Die Welt Kompakt - 11.09.2019

(Darren Dugan) #1
Einige werden die Risiken inEinige werden die Risiken in
Kauf nehmen, zum Beispiel weilKauf nehmen, zum Beispiel weil
ihr Kind nur neben ihnen ein-ihr Kind nur neben ihnen ein-
schlafen kann. Sonst würde ihreschlafen kann. Sonst würde ihre
Familie also niemals schlafen.Familie also niemals schlafen.
Andere Menschen möchten ein-Andere Menschen möchten ein-
fach gerne, dass ihr Kind mit ih-fach gerne, dass ihr Kind mit ih-
nen im Bett schläft, anderenen im Bett schläft, andere
möchten das nicht. Das sindmöchten das nicht. Das sind
Vorlieben, die man bei einerVorlieben, die man bei einer
Entscheidung berücksichtigenEntscheidung berücksichtigen
sollte. Es gibt nicht die einesollte. Es gibt nicht die eine
richtige Antwort für alle.

Was hat sie Sie bei der Re-
cherche für Ihr Buch über-
rascht?
Bei ganz vielen Themen dachte
ich: Wow, das ist vollkommen
anders, als ich es erwartet hät-
te! Zum Beispiel wird vielfach
betont, dass Stillen das Wich-
tigste sei, das du für dein Baby
tun kannst. Es soll viele lang-
fristige Vorteile haben. Aber
die Befunde sagen: Stillen hat
zwar eindeutig Vorteile für die
Gesundheit des Babys in der
frühen Kindheit. Es verbessert
die Verdauung des Kindes und
hat noch dazu einen Nutzen
für die Mutter, weil es das Risi-
ko für Brustkrebs reduziert.
Aber Behauptungen wie „Stil-
len macht ein Kind klüger“
oder „Stillen bewirkt, dass ein
Kind später seltener krank
wird“ werden in den guten Stu-
dien nicht bestätigt. Ich denke,
Stillen ist tatsächlich das Beste
für ein Kind, aber nicht in dem
Maß, wie es einige Menschen
behaupten.

Sie haben diesen Druck eben-
falls verspürt – und haben die
Erfahrung gemacht, dass Stil-
len ziemlich schwierig sein
kann.
Für einige Mütter ist es schön
und einfach. Mir ging es aller-