GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1
BOTANIK

»Man kann die Erbse trainieren,


fast wie einen Hund«


Mimosen, die sich etwas merken. Chilis, die Nachrichten empfangen.
Blüten, die lauschen: Pflanzen haben mehr drauf, als wir denken,
behauptet die Biologin Monica Gagliano. Was bedeutet das für unseren
Umgang mit ihnen? Ein Gespräch über ihre umstrittenen Thesen

In terview: Jörn Auf dem Kampe, Fo tos: David Maurice Smith

GE o: Sie behaupten, Pflanzen seien lernfähig.
We lche hat besonders viel auf dem Kasten?
MON ICA GAGLIANO: Zum Beispiel die unschein­
bare Erbse. Ein Großteil meiner Forschung dreht
sich um diese Nutzpflanze. Man kann die Erbse
trainieren, fast wie einen Hund.
Und was bringen Sie ihr bei?
Kollegen und ich habenjunge Erbsen bei einem
Experiment immer wieder mit einer blauen Licht­
quelle bestrahlt- blaues Licht ist Energie, und Ener­
gie ist die entscheidende Voraussetzung für die
Fotosynthese, mit deren Hilfe die Erbsenpflanzen
Zucker aufbauen. Ihre Blätter richteten sich in dem
sonst abgedunkelten Raum nach der Quelle aus.
Um möglichst viel Energie
V I TA
aufzunehmen?

lassen. Konditionierung bedeutet: Lebewesen set­
zen zwei völlig unterschiedliche Reize in Bezie­
hung, und sie können diesen Zusammenhang ab­
speichern. Glocke gleich Futter, Ventilator gleich
Energie. Das heißt: Sie lernen. Bei Pflanzen scheint
diese Fähigkeit verbreitet zu sein.
Wie kommen Sie darauf?

MONICA GAGLIANO erforscht in

Je besser die Position des
Blattgrüns, desto höher die
Ausbeute. Erlosch das Blau­
licht, so brachten die Erb­
sen ihre Blätter nach und

Mimosen etwa lernen auch. Jeder kennt ihre
spektakuläre Reaktion: Bei Gefahr rollt sie schnell
ihre Blätter zusammen, das Ergebnis sieht unat­
traktiv aus und schreckt Fressfeinde ab. Ihr Pro­
blem: Der Trick kostet viel Energie, daher muss
sie ihn sparsam anwenden -also nicht bei jedem
Windhauch. Wir wollten wissen, wie junge Mimo­
sen auf einen unbekannten, harmlosen Reiz rea­
gieren. Dafür bauten wir eine Gerätschaft, die ein­
getopfte Mimosen 15 Zentimeter in die Höhe
hievte und dann auf eine weiche Unterlage fallen
ließ, immer wieder. Zu Beginn falteten die Pflan­
zen ihr Blattwerk zusammen, aber irgendwann
ließen es die meisten von ihnen bleiben.

Sydney, Australien. ob Gewächse gewisse
Formen von Intelligenz aufweisen, und
eckt mit ihren Thesen immer wieder an.
Die gebürtige Italienerin arbeitete zuvor
als Meeresbiologin.

nach in eine neutrale Stel- Was Sie vermutlich als Lerneffekt deuten.

GEO 09 2019


lung. Im zweiten Teil des
Versuchs kombinierten wir
den Lichtstrahler mit einem
Ventilator, der die Gewächse aus der gleichen Rich­
tung anblies. Und zwar immer vor der Lichtgabe.
Die Frage war: Was würde passieren, wenn wir die
Erbsen in der dritten Phase nur mit dem Ventila­
tor manipulierten? Hatten sie sich gemerkt, dass
Licht auf den Luftstrom folgte? Richteten sie ihre
Blätter so aus, als erwarteten sie das Licht?
Was taten sie?
Sie brachten ihre Blätter in die ideale Lage,
wenn sie nur den Luftstrom registrierten. Sie hat­
ten etwas gelernt. Wie die Hunde des russischen
Forschers Pawlow, der mit einem Experiment be­
wiesen hatte, dass sich Vierbeiner konditionieren

Ja, als was sonst? Als wir das Experiment nach
ein paar Tagen Pause wiederholten, ließ ein gro­
ßer Teil der Pflanzen die Blätter geöffnet. Sie hat­
ten sich gemerkt: Stürzen bedeutet keine Gefahr.
Zweifeln Sie gar nicht an Ihren Ergebnissen?
Zweifel begleiten meine Arbeit als Wissenschaft­
lerin, es ist gut, sich täglich zu hinterfragen. Aber
die Daten sind reproduzierbar.
Aber es hat ja Gründe, warum viele Forscher
Lernfähigkeit nur Tieren zuschreiben. Zum
Beispiel, weiljene viel komplexeren
Situationen ausgesetzt sind als Pflanzen.
Die Herausforderung, einen Weg oder seinen
Partner zu finden, einen Gegner einzuschätzen oder
bei Gefahr das Weite zu suchen- alldas gehört zum
Alltag vieler Tiere, und da ist Lernen vorteilhaft.

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