GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1

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WENN SCHON, DENN SCHON, denke
ich und schiebe an einem sommerli­
chen Spätnachmittag meinen Einkaufs­
wagen durch einen dieser neuen Bio­
supermärkte, die seit einiger Zeit wie
Pilze aus Stadtböden ploppen. Eine Fi­
liale in Berlin-Schöneberg. Draußen
dröhnt der Metropolenverkehr. Drin­
nen habe ich das Gefühl, in einem gut
sortierten Hofladen unterwegs zu sein.
Die Redaktion hat mich auf eine Rei­
se geschickt. Ich soll erkunden, ob das,
was wir essen, einen Einfluss aufunse­
re Natur hat. Auf die Vielfalt der Arten.
Macht euch, habe ich den Kollegen ge­
sagt, auf eine kurze Geschichte gefasst.
Fast jede dritte Deutsche (bei Män­
nern liegt der Wert etwas niedriger),
gab bei einer Umfrage des Bundesland­
wirtschaftsministeriums an, "häufig" bio
zu kaufen. Zu diesen Frauen gehöre ich.
Eier, Milch, zuweilen ein Steak, Salat,
Obst, Gemüse bringe ich gewöhnlich in
Bioqualität heim. Vom Wochenmarkt.
Oder auch-mangels Bioladen in mei­
nem niedersächsischen Heimatnest -
aus dem Discounter. Immer überzeugt,
damit mir, vor allem aber der Umwelt
Gutes zu tun.
Jetzt, zwischen Sirup Hollerblüh und
Salatmischung Struwwelpeter, frage ich
mich zum ersten Mal, ob diese Annah­
me stimmt. Wenn ja, wie genau profi­
tiert die Natur von meinem Konsum­
verhalten? Über welchen Hebel wirken

simple Entscheidungen des Alltags in Nicht in ferner Zukunft. Hier und jetzt.
die komplexe Welt der Arten? Und wie Darin, sage ich mir, steckt auch eine
viele Menschen müssen eine gute Wahl gute Nachricht: Das lokale Problem der
treffen, um deren Vielfalt zu retten? Ausrottung kann vielleicht auch lokal
Alle reden vom KlimawandeL Aber gelöst werden. Aber wie?
die Menschheit hat noch ein anderes Im Biomarkt studiere ich das Sorti­
großes Problem: das Sterben der Arten. ment, zu dem ich selten greife. Dinkel,
Rund eine Million Tiere und Pflanzen, Roggen, Hirse, Weizen, Quinoa, Emmer,
hat der Weltbiodiversitätsrat im Früh- Grünkern, Kamut, Buchweizen, Ama­
jahrverkündet, drohen noch in diesem ranth: Der Hardeare-Bioverbraucher
Jahrhundert von unserem Planeten zu schrotet sein Korn selber und liebt da­
verschwinden. Massensterben und Erd- bei Abwechslung. Mit diesem Klischee
erwärmungsind verwandte Phänome- erkläre ich mir die Auswahl. Ein Fehl­
ne. Beide ereignen sich global, und bei- schluss. Dass nicht die Nachfrage das
de hat maßgeblich unser, der westliche Angebot steuert, ja, dass Sorten- und
Lebensstil verursacht. Die Folgen des Artenvielfalt zusammenhängen, begrei­
Klimawandels sind allerdings, in ihren fe ich, als ich den Blickwinkel ändere.
verheerendsten Ausprägungen, weit weg. Wie wirtschaftet ein Biobauer?
Stürme, Fluten, Dürren, Hitzeperioden
hierzulande lassen sich noch auflauni-
sches Wetter schieben.
An leeren Windschutzscheiben aber
gibt's nichts zu deuteln. Sie machen uns
zu Zeugen des Kollapses der größten
Klasse der Tiere: Insekten. Fehlen sie,
mangelt es Vögeln an Futter. Blüten an
Bestäubern. Nicht in fernen Ländern.

Seit 2006 führt
Ludalt von Maltzan
die Geschäfte im Öko­
dorf Brodowin. Dort
wirtschaftete zu
DDR-Zeiten eine LPG.
Der konsequent
biologische Kreislauf
des Betriebs führt
zu einem bunten
Insektenleben in der
umgebenden Natur

B

RODOWIN LIEGT rund 80
Kilometer nordöstlich von
Berlin, in Brandenburg. Ein
beschauliches Dorf, Ortsteil
der Gemeinde Chorin, gut 400 Einwoh­
ner, Dreiseitenhöfe drängen sich um ei­
nen langgezogenen Anger, über dem
ein Storch in seinem Nest hockt. Eine
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