Die Welt Kompakt - 09.09.2019

(Ben Green) #1
tiger und engagierter Abgeord-
neter beraubt“. Sie könne nicht
tatenlos zuschauen, „während
gute und loyale moderate Kon-
servative ausgeschlossen wer-
den“, schrieb Rudd in ihrer am
Samstagabend veröffentlichten
Erklärung.
RRRudd galt einst als aussichts-udd galt einst als aussichts-
reiche Kandidatin für das Amt
der Regierungschefin. Sie hatte
im Kabinett von Theresa May
bereits den Posten der Arbeits-
ministerin inne. Auch das In-
nenministerium leitete sie zeit-
weise. Die proeuropäische Poli-
tikerin galt zusammen mit ande-
ren lange Zeit als Gegengewicht
zu den Brexit-Hardlinern im Ka-
binett. Doch die meisten ihrer
Mitstreiter waren nach der Wahl
Johnsons zum Premierminister
ausgeschieden. Die 56-Jährige
erwägt nun, als unabhängige
Kandidatin in die allseits erwar-
tete Neuwahl zu gehen.
Rudds offene Konfrontation
mit dem Premier und Parteivor-
sitzenden macht den Aufstand
aus der Mitte der Partei gegen
Johnson perfekt. Seit dem Raus-
wurf ihrer Kollegen war der

Druck auf sie gewachsen, dem
Kabinett den Rücken zu kehren.
Rudd könnten, so wird in Lon-
don spekuliert, weitere Minister
folgen. Etwa die einstigen Bre-
xit-Gegner Nicky Morgan (Kul-
tur) und Matt Hancock (Ge-
sundheit). Rudds Entscheidung
kommt nur zwei Tage nachdem
Johnsons jüngerer Bruder Jo als
Minister und Abgeordneter das
Handtuch geworfen hatte. Wie
Jo Johnson gehört Rudd dem
moderaten, EU-freundlichen
Flügel an, der einen Brexit
trotzdem mittragen wollte.
Premier Johnson verband be-
kanntermaßen ein Vertrauens-
verhältnis mit Rudd, die trotz
aller inhaltlichen Differenzen
und geballter Kritik der Brexit-
Gegner den Schritt in dessen
Kabinett gemacht hatte. Offen-
sichtlich glaubte sie daran, dass
Johnson mit intensiven Ver-
handlungen, gepaart mit seiner
ernst gemeinten „No Deal“-
Drohung, doch noch ein neues
Abkommen mit der EU würde
schließen können. Darin aber
hat sich Rudd, wie sie nun offen
eingesteht, getäuscht.

B


oris Johnson will den
Konflikt mit dem Par-
lament offenbar wei-
ter eskalieren. Der
britische Premierminister wol-
le das am Freitag erlassene Ge-
setz gegen einen ungeregelten
Brexit ignorieren und lege es
darauf an, von Abgeordneten
verklagt zu werden, berichtete
die konservative Zeitung „Sun-
day Times“. Johnson steuere
das Land damit in die
schlimmste Verfassungskrise
seit 1688, als die Grundlagen für
das heutige parlamentarische
System Großbritanniens ge-
schaffen wurden. Das am Frei-
tag verabschiedete Gesetz ge-
gen den ungeregelten EU-Aus-
tritt sieht vor, dass die Regie-
rung eine Verlängerung der
Brexit-Frist beantragen muss,
wenn bis zum 19. Oktober kein
Abkommen ratifiziert ist.

VON STEFANIE BOLZEN
AUS LONDON

Die „Sunday Times“ berich-
tet unter Berufung auf Regie-
rungskreise, Johnsons Team
wolle den EU-Gipfel am 17.Ok-
tober abwarten – wenn es dann
keine Lösung gebe, wolle die
Regierung eine Verlängerung
des Brexit-Termins mit allen
Mitteln sabotieren: Sein Team
sei bereit, „mit der Kettensäge
gegen alles vorzugehen“, was
ihm im Weg sei, verlautet aus
No. 10 Downing Street.
Am Montag will Johnson er-
neut über Neuwahlen zum 15.
Oktober abstimmen lassen. Er
hofft auf eine Mehrheit für sei-
ne Tories, mit der er seine Bre-
xit-Politik doch noch umsetzen
könnte. Allerdings dürfte sein
Plan wieder scheitern: Nach
Angaben der Co-Vorsitzenden
der Grünen, Sian Berry, sind
sich die Oppositionsparteien
„völlig einig“ in ihrem Wider-
stand gegen Neuwahlen – bis
die Gefahr eines harten Brexits
gebannt sei.
Gleichzeitig schwindet der
Rückhalt für Johnsons radika-
len Kurs auch innerhalb der Re-
gierung: Am Samstagabend hat
die britische Arbeitsministerin
Amber Rudd ihren Rücktritt
aus dem Kabinett und aus der
Fraktion der Konservativen
mitgeteilt. Ihre Entscheidung
begründete die einflussreiche
Ministerin durch scharfe Kritik
an ihrer Regierung, die „nur
den ‚No Deal‘ vorbereitet“, aber
kein Interesse zeige an „Arbeit
und Vorbereitung für ein Ab-
kommen“ mit der Europäi-
schen Union. Zu Rudds Nach-
folgerin wurde am Sonntag die
Umweltstaatssekretärin
Thérèse Coffey bestimmt.
Rudd attackierte Premiermi-
nister Boris Johnson direkt,
weil er am Dienstag 21 Tory-
Fraktionsmitglieder geschasst
hatte, nachdem diese den Weg
für eine Blockade des „No Deal“
mit frei gemacht hatten. John-
sons Vorgehen sei ein „Angriff
auf Anstand und Demokratie“.
Sein „kurzsichtiges Abschlach-
ten“ habe die Partei „weitsich-

