Die Welt Kompakt - 09.09.2019

(Ben Green) #1

28 SPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,9.SEPTEMBER2019


I


taliener lieben den Caten-
accio. Immer schon. Immer
noch. Und spätestens seit
diesem Sonntag auch in der
Formel 1. Es war die Kunst des
Verteidigens, das strategische
Abwehren der gegnerischen
Angriffe, die Charles Leclerc
zur Freude der Ferrari-Fans
beim Großen Preis von Italien
als Ersten über die Ziellinie fah-
ren ließ: Heimsieg in Monza,
der Monegasse feierte damit
nach seinem Erfolg von Spa sei-
nen zweiten Triumph in Serie.


VON LUTZ WÖCKENER

Fernando Alonso war 2010
der letzte Ferrari-Pilot, der den
roten Renner auf dem Hochge-
schwindigkeitskurs auf Platz
eins steuerte, und die Sehn-
sucht der Ferraristi fuhr auf
den letzten Runden laut ver-
nehmbar mit. Die Fans feuer-
ten ihren neuen Siegfahrer an.
Euphorisch war der Jubel in
Runde 43, als sich Weltmeister
Lewis Hamilton aufgrund
nachlassender Reifenqualität
einen Fahrfehler leistete und
auf Rang drei zurückfiel. Als
dessen Teamkollege Valtteri
Bottas sich dann aufmachte,
als neuer erster Verfolger den
Abstand zu verkürzen, geriet
der Sieg noch zum spannenden
Finish. „Bring ihn zur Strecke“,
funkte die Teamleitung. Doch
wie schon in Spa rettete Lec-
lerc den Vorsprung gerade
noch ins Ziel: 0,8 Sekunden
blieben übrig. „Jedes Mal,
wenn ich nah genug dran war,
kam ich einfach nicht vorbei.
Er war sehr stark, sehr schwie-
rig zu überholen“, wunderte
sich Bottas.
Leclerc ist der Mann der
Stunde. Und was für die Ge-
samtwertung bei nun 102 Punk-
ten Rückstand auf Hamilton,
immerhin noch 39 auf Bottas
und drei Zählern auf Red-Bull-
Pilot Max Verstappen zu spät
kommt, bedeutet bei noch sie-
ben ausstehenden Rennen die


Wachablösung im internen Du-
ell. Der 21-Jährige hatte Sebasti-
an Vettel zuvor siebenmal in
Folge im Qualifying geschlagen
und ist dank seiner zwei Siege
in Serie nun auch qua Fahrer-
ranking die neue Nummer eins
bei Ferrari.
Vettel kam auf einem enttäu-
schenden 13. Platz ins Ziel. Der
Heppenheimer, der jahrelang
am Traum vom Heimsieg ge-
scheitert und von Position vier

ins Rennen gegangen war, lan-
dete nach einem Dreher im
Kiesbett. Ein Malheur, das ihm
bereits im Vorjahr unterlaufen
war und sämtliche Aussichten
auf einen guten Platz nahm.
Umso unverständlicher seine
Reaktion, das Auto ungeachtet
des Verkehrs gefährlich wieder
auf die Strecke zu lenken. „Er
kam zurück auf die Runde wie
ein Idiot“, schimpfte Lance
Stroll, der durch Vettels Manö-

ver seinerseits neben der Stre-
cke landete, anschließend aber
wie der Deutsche rücksichtslos
zurücksteuerte. Gerade in Zei-
ten latenter Sicherheitsdiskus-
sionen zwei nicht nachzuvoll-
ziehende Aktionen. Erst am
Samstag war der Australier
Alex Peroni beim Rennen der
Formel 3 in Monza schwer ver-
unfallt. Eine Woche zuvor war
beim Formel-2-Rennen in Spa
der Franzose Anthoine Hubert

tödlich verunglückt. Folgen
hatte Vettels Manöver glückli-
cherweise nur auf die Rennsi-
tuation. „Man sieht in dem Mo-
ment nicht, wer da kommt. Da
war keine Absicht dahinter“,
sagte er später. Er bekam in
Runde 13 zehn Sekunden Halt
in der Box aufgebrummt, Stroll
wurde immerhin mit einer
Durchfahrtsstrafe sanktioniert.
Der Deutsche erlebte anschlie-
ßend eine Demütigung, als er
sich hinter dem Feld als Letzter
einreihte und damit vom Füh-
rungstrio überrundet worden
war. Ein Rennen im ganz
dicken Ferrari-Sandwich.
Denn vorne verteidigte Lec-
lerc seinen kleinen Vorsprung
auch nach dem ersten Boxen-
stopp. „Es sieht aus, als würde
er Probleme kriegen“, orakelte
Hamilton zwischendurch im
Cockpit. Ein Satz, der Hoff-
nung und Verzweiflung aus-
drückte. Hamilton war zeitwei-
se bis auf vier Zehntel im Wind-
schatten dran, hielt den Druck
auf den Führenden hoch und
ermöglichte somit über viele
Runden ein elektrisierendes
Duell auf Kampflinie. Die Kon-
trahenten kamen sich bedroh-
lich nah. Hamilton musste so-
gar kurzzeitig die Strecke ver-
lassen, um einen Unfall zu ver-
meiden: „Er hat mich runterge-
schmissen“, schimpfte Hamil-
ton, doch die Rennkommissare
beließen es in Runde 24 bei ei-
ner Verwarnung.
Leclerc zeigte die Ellenbo-
gen, wehrte alle Angriffe ab und
war sich am Ende sogar der An-
erkennung des Weltmeisters si-
cher: „Er hat einen super Job
gemacht. Hat viel Druck be-
kommen von Valtteri und mir.
Aber wir sind nicht vorbeige-
kommen“, so Hamilton, der
dennoch etwas Positives aus
Italien mitnahm. „Wir haben
nicht gewonnen. Aber wir sind
weiter weggekommen von Fer-
rari.“ Was weniger an Leclerc
lag als vielmehr an Sebastian
Vettel.

