Süddeutsche Zeitung - 09.09.2019

(C. Jardin) #1

von cerstin gammelin


W


enn Olaf Scholz am Dienstag vor
den Bundestag tritt, wird er das
tun, was er am besten kann: seine
Rolle als Olaf Scholz spielen. Er wird die
Worte solide, klug, mutig und ordentlich
an den richtigen Stellen seiner Rede vor-
kommen lassen; am Schluss wird man al-
les in dem Satz zusammenfassen können:
Ich habe einen klugen und ordentlichen
Haushaltsentwurf für das Jahr 2020 ge-
macht, der uns allen eine gute Zukunft si-
chert. Ja, das mag nach Routine klingen,
aber so viel wie jetzt stand noch nie auf
dem Spiel. Scholz jongliert gerade mit vier
Hüten: als Bundesfinanzminister, Vize-
Kanzler, Bewerber um den SPD-Vorsitz –
und damit Kanzlerkandidat.


Nicht nur für Scholz, auch für die große
Koalition insgesamt beginnt eine Art Show-
down, der sich bis Dezember hinziehen
kann. Der deutsche Bundestag kommt aus
der Sommerpause, das politische Berlin ist
voll arbeitsfähig. Dass es so turbulent wer-
den wird wie im Vereinigten Königreich, ist
schon wegen der Charaktere der Hauptdar-
steller nicht zu erwarten. Aber auch im
deutschen Parlament geht es jetzt um
Grundsatzentscheidungen: zu Haushalt
und Klimaschutz, zur schwarzen Null –
und zur Zukunft der großen Koalition.
Scholz hat viel Arbeit in die Haushalts-
planungen gesteckt. Für das kommende
Jahr hat er fast 360 Milliarden Euro an Ein-
nahmen und Ausgaben vorgesehen, so viel
wie nie zuvor. Er hat alle Vorhaben finan-


ziert, die im Koalitionsvertrag vereinbart
sind und unterm Strich eine schwarze Null
ausgerechnet; er will ohne zusätzliche
Schulden auskommen. Beides ist ihm wich-
tig: Er will verlässlich sein als Bundesfi-
nanzminister. Und er will beweisen, dass
Sozialdemokraten wirtschafts- und finanz-
politisch kompetent sind – anders als die
Bürger laut Umfragen offenbar glauben.
Man kann allerdings, wenn man nicht
Scholz ist, sondern Oppositionspolitiker, ei-
ne andere Geschichte erzählen. Nämlich
die, dass nichts klar ist. Dass erstmals in
der Geschichte der Bundesrepublik ein
Haushaltsentwurf in das Parlament gege-
ben wird, der unvollendet ist. Es fehlt nicht
irgendwas, sondern das Klimagesetz, an
dem inzwischen gleich zwei Mal die Zu-
kunft hängt: Die der schwarzen Null. Und
die der großen Koalition.
Hintergrund ist, dass die Bundesregie-
rung erst am 20. September ein großes Kli-
maschutzgesetz vorlegen will. Scholz hat
die Kosten nicht in seine Haushaltspla-
nung aufnehmen können. Zwar soll das
Geld für den Klimaschutz aus einem Son-
dertopf kommen, dem Energie- und Klima-
fonds EKF (siehe Text rechts). Allerdings
summieren sich die vielen Ideen (die CSU
will energiesparende Haushaltsgeräte för-
dern; die SPD ein 365-Euro-Ticket für Bus
und Bahn einführen, die Union schwere Ge-
ländewagen teurer machen und so weiter)
bereits auf 30 Milliarden Euro – ein Vielfa-
ches des EKF-Volumens.
Weil ja Scholz seine Hüte nicht ewig in
der Luft halten, sondern möglichst bald in-
einander stapeln will, hat er seine Zukunft
als Finanzminister mit dem Klima ver-
knüpft. „Wir brauchen einen großen Wurf
in der Klimapolitik, wenn wir als Regie-
rung weiter eine Berechtigung haben wol-
len, das Land zu führen“, sagt er demSpie-

geleine Woche vor den Haushaltsberatun-
gen. Er sagt nicht, dass ein großer Klima-
wurf die schwarze Null versenken kann.
Das aber treibt die Union um, die sich
die schwarze Null zum Markenzeichen ge-
macht hat. Woran erkennt man CDU und
CSU ohne dieses Asset? „Wir können uns
keine Geschenke für bestimmte Interes-
sengruppen leisten“, warnt Haushaltsex-
perte Eckhardt Rehberg (CDU). „Ich gehe
fest davon aus, dass die Bundesregierung
das Klimapaket ohne Schuldenaufnahme
finanziert und an der schwarzen Null fest-
hält“. Die Bundesregierung müsse zügig
den Wirtschaftsplan für den neuen Ener-
gie- und Klimafonds vorlegen, der Bundes-
tag brauche „ausreichend Zeit für die Bera-
tung der vielen Fördermaßnahmen“.
Die Sorgen der Union um den ausgegli-
chenen Haushalt sind in einer Analyse der

