Die Welt Kompakt - 09.09.2019

(Ben Green) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,9.SEPTEMBER2019 WISSEN 25


schaftler nachweisen können,
in welche Stoffwechselprozesse
das Vitamin genau eingreift. So
verhindert es beispielsweise
Ablagerungen („Verkalkun-
gen“) an den Blutgefäßen, also
die sogenannte Arteriosklerose.
„Calcium hat in den Gefäßen
die Tendenz, sich in Form von
Verkalkungen abzulagern“, sagt
Hans Konrad Biesalski von der
Deutschen Gesellschaft für Er-
nährungsmedizin. Im Blut exis-
tiere aber glücklicherweise ein
Eiweißbaustein, der diese Abla-
gerung verhindern kann. „Die-
ser Eiweißbaustein muss durch
Vitamin K2 aktiviert werden.“
Fehlt das Vitamin, steigt das Ri-
siko einer Verkalkung.
Eindrucksvoll belegt haben
holländische Forscher einen
weiteren Schutzeffekt des Vita-
mins. Sie ermittelten in einer
Studie an 4800 Männern und
Frauen, dass diejenigen mit
dem höchsten Vitamin-K2-Ver-
zehr – in einem Zeitraum von
zehn Jahren – eine um 41 Pro-
zent niedrigere Wahrschein-
lichkeit für eine koronare Herz-
erkrankung hatten.
An der Universität Heidel-
berg fanden Forscher einen
ähnlichen Effekt für die Präven-
tion von Krebs. Das spreche da-
für, dass das Vitamin ein antio-
xidatives und tumorhemmen-
des Potenzial habe, erklärt auch
die Deutsche Krebsgesellschaft.
Vitamin K2 scheint zudem ei-
ner Insulinresistenz und damit
dem Entstehen von Diabetes
vorzubeugen.
Doch Biesalski warnt vor
dem Rückschluss, durch die
Einnahme entsprechender
Nahrungsergänzungsmittel lie-
ßen sich Krankheiten verhin-
dern. „Das wurde in den meis-
ten Studien gar nicht unter-
sucht.“ Man habe lediglich un-
termauert, dass ein Speiseplan
mit viel Vitamin K2 einen ge-
wissen präventiven Effekt hat:
„Und das ist nicht wirklich re-
volutionär, das kennen wir auch

E


in Knochenbooster
und Gefäßreiniger“,
„Mit Vitamin K2 wer-
den Ihre Arterien wie-
der sauber!“, „Der neue Super-
star gegen Gefäßverkalkung,
Osteoporose und Krebs“. Die
Anbieter von Vitamin-K2-Pro-
dukten übertrumpfen sich der-
zeit in ihren Hymnen für einen
Stoff, der vor zehn Jahren noch
weithin unbekannt war. Das Vi-
tamin soll demnach ein wahres
Wundermittel sein und vor
Knochenschwund, Demenz,
Herzinfarkten, Diabetes und
Krebs schützen.

VON JÖRG ZITTLAU

Unter den Herstellern finden
sich mittlerweile renommierte
Firmen wie Doppelherz, Hevert
und Stada, die ihre Produkte in
immer mehr Apotheken und
großen Drogeriemärkten ver-
kaufen. Das Vitamin wird dabei
oft nicht solo angeboten, son-
dern auch in Kombination mit
Vitamin D. Denn nur im Dop-
pelpack, so heißt es zur Begrün-
dung, könnten beide Vitamine
ihre volle Wirkung entfalten.
Auf den Blogs und Diskussi-
onsforen im Internet – egal ob
zu Diabetes, Infarkten und Os-
teoporose oder auch zu Well-
ness und Sport – finden sich
viele positive Erfahrungsbe-
richte zur Einnahme des Vita-
mins. Wissenschaftliche Belege
für die heilsame Wirkung sind
nicht so leicht zu finden.
K-Vitamine kann der Mensch
nicht selbst herstellen, er muss
sie mit der Nahrung zu sich
nehmen. K2 etwa kommt in
Butter, Eidotter, Leber, man-
chen Käsesorten, rohem Sauer-
kraut oder dem fermentierten
Sojaprodukt Natto. Es spielt,
wie Studien zeigen konnten, ei-
ne Rolle bei der Blutgerinnung,
es ist wichtig für die Funktion
der Niere, für die Knochen und
das Blutplasma. In den vergan-
genen Jahren haben Wissen-

von den meisten anderen Vita-
minen.“
Was den emeritierten Profes-
sor der Universität Hohenheim
stört: „Niemand weiß, wie hoch
eigentlich der Bedarf an Vita-
min K2 ist – und trotzdem kur-
sieren extrem hoch dosierte
Präparate, mit denen wir einen
angeblichen Mangel ausglei-

chen sollen.“ Nicht umsonst
empfiehlt die US-amerikani-
sche Lebensmittelüberwa-
chungs- und Arzneimittelbe-
hörde, dass man fünf bis 600
Mikrogramm Vitamin K2 täg-
lich zu sich nehmen sollte. „Das
ist schon ein sehr weiter Spiel-
raum“, so Biesalski, „und zeugt
eher davon, dass man den indi-
viduellen Tagesbedarf einfach
nicht konkret angeben kann.“
In jedem Falle erscheint es in
Anbracht solcher Unsicherhei-
ten fragwürdig, eine Nahrungs-
ergänzung mit 1000 Mikro-
gramm einzunehmen. Das wür-
de für einen angenommenen
Tagesbedarf von zehn Mikro-
gramm bedeuten, dass man um
das Hundertfache überdosiert.
Wozu eine Überdosierung
von Nahrungsergänzungsmit-
teln führen kann, lässt sich

leicht am Magnesium verdeutli-
chen: Wer davon zu viel isst, be-
kommt Durchfall oder muss
sich erbrechen. Auch für andere
Vitamine wurden negative Ef-
fekte nachgewiesen: So erhö-
hen Betacarotin und Retinol
das Risiko für Herz-Kreislauf-
Erkrankungen, Vitamin E und
Selen erhöhen die Gefahr von

