GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1
sollen Verkehrsströme und Luftquali­
tät analysieren, selbstfahrenden Autos
auf die Spur helfen -können aber auch
suspekte Zusammenrottungen aufde­
cken, Verdächtige per Gesichtserken­
nung identifizieren, deren Position orten
und deren Bewegungsprofil erstellen.
Kurz: Sie sollen die "Nerven" der Stadt
werden, wie Quek Yang Boon es nennt,
einst Ingenieur bei Apple, jetzt Abtei­
lungsdirektor in Singapurs Technolo­
giebehörde GovTech.
In Yuhua hat man klein angefangen.
Das smarte Paket enthielt Systeme zur
Kontrolle des Wasser-und Energiever­
brauchs sowie ein Netz aus Sensoren,
das zum Beispiel die Bewegungen Älte­
rer in der Wohnung überwachen und
bei Bedarf, etwa nach einem Sturz, die
Angehörigen im Büro alarmieren kann.
Zwar sollen bisher erst rund 50 Haus­
halte in Yuhua das Smarthorne-Paket
installiert haben. Bisweilen sabotierten
die Senioren auch ihre Überwachung,
indem sie die Sensoren mit
Tüchern abdeckten. Doch
der Test in Yuhua ist ohne­
hin nur ein Mosaikstein für
die smart nation -wenn
auch "ein Meilenstein", wie,
Cheong Koon He an, Chefin
des HDB, das Projektjüngst
nannte.

CI-I 0 N MESSEN Singapurs
Stadtplaner mit Sensoren
Windströme, Sonnenstrah­
lungsstärken und Schatten­
verteilung, wandeln sie in Simulations­
modelle um und berechnen mit deren
Hilfe die Ausrichtung der Wohnblocks,
die Verteilung der Grünflächen, den
besten Ort für Spielplätze und Fitness­
ecken -ein kybernetisches Feng-Shui.
Und es geht voran: 2018 bescheinig­
te das McKinsey Global Institute dem
Inselstaat unter 50 Städten, noch vor
New York und Seoul, die Poleposition
in puncto Smartness. Singapurs Vorteil:
Das Land ist so klein und so zentralis­
tisch organisiert, dass auch der tech­
nische Fortschritt hier keine weiten
Wege gehen muss.
Und wo beispielsweise im Silicon
Valley die Zukunft mühsam in Garagen

GEO 09 2019


»Dichte ist


in Singapur
I
e1n

nationales


Projekt«
STEPHEN CAIRNS

Der Neuseeländer
erforscht Stadtdesign:
Wenn die Menschen
eng zusammenrücken,
verkürzen sich ihre
Wege - so schrumpft der
ökologische Fußabdruck

und prekären Start-ups gedieh, liegt sie
hier in der starken Hand eines Staates,
der Geld hat. Er kann es sich auch leis­
ten, in einem Campus for Research Ex­
cellence and Technological Enterprise
(CREATE) mehr als tausend internatio­
nale Wissenschaftler aus über 40 Län­
dern, ausgesandt von Elite-Universitä­
ten wie Berkeley, Cambridge oder dem
Massachusetts Institute ofTechnology,
für sich forschen zu lassen -willens,
jeden Impuls umgehend in Politik zu
überführen.
Den Eingang zum sechsten Stock des
"CREATE Tower" ziert ein grauer Tep­
pich, blau-weiß gemustert mit den Kon­
tinenten der Welt: Helle Flecken, etwa

in China und Indien, zeigen die Ballungs­
zentren an. Hier hat sich das "Future Cities
Laboratory" eingerichtet, eine Kollabora­
tion mit der Eidgenössischen Technischen
Hochschule (ETH) Zürich. Und es scheint
nur natürlich, dass dieses Labor in Singa­
pur arbeitet, das sich selbst gerade zur Zu­
kunftsstadt formt.
"Eine Menge Wissen kann von hier ex­
portiert werden", sagt Programmleiter Ste­
phen Cairns, ein kahlköpfiger Neuseeländer,
hinter dessen Pokerface sich ein weltläufi­
ger Humor verbirgt. "Ständig kommen In­
genieure aus Indien und China hierher, um
von unserem Stadtdesign zu lernen", er­
klärt er. Und meint damit: von Singapur.
Tatsächlich beginnt die Welt längst, Sin­
gapur zu kopieren. 2003 kupferte London
das Mautsystem ab, mit dem Singapur schon
seit 1975 Verkehrsstaus bezwingt. Peking
übernahm die Quotenregelung, mit dem es
die Anzahl der privaten Autos deckelt. So­
gar die hohe Bevölkerungsdichte des Lan­
des, weltweit nur von Monaco übertroffen,
kann, so Cairns, der Welt als Vorbild die­
nen: Kurze Wege fördern die ökonomische
Vernetzung und verkleinern den ökologi­
schen Fußabdruck "Und hier", sagt Cairns
und zeigt dabei durch das Fenster auf Sin­
gapurs Hochhaus-Wald, "ist Dichte ein na­
tionales Projekt."
Ein Programm des Labors heißt "Coo­
ling Singapore": Hier studieren rund 40
Ökonomen und Ökologen, Informatiker
und Psychologen, Physiker, Biologen und
Stadtplaner vor Ort den "städtischen Wär­
meinsel-Effekt"-den fatalen Mix aus auf­
geheiztem Beton, Abgasen und Abwärme
aus Hunderttausenden Klimaanlagen, der
Singapur bis zu sieben Grad heißer macht
als das Umland.
Sie wägen Vor-und Nachteile von städ­
tischem Grün ab (spendet Schatten, aber
erhöht auch die Feuchtigkeit und blockiert
den Luftfluss) und von Solartechnik auf
dem Dach (spart Energie, aber heizt auch
das Haus auf und erhöht so den Bedarf für
Klimaanlagen). Sie entwerfen Korridore,
um Meeresbrisen in die Stadt zu leiten und
die Windgeschwindigkeit zu erhöhen.
Und nun haben Wissenschaftler der ETH
zusammen mit Forschern anderer Univer­
sitäten ein System entwickelt, das "Cold
Tube" heißt und in Zukunft sogar Singa­
purs Außenräume temperieren könnte.

105
Free download pdf