fffriedenheitswert aller genannten Bundes-riedenheitswert aller genannten Bundes-
politiker, 66 Prozent, einen Prozentpunkt
mehr als Alexander Gauland. Nur der
Umstand, dass immerhin noch zwanzig
Prozent der Befragten mit ihr zufrieden
waren, gegenüber 16 mit Gauland, rettete
die CDU-Vorsitzende davor, in dieser
Befragung das Schlusslicht zu bilden.
Das sei eine Momentaufnahme, be-
scheidet sie ohne sichtbare Regung die
Gegner. Kramp-Karrenbauer erlebt jetzt,
was die neue CDU-Chefin Angela Merkel
erlebte, was überhaupt nahezu alle neu-
en CDU-Vorsitzenden erlebten. Sie
stürzt in den Umfragen ab, gilt als ge-
scheitert, unfähig, ablösungsreif. Aber sie
hat das Nervenkostüm, diese Zahlen
einfach zu ignorieren. Das ist eine der
VVVoraussetzungen dafür, das Blatt zuoraussetzungen dafür, das Blatt zu
wenden. Für AKK ist das schwieriger als
fffür Merkel oder Helmut Kohl, weil sie inür Merkel oder Helmut Kohl, weil sie in
eine Regierungskoalition eingebunden
ist, statt als Oppositionsführerin rheto-
risch loslegen und im Bundesrat für eine
Sperrmehrheit gegen die Regierung sor-
gen zu können.
Die scheinbare Passivität Kramp-
Karrenbauers hat deshalb zwei Gründe.
Erstens will sie nicht als Gegenspielerin
Merkels wahrgenommen werden. Die
Unionsspitze muss geschlossen wirken,
wenn der Koalitionspartner SPD ohne
Kapitän ist und rund um Deutschland
Wirrnis herrscht, vom Brexit über den
Iran bis nach Hongkong und Washing-


ton. Das gehört zur Bürgerlichkeit der
Union. Brücken bauen heißt: keine Spal-
tung zulassen, wo sie in Zeiten so vieler
Zerrissenheit vermeidbar ist. Zweitens
gibt es den Satz „Über diese Brücke
gehen wir, wenn wir zu ihr kommen“ –
sprich: Alles hat seine Zeit, nur immer
mit der Ruhe. Bis dahin gilt, auch das
schreibt AKK, zuhören, verstehen, dis-
kutieren, entscheiden, dann handeln.
Wie Michael Kretschmer in Sachsen.
Kramp-Karrenbauer hat für diesen
KKKurs mehr Zeit, als es scheint. Die Thü-urs mehr Zeit, als es scheint. Die Thü-
ringenwahl wird vermutlich nicht we-
sentlich anders ausgehen als die Wahlen
des 1. September, aber danach kann die
AAAfD herumtanzen wie sie will. Ein neuerfD herumtanzen wie sie will. Ein neuer
bundesweit beachteter Wahlgang folgt
erst im Frühjahr 2021 mit den Landtags-
wahlen in Baden-Württemberg und
RRRheinland-Pfalz sowie der Kommunal-heinland-Pfalz sowie der Kommunal-
wahl im AfD-Gründungsland Hessen.
VVVorher kommt zwar noch die Bürger-orher kommt zwar noch die Bürger-
schaftswahl in Hamburg, aber da hat die
CDU nicht viel zu holen und die AfD,
wenn die SPD bis dahin wieder steht,
aaauch nicht. Es kommt im Frühjahr auchuch nicht. Es kommt im Frühjahr auch
die Kommunalwahl in Bayern, Markus
Söders erster Test, und Söder versucht
schon, grüner als Grünen zu sein. Die
Bayern sind ökobewusst geworden, das
hat das Bienen-Volksbegehren gezeigt.
AKK deutet knapp an, dass sie verstan-
den hat, was das für die CDU heißt. Für

