GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1

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Ein Kreuzgang aus Flügelbögen: Frisch
verleimt und in Form gepresst. trocknen
die Holzrahmen mindestens zwei
Monate lang. Erst danach können die
Klavierbauer sie weiterbearbeiten

Aufgaben mit 322 Robotern teilten. Nur in Singapur und in
Südkorea ist die Dichte höher.
Heute gibt es sogar Fabriken, die nahezu ganz auf Personal
verzichten. Der japanische Roboterspezialist Fanuc betreibt
seit 2001 die Idee sogenannter Light-out-Factories, Licht­
aus-Fabriken, in denen Beleuchtung überflüssig geworden
ist, weil in ihnen so gut wie nie ein Angestellter arbeitet, son­
dern nur Maschinen sirren, Tag und Nacht. In vielen seiner
Montagehallen lässt Fanuc Roboter immer neue Roboter
produzieren-Menschen betreten die Anlagen nur zur Kon­
trolle. Die Maschinen stoppen erst, wenn die Lager voll sind.
Fanuc und Steinway mögen Extrembeispiele sein, doch
sie stehen beispielhaft für den Umbruch, der Fabriken in den
Industrienationen erfasst hat: Wo die einen die Technik vor­
antreiben, um schneller und präziser zu produzieren, ent­
wickeln sich andere zu Spezialanbietern, die Handarbeit
zum Qualitätsmerkmal erklären.
Bei General Pencil in Jersey City nahe NewYork, einer der
ältesten Manufakturen für Zeichenbedarf in den USA, stammt
ein Großteil der Maschinen aus den 1960er und 1970er Jah­
ren. Viele Aufgaben erledigen die Arbeiterper Hand, um das
Niveau der Produkte zu halten: Weiche Pastellkreiden für
Künstler zum Beispiel müssten länger aushärten, damit Ma­
schinen die zerbrechlichen Stangen transportieren und mit
einer Banderole umwickeln könnten. Damit aber würden sie
auch fester im Strich -ein Qualitätsverlust, den General
Pencil nicht in Kauf nehmen möchte.

L

Ä N G s T wIR o das Handwerk auch verklärt: Der Sozio­
loge Richard Sennett widmete ihm ein Buch und preist
darin das Können von Goldschmieden, Köchen, Glasblä­
sern, Bäckern und Krankenschwestern. Tatsächlich finden
sich noch immer Nischen, in denen die Handwerkskunst des
Menschen unübertroffen ist. Ausgerechnet die hochautomati­
sierte Autoindustrie reduziert mittlerweile die Zahl der Robo­
ter in einigen Werken: Bei Toyota und Tesla, Volvo und Merce­
des scheiterten die Maschinen anjenenAufgaben, die Menschen
leicht fallen. Am Griff nach weichen Stoffen etwa, mit denen
Bauteile im Inneren der Fahrzeuge verkleidet werden. Oder an
der Endabnahme der Karosserie: Ihnen fehlt das Fingerspit­
zengefühl, um kleinste Unebenheiten im Lack zu erspüren.
"Roboter können oft nur programmierte Vorgaben erfül­
len, wir Menschen dagegen lernen schnell, können improvi­
sieren und entwickeln ein Gespür für Produkte", sagt Toni
Wäfler, Arbeitspsychologe an der Fachhochschule Nordwest­
schweiz. "Deshalb werden Menschen auch in Zukunft das
kreative Element in der Arbeit bleiben: In il1ren Köpfen und
Händen steckt das gesamte Wissen eines Unternehmens."
Mensch und Maschine werden sich in den Fabrikhallen der
Zukunft auch weiterhin begegnen, prognostizieren Forscher:
Sogenannte Cobots, kollaborative Roboter, übernehmen ge­
fährliche, körperlich anstrengende oder monotone Aufgaben.
So bleibt dem Menschen mehr Zeit für Fingerfertigkeit, fle­
xibles Denken oder spontane Entscheidungen.
Eine Studie des Massachusetts Institute ofTechnology zeigt,
dass diese Koexistenz wirtschaftlich von Vorteil sein könnte:
So waren in einer Fabrik des Fahrzeugbauers BMW jene Pro­
duktionsstraßen am erfolgreichsten, an denen Menschen
und Cobots gemeinsam arbeiteten.
Im Maschinenpark der Fabriken bilden Cobots eine eigene
Art: Sie reichen Bauteile an oder übernehmen Aufgaben erst,
sobald sie gefährlich werden. Bei kleinsten Berührungen mit
einem Menschen aber halten sie sofort inne. Einige Modelle
lernen sogar, die Bewegungen und Handgriffe ihrer mensch­
lichen Kollegen nachzuahmen. Noch sind zwar nur drei Pro­
zent aller verkauften Industriemaschinen Cobots. Bis zum
Jahr 2025 soll diese Zahl aber auf34 Prozent steigen. In den
Werkhallen weltweit wären Mensch und Maschine dann
keine Konkurrenten mehr- sondern Kollegen. <t

Als CHRISTOPHER PAYNE zum ersten Mal die Steinway-Werke
besuchte, arbeitete er noch als Architekt. Ein Bild ging ihm
nicht aus dem Kopf: der "Tunnel" aus Flügelrahmen. Als er neun
Jahre später als Fotograf zurückkehrte, war dies das erste Foto,
das er machte (oben). Autorin JEN NY NIEDERSTADT sah
in den Bildern nicht nur die Schönheit des Handwerks -
sondern auch eine Weit, die großenteils im Verschwinden
begriffen ist. Mitarbeit: KAT R IN BLASS.

GEO 09 2019
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