Prostatakrebs. Leistungssport-
lern wird mittlerweile sogar da-
von abgeraten, Nahrungsergän-
zungsmittel einzunehmen – sie
mindern offenbar die Leis-
tungsfähigkeit der Muskeln.
Nahrungsergänzungsmittel
machen natürlich nicht sofort,
und auch nicht jeden Menschen
krank. Aber vieles, etwa die
Langzeitwirkungen, ist noch
unerforscht. Auch beim neuen
Modevitamin K2 gibt es Unsi-
cherheiten. Es gehört wie die
Vitamine A, D und E zu den
fettlöslichen Vitaminen. Eine
Überdosierung dieser Stoffe ist
leichter möglich als bei wasser-
löslichen Vitaminen, die über
den Urin ausgeschieden wer-
den. Allerdings ist Fettlöslich-
keit nicht in jedem Fall mit ei-
nem Risiko verbunden. So wur-
de für Vitamin A und D bereits

ein spezieller Regulationsme-
chanismus entdeckt, der dies
verhindert. „Wir wissen nicht,
inwieweit es ähnliche Regulati-
onsmechanismen auch für Vita-
min K2 gibt – und inwieweit ei-
ne Extrazufuhr von Nahrungs-
ergänzungen unseren Körper
überfordert“, warnt Biesalski.
Ebenfalls ungeklärt ist, wie
sich hohe Dosierungen von Vi-
tamin K2 auf andere Vitamine
niederschlagen. Belegt ist, dass
es Vitamin D beim Knochenauf-
bau unterstützt. Doch zu sei-
nen Beziehungen zu den vielen
anderen Vitaminen weiß man
nur wenig. Was dafür gesichert
ist: Es kann die Wirkung von
Blutgerinnungshemmern wie
Marcumar aushebeln. „Wer sol-
che Medikamente einnimmt,
sollte die Verwendung von Vita-
min-K2-Präparaten unbedingt
mit seinem Arzt absprechen.“
Reicht es also, einfach auf ei-
ne ausgewogene Ernährung zu
achten, in der Vitamin K2 na-
türlich vorkommt? Vermutlich
schon. Vitamin-K2-Mangelzu-
stände kommen in Deutschland
bei gesunden Menschen nicht
vor. Patienten, die an chroni-
schen Magen-Darm-Erkran-
kungen leiden, also etwa an Zö-
liakie, Fettverdauungsstörun-
gen oder Morbus Crohn, sollten
ihren Spiegel beim Arzt prüfen
lassen. Patienten mit einem
chronischen Leberschaden
oder solche, die langfristig Me-
dikamente wie Antibiotika, An-
tiepileptika oder Blutgerin-
nungshemmer wie Aspirin ein-
nehmen, sollten ebenfalls ihre
Werte überwachen lassen.
Vor Demenz, Diabetes oder
Krebs aber gibt es wirkungsvol-
lere Schutzmittel, betont Bie-
salski. „Wer nicht raucht und
sich stattdessen viel bewegt,
wenig Stress hat und auf eine
ausgewogene Ernährung ach-
tet, trägt weitaus mehr zu sei-
ner Gesundheit bei, als wenn er
jeden Tag eine Vitamin-K2-Pille
oder Ähnliches nimmt.“

jeden Tag eine Vitamin-K2-Pille
oder Ähnliches nimmt.“

jeden Tag eine Vitamin-K2-Pille

Riskanter


Hype um das


Vitamin K2


Es soll vor Krebs und Diabetes schützen


und Alzheimer verhindern.


Doch Experten warnen davor, es als


Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen.


Die Unsicherheiten sind hoch


VVVor zwei Jahren brach die Hölle auf Hawaiior zwei Jahren brach die Hölle auf Hawaii
aus. Der Vulkan Kīlauea spukte Asche und La-
va, Straßen und Häuser wurden zerstört. Zwi-
schen 3. Juni und 6. August flossen damals pro
Sekunde 50 bis 100 Kubikmeter Lava ins Meer.
Im Südosten wuchs die Insel um 3,5 Quadrat-
kilometer. Aber nicht nur die Insel veränderte
sich – sondern auch der Ozean: Er färbte sich
grün. Wie Forscher erkannten, hatte die Erup-
tion des Kīlauea eine riesige Algenblüte ausge-
löst. Samuel Wilson und seine Kollegen von
der University of Hawaii berichten im Fach-
journal „Science“, dass während der Eruption
extrem hohe Nitratkonzentrationen im Meer
gemessen wurden. Von der ins Meer fließen-
den Lava konnte das Nitrat nicht stam-
men – es ist im Gestein kaum enthal-
ten. Die Forscher erklären die Al-
genblüte nun mit einem indirek-
ten Effekt. Demnach sank die
Lava vor der steil abfallenden
KKKüste der Insel Hunderte Me-üste der Insel Hunderte Me-
ter in die Tiefe. Dort habe sie
das kalte Wasser erwärmt und
so einen starken Aufstrom von
nitratreichem Tiefenwasser er-
zeugt, das die Planktonblüte an-
kurbelte. ph

Das grüne Wunder


des Vulkanausbruchs
KARIN BJORKMAN , UH; USGS COASTGUARD

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