18 REPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,11.SEPTEMBER
A
n einem sonnigen Ber-
liner Nachmittag laden
rund 70 Tschetschenen
ihre Wut vorm Kanz-
leramt ab. Es sind überwiegend
Männer, einige haben sich mit ei-
nem Schal oder einem Mund-
schutz vermummt, doch die
Mehrheit zeigt offen ihr Gesicht.
Sie wollen das Schweigen der
Bundesregierung nicht hinneh-
men. Am 23. August wurde der
tschetschenische Georgier Ze-
limkhan K. ermordet. Auf dem
Weg zur Moschee wurde er um
die Mittagszeit in einem Park in
Berlin-Moabit erschossen.
Der mutmaßliche Täter sitzt in
Untersuchungshaft. Vieles deu-
tet darauf hin, dass es sich um ei-
nen Auftragsmord handelt. Wer
die Hintermänner sind, ist aller-
dings noch offen – nicht aber für
viele der Tschetschenen vorm
Kanzleramt: Putins Geheim-
dienste steckten hinter dem
Mord, davon sind sie überzeugt.
Die Bundesregierung wolle es
sich mit Russland nicht verscher-
zen, darum schweige sie zu dem
Fall so beharrlich.
VON MANUEL BEWARDER,
CHRISTINA BRAUSE, UWE MÜLLER
UND HEIKE VOWINKEL
Ein Mann – Ende 20, breit-
schultrig, groß, Bart – fragt zor-
nig, wieso es keine Reaktionen
wie im Fall Skripal gebe. Nach
dem Giftanschlag auf den Dop-
pelagenten Sergej Skripal in Eng-
land im März 2018 positionierte
sich die britische Regierung in-
nerhalb von Tagen und wies rus-
sische Diplomaten aus. Andere
Länder folgten, auch Deutsch-
land wies damals vier Diplomaten
aus. Nichts Geringeres fordert
die Menge vorm Kanzleramt nun
von der Bundesregierung. Ein
junger Mann sagt es so: „Wir
Tschetschenen werden pauschal
als gefährlich verurteilt, aber
wenn Russland hier Straftaten
begeht, kommt es einfach davon.“
Fast zweieinhalb Wochen sind
seit dem Mord an Zelimkhan K.
vergangen. Noch laufen die Er-
mittlungen, doch welche Wahr-
heit am Ende auch herauskom-
men mag, politisch brisant ist der
Fall schon jetzt. Wie gut kann
Deutschland Menschen auf sei-
nem Staatsgebiet vor ausländi-
schen Mächten schützen?
Vertreter und Kritiker der
Theorie, wonach russische Ge-
heimdienste hinter dem Mord
stecken, bringen sich in Stellung.
Die Bundesregierung tut sich
schwer mit dem Fall. Bundesin-
nenministerium und Auswärtiges
Amt verwiesen in der Regie-
rungspressekonferenz am Mon-
tag unisono auf die laufenden Er-
mittlungen. Diese könne man
nicht kommentieren.
Am Mittwoch nun wird der
Fall den Bundestag beschäftigen.
Dann soll das Parlamentarische
Kontrollgremium (PKGr) unter-
richtet werden, welche Informa-
tionen deutschen Sicherheitsbe-
hörden über die Gefährdung Ze-
limkhan K.s vorlagen und wie die
Behörden damit umgegangen
sind. Hinter allem steht die Fra-
ge, wer war Zelimkhan K. wirk-
lich, für wen arbeitete er und wa-
rum musste er sterben?
In einem entlegenen Ort im
Süden Brandenburgs lebt Mana-
na T. Die zierliche 46-Jährige ist
die Ex-Frau von Zelimkhan K. Sie
wohnt hier mit den vier gemein-
samen Kindern im Alter von
neun bis 17 Jahren, drei Töchtern
und einem Sohn. Sie war ihrem
Ex-Mann im Sommer 2017 nach
Deutschland gefolgt, wo dieser
bereits Ende 2016 lebte und im
Januar 2017 Asyl beantragte.
