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Angeblich ist das Ventil auf Nr. 100
verrostet. Vielleicht, so hofft die For
scherin, entdeckt sie Hinweise auf Kor
rosion und damit aufWasser. "Vergesst
nicht zu trinken", ermahnt uns einer
der Vorarbeiter, als wir hinter Maggie
Lau durch das kaum beleuchtete Tunnel
system stapfen. Zwanzig Minuten dür
fen wir bleiben, die Minenverwaltung
will nicht riskieren, dass einer aus dem
Team wegen Überhitzung umkippt. Die
Stollen werden von der Kühlung der
Mine kaum noch erreicht, die Tempera
tur steigt auf 38 Grad.
Kein Lufthauch ist zu spüren. Um
die Crew herum Stille, zum ersten Mal.
Wir sind die einzigen Besucher. Über
unseren Köpfen die Last von drei Kilo
metern Fels. Staub wirbelt auf, schillert
im Strahl der Grubenlampen wie ein
Mobile aus winzigen Kristallen. Es ist so
trocken, als durchquerten wir das Zen
trum einer Wüste. Das Ventil sieht un
verdächtig aus. Kein Wasser, nirgendwo.
Keine Mikroben. Lau schaut auf ihre
Uhr. Es scheint, als ob Moab Khotsong
die Geheimnisse für sich behält. Er
schöpft und verschwitzt kehren wir zu
rück in die Welt des Lichts.
N
* * *
OCH WOCHENLANG boh
ren sich die Geologen danach
aufEbene 95 ins Gestein. Als
sie den Rand der Bebenzone
erreichen, ist Maggie Lau längst wieder
zu Hause in den USA. TC Onstott hält
sich bereit, jederzeit zum Bergwerk zu
reisen. Aber auf Wasser stößt auch die
Drill-Crew nicht.
Doch kurz vor dem Ende der Bohr
Kampagne ploppt auf Onstotts Monitor
in Princeton ein Bild auf, gesendet von
einem Mitarbeiter der Mine. Es zeigt ein
stark verkrustetes Ventil auf LevellOl.
Kumpel hatten damit am Tag zuvor die
Öffnung einer Probebohrung gesichert.
Mit einem ganzen Arsenal von steri
len Behältern und Kühlboxen fliegt On
statt sofort nach Südafrika. Wenn das
Ventil so schnell ansetzt, dann kann es
nur eines bedeuten - gegen den Ver
schluss drückt sehr salzhaltiges Wasser
voller aggressiver Gase, es tritt aus der
Dichtung aus, schlägt sich auf dem Metall nieder. Sehr salzig
heißt: sehr alt. Ein Glückstreffer.
In Mo ab Khotsong, so erzählt Onstott mir später am Tele
fon, füllt er Flasche um Flasche mit der trüben, bräunlichen
Flüssigkeit, die aus dem geöffneten Ventil entweicht. Der
Forscher trägt dabei Handschuhe. Schleppt schwitzend die
Behälter. Stellt Mutmaßungen über das Alter an. Das Was
ser könnte seit mehr als zwei Milliarden Jahren von der Au
ßenwelt abgeschottet sein-also aus der Zeit des Meteoriten
einschlags stammen. Es wäre somit das älteste Wasser, das
Wissenschaftler je entdeckt haben.
Vielleicht steckt es voller Wesen, die noch nie zuvor je
mand untersucht hat. Vielleicht auch nicht. Womöglich ver
schiebt der Fund die Grenzen des Lebens bis in eine unge
kannte Dimension. TC Onstott und Maggie Lau wissen nur
eines: Sie werden auch bei der nächsten Gelegenheit wieder
zur Hölle fahren. �
Für GEO-Reporter JÖRN AUF DEM KAMPE
und den aus der Nähe von Mailand stammenden Fotografen
MATTIA BALSAMINI warderTripin dieTiefeein
surreales Erlebnis. ln der Hitze und im Kunstlicht der Stollen
verloren sie ihr Gefühl für Zeit und Raum. Und waren
froh, am Ende wieder die frische Luft zu erreichen - gefeiert
mit einer südafrikanischen Grillsession, einem .. Braai".
Zurück im Licht,
Danksagung an
höhere Mächte. ln
südafrikanischen
Minen kommt es
immer wieder zu
schweren Unfällen,
weil etwa Beben
die Stollen erschüt
tern und kollabieren
lassen. Biologen
vermuten: Massen
von Mikroben könnten
die Erdstöße begüns
tigen, weil sie den
Fels destabilisieren
GEO 09 2019