Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

Beeck: Ich bin nicht geflohen, ich wäre sowieso
nicht rausgekommen mit einer hochschwangeren
Frau. Wir wollten nicht eingesperrt werden und
waren deshalb einfach starrköpfig im positiven
Sinne. 14 Ausreiseanträge habe ich gestellt, mit der
Bitte, meinen Wohnsitz von Ost nach West verla­
gern zu dürfen. Natürlich war ich nicht so dumm
und habe geschrieben: »Freiheit über alles, ich will
hier raus!« Die Mitarbeiter der Behörden dachten,
ich sei jung und verrückt, boten meiner Frau und
mir eine Wohnung an, eine Trümmerbude in
Magdeburg, da habe ich geantwortet: Vielen
Dank, ich werde sie auf meine Kosten renovieren
und einer Familie geben, die dauerhaft dort leben
möchte. Irgendwann erhielt ich die Nachricht, in­
nerhalb von 24 Stunden ausreisen zu dürfen.
ZEIT: Warum durften Sie das? Gab es Repressalien?
Beeck: Auf subtile Art, ja. Man hat versucht, meine
Frau und mich gegeneinander auszuspielen. Glück­
licherweise hatten wir das schnell durchschaut.
ZEIT: Haben Sie sich im Westen freier gefühlt?
Beeck: Ich kam damals am Hauptbahnhof in Köln
an und war so was von überwältigt vom Schatten,
den der Kölner Dom auf den Bahnhof warf. Aber
die Freiheit im Westen war ohne Geld auch blöd.
Ich kann nachvollziehen, dass jemand, der in West­
deutschland wohnt und Hartz IV empfängt, nicht
unbedingt frei ist. Wir waren für einige Stunden in
Gießen im Flüchtlingslager, dort habe ich die Frei­
heit gespürt zu sagen: Hier bleibe ich nicht.
ZEIT: Welchen Beruf haben Sie im Osten gelernt?
Beeck: Binnenschiffer, ich wollte zur Handels­
marine, durfte aber nicht. Ende April 1984 kamen
wir dann in Cochem an der Mosel an, wohnten in
einem Zimmer, das uns von der evangelischen Kir­
che gestellt wurde. Ich wusste schnell nichts mehr
mit meiner Zeit anzufangen und bin nach Baden­
Württemberg gefahren, es hieß, da gibt es Arbeit.
Ich ging in eine Telefonzelle, habe das Telefonbuch
aufgeschlagen und bei einer Gebäudereinigung
angerufen und gesagt, ich suche Arbeit.
ZEIT: Einfach bei irgendeiner Reinigung?
Beeck: Ja, der erstbesten, die ich fand. Mein Dia­
lekt war bestimmt furchtbar befremdlich. Aber der
Mann am anderen Ende erwiderte: »Wenn Sie
schaffe wolle, kommen Sie vorbei.« Das habe ich
gemacht, aber dieses M, das ich nach meiner An­
kunft nachts in Gießen in der Innenstadt gesehen
hatte, wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Ich


bewarb mich deshalb auf eine Traineestelle bei
McDonald’s. Ich wusste nicht, was das ist, irgend­
ein Restaurant aus den USA halt. Irgendwie dachte
ich, vielleicht nerven die mich nicht mit dem, was
mir bei allen anderen Einstellungsgesprächen wirk­
lich auf den Senkel ging.
ZEIT: Was denn?
Beeck: Ich wollte nicht mehr jedem meine Herkunft
erklären müssen. Ich fühlte mich
unfrei damit, wieder in ein Korsett
gepresst. Bei deutschen Arbeitge­
bern musst du immer sagen, wo
du herkommst, was du studiert
hast ...
ZEIT: ... beim amerikanischen
Unternehmen McDonald’s nicht?
Beeck: Nein. Es spielte keine Rol­
le, wer ich bin. Es ging darum,
was ich will – und wohin.
ZEIT: Gab es Situationen in den
vergangenen drei Jahrzehnten, in
denen Sie sich benachteiligt ge­
fühlt haben als Ostdeutscher?
Beeck: Ich kann Ihnen sagen,
wann es mir etwas gebracht hat.
Am Anfang, als die Grenzen noch
geschlossen waren, da galt ich als
Exot, war interessant. Die Ameri­
kaner staunten: Wie? Aus der
DDR? Das konnten die gar nicht
glauben. Als die Mauer dann fiel,
war ich wieder interessant, weil
ich mich auskannte. Natürlich
habe ich versucht, das einzubrin­
gen und für mich zum Vorteil zu
nutzen. Es war ein ständiger Ba­
lanceakt.
ZEIT: Arbeiten in der Führung
Ihrer Filialen in Ostdeutschland
ostdeutsche Mitarbeiter?
Beeck: Ja.
ZEIT: Holen Sie auch Ostdeutsche in verantwort­
liche Positionen in den Hauptsitz nach München?
Beeck: Ja, aber nicht aufgrund ihrer Herkunft. Es
geht mir um Leistung. Ich habe mehrere Abtei­
lungsleiter aus Ostdeutschland. Die sind so jung,
die wissen gar nicht mehr, wie das Leben in der
DDR war. Ich habe auch einen Regionalmanager
aus Thüringen, er verantwortet die Hälfte unserer