Fraktion zum Scholz’schen Entwurf zusam-
mengefasst. „Auf den ersten Blick gute Zah-
len, aber hohe strukturelle Lücken“, ist da
zu lesen. Man komme ohne neue Schulden
aus, weil bis 2022 noch mehr als 30 Milliar-
den Euro an Rücklagen ausgegeben wer-
den können. Und weil Scholz alle Ministeri-
en verpflichtet hat, zusammen jährlich vier
bis fünf Milliarden Euro einzusparen.
Aus Sicht der Unionsfraktion sind wich-
tige Ausgaben nur aufgeschoben. Beispiel
Nato-Quote: Wenn die Zahlungen bis 2024
auf 1,5 Prozent des Bruttosozialproduktes
steigen sollen, muss der Finanzminister al-
lein bis 2023 rund 23 Milliarden mehr aus-
geben. Kommt die Grundrente ab 2021,
kann das drei bis fünf Milliarden Euro jähr-
lich kosten. Der Kohleausstieg ist nur mit
500 Millionen Euro jährlich eingebucht;
insgesamt sind bis 2038 aber 40 Milliar-

den Euro zugesagt. Schließlich der Digital-
fonds, aus dem auch der Breitbandausbau
und die digitale Ausstattung der Schulen fi-
nanziert werden sollen: neun Milliarden
Euro sind im Topf, siebzehn aber zugesagt.
Was auch noch passieren kann, ist, dass
das Bundesverfassungsgericht die teilwei-
se Abschaffung des Solidaritätszuschlages
kippt. Dann fehlten weitere 10 Milliarden
Euro an Einnahmen, jedes Jahr. Mal ganz
davon abgesehen, dass sich die wirtschaft-
liche Lage deutlich verschlechtert.
Man darf davon ausgehen, dass die Op-
position im Bundestag die Gelegenheit nut-
zen wird, die Regierungsparteien in eine
große Schuldendebatte zu verwickeln.
Die Grünen sind vergangene Woche in
die Offensive gegangen. Co-Parteichef Ro-
bert Habeck fordert, der im Grundgesetz
verankerten Schuldenbremse eine verbind-
liche Investitionsklausel zur Seite zu stel-
len. Die Bundesregierung würde verpflich-
tet werden, jedes Jahr mindestens sub-
stanzerhaltend in Schulen, Kitas, Brücken,
Breitband und Bildung zu investieren. Bis
zu 35 Milliarden Euro könnten über Kredi-
te finanziert werden. Auch die FDP will
mehr investieren. Parteichef Christian
Lindner hat eine Diskussion gefordert, wie
der Staat aktiver werden könne. Fraktions-
vize Michael Theurer will Milliarden in
Technologien wie künstliche Intelligenz
und Wasserstoffantriebe stecken.
Noch allerdings steht die schwarze Null
öffentlich nicht zur Disposition. CDU-
Haushälter Rehberg hat „deutlichen Wider-
stand“ gegen „jede Forderung nach Umge-
hung, Lockerung oder Abschaffung der
Schuldenbremse“ angekündigt. Die Frage
ist, wie viele Mitstreiter er haben wird,
wenn es im Bundestag auf die Entschei-
dung zuläuft zwischen großem Klimawurf


  • und dem Ende der großen Koalition.


Die Bundesregierung hat vor einigen Jah-
reneinen Geldtopf geschaffen, aus dem
kontinuierlich ökologische Programme be-
zahlt werden sollen: den Energie- und Kli-
mafonds EKF. Wer die alte Ölheizung er-
neuern, Wände wärmedämmen oder eine
E-Ladesäule bauen will, kann Zuschüsse
beantragen. Das Erstaunliche aber ist: das
Geld fließt sehr langsam ab. Im EKF wer-
den sich nicht abgerufene Mittel bis Ende
2019 auf 6,7 Milliarden Euro summieren.
Bürger und Kommunen investieren kaum,
sie sparen – auch beim Umweltschutz.

