Die Welt Kompakt - 09.09.2019

(Ben Green) #1

I


sraels Ministerpräsident
Benjamin Netanjahuhat be-
kanntermaßen ein eher an-
gespanntes Verhältnis zu
den israelischen Medien im All-
gemeinen und zu manchen der
Fernsehsender seines Landes
im Besonderen.


VON ELMAR KREKELER

Das ist schon in ganz norma-
len Wochen so. Vor Wahlen,
wenn für Netanjahu also gar
nichts normal ist, wird sein Ton
gern – um es vorsichtig zu for-
mulieren – rauer.
Gerade hat er, in Israel wird
am 17. September gewählt, zum
Boykott des Fernsehsenders
Channel 12aufgerufen. Den hät-
te Netanjahu, wenn er nicht an
diese verdammten demokrati-
schen Regeln gebunden wäre,
wegen der unbotmäßigen Be-
richterstattung über die Kor-
ruptionsvorwürfe gegen ihn
schon längere Zeit lieber ge-
stern als heute vom Netz ge-
nommen.
Einen „Terroranschlag auf
die Demokratie“ nannte Netan-
jahu, was von den Reportern
des Kanals über ihn veröffent-
licht wurde. Was Channel 12 ge-
meinsam mit dem amerikani-
schen Sender HBO dann als Se-
rie erzählte, kam ihm daher ei-
gentlich ganz recht. Er konnte
einen Boykott aufrufen.
„Our Boys“, so heißt die Se-
rie, erzählt eine Geschichte, die
2014 um die Welt ging. Drei is-
raelische Jugendliche waren


von der radikal-islamischen Pa-
lästinenserorganisation Hamas
entführt und ermordet worden.
Im Gegenzug wurde ein palästi-
nensischer Junge von radikalen
jüdischen Nationalisten ermor-
det. Die Lage im Nahen Osten
explodierte wieder.
Netanjahu explodierte auch,
echauffierte sich über die
scheinbare Ungleichbehand-
lung der Morde. Während, was
den Israelis von den Palästinen-
sern angetan wurde, nüchtern,
fast bürokratisch abgehandelt
würde, so Netanjahus Vorwurf,
werde voller Empathie das
Schicksal des Palästinensers ge-
schildert. Die Lage eskalierte.
Die Medien, selbst die konser-
vativen, waren in Aufruhr. Die
Regisseure bekamen Morddro-
hungen. Der Hass loderte hoch.
Da ist es doch schon mal eine
gute Nachricht, dass sich jetzt
alle ein bisschen beruhigen
können, dass es sie noch gibt im
Fernsehen, die echten israeli-
schen Patrioten. Die ihr Leben
ohne Rücksicht auf die Liebe ih-
res Lebens, auf ihre Familien
aufs Spiel setzen für ihr Land,
gegen all die Feinde, von denen
es umstellt ist.
An denen sich die Jugend
einer hysterisierten Republik
aufrichten können sollte. Ge-
gen „The Spy“ – die von Gideon
RaffRaffRaff, dem Erfinder des israeli-, dem Erfinder des israeli-
schen „Homeland“-Originals
„Hatufim“, entwickelte, produ-
zierte und inszenierte Minise-
rie – kann Benjamin Netanjahu
eigentlich so richtig gar nichts

haben. Einzige Einschränkung:
Die Geschichte spielt, histo-
risch gesehen, leider nicht eben
um die Ecke. Sondern in den
Sechzigern des vorigen Jahr-
hunderts. Als Syrien noch der
Hauptfeind Israels und der Prä-
sident noch ein General na-
mens Amin al-Hafiz war.
Sacha Baron Cohen, der Ge-
genwartsverlacher, der Identi-
tätswechsler, der Borat war im
neongrünen Tankini und Brü-
no, debütiert in Raffs Agenten-
thriller sozusagen im ernsten
Fach. Cohen ist Cohen. Elijahu
ben Schaul Cohen. Eine Legen-
de in Israel. Meisterspion, der
es bis zum Berater des syri-
schen Verteidigungsministers
brachte, dem Mossad derart
viele und wegweisende Infor-
mationen lieferte, die syrische
Abwehr derart manipulierte,
dass der Sechstagekrieg am En-
de keinen Tag länger dauerte
als eben sechs.
„The Spy“ ist gewissermaßen
das komplette Gegenteil aller
Charaktere, mit denen Sacha
Baron Cohen bis in die letzten
Ecken der Kinowelt berühmt
wurde. Er ist ein sehr ordentli-
cher Agententhriller.
Man muss „The Spy“ gar
nicht zu Ende schauen. Man
weiß nach einer Folge schon Be-
scheid. So ziemlich über alles.
Eine Dreiviertelstunde lang legt
Gideon Raff all seine psycholo-
gischen, politischen, privaten
Bierdeckel auf den Tisch. Dann
baut er fünf Folgen lang ein
ziemlich konservatives Stapel-