deutschen Filialen. Aber es gibt auch jemanden aus
Polen in einer leitenden Position.
ZEIT: Laut einer Umfrage des Deutschen Zen­
trums für Integrations­ und Migrationsforschung
begeistern sich fast die Hälfte der Ostdeutschen für
eine Quote für Ostdeutsche in Spitzenpositionen.
Unterstützen Sie diesen Vorschlag?
Beeck: Bitte nicht. Ich würde wahnsinnig mit einer
solchen Quote in meinem Unter­
nehmen.
ZEIT: Die Frauenquote in den
Parteien hat sich als wirksames
Mittel herausgestellt, um ihren
Gerechtigkeitsansprüchen Geltung
zu verschaffen.
Beeck: Ich bezweifle, dass eine
Gesellschaft, die für jede benach­
teiligte Gruppe eigene Rechte ein­
führt, zwangsläufig gerechter wird.
Im Gegenteil: Das unterdrückt
natürliche Auseinandersetzungen,
die bei mir hier im Haus täglich
stattfinden. Wenn ich hier Ge­
spräche zur Beförderung führe,
dann sagt die Frau zu mir: Ich bin
aber nicht Ihre Quotenfrau! Das
habe ich mehr als einmal gehört.
Unsere Frauen sind selbstbewusst,
die haben das gar nicht nötig.
ZEIT: Das würde bedeuten, es
mangelt den Arbeitnehmern in
Ostdeutschland an Selbstbewusst­
sein?
Beeck: Vielleicht ist das so. Mir
kann doch keiner erzählen, dass
es im ganzen Osten niemanden
gibt, der eine deutsche Universität
führen kann.
ZEIT: Tatsächlich wird keine deut­
sche Universität von einem oder einer Ostdeut­
schen geleitet ...
Beeck: Im Norden von Thüringen gibt es den Kyff­
häuserkreis. Da war ich vor einigen Wochen, habe
meinen Bruder besucht. Wenn ich dort leben müss­
te, würde ich auch komische Gefühle kriegen. Der
Handyempfang ist mau, Sie müssen dafür auf einen
Berg laufen. Alkohol können Sie auch nicht auf
einer Feier trinken, weil Sie ja noch nach Hause
fahren müssen, kein Bus weit und breit. Brauchen

Sie einen Arzt, befindet sich der nächste in Erfurt.
Diese strukturellen Dinge muss die Politik angehen,
die Menschen dürfen sich nicht ausgeschlossen und
allein fühlen. Wie soll man denn da Selbstbewusst­
sein entwickeln?
ZEIT: Ihre Beschreibungen treffen aber auch auf
Gemeinden im Westen Deutschlands zu.
Beeck: Stimmt! Strukturelle Defizite sind ja auch
nicht der alleinige Grund.
ZEIT: Wird es besser, wenn die Wirtschaft die Ver­
antwortung der Politik zuschiebt – und die wieder
zurück?
Beeck: Die Wiedervereinigung war das größte
Wirtschaftsförderungsprogramm, das ein Land er­
leben kann. Das, was Deutschland geleistet hat, ist
phänomenal. Und zwar von beiden Seiten. Die
Menschen, die ich im Osten kenne, haben mehr
Geld als je zuvor. Sie fahren in den Urlaub, kaufen
sich ordentliche Autos. Der Mangel an Geld scheint
nicht das Problem zu sein. Es ist das Gefühl, nicht
ernst genommen zu werden. Ich selbst habe manch­
mal das Gefühl, Ossi zu sein ist immer noch ein
Makel. Das muss aufhören. Als Ostdeutscher konn­
test du in den vergangenen 30 Jahren das Gefühl
gewinnen, diskriminiert zu werden. Kommt dann
auch noch der Eindruck dazu, nicht ernst genom­
men zu werden, weil ich Uni­Professor oder Gene­
ral werden will, sich mir aber keine Möglichkeit
dazu bietet, dann ist das brutal.
ZEIT: Noch mal: Wie löst man das Problem der
ungerechten Verteilung von Machtpositionen?
Beeck: Warum bin ich denn, wo ich bin? Weil ich
hier mitten im Wespenschwarm war und mich
ausbreiten konnte. Die Entscheider müssen uns
Ossis auf dem Radar haben.
ZEIT: Die Ostdeutschen müssen Netzwerke span­
nen und die der Westdeutschen durchbrechen, aber
die Entscheider im Westen tragen auch die Verant­
wortung, sie in ihre Netzwerke aufzunehmen?
Beeck: Natürlich. Die Führungsgremien müssen
sich durchmischen. Als Siemens einen Betrieb
schließen wollte, haben sie Görlitz ausgesucht. Hät­
te ein Ostdeutscher bei der Entscheidungsfindung
am Tisch gesessen, hätte der vielleicht gesagt: Wa­
rum dieses Werk? Das ist doch modern, mit gut
ausgebildeten Arbeitskräften. Es ist noch offen.
Aber ein solches Gedankenspiel entsteht ja nur, weil
kein Ostdeutscher am Tisch sitzt und den Mund
aufmacht für seine Seite.

