GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1

146


Weltbürgerin
Eine von 7,719 Milliarden

Unseren Fragebogen beantwortet Darun Jansawartd, 33. Die
Thailänderin studierte Fischereitechnologie, engagiert sich
für nachhaltigen Tourismus und arbeitete in Flüchtlingscamps
an der Grenze zu Myanmar.

Wofür sind Sie dankbar?
Für Freundlichkeit. Als ich 16 Jahre
alt war, sind meine Eltern beide gestor­
ben, da war ich auf die Freundlichkeit
von Mitmenschen angewiesen. Und die
meisten, die ich traf, waren gütig.
Was bezeichnen Sie als Heimat?
Ich fühle mich überall zu Hause. Ich
bin mir selbst Heimat.
Was braucht Ihre Nachbarschaft?
Freie Bildung für jedermann. Wenn
du arm bist, kannst du ohne Bildung
nicht aufsteigen. Als Waise habe ich mit
vier Jobs meine Studiengebühren ver­
dient. Das war hart.
Was ist wichtiger fü r Sie, das Urteil
eines Freundes oder dasjenige eines
Feindes?
Keins von beidem. Das berührt mich
nicht. Ich vertraue auf mich selbst und
weiß, was angemessen ist und was nicht.
Was war das größte Glück Ihrer
Kindheit?
Mit meiner Mutter zusammen etwas
zu kochen.
Was haben Sie zuletzt geschenkt
bekommen?
Eine Geburtstagskarte.
Und wenn Sie mir hier und
jetzt etwas schenken wollten:
Was würden Sie geben?
Eine Umarmung.
Was war Ihre größte Enttäuschung?
Dass ich nicht genügend Zeit zusam­
men mit meiner Mutter hatte. Sie war
alleinerziehend und arbeitete sehr viel,
deshalb hat sie mich in ein Internat ge­
schickt. Als ich erfahren habe, dass sie
krank ist, dauerte es nur noch zwei Wo­
chen, dann ist sie gestorben. Ich war so
wütend darüber. Sie war freundlich zu

"Wenn du nicht perfekt
bist, weißt du:
Das kannst du bessercc

Thailand

allen, das hat sie mich gelehrt. Ich hät­
te so gern mehr Zeit mit meiner Mutter
verbracht.
Was war Ihr bisher bestes
Lebensjahr?
Das war das Jahr, in dem ich begann,
im Flüchtlingscamp zu arbeiten. Und
das zweite, als ich mit dem Stipendium
studieren konnte.
Woran erkennt man echte Liebe?
Wenn die Person dich fürchterlich
verletzt und du dennoch weiterleben
kannst mit ihr.

Wie viel Geld möchten Sie besitzen?
Darüber habe ich nie nachgedacht.
Eine Million? Warum nicht!
Was fehlt Ihnen zum Glück?
Vorbehaltlose Liebe. Partnerschaft­
liehe Liebe kann nicht die Liebe von El­
tern zu Kindern ersetzen. Du kannst et­
was noch so Schlimmes anstellen, deine
Eltern halten zu dir. Diesen Trost habe
ich für immer verloren. In einer Bezie­
hung musst du erst etwas geben, um
etwas zu bekommen. Ich glaube nicht,
dass ich je Mutter werde. Weil ich in Sor­
ge wäre, dass meine Kinder dasselbe er­
leben müssten, falls mir etwas passiert.
Denn diese Einsamkeit bleibt für immer.
Wer sagt Ihnen die Wahrheit?
Ich mir. Viele erzählen mir etwas, das
höreich mir an, und dann denke ich dar­
über nach und bilde mir mein Urteil.
Ich halte zum Beispiel nicht viel von
buddhistischen Mönchen. In Thailand
heißt es immer: Man muss ihnen Ehr­
erbietung entgegenbringen. Ich rede
nicht schlecht über sie, aber halte mich
auf Distanz.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Was kommt danach?
Ich habe keine Angst. Im Flüchtlings­
camp habe ich mich als Freiwillige für
Krisengebiete gemeldet, für Syrien, An­
gola. Ich glaube, dass ich das gut könn­
te, weil ich niemanden habe, um den ich
mich sorgen muss. Aber sie haben mich
nicht genommen.
Wann haben Sie das letzte Mal
herzhaft gelacht?
Jeden Tag! Wenn ich was Dummes
gemacht habe, muss ich darüber lachen.
Echt jetzt? Wie oft wirst du den Fehler
noch machen? Da muss ich lachen. Aber
unperfekt zu sein ist ein Geschenk. Da­
durch sind wir alle verschieden. Wenn
du perfekt bist, dann willst du es nur
genauso bewahren. Aber wenn du nicht
perfekt bist, dann weißt du: Das kannst
du besser, du kannst es versuchen. Und
dann wieder darüber lachen.
Protokoll: Barbara Schaefer

GEO 09 2019
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