haus daraus. Wir sind im Fol-
tergefängnis von Damaskus. Eli
Cohen schreibt einen letzten
Brief an seine sehr schöne Frau
Nadja. Die Fingernägel Cohens
sehen nicht gut aus. Vier Mona-
te lang ist er gefoltert worden.
Bald wird er in Damaskus öf-
fentlich aufgehängt.
Der Rabbi, der ihn besucht,
sagt ihm, dass er anscheinend
nicht mehr weiß, wer er ist. Als
er zögert, wie er den Brief un-
terschreiben soll, mit welchem
Namen, mit Eli Cohen oder mit
dem seiner Undercoverexistenz
Kamel Amin Taabeeth.
Wer er werden wollte, dieser
in Ägypten geborene Eli Cohen,
das erzählt Raff auch gleich und
so, dass jeder minderbegabte
Küchenpsychologe sofort ahnt,
was diesen Mann eigentlich an-
trieb. Der sozusagen endokrine
Überintegrationsanspruch des
vermeintlich Fremden nämlich.
Eli Cohen wird als der Alibi-
„Braune“ zu Partys eingeladen,
sagt er, als arabischer Jude. Das
macht ihn, in der Logik dieser
Geschichte, zum geborenen
Planüberfüller.
Der ziemlich perfekten Ou-
vertüre, während der in mittle-
rem Tempo alle Leitmotive vor-
gestellt werden, folgt eine
ziemlich patriotische, ziemlich
biedere Oper, die ohne großen
filmästhetischen Anspruch, or-
dentlich chronologisch sortiert,
manchmal seltsam ungelenk,
selten dramatisch zugespitzt
die Agenten-Biografie des Eli
Cohen abrumpelt.

Wie er das Mossad-Agenten-
casting übersteht, wie er, als
hätte er nie etwas anderes ge-
macht, als dandyhafter syri-
scher Import-Export-Unter-
nehmer mit Pornobalken unter
der Nase sich erst in die Spitze
der syrischen Gemeinde von
Buenos Aires einschmeichelt
und anschließend in die Spitze
der Politik von Damaskus. Es
gibt ein bisschen Splitscreen,
weil die Sechziger ja so waren.
Es gibt ein bisschen Verfol-
gungsjagden. Hin und wieder
stirbt wer. Butterdosen spielen
eine nicht unwesentliche Rolle.
Dass der Mossad Morsegeräte
in Quirls versteckte und Bom-
ben in Seife, ist sehr lustig. Sa-
cha Baron Cohen, der eigent-
lich Freddie Mercury im
Queen-Film „Bohemian Rhap-
sody“ hätte werden sollen,
merkt man manchmal die An-
strengung an, sich zurückzu-
nehmen, gegen sich selbst zu
spielen. Er schafft das, ohne
sich über Gebühr zu verbiegen.
Trotzdem bleibt Eli Cohen
nicht viel mehr als ein Papierti-
ger in schicken Anzügen und
blütenweißem Smoking.
Ein Hochamt des Patriotis-
mus wird „The Spy“ nicht. Eine
Hagiografie auch nicht. Irgend-
was Mittleres halt. Benjamin
Netanjahu, wie gesagt, wird es
mögen. Wegen „The Spy“ wird
im Nahen Osten nichts hochko-
chen. „The Spy“ ist ein Agen-
tenthriller, der die Nerven be-
ruhigt. Eine Agententhriller-
produktenttäuschung.

Die Einsamkeit
zzzwischen denwischen den
Identitäten:
Eli Cohen weiß
bald nicht mehr
ggganz genau,anz genau,
wer er ist in der
Netflix-Serie
„The Spy“

NETFLIX

/DAVID LUKACS

Wie Sacha Baron Cohen für Benjamin


Netanjahu den Sechstagekrieg vorbereitet


Der britische Comedian spielt Eli Cohen in der Netflix-Serie „The Spy“, den Meisterspion


des Mossad, der in den Sechzigern wegen Spionage hingerichtet wurde.


Gideon Raff, der Produzent von „Homeland“, hat den Sechsteiler erfunden


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