Ist ja noch


etwas Zeit


Annegret Kramp-Karrenbauer erlebt gerade,


was nahezu alle neuen CDU-Vorsitzenden


erlebten: Sie stürzt in den Umfragen ab,


gilt als unfähig. Aber mit ihrem Nervenkostüm


hat sie das Zeug, das Blatt zu wenden


TORSTEN KRAUEL

LEITARTIKEL


Söder (und die SPD) wird die CDU beim
Klimagesetz in der übernächsten Woche
einige Kröten schlucken. Die Stabilität
der Koalition und der Unionsführung hat
wieder einmal Vorrang vor „CDU pur“.
Im Herbst 2020 folgt die Kommunal-
wahl in Nordrhein-Westfalen. Sie ist
Armin Laschets erster großer Test. Sie
könnte eine Vorentscheidung über die
CDU-Kanzlerkandidatur bringen. Aber
das ist politisch betrachtet noch lange
hin. In NRW punktet die AfD nur, wenn
die Union und die GroKo bis dahin alles
fffalsch gemacht haben.alsch gemacht haben.
Sollen die Feuilletonisten sich jetzt
also über die Frage ereifern, was eine
„bürgerliche Koalition“ ist oder ob die
AAAfD „bürgerlich“ sei. Für die praktischefD „bürgerlich“ sei. Für die praktische
Politik ist das bis zum Frühjahr 2021
ohne jede Bedeutung. Die CDU hat in
den kommenden Monaten die Aufgabe,
RRRuhepol zu sein – einerseits aus Zwang,uhepol zu sein – einerseits aus Zwang,
weil Aufregungen und „Endlich mal was
durchsetzen“-Forderungen aus der SPD
kommen, aus den „Fridays for Future“-
Kreisen, aus der AfD, von Boris Johnson
oder Donald Trump; andererseits freiwil-
lig, denn wenn die CDU nun auch noch
vor der Zeit anfängt, miteinander zu
streiten, wird es unangenehm.
Dieser Streit wird kommen, wenn die
Kanzlerkandidatur ansteht. Das kann
schon im Januar der Fall sein, sollte die
SPD auf Wunsch des Dezember-Partei-
tags aus der Koalition aussteigen. Oder
im Herbst 2020, wenn nach der NRW-
Kommunalwahl die „K-Frage“ wieder-
kommt, die schon Angela Merkel von
2000 bis 2003 das Leben schwer ge-
macht hat. Gerhard Schröder bringt
seit knapp einem Jahr Laschet als Kanz-
ler ins Spiel. Zusammen mit ihm hat er
der „Rheinischen Post“ ein Interview
gegeben, das in seiner Essenz besagt:
Wenn die SPD aus der GroKo austritt,
neigt Schröder dazu, für einen CDU-
Kanzlerkandidaten Laschet Wahlkampf
zu machen. Das hat mit der Gaspipeline
„Nord Stream 2“ und Russland zu tun,
aber nicht nur. Es stehen interessante
Zeiten bevor.
Darüber aber wird beschlossen, wenn
die CDU an diese Brücke kommt. Bis
dahin wird über das Klimagesetz, die
Grundrente, die Bundeswehrmissionen,
den Brexit, das Schicksal Hongkongs und
die Gegenkandidaturen zu Donald
Trump entschieden. Bis dahin wird die
CDU in ihrer Willensbildung oft fremd-
gesteuert, so wie Angela Merkel es in
Stichworten auf ihrem Terminplan vom
2 0. März zu einem unbekannten Tages-
ordnungspunkt notierte: „Kein Vertrag,
viele wollen das nicht, Osteuropäer“.
Regieren in einer Welt der Weltinnen-
politik heißt: Kompromisse machen.
Regieren heißt, zu wissen, wann man
öffentlich nachgibt, um intern etwas
durchzusetzen. Regieren heißt nicht: Ab
jetzt springen alle nur nach unserer
Pfeife. Die Mehrheit der Wählerschaft
sieht das so, sonst wäre Merkel nicht die
beliebteste Politikerin. Sie wollen sie in
diesen bewegten Zeiten behalten, auch
wenn die Regung dem Wunsch gleicht,
den Weihnachtsbaum noch den Januar
üüüber stehen zu lassen, weil der Januar sober stehen zu lassen, weil der Januar so
kalt und dunkel ist. Annegret Kramp-
Karrenbauer und Angela Merkel wissen:
Im Februar muss die CDU stabil und
grün aussehen, womöglich im doppelten
WWWortsinne – statt wie eine nadelndeortsinne – statt wie eine nadelnde
Tanne, an der jeder herumzupfen kann.
[email protected]

