GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1
Olaf Schnelle
Gärtner und Gemüsebauer

Auf den Feldern der Gärtnerei
»Schnelles Grünzeug« in Mecklen­
burg-Vorpommern dürfen »Unkräu­
ter« wie Ackermelde und Franzo­
senkraut sprießen; Wildkräuter,
etwa Sauerklee oder Wiesenkerbel,
baut Olaf Schnelle an, auch rare
Gemüsesorten. Vor fünf Jahren
gründete der Gartenbauer seinen
Betrieb. Er pflanzt nach Perma­
kultur, imitiert natürliche Kreis­
läufe; sät eng aus, erntet die
Kräuter jung und zart. So bleibt der
Boden fruchtbar und die Arten­
vielfalt erhalten. Das Konzept
geht auf: Zu Schnelles Kunden
gehören Spitzenköche.

GEO 09 2019


»Praktisch alles,
was rund ums Haus
wächst, ist essbar«,
sagt Olaf Schnelle.
Seine alten, heute
gemeinhin unbe­
kannten Gemüse
und die wilden
Kräuter probieren
vor allem junge
Köche aus

ein Grund, weshalb sein Urteil in Fach­
kreisen viel gilt. Mich interessiert sei­
ne Meinung zu der Studie, die mir der
junge Referent geschickt hat.
Sie knüpft an eine alte Debatte an.
Experten führen sie unter dem engli­
schen Begriffspaar land sharing/land
sparing. Dahinter verbirgt sich die Fra­
ge, ob Produktion und Naturschutz sich
Flächen teilen sollten (land sharing).
Oder ob man die Welt nicht besser zwi­
schen ihnen aufspaltet: Hier die inten­
siv betriebene Landwirtschaft, dort die
Naturschutzgebiete (land sparing).
Teja Tscharntke sucht einen Kom­
promiss aus sharing und sparing. Er
begründet das so: "In Norddeutschland
finden Sie andere Arten als in Süd­
deutschland. Diese Unterschiede exis­
tieren aber nicht nur zwischen geogra­
fisch weit entfernten Orten." Sondern

schaften kontinuierlich. Den Zuwachs
an Vielfalt, der sich aus diesen Unter­
schieden von Punkt zu Punkt ergibt,
nennt er Beta-Diversität. Schützte man
die Natur nur in einem Gebiet, gingen
also viele entfernt lebende Arten verlo­
ren. Das spreche für großräumiges Bio­
diversitäts-Management, für das man
nicht nur Schutzgebiete braucht (land
sparing), sondern auch bunte, umwelt­
freundliche Agrarlandschaften (land
sharing), die eine Vernetzung von Le­
bensräumen ermöglichen.

B

IODIVERSITÄT LÄSST SICH
auch mit anderen Formen ne­
ben dem Biolandbau stützen,
hat Tscharntke herausgefun­
den. Eine weitere Möglichkeit wäre:
Bauern wirtschaften auf kleinen Flä­
chen, die durchsetzt sind von Feldge­
hölzen, Feldwegen, Blühsäumen, He­
cken, Tümpeln. "Das bringt der Natur
mindestens genauso viel wie der Ver­
zicht auf Kunstdünger und Pestizide",
sagt Tscharntke. Die Kleinräumigkeit
ginge nicht aufKosten des Ertrags, wohl
aber zu Lasten der Effektivität. "Ein
Landwirt müsste viel mehr Zeit inves­
tieren, um die gleiche Ausbeute zu er­
zielen wie auf großen Schlägen."
Ich erzähle Te ja Tscharntke von Bro­
dowin, wo die Bauern nicht nur Bioland­
bau betreiben, sondern auch Nischen
für die Natur schaffen.
"Prima", sagt der Göttinger Agrar­
ökologe. "Wenn das Teil der Zertifizie­
rung für alle Biobetriebe würde, wäre
das natürlich der Hit!"
Zum Schluss gibt mir Tscharntke
noch einen Gedanken mit auf den Weg.
Als Konsumenten sollten wir uns nicht
allein um die Produktionsbedingungen
hierzulande sorgen. Als Beispiel nennt
er Soja. In Südamerika werden für den
Sojaanbau Regenwälder vernichtet und
die Rechte der indigenen Völker miss­
achtet. Mit der Hälfte dieser eiweißrei­
chen Pflanzen mästen hiesige Bauern
ihr Vieh, um Billigfleisch und -milch zu
produzieren. Hier brauche es EU-Re­
geln für den verantwortlichen Import
von Lebensmitteln.
auch kleinräumjg verändere sich die So stellt sich neben der Frage, was
Zusammensetzungvon Lebensgemein- man kaufen soll, auch diese: Was nicht?

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