42
D
IE INDUSTRIELLE Land
bewirtschaftung hat globali
siert, was bei den Bressels
auf 32 Hektar stattfindet und
für sie das Natürlichste der Welt ist.
Eine Kreislaufwirtschaft: Ihre Kühe
fressen Gras, käuen wieder, scheiden
das Verdaute aus und düngen so den
Boden. Nach drei, vier Jahren hat sich
genügend Humus gebildet, um auf der
Fläche Feldfrüchte auszusäen. Oder,
wie Martina Bressel sagt: "Die Weide ist
die Mutter des Ackerbaus."
Es ist einer dieser brütend warmen
Sommermorgen. Im Schatten einer Kas
tanie sitze ich Martina Bressel gegen
über. Gerade haben wir ihre sechs Kühe
auf die Weide getrieben. Alle Tiere der
Bressels sind so zahm, dass sie sich
auch von Fremden führen lassen. Jetzt
zieht Martina Bressel eine Kiste mit
Frühlingszwiebeln heran, um sie wäh
rend unseres Gesprächs zu putzen. Ei
nen halben Tag verbringe ich an ihrer
Seite, Martina Bressel wird keine Mi
nute nichts tun.
Martina und ihr Mann Ulrich Bres
sel sind Demeter-Bauern. Ihr Hofheißt
Schwalbennest und liegt an einer Stra
ßenbiegung ungefähr drei Kilometer
von Brodowin entfernt. Bullerbü in sei
ner Shabby-Version. Ein rostiger Trak
tor, ein schiefer Staketenzaun, in jeder
Ecke stapeln sich Kisten.
Demeter gilt als der Verband mit den
strengsten Kriterien, er schreibt seinen
Mitgliedern Tierhaltungvor- eben um
mit Dung den Boden für die Saat zu be
reiten. Die Bressels halten neben Kü
hen auch Hühner, Gänse, Enten, Sattel
schweine, Schafe, Ziegen und Bienen.
Glückliche Tiere. Die Schweine suhlen
im Morast eines Bruchwäldchens, die
Kälber laufen an der Seite ihrer Mütter.
Die Bressels vertreiben die meisten
Erzeugnisse ihres Hofs nicht direkt,
sondern veredeln sie. Das erfordert viel
Arbeit. Aus der Milch macht Martina
Bressel Käse, Joghurt und einen köst
lichen Kräuterquark Äpfel, Birnen,
Holunder und Quitten von ihren Streu
obstwiesen pressen die Bressels zu Säf
ten oder kochen sie zu Marmelade. Das
edelste Produkt aber ist das Fleisch der
Tiere, die sich ausschließlich von Gras,
Die saisonalen
Produkte, die Kunden
in der Hobenköök
essen und kaufen
können, stammen
von rund 200
Produzenten rund
um Hamburg. »Wir
kennenjeden
einzelnen von ihnen«,
sagen die Gründer
der Markthalle,
Neele Grünberg,
Thomas Sampl und
Frank Chemnitz
Rüben und Getreide von hofeigenen
Anbauflächen ernähren. "Naja", räumt
Martina Bressel ein, "fast". Ihr Vieh ist
im Dorf dafür bekannt, dass es häufiger
mal ausbricht, um auf Nachbarwiesen
zu grasen.
Die Bressels arbeiten jeden Tag von
früh bis spät, nebenbei haben sie fünf
Kinder großgezogen. Martina Bressel,
59, die langen grauen Haare zu einem
Zopf geflochten, Schlabbershirt, sieht
nicht so strahlend und rotwangig aus
wie die Menschen in der Demeter-Pos
tille, die in ihrem winzigen Hofladen
ausliegt. Sie wirkt erschöpft.
"Wir machen alles genau so, wie es
sich die Gesellschaft wünscht." Und die
Gesellschaft, findet Martina Bressel,
könnte sich dafür dankbarer zeigen.
Kleinbauern wie sie stärker subventio
nieren. Oder ihnen höhere Preise für
ihre Produkte zahlen. Ein Pfund Erd
beeren kostet bei den Bressels 4,50
Euro. Für eine Flasche Saft zahle ich,
mit Pfand, 2,50 Euro. Drei Euro nimmt
sie für 100 Gramm Katenschinken. Ich
finde das nicht viel, besonders nach
dem ich erfahren habe, wie die Bressels
produzieren. Doch Martina Bressel
glaubt, "mehr krieg ich nicht". Immer
häufiger hört sie von Leuten in ihrem
Laden, dass sie beim Essenseinkauf
knausern, weil sie so hohe Großstadt
mieten zahlen. Dann wieder hat ihr
eine Kundin erzählt, dass sie seit Jah
ren ein Haushaltsbuch führe und des
halb dokumentieren könne: Unterm
Strich sei bio gar nicht teuer; sie werfe
viel weniger weg. "Logisch", sagt Marti
na Bressel, "so ein Biobrot, das schmeckt
bis zum letzten Kanten."
Können alle sich bio leisten?
Auf anekdotischer Ebene lässt sich
das Thema endlos hin und her spinnen.
Meiner Meinung nach führt diese Bio
ist-was-für-Reiche-Diskussion in eine
falsche Richtung. Am Ende soll sich ja
nicht die gut gestellte Mittelschicht
maßlos bei den Bressels bedienen, wäh
rend den Wenigverdienern Mastfleisch
GEO 09 2019