Numero uno: Ferrari-Pilot Charles Leclerc lässt sich für seinen Triumph in Monza feiern

WIRD EUTERS

/JENNIFER LORENZINI

Mehr als nur ein Heimsieg


Ferrari triumphiert in Monza. Charles Leclerc degradiert


Sebastian Vettel bei der Scuderia zur Nummer zwei


E


s ist wie verflixt. „Um
ehrlich zu sein, Serena
war heute einfach nicht
anwesend“, sagte Tennis-Köni-
gin Williams nach dem verlore-
nen Finale der US Open über
sich selbst. „Ich muss einen
Weg finden, dass sie in Grand-
Slam-Endspielen wieder zum
Vorschein kommt.“
Bereits seit ihrem Triumph
bei den Australian Open 2017
jagt Williams nun den Rekord
der Australierin Margaret
Court, den sie mit ihrem 24.
Grand-Slam-Titel einstellen
würde. Im Finale der US Open
hatte sie erneut die Chance, un-
terlag aber überraschend der
erst 19 Jahre jungen und frech
aufspielenden Bianca Andrees-
cu 6:3, 7:5. Das lag gewiss auch


an Williams, vor allem aber an
der Stärke der Kanadierin, die
ihren Premierentitel auf der
großen Bühne kaum fassen
konnte. „Ich habe immer da-
nach gestrebt, so zu sein wie
sie“, sagte Andreescu, blickte zu
der 37 Jahre alten Williams und
ergänzte keck: „Wer weiß? Viel-
leicht kann ich sogar etwas bes-
ser werden.“
Die Voraussetzungen jeden-
falls, dass sie es an die Spitze
schaffen kann, scheinen bes-
tens. Als erste Spielerin, die in
diesem Jahrtausend geboren
wurde, feierte Andreescu bei ei-
nem der vier großen Turniere
den Titel. Auch Williams war
beeindruckt, wie sich die 19-Jäh-
rige in ihrem ersten wichtigen
Finale präsentierte. „Ich

wünschte, ich hätte besser ge-
spielt. Aber Andreescu war ein-
fach unglaublich und hat sich
den Titel verdient. Es werden
noch viele weitere Titel folgen“,
prophezeite die Amerikanerin.
Für sie selbst wäre der Sieg ein
kleines Märchen gewesen: 20
Jahre nach dem ersten Grand-
Slam-Titel wieder in Flushing
Meadows gewinnen und den Re-
kord einstellen. Hinter den Ku-
lissen war bereits alles vorberei-
tet für die große Party.
Doch Andreescu war zu stark,
zu selbstbewusst auf dem Platz.
Sie ließ sich selbst von den
23.771 Zuschauern im voll be-
setzten Arthur Ashe Stadium
nicht einschüchtern, die ein-
deutig auf der Seite von Wil-
liams waren und ihre Landsfrau

zum Titel treiben wollten. Da-
bei erzählte die Kanadierin nach
dem Spiel, wie extrem nervös
sie gewesen sei: „Im Finale, ge-
gen Serena. Ich habe einfach
den ganzen Tag über versucht,
so viel es geht zu atmen und das
auch während des Matches zu
tun.“ Seit klein auf habe sie sich
in Gedanken immer wieder aus-
gemalt, wie es wäre, in einem
Grand-Slam-Finale gegen Wil-
liams zu spielen und zu gewin-
nen. „Das es jetzt wahr gewor-
den ist, ist verrückt.“
Mit ihrem Sieg ist sie die ers-
te Kanadierin überhaupt, die ein
Grand-Slam-Turnier gewinnt.
Für die Weltrangliste bedeutet
das: Andreescu rückt ab heute
in die Top Ten. Glückwünsche
aus der Heimat folgten prompt

und von oberster Stelle. „Glück-
wunsch! Du hast Geschichte ge-
schrieben und ein ganzes Land
sehr stolz gemacht“, schrieb der
kanadische Premierminister
Justin Trudeau bei Twitter.
Für Williams geht die Jagd
nach ihrem 24. Titel damit wei-
ter. Seit sie 2018 nach der Ge-
burt ihrer Tochter Olympia auf
die Tennisbühne zurückgekehrt
ist, hat sie alle vier Grand-Slam-
Endspiele verloren, die sie er-
reicht hatte: 2018 in Wimbledon
gegen Angelique Kerber, 2018 in
New York gegen Naomi Osaka,
in diesem Jahr in Wimbledon
gegen Simona Halep und nun
gegen Andreescu in New York.
„Ich bin so nah, so nah, so nah
dran“, sagte Williams, „und
doch so weit entfernt.“ MEL

1 9-Jährige verdirbt Williams die Party


Die Kanadierin Bianca Andreescu gewinnt die US Open. „Es werden viele weitere Titel folgen“, prophezeit die Unterlegene

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