Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

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Ich möchte von einem teuren Gerät erzählen, das wir mit Begeis-
terung getestet haben: einen 3-D-Hand-Scanner namens Shining
3D. Schon der Name des Geräts gefällt mir, aber wichtiger ist,
wozu man es gebraucht: Man kann damit zum Beispiel seine Hand
einscannen oder gleich seinen ganzen Körper. Speist man die Daten
danach in einen 3-D-Drucker, könnte man sich als 30 Zentimeter
hohe Spielfigur ausdrucken. Eigentlich werden solche Scanner in
der Medizin verwendet, vor allem in Krisengebieten, für die Er-
stellung von Prothesen etwa. Das Prinzip kennt man auch von der
Entwicklung von Computerspielen, wenn Fußballern im Studio
Punkte aufgeklebt werden, um sie originalgetreu zu vermessen. Mit
dem Shining-Scanner geht das jetzt sehr einfach, er liegt wie ein
großes Bügeleisen in der Hand. Wir haben hier im Büro so ziem-
lich alles eingescannt. Das Gerät erkennt nicht nur die Formen,
sondern erfasst sogar Muster und Oberflächen.
Als mein Nachbar, ein Industriedesigner, vor ein paar Tagen von
unserem Scanner erfahren hat, bat er darum, ihn sich kurz mal aus-
leihen zu können. Ich sagte ihm, er solle einfach zu uns kommen,
doch er beharrte darauf, ihn zu sich zu nehmen. Na gut, dachte ich.
Mein Mitarbeiter Enno hat ihm den Scanner vorbeigebracht – und
kam stundenlang nicht wieder. Als er irgendwann doch zurück-
kehrte, fragte ich, was sie denn den ganzen Tag getan hätten und
warum mein Nachbar den Scanner mitten an einem Arbeitstag so
dringend gebraucht habe. Es stellte sich heraus, dass es um seinen
kaputten ferngesteuerten Segelflieger ging: Mein Nachbar hat die
Plastikhaube eines intakten Segelfliegers eingescannt, um sie sich
als Ersatzteil für seinen eigenen auszudrucken. Anscheinend war
es dringend, weil er am nächsten Tag zum Segelfliegen wollte.

Mirko Borsche


leistet Nachbarschaftshilfe


Foto

SHINING 3D

Technische Daten
Größe: 248 x 156 x 48 mm;
Scan-Modi: HD-Scan,
Rapid-Scan, Automatischer
Scan, freier Scan;
Lichtquelle: weißes LED-Licht;
Gewicht: 830 g;
Preis: 4895 Euro

Stil Unter Strom

Von Tillmann Prüfer


Foto Peter Langer


Mirko Borsche, Creative Director des ZEITmagazins,
schreibt jede Woche die Kolumne »Unter Strom«

Es gibt Kleidungsstücke, die in Mode kommen, weil sie eigentlich
konstant unmodisch sind. Zum Beispiel der Pullunder. Der ehema-


lige Außenminister Hans-Dietrich Genscher trug ihn sehr gern in
Gelb, das SPD-Urgestein Ludwig Stiegler sehr gern in Rot. Beide


entschieden sich für dieses Kleidungsstück wahrscheinlich nicht,
weil sie dachten, dass es ihnen besonders gut stünde. Sie trugen es


wohl eher, um zu demonstrieren, dass ihnen modischer Firlefanz
egal war. Sie seien, so ihre Botschaft, als Politiker so sehr von ihren


Staats- oder Parteiämtern erfüllt, dass sie die Parteifarben deutlich
sichtbar am Leib trugen.


Natürlich gab es für Genscher und Stiegler auch rein zweckmäßige
Gründe für den Pullunder: Man konnte dazu das obligatorische


Hemd mit Krawatte tragen, ohne gleich im Anzug erscheinen zu
müssen. Einen Pullunder trug man, um sich nie wieder mit Klei-


dung beschäftigen zu müssen – oder zumindest äußerlich glaub-
haft machen zu können, dass man frei von jeder Eitelkeit ist. Dass


das offenbar mit einem ärmellosen Strickteil sehr gut funktioniert,
machen einige Serienhelden vor: In Family Matters etwa trägt der


durchgeknallte Nerd Steve Urkel oft einen Pullunder, ebenso das
Superhirn Rajesh Ramayan Koothrappali aus The Big Bang Theory.


Bei dem Knetfigurenpaar Wallace & Gromit trägt der angepasste
Kleinbürger Wallace natürlich auch Pullunder.


Was aber hat es zu bedeuten, dass Pullunder jetzt auf den Laufstegen
der Frauenschauen zu sehen sind? Gucci hat sie mit Lämmchen-


Motiv in der Kollektion, Dolce & Gabbana mit schwarzen Polka-
dots, bei Loewe findet man sie in schlichtem Nachtblau und bei


Dior in Schwarz. Der Pullunder macht jeden Look auf eine verstö-
rende Weise trendfremd, er wirkt heute auf rebellische Weise brav.


Mit so einem Kleidungsstück signalisiert man auf den ersten Blick,
dass einen die modischen Maßstäbe oder Schönheitsideale anderer


nicht interessieren, man wirkt frei und unangepasst. Der einst ange-
passte Pullunder ist heute eine Provokation. Das hat schon einmal


gut funktioniert: In den Achtzigerjahren waren an den Hamburger
Gymnasien die Popper berüchtigt, also Jugendliche, die zum Är-


ger ihrer linksprogressiven 68er-Eltern einen betont konservativen,
elite bewussten Kleidungsstil zelebrierten. Mit Marken wie Burberry


oder Burlington – und eben Pullunder.
Die Politik hat sich derweil kollektiv vom Pullunder abgewandt. Ihre


Protagonisten wollen heute Lederjacke (Maas) oder Slim-Anzug tra-
gen (Lindner). Bloß nichts, was signalisiert, dass Kleidung sie nicht


kümmert, weil sie die Politik so sehr lieben. Eigentlich schade.


Politische Verstrickung

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