Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

30


nur um die 30 Euro. Eine gute Patrone Jagdmunition kostet
vier bis fünf Euro. Die Trichinenschau, die vorgeschriebene
Untersuchung des Tierkörpers auf bestimmte Erreger durch
den Tierarzt, noch einmal zehn bis 25 Euro. »Wenn ich rein
ökonomisch denken würde, müsste ich jedes Wildschwein,
das ich schieße, ins nächste Gebüsch schmeißen.«
Stattdessen verkaufen Jäger Tiere, die sie geschossen haben,
aber nicht selbst essen, an Händler wie Ingo Spindler. Er ist
der Besitzer von Spindler Wild in Hagenow, einer Klein-
stadt in Mecklenburg-Vorpommern, 30 Kilometer von
Schwerin entfernt. Mit seinem geschwungenen Schnurr-
bart sieht der 57-Jährige ein bisschen aus wie Kaiser Wil-
helm II., nur bedeutend freundlicher, als jener auf Fotos
immer dreinschaute.
Als Wildhändler bespielt Spindler eine Nische. Die große
Masse der Deutschen isst heute überhaupt kein Wild mehr.
Von den ungefähr 60 Kilogramm Fleisch, die jeder jährlich
im Schnitt verspeist, macht es nur einen winzigen Teil aus


  • nach den Zahlen der Nationalen Verzehrstudie von 2010
    ein bis zwei Mahlzeiten im Jahr, deutlich weniger als ein
    Kilo. Eine Wildschweinkeule in den Ofen zu schieben ist
    für die meisten wohl ein zu großes Abenteuer.
    In Spindlers Kühlraum hängen Rehe, Hirsche und Wild-
    schweine an Haken von der Decke. Im Zerlegeraum haben
    Spindlers Mitarbeiter am Morgen mehrere Wildschweine
    zerteilt. Deren Fleisch kaufen Spindlers Kunden neben


Hirsch am liebsten. Das Kilo Wildschwein kostet bei ihm
um die zehn Euro. In Berlin ist es das Doppelte bis Drei-
fache. Im Vergleich zum Schweinekotelett aus der Super-
markttheke ist das viel. Aber mit Wild zu handeln sei müh-
sam, sagt Spindler. Er wisse ja nie, wie viele Wildschweine
ihn da draußen erwarteten, wenn er nach einer Treibjagd in
seinen Kühllaster steige. »Ich fahre auch wegen einem Tier
los, das macht die Sache teuer.« Vor einigen Jahren begann
er, Teile seines Wilds direkt zu vermarkten.
1999 übernahm Spindler den Betrieb von seinem Vater.
Der hatte ihn 1992 der Treuhand abgekauft und das Ge-
schäft fortan so interpretiert, wie die meisten mittelgroßen
Wildhändler es noch immer tun: als Zwischenstation für
all die in der Region erlegten Rehe, Hirsche und Wild-
schweine auf ihrem Weg vom Jäger zum Großhändler.
Der kauft das Fleisch mehr oder weniger das ganze Jahr
über. Auch im Sommer, wenn die Deutschen keinen Ap-
petit auf Wild haben. Nur: Der Großhandel zahlt die
niedrigsten Preise überhaupt.
Vor ein paar Jahren stellte Spindler den Betrieb um. Weg
vom Großhandel, hin zum Regionalen. Seitdem beliefert
er Restaurants und versucht auch Privatleute nach Hage-
now zu locken. In einem kleinen Verkaufsraum wartet auf
die Kunden jetzt, im Sommer, vor allem Grillfleisch. Zum
Beispiel »Wildschwein-Medaillons Kräuter-Knoblauch«
und »Hirschfilet Trüffel«. Auch Salami und Leberwurst hat

Küchenvorbild: Franca Sodi, 80, kocht nach Rezepten ihrer Großmutter
Free download pdf