GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1

116


In einen Teil der Behälter stellte ich in die Mitte
kleine Boxen mit einem Fenchel. Die Boxen wa­
ren ebenfalls abgeschottet. Es gab keinen Sicht­
kontakt zu den Chilis, Duftmoleküle konnten die
Barriere nicht passieren, und Berührungen mit
dem Fenchel waren ausgeschlossen.
Ein Fenchel in Isolationshaft?
Der Fenchel ist bekannt für seine aggressive
Natur- das Gewächs sondert Stoffe ab, welche die
pflanzliche Konkurrenz in seiner Nachbarschaft
klein halten oder sogar Keimlinge abtöten kann.
Chilis, die neben der Fenchel-Box aufwuchsen,
strebten schneller in die Höhe, gediehen kräftiger
als solche ohne die Gegenwart des Fenchels. Als
wollten sie möglichst rasch an Robustheit gewin­
nen. Womöglich, um sich zu wappnen.
Wenn der Fenchel abgeschirmt war, wie hätten
die Chilipflanzen ihn registrieren sollen?
Durch Geräusche vielleicht. Denn den Aus­
tausch von Tönen unterbanden die Behälternich t.
Und auch nicht den von manchen elektromagne­
tischen Wellen. Für mich öffnete sich mit diesem
Experiment eine Tür: Pflanzen könnten Botschaf­
ten versenden. Auch über Artgrenzen hinweg. Wo­
möglich reichen sie so Informationen weiter, ge­
ben sich zu erkennen, Freund und Feind. In einer
aktuellen Untersuchung haben Botaniker in Ka­
nada belegt, wie Bäume zuerst die Sprösslinge der
eigenen Spezies über das Wurzelwerk mit Nähr­
stoffen versorgen. Waren die eigenen Nachkom­
men verköstigt, bekamen die jungen Bäume an­
derer Arten etwas ab. Möglicherweise ein Hinweis
auf ein soziales Miteinander.
Eine steile These. Einen Beweis dafür hat noch
niemand gefunden.
Natürlich ist das schwer nachzuweisen. Wir ar­
beiten daran. Machen wir uns mit der Tatsache
vertraut, dass wir es mit einer fremdartigen Welt
zu tun haben, die es zu entdecken gilt. Wirwissen
auch nichts über Schmerz bei Pflanzen. Und wir
können derzeit nur vermuten, dass Lärm eine
Wirkung auf Gewächse hat. Wenn wir recht behal­
ten, hätte das enorme Konsequenzen für unsere
Sicht auf das Miteinander von Pflanzen und Men­
schen. Aber immerhin wächst das Bewusstsein für
die Empfindsamkeit der Flora. In der Schweiz
etwa wird sogar darüber diskutiert, die Würde der
Gewächse in die Verfassung aufzunehmen. Schließ­
lich verdanken wir ihnen unser Überleben: Wir
atmen Kohlendioxid aus, Pflanzen nehmen das
Gas auf und fabrizieren daraus Sauerstoff. Wir
sind also mit den Gewächsen in einem Kreislauf
verbunden.
In Ihrem Buch* beschreiben Sie dieses
Miteinander. Aber auch Begegnungen mit

Schamanen, Ihre spirituelle Verbundenheit
mit Bäumen. Das ist für eine Naturwissen­
schaftlerin ungewöhnlich.
Sie wollen andeuten, ich könnte damit meinen
Ruf als Forscherin aufs Spiel setzen?
Sie könnten als Fantastin und Naturschwär­
merin angesehen werden.
Ich habe lange überlegt, wie ich dieses Buch
schreiben soll. Am Ende habe ich mich entschie­
den, es genauso zu verfassen. Viele der darin fest­
gehaltenen Erlebnisse haben in mir die Intuition
befeuert. Und die ist für meine Forschung wichtig.
Ohne sie käme ich nicht auf neue Ideen und ab­
gefahrene Perspektiven. Intuition war auch für
Charles Darwin eine Voraussetzungwissenschaft­
lichen Denkens. Er war überzeugt davon, dass
Pflanzen eine gewisse Form von Intelligenz auf­
weisen, die vor allem in ihren Wurzeln steckt -
Darwin zufolge eine Art Gehirn. Niemand nahm
ihm das übel. Und auch nicht, dass er in Gewächs­
häusern seinen stummen Zuhörern Musik vor­
spielte. (JJ

*,,Tlws spoke the Plant'� Verlag North Atlantic, Berkeley 2018

GEO-Redakteur JÖRN AUF DEM KAMPE (1.)
schaut seit dem Gespräch mit Respekt auf seine
Büro-Kakteen. Der kanadische Fotograf DAV I D
MAURICE SMITH lebt in Sydney. Für seine Arbeit
wurde er mit internationalen Preisen ausgezeichnet.

Fühlen, Licht
wahrnehmen,
Duftstoffe
erfassen: Mithilfe
von rund 30
Sensoren verarbei­
tet eine durch­
schnittliche
Pflanze Infor­
mationen aus
ihrer Umwelt. Und
nutzt sie, um
Entscheidungen
zu treffen, vermu­
tet Gagliane

GEO 09 2019
Free download pdf