„Johnsons Regierung fällt
auseinander“, schrieb der Spre-
cher der oppositionellen La-
bour-Partei, Keir Starmer, auf
Twitter. Auch aus den eigenen
Reihen erntete Johnson Kritik.
„Wie viel mehr von der Partei,
die er geerbt hat, wird Johnson
zerstören, bevor er sich besinnt
oder von seinen Kabinettskolle-
gen aufgehalten wird?“, twitter-
te der proeuropäische Tory-Ab-
geordnete Nick Boles.
Die Verschärfung der Brexit-
Debatte innerhalb der politi-
schen Institutionen geht mit ei-
ner Radikalisierung in der Ge-
sellschaft einher. Bei Protesten
für und gegen den EU-Austritt
kam es am Samstag in London
teilweise zu bedrohlichen Sze-
nen. Wie die britische Nach-
richtenagentur PA berichtete,
musste die Polizei die jeweils
mehrere Hundert Menschen
starken Gruppen am Parlia-
ment Square auseinanderhal-
ten. Vereinzelt soll es zu ge-
waltsamen Übergriffen der als
rechtsextremistisch geltenden
Fußballfan-Vereinigung Foot-
ball Lads Alliance (FLA) auf
Brexit-Gegner und Polizeibe-
amte gekommen sein. Die FLA
hatte ihre Anhänger zur Demo
für den Brexit aufgerufen.
Die ehemalige konservative
Parlamentsabgeordnete und
Brexit-Gegnerin Anna Soubry
sagte aus Angst vor Attacken
der Fußballfans ihre geplante
Rede am Parliament Square ab.
„Ich bin eine Parlamentarierin
und ich habe das Recht zu spre-
chen, und ich sollte keine Angst
haben, aber es ist sehr, sehr,
sehr verstörend, und ich habe
eigentlich sehr große Angst“,
sagte Soubry laut PA. Vor dem
Regierungssitz Downing Street
forderten Hunderte Demons-
tranten den Rücktritt von Pre-
mier Johnson.

Johnson


droht mit der


Kettensäge


Der britische Premier will nach


Medienberichten das Parlament


ignorieren und legt es auf eine Klage an.


Arbeitsministerin Rudd tritt aus Protest


gegen den radikalen Brexit-Kurs zurück


In London demonstrierten am Wochenende Brexit-Gegner (Foto) und -Befürwortern London demonstrierten am Wochenende Brexit-Gegner (Foto) und -Befürworter DPA

/ DAVID MIRZOEFF

8 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,9.SEPTEMBER


V


ersammlungsfreiheit,
Meinungsfreiheit, Rede-
freiheit: Auf dem Papier
sind den marokkanischen Bür-
gern eine Reihe von Grund-
rechten garantiert. Die Regie-
rung des nordafrikanischen
Landes nimmt es mit der Ver-
fassung allerdings nicht ganz so
genau. Seit Jahren werden Re-
gierungskritiker und Medien-
schaffende in Marokko einge-
schüchtert, aufgrund ihrer Ar-
beit verfolgt und angeklagt. So
erging es auch dem Journalis-
ten Abdelkabir al-Hor.


Im August 2017 drangen Poli-
zisten in al-Hors Haus in Mar-
rakesch ein, verhafteten ihn
und brachten ihn nach Casa-
blanca. Dort hielten sie den
Journalisten und Gründer der
Nachrichtenseite „Rassd Ma-
roc“ für fünf Tage fest. Am 11.
August folgte eine Anklage we-
gen „Terrorismusverherrli-
chung“ und „Anstiftung zur Re-
bellion“, zwei Tatbestände, de-
ren sich al-Hor dem zuständi-
gen Gericht zufolge in Posts auf
seinem privaten Facebook-Pro-
fil schuldig gemacht hatte. Dort
hatte al-Hor seine Berichter-
stattung über Proteste im Nor-
den Marokkos geteilt.
Am 1. Februar 2018 wurde al-
Hor von einem marokkani-
schen Kriminalgericht zu vier
Jahren Haft verurteilt. Seit
April vergangenen Jahres befin-
det er sich seinem Anwalt zu-
folge in einem Hochsicher-
heitsgefängnis in der Nähe von
Rabat.
Auf der Rangliste der Presse-
freiheit von Reporter ohne
Grenzen liegt Marokko auf
Platz 135 von 180 Ländern.


#Free


them


all


FFFreeree


them all


Abdelkabir al-Hor


In Kooperation mit
„REPORTER OHNE GRENZEN“


Afghanistan steht nach dem
Scheitern eines Friedensab-
kommens zwischen den auf-
ständischen Taliban und den
USA vor einer ungewissen Zu-
kunft. US-Präsident Donald
Trump erklärte am Sonntag per
Twitter, er habe ein geplantes
Geheimtreffen zwischen der
Taliban-Führung, dem afghani-
schen Präsidenten und ihm im
amerikanischen Camp David
abgesagt. Dies sei die Reaktion
auf einen Anschlag in Kabul.


Trump spricht


nicht mit Taliban

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