Noch ist nicht abschließend geklärt, ob
die Bürger zwar Umweltschutz einfordern,
aber selbst nicht bereit sind, in umwelt-
freundliche Heizungen, Fahrzeuge oder
Wohnungen zu investieren. Oder ob die
Förderprogramme so konstruiert sind,
dass sie keinen wirklichen Anreiz bieten.
Die Daten jedenfalls zeigen, dass es kaum
Förderprogramme gibt, die gut laufen. Im
Jahr 2018 war der Fonds mit 4,6 Milliarden
Euro gefüllt, abgerufen wurden 2,5 Milliar-
den Euro. Einige Programme des Wirt-
schafts- und des Verkehrsministeriums
könnte man einstellen – kaum einer würde
es bemerken. 35 Millionen Euro hatte Ver-
kehrsminister Andreas Scheuer (CSU) für
die Nachrüstung dreckiger Dieselbusse be-
reitgestellt. Ausgegeben wurde: nichts.
Kaum nachgefragt ist das vom Wirtschafts-
ministerium aufgelegte Geld für moderne
Pumpen oder Heizungen: von 470 Millio-
nen Euro flossen 32 Millionen Euro ab.
Oder der Energieeffizienzfonds: 148 Millio-
nen Euro wurden ausgezahlt, 653 Millio-
nen aber eingeplant. So sieht es fast über-
all aus. Die nationale Klimaschutzinitiati-
ve? Brauchte nur gut die Hälfte der einge-
planten 264 Millionen Euro. Die Förde-
rung der Elektromobilität? Schleppte sich
dahin; von 290 Millionen Euro wurden 187
Millionen abgerufen. Düster sah es auch
bei den E-Ladesäulen aus: ein Siebtel des
Geldes wurde nur abgerufen.
Die Bundesregierung will das Dilemma
lösen, indem sie den EKF „vollständig neu
strukturiert“; Altes soll raus, Neues rein.
Im Bundesfinanzministerium sind in-
zwischen zahlreiche Vorschläge für ökolo-
gische Förderprogramme eingegangen,
die sich auf 30 Milliarden Euro bis 2030
summieren. Selbst wenn die Regierung
nur die Hälfte davon realisieren wollte, wä-
re eines klar: Dafür reicht das im Bundes-
haushalt vorhandene Geld nicht aus; man
bräuchte zusätzlich Kredite. Im Finanzmi-
nisterium überlegt man, dass der Fonds
grüne Anleihen ausgeben könnte. Aber
selbst wenn sich die Bundesregierung da-
für entscheiden würde, stünde sofort die
nächste Hürde im Weg: die im Grundge-
setz verankerte Schuldenbremse. Nach die-
ser Regel dürfte die Regierung 2020 maxi-
mal 4,9 Milliarden Euro Kredite aufneh-
men; danach bis 2023 zwischen acht und
elf Milliarden Euro jährlich.
Womöglich allerdings kann die Bundes-
regierung auf eine unerwartete Geldquelle
zurückgreifen: den Emissionshandel. Weil
der CO 2 -Preis stärker steigt als kalkuliert,
erreichen die Erlöse aus dem Handel mit
Verschmutzungsrechten beständig neue
Rekorde; 2018 hätten sie mit 2,56 Milliar-
den Euro „einen neuen Höchststand“ er-
reicht, schrieb Finanzstaatssekretärin Bet-
tina Hagedorn an den Bundestag; Tendenz
steigend. Das ist – aus Sicht der Umwelt-
schützer und der Politik – durchaus eine
gute Nachricht. cerstin gammelin

2 HF3 (^) THEMA DES TAGES Montag,9. September 2019, Nr. 208 DEFGH
Mit Kniffen zur schwarzen Null im Bund
Angaben in Milliarden Euro
380
375
370
365
360
355
350
345
340
0

2020 2021 2022 2023
SZ-Grafik: Mainka; Quelle: Unionsfraktion im Bundestag
-11,4-11,
-14,
-17,
-4,
geplante Ausgaben des Bundes
(ohne erwartete Einsparungen in
den Bundesministerien)
Einnahmen/Ausgaben nach Finanzplan
Einnahmen des Bundes (ohne die geplanten
Entnahmen aus der Flüchtlingsrücklage,
die rund 35 Milliarden Euro umfasst)


Unvollendet


AmDienstagwird Finanzminister Scholz den Entwurf des Bundeshaushalts für 2020 ins Parlament einbringen. Erstmals in der Geschichte der
Bundesrepublik wird er nicht fertig geplant sein – weil das wichtigste Projekt der Koalition fehlt. Damit ist unklar, ob die schwarze Null bleibt

Millionen liegen bereit für
Diesel-Busse oder E-Ladesäulen

- aber kaum jemand meldet sich


Die schwarze Null ist das Ziel. Ein


großes Klimagesetz auch. Ob das


zusammengeht, ist aber fraglich


Ob in den Taschen die Pläne für den Bundeshaushalt waren? Finanzminister Olaf Scholz und Bundeskanzlerin Angela Merkel, hier bei einem Kabinettstreffen Ende August. FOTO: SEAN GALLUP/GETTY IMAGES


Öko-Fördertöpfe


kaum gefragt


Subventionen in Milliardenhöhe
liegen mangels Interesse brach

BundeshaushaltDerdeutscheFinanzminister Olaf Scholz lässt den Bundestag diese Woche über einen Entwurf diskutieren,


in dem das wichtigste Projekt noch fehlt: das Klimagesetz. Das nämlich soll groß werden und würde damit den geplanten


ausgeglichenen Haushalt torpedieren – selbst wenn Milliarden nicht abgerufener Subventionen zur Verfügung stehen


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