Als ich vor ein paar Wochen endlich mal wieder mit meinen Söhnen im Urlaub war, in Australien, ist mir ein lang verges-sener Traum wieder eingefallen. Es war Nacht, im National-park Uluru, und wir haben uns ein Kunstwerk angesehen: Field of Lights,
eine Installation, bei der 50.000 Solarlampen
nebeneinander in der Dunkelheit aufleuchten. Die Lichter sind mit Kabeln verbunden, die aussehen wie Adern. Oder wie ein Spinnennetz. Das Feld leuchtet, wie Tulpen aus Licht.In dem Traum, der da zu mir zurückkam, stehe ich auf einer Anhöhe und blicke in ein Tal. In dem Tal liegt ein riesiger Fächer – ich kann die einzelnen, dreieckigen Abteilungen des Fächers erkennen und die Stege dazwischen, die Abgren-zungen. In den einzelnen Abteilungen bewegen sich kleine Punkte umeinander, hin und her, so viel kann ich schon von Weitem sehen. Und die Stege des Fächers, die Abgrenzungen, die zwischen den Abteilungen verlaufen, sind Bäume. Reihen von Bäumen, durch die ich nur ein wenig hindurchsehen kann. In den Abteilungen auf der rechten Seite bewegen sich nur graue Punkte – ich interessiere mich mehr für einen Teil weiter links. Dort bewegt sich etwas Buntes. Ich gehe näher hin und sehe, dass diese bunten Punkte Menschlein sind. Sie sind aktiv, sie bestellen Felder, bauen Mauern. Diese bunten Menschlein, denke ich, sind die Gegenwart. Zwischen den bunten wuseln kleine graue Menschlein um
her. Ich beobachte, wie sie immer mehr Farbe annehmen,
sie wachsen, das Grau verschwindet. Dann erscheinen bunte Fäden – sie ziehen die Menschlein durch die Bäume hin-durch, eine Fächerreihe weiter. In die Zukunft, denke ich. Alle Menschlein sind miteinander durch Wurzeln verbun-den. Die großen, bunten Erwachsenen können die kleinen grauen für eine gewisse Zeit beeinflussen, ihnen Farben ge-ben. Aber sobald die Kleinen durch die Bäume verschwin-den, ins nächste Abteil, in die Zukunft, verlieren die Älteren ihren Einfluss. Diesen Traum muss ich wegen meines Vaters geträumt ha-ben. Wegen einer Geschichte, die er mir erzählt hat, als ich ein Kind war. Mein Vater kam aus einfachen Verhältnissen. Meine Großmutter sagte ihm also, er solle Korbmacher wer-den, denn damals bestanden Kinderwagen aus Korb, »und Kinderwägen werden die Leute immer brauchen«. Er be-gann die Lehre und brach sie wieder ab – weil er nicht daran glaubte, dass Kinderwägen für immer aus Korb sein würden. Er fand stattdessen eine andere Sache, die es immer geben würde: Volksfeste. Dort verkaufte er aus einem Bauchladen Radi und Fischsemmeln, arbeitete als Erschrecker in einer Geisterbahn, hatte seinen eigenen Stand mit Lebkuchen-herzerln, und so ging es weiter bis zum Wiesnzelt. Unsere Kinder lernen von uns, aber sie haben ein besseres Gefühl für die Zukunft als wir. Deshalb sollten wir sie selbst entscheiden lassen. Das ist die Lehre, die ich aus der Ge-
schichte meines Vaters ziehe und die auch in diesem Traum mit dem Fächer liegt, in dem die kleinen Menschlein durch die Bäume weiterreisen, die älteren jedoch da bleiben. Mein Vater hat den Betrieb nie auf meine Schultern gelegt. Ich musste nicht in seine Fußstapfen treten. So will ich es auch für meine Kinder: Ich unterstütze sie, wo es geht, aber ich lasse sie machen, was sie möchten.Einen Korb meines Vaters haben wir übrigens noch, er wird als Wäschekorb verwendet und ist geformt wie eine Vase, weiß lackiert. Eigentlich ist er sehr hübsch.
»Unsere Kinder haben ein besseres Gefühl für die Zukunft als wir«
Antje Schneider, 51, leitet seit dem Tod ihres Vaters Hermann Haberl im Jahr 2 011 die Ochsenbraterei Aufgezeichnet von Anna MayrZu hören unter http://www.zeit.de/audio
auf dem Oktoberfest. Außerdem gehören zur
Haberl Gastronomie die Biergärten am Chinaturm und am Flaucher. Sie ist Mutter von vier KindernFoto Florian Generotzky