ǑǑ


Die Union muss


geschlossen


wirken, wenn


die SPD ohne


Kapitän ist und


rund um


Deutschland


Wirrnis herrscht


KOMMENTAR

ANSGAR GRAW

Grüne


Eisbären


M


achtkampf in der Bundes-
tagsfraktion; weniger als
erhofft in Sachsen und
Brandenburg geholt; ein Hauch von
RRRückgang in den jüngsten Sonntags-ückgang in den jüngsten Sonntags-
fffragen – die Grünen kommen in derragen – die Grünen kommen in der
Realität an. Vorbei sind die Zeiten,
in denen die Partei wie ein heli-
umgefüllter Luftballon gen Himmel
aufzufahren schien.
VVVon der öffentlichen Meinungon der öffentlichen Meinung
wwwurden die Grünen bislang ge-urden die Grünen bislang ge-
hätschelt und von den Konkur-
renten bis hin zur CSU imitiert, weil
ihre Themen im Trend zu liegen
schienen: CO 2 , Klima, Biene,
Schmetterling und Vogel. Wer nicht
selbst auf Auto, Flüge und Steaks
verzichten mochte, erleichterte per
Umfrage oder gar per Wahlzettel
sein Gewissen. Annalena Baerbock
und Robert Habeck wurden zu den
schutzbedürftigen Eisbären des
arktisfernen Gelegenheitsökos. Weil
Mülltrennung und der Jutebeutel
fffür den Einkauf in der Es-ist-fünf-ür den Einkauf in der Es-ist-fünf-
vor-zwölf-Stimmung zu wenig schie-
nen, tröstete die Solidarisierung mit
jenen, die eine saubere, nachhaltige,
gerechte Welt versprechen.
Funktioniert hat das vor allem im
Jahr 2018. Da wählten die Grünen im
Januar ein telegenes Duo an die
Spitze; der Hitzesommer wurde zum
VVVorboten der Apokalypse erklärt; imorboten der Apokalypse erklärt; im
Herbst wurde über ein Mädchen mit
Zöpfen berichtet, das jeden Freitag
vor dem Parlament in Stockholm für
die CO 2 -Reduzierung streikte. Bald
darauf gab es die „Fridays for Futu-
re“-Bewegung auch in Deutschland.
Sie wirkt wie der außerparlamentari-
sche Arm der Grünen.
Doch die Welt ist schnelllebig.
Manches hat sich geändert oder
zumindest den Reiz des Neuen ein-
gebüßt. Habeck und Baerbock schei-
nen doch nicht über Wasser laufen
zu können. In diesem Sommer war
es ordentlich warm, aber als existen-
zielle Herausforderung wurde das
von den wenigsten empfunden. Die
Kids könnten allmählich freitags
wieder zur Schule gehen, denkt es in
der restvernünftigen Gesellschaft.
Und da das Wirtschaftswachstum
nach zehn beglückenden Jahren
massiv abkühlt, möglicherweise gar
in eine Rezession umschlägt, werden
ökologische Forderungen und öko-
nomische Erfordernisse vom Wähler
weniger aufgeregt ausbalanciert.
Wenn sich die grüne Bundes-
tagsfraktion noch diesen Monat
entscheiden muss zwischen dem
routinierten Duo Katrin Göring-
Eckardt/Anton Hofreiter und der
Comeback/Newcomer-Allianz aus
Cem Özdemir und Kirsten Kap-
pert-Gonther, werden die Abge-
ordneten vielleicht auch wieder
ernsthafter über Positionen strei-
ten. Grün ist die Modefarbe einer
langen Saison. Bald wird sie wieder
zu einem Angebot unter anderen.
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