ZEIT: Sehen Sie sich als Vorbild?
Beeck: Wenn das jemanden weiterbringt, gerne.
ZEIT: Das klingt nicht wirklich begeistert.
Beeck: Es muss doch irgendwann auch mal genug
damit sein, den Unterschied zwischen Ost und
West auszudiskutieren. Es sind 30 Jahre vergangen.
Wenn ich provokante Überschriften lese wie: »So
isser, der Ossi!«, dann könnte ich mich schütteln
und schreien: Ich­bin­nicht­so!
ZEIT: Sie meinen, durch solche Zuschreibungen
entstehen Mauern?
Beeck: Ich will nicht mehr über meine Herkunft
definiert werden. Und meine Kinder erst recht
nicht. Es gibt eine Fernsehsendung, einen Langzeit­
report auf RTL über eine Familie aus Köthen. Ich
glaube, 25 Jahre wurden die begleitet. Das sind
Menschen von ganz unten. Dagegen ist nichts ein­
zuwenden. Aber für Zuschauer aus dem Westen
entsteht vielleicht der Eindruck, so sei der durch­
schnittliche Ostdeutsche. Das muss aufhören.
ZEIT: Was ist denn die Alternative? Weggucken?
Beeck: Nein, aber man könnte auch Aufsteiger­
geschichten erzählen. Oder Beobachtungen ins Ver­
hältnis setzen. Von rund 34.000 AfD­Mitgliedern
kommen 27.000 aus dem Westen. Die Führungs­
riege auch. Das sollte man immer wieder dazuschrei­
ben, wenn man über die AfD berichtet. Es gibt viele
intelligente Menschen im Osten. Natürlich gibt es
auch Bekloppte. Aber, ganz ehrlich: Hier im Westen
sind mir auch schon ein paar begegnet.
ZEIT: Sie sind im Sozialismus aufgewachsen und
führen nun das vielleicht westlichste aller west­
lichen Unternehmen. Hatten Sie manchmal auch
Zweifel an der Arbeit im Herz des Kapitalismus?
Beeck: Nein, das hatte ich nicht. Ich wollte nie
derjenige sein, der folgt. Ich wollte freier sein, selbst
bestimmen, wann ich da bin und wann nicht. Leis­
tung kannst du bei McDonald’s immer messen.
ZEIT: Klingt nach einer leistungsorientierten Form
von Freiheit.
Beeck: Ich bin nicht hierhergekommen, um den
ganzen Tag in der Sonne zu liegen, und auch
nicht, um im Verborgenen zu arbeiten. Ich wollte
in einem festen Rahmen aktiv gestalten. Noch
heute bin ich frei, zu entscheiden, was uns auf
dem deutschen Markt voranbringt. Okay, ich
sollte keine Wiener Schnitzel einführen – aber
damit kann ich leben. Immerhin haben wir schon
Currywurst angeboten.

Holger Beeck ist als Deutschlandchef von McDonald’s einer der wenigen Ostdeutschen, die im Westen Karriere machten.


Im Interview mit CATHRIN GILBERT spricht er über die Fehler der ehemaligen DDR­Bürger und über Netzwerke im Westen, die ihnen das Leben schwer machen


Serie: Erklär


mir den


Osten (4/12)


Eigentlich ist das Jahr
2019 eines der Freude:
Deutschland feiert
30 Jahre Mauerfall.
Aber das Land ist auch
gespalten wie nie, mit­
unter haben Ost­ und
Westdeutsche das Ge­
fühl, sie verstünden ei­
nander nicht mehr.
Woher kommt die
Unzufriedenheit?
Dies ergründen wir in
zwölf Serienteilen.

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  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 38 WIRTSCHAFT 27


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