Im Wohnzimmer serviert sie
Tee, Gebäck und Obst und er-
zählt, wie sie K. 1999 kennen-
lernte. Ihre Familie gehört zur
muslimischen Volksgruppe der
Kisten. Wie auch K. sei ihre Fa-
milie infolge des zweiten Tsche-
tschenienkriegs ins Pankisital
nach Georgien geflüchtet, wo
mehrheitlich Kisten leben. K. ha-
be sich dort um Flüchtlinge
gekümmert.
Sie hatte K. nur einmal gese-
hen, als dessen Familie den da-
mals 20-Jährigen mit ihr verhei-
raten wollte. Manana T., fünf Jah-
re älter als er und damals ange-
hende Ärztin, lehnte ab. So wur-
de sie, wie es in der Region
Brauch sei, entführt und mit ihm
verheiratet, erzählt sie. Im Früh-
jahr 2001 sei ihr Mann nach
Tschetschenien gegangen, um
sich den Kämpfern um Aslan Ma-
schadow anzuschließen, dem frü-
heren Präsidenten Tschetsche-
niens. Maschadow war im Lauf
des zweiten Tschetsche-
nienkriegs in den Untergrund ge-
gangen, nachdem Putin im Jahr
2000 Achmed Kadyrow als Chef
der russischen Verwaltungsbe-
hörde eingesetzt hatte.
Ihr Mann, sagt Manana T., sei
Maschadow eng verbunden gewe-
sen. Aber auch dem Islamisten-
ffführer Schamil Bassajew. In sei-ührer Schamil Bassajew. In sei-
nem Asylantrag bestätigte K., dass
er im Krieg Kommandeur einer 60
Mann starken Truppe unter Bas-
sajew gewesen sei. Später auch un-
ter dem arabischen Anführer Abu
WWWalid. Maschadow und Bassajewalid. Maschadow und Bassajew
galten in Russland als Staatsfeinde
und Terroristen, denen Terroran-
schläge und Verbrechen angelas-
tet wurden. Der russische Ge-
heimdienst FSB tötete 2005 erst
Maschadow, 2006 dann Bassajew.
Durch seine militärische Kar-
riere und die Verbindungen zu
Maschadow, Bassajew und ande-
ren Islamisten galt K. in Russ-
land als Staatsfeind. Grund ge-
nug, auch ihn zu beseitigen, sa-
gen Kritiker Russlands. Sagt
auch Manana T.
Auch die deutschen Sicher-
heitsbehörden stuften K. zeitwei-
lig als islamistischen Gefährder
ein. In sozialen Netzwerken soll
er seine Erfahrungen als islami-
scher Kämpfer immer wieder the-
matisiert haben, heißt es dort.
Das rief die Behörden auf den
Plan, die ihn zur Mäßigung dräng-
ten. 2018 soll K. nach WELT-In-
formationen einen Onkel zum
Flughafen Tegel begleitet haben,
der nach Istanbul fliegen wollte –
um sich womöglich dem Dschi-
had anzuschließen. Der Onkel
wurde daran gehindert.
WWWaffenbrüder: Tschetscheniens Ex-Präsident affenbrüder: Tschetscheniens Ex-Präsident
Aslan Maschadow (li.) mit Zemlikhan K. 2002
PRIVAT/ HEIKE VOWINKEL
Die Stille nach
den Schüssen
Mitten in Berlin, mitten am Tag wird ein Mann
erschossen. Seine Witwe klagt Moskau an.
Ein Russlandkenner sieht es anders –
und die deutsche Regierung schweigt
Die Ex-Frau: Manana T. versteht nicht, warum niemand
sehen wollte, wie gefährdet K. war
HEIKE VOWINKEL CHRISTINA BRAUSE
/CHRISTINA BRAUSE