Dass ihr Ex-Mann ein Islamist
gewesen sei, bestreitet Manana T.:
„Gläubiger Muslim, das schon,
aaaber kein religiöser Fanatiker.“ Sieber kein religiöser Fanatiker.“ Sie
selbst, das betont sie in dem zwei-
einhalbstündigen Gespräch im-
mer wieder, interessiere sich nicht
fffür Politik. Mehrmals habe sie sichür Politik. Mehrmals habe sie sich
von ihm trennen wollen. „Wir wa-
ren einfach zu verschieden.“
Doch K. wollte in die Schei-
dung nicht einwilligen. Erst als er
vor einigen Jahren eine andere
Frau kennenlernte, gab er nach.
Dennoch sagt Manana T. nichts
Schlechtes über K. Ein gutes
Herz habe er gehabt, sei freigebig
und gutmütig gewesen. Für die
Unabhängigkeit Tschetscheniens
allerdings sei er zu allem bereit
gewesen, auch zu sterben.
Noch als sie nach dem zweiten
Tschetschenienkrieg gemeinsam
im Pankisital lebten, sei K. ge-
warnt worden, auf Todeslisten
der Russen zu stehen, sagt Mana-
na T. Weshalb er zeitweilig den
Familiennamen seiner Mutter
annahm. Im Pankisital war K. ei-
ne angesehene Autorität. Er habe
als Emir eine religiöse Position
innegehabt und mit Jugendlichen
gearbeitet, erzählt Manana T.
2006 wurde ihr Vater mit Ver-
weis auf den Schwiegersohn ent-
führt und erst nach Zahlung ei-
nes Lösegeldes freigelassen. K.
und seine Familie zogen darauf-
hin in georgische Hauptstadt Tif-
lis. K. scheint dort Verbindungen
zum georgischen Geheimdienst
geknüpft zu haben. 2008 im rus-
sisch-georgischen Krieg soll er
eine Einheit mit 200 Freiwilligen
im Pankisital aufgestellt haben,
um auf georgischer Seite in Süd-
ossetien gegen die Russen zu
kämpfen. Die Truppe kam jedoch
nicht zum Einsatz.
Russische Behörden warfen
ihm zudem vor, Mitglied der Ter-
rorgruppe „Kaukasisches Emi-
rat“ gewesen zu sein, wie WELT
aus deutschen Sicherheitskreise
erfuhr. Das sogenannte Kauka-
sus-Emirat, ein islamischer Staat
im russischen Nordkaukasus,
war im Herbst 2007 von tsche-
tschenischen Islamisten ausgeru-
fen worden. Diese bekannten
sich später zu etlichen Anschlä-
gen in Russland, etwa auf die
Moskauer Metro 2010.
Manana T. sagt, sie wisse
nichts von der Beteiligung ihres
Ex-Mannes an Terrorakten. 2012
sei er aber an der sogenannten
Lapota-Operation beteiligt gewe-
sen. Damals hatten islamistische
Kämpfer Dorfbewohner als Gei-
seln genommen. Die georgischen
Behörden baten K., aufgrund sei-
ner Ortskenntnis und Kontakte
zu radikaleren muslimischen
Gruppen zu vermitteln. Doch die
Aktion geriet außer Kontrolle,
am Ende gab es 17 Tote, meist Is-
lamisten, aber auch einige geor-
gische Sicherheitskräfte.
Manana T. sagt, ihr Mann sei
danach auch von früheren Mit-
streitern heftig angegriffen wor-
den. Die Drohungen nahmen zu.
Im Mai 2015 schließlich schoss an
einem Morgen ein Unbekannter
auf K., als dieser das Haus verlas-
sen wollte. K. wurde schwer am
Arm verletzt.
Obwohl es Zeugenaussagen,
Videoaufnahmen und viele Hin-
weise gab, seien die Ermittlun-
gen im Sande verlaufen, sagt T.
Bis heute könne sie nicht glau-
ben, dass die Behörden nicht he-
rausgefunden hätten, wer hinter
der Tat steckte. K. ging daraufhin
in die Ukraine und weiter nach
Deutschland, wo er politisches
Asyl beantragte.
Doch dafür sah man beim Bun-
desamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) keinen
Grund: K. gab nämlich keine
staatliche Verfolgung in Geor-
gien durch den dortigen Staat an.
Er bezog sich vielmehr auf seinen
Kampf gegen Russland in Tsche-
tschenien. Er erhielt aber auch
keinen subsidiären Schutz, wo-
nach er in Georgien gefährdet
sei: Laut Sicherheitskreisen wur-
den die vorgelegten ärztlichen
Gutachten für nicht ausreichend
befunden. K. wehrte sich gegen
diese Entscheide. Das juristische
Hin und Her war bei seinem Tod
noch nicht abgeschlossen.
Manana T. versteht das alles
nicht. „Dass man ihn umbringen
wollte, war doch offensichtlich.
Auch über den Anschlag 2015 gab
es genügend Unterlagen.“ Seit
die georgische Regierung zuneh-
mend russlandfreundlich wurde,
sei das Land für ihren Ex-Mann
nicht mehr sicher gewesen. Of-
fenbar war er auch in Deutsch-
land nicht sicher.
Ekkehard Maaß sagt, er mache
sich Vorwürfe, nicht mehr für
den Schutz von Zelimkhan K. ge-
tan zu haben. Maaß ist Vorsitzen-
der der Deutsch-Kaukasischen
Gesellschaft und gut vernetzt in
die tschetschenische Community
in Berlin und Brandenburg. Ende
2016 habe sich K. bei ihm erst-
mals gemeldet. Seitdem habe
man sich regelmäßig getroffen,
teilweise wöchentlich. Er habe K.
als fürsorglichen Familienvater
kennengelernt, als einen stillen,
zurückhaltenden Mann, „freund-
lich, mit braunen Augen“.
Über politische Fragen, sagt
Maaß, hätten sie beide nie ge-
sprochen. Er ist davon über-
zeugt, dass K. ein Patriot war,
aber kein Islamist – Vorwürfe
dieser Art seien russische Propa-
ganda gegen Tschetschenen. Im
Januar 2017 schrieb Maaß für K.
einen Brief ans BAMF.
Auf zwei Seiten legte er dar,
wie oft sich K. mit dem russi-
schen Staat angelegt habe – und
warum er hierzulande einen
Schutzstatus erhalten solle: „Er
wird so massiv von der russi-
schen Seite verfolgt, dass sein
Leben in Gefahr ist und er des
besonderen Schutzes bedarf“,
schrieb er darin. Auch in der Zeit,
als der Brief verfasst wurde, habe
K. „Drohbriefe per SMS und
WhatsApp“ erhalten, sagt Maaß.
Heute, anderthalb Jahre später,
habe er nicht für möglich gehal-
ten, dass K. in Deutschland er-
mordet werden könnte. Vermut-
lich habe auch K. selbst diese Ge-
fahr unterschätzt. Zwar habe er
Angst vorm russischen Geheim-
dienst gehabt, sich aber in
Deutschland „einigermaßen si-
cher“ gefühlt. Allerdings: „Er hät-
te freitags auf verschiedenen We-
gen zur Moschee gehen sollen.“
Auch der britische Historiker
und Experte für russische Ge-
heimdienste Mark Galeotti wun-
dert sich, warum K. gerade jetzt
ermordet wurde. „Vielleicht hat
er irgendeine Aktion vorbereitet,
vielleicht sollte der Mord an ihm
aber auch nur jemand anderem
als Warnung gelten.“
Dass Russland hinter dem Mord
steckt, hält Galeotti für sehr wahr-
scheinlich. Darauf deute, was das
investigative Recherchenetzwerk
Bellingcat zu Pass und Visum von
VVVadim S., dem gefassten mutmaß-adim S., dem gefassten mutmaß-
lichen Täter von Moabit, herausge-
fffunden habe. Demnach wurde derunden habe. Demnach wurde der
Pass erst kürzlich durch die gleiche
Behörde ausgestellt, die einst die
Pässe der Skripal-Täter ausfertigte,
zudem sei es ein nicht biometri-
scher Pass gewesen, was heute
nicht üblich sei. Galeotti glaubt zu-
dem, nicht der militärische Ge-
heimdienst GRU stecke hinter der
Tat, da der eher selten bei Aktio-
nen gegen Tschetschenen invol-
vvviert sei. Das seien eher Kadyrowsiert sei. Das seien eher Kadyrows
eigene Leute oder der Inlandsge-
heimdienst FSB gewesen, der für
AAAnti-Terror-Einsätze zuständig sei.nti-Terror-Einsätze zuständig sei.
„In Georgien sagen immer alle
sofort: ,Die Russen waren es‘“,
sagt dagegen der Russland-Ex-
perte Stefan Meister, der in der
Hauptstadt Tiflis das Südkauka-
sus-Büro der Heinrich-Böll-Stif-
tung leitet. Er rät bei solchen
Schuldzuweisungen zur Vorsicht.
Bei vielen Georgiern ist der gro-
ße Nachbar im Norden verhasst.
Erst im Juni haben Tausende in
Tiflis gegen Moskau demons-
triert mit Plakaten, auf denen
„Fuck Russia!“ stand.
Dass der FSB hinter dem Mord
an K. steckt, bezweifelt Meister.
Das Vorgehen sei „etwas unpro-
fessionell“ gewesen. Dem GRU
wiederum hafte zwar der Ruf an,
sich dilettantisch anzustellen, al-
lerdings kämen auch andere
Gruppen als Täter in Betracht.
Das Regime von Tschetschenien-
Führer Ramsan Kadyrow etwa
oder Akteure aus Georgien.
Dass Vadim S. aus dem krimi-
nellen Milieu stammen könnte,
worauf es Hinweise gibt, schließe
aaaber einen Mordauftrag durch denber einen Mordauftrag durch den
russischen Geheimdienst nicht
aaaus, sagt dagegen Galeotti. Tat-us, sagt dagegen Galeotti. Tat-
sächlich habe der FSB früher ge-
wöhnliche Verbrecher für Straf-
und Mordaktionen gegen Tschet-
schenen rekrutiert. „So etwas gab
es bereits in der Türkei, wo
Tschetschenen ermordet wurden.“
Dass die deutschen Behörden
die Tat bislang nicht als eine poli-
tische einordnen, überrascht Ga-
leotti nicht. „Natürlich wollen
die Deutschen die Hintergründe
lieber im kriminellen als im poli-
tischen Umfeld sehen. Denn
sonst müssten sie einen Konflikt
mit Russland austragen, was die
deutsche Regierung nicht will.“
Mitarbeit: Pavel Lokshin, Irina Bondas
DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH, 11. SEPTEMBER 2019 REPORT 19
Protest vor dem Kanzleramt: Die tschetschenische
Community kritisiert das Schweigen der Bundesregierung
Das Attentat: 2015 überlebte K. den schwersten
Anschlag auf ihn in Georgien
Mutmaßlicher Täter: Vadim S. kam mit
einem russischen Pass nach Deutschland
Der Familienmensch: Zemlikhan K. mit seiner
damaligen Frau Manana T. und Kindern 2006
DPA
PRIVAT
/ HEIKE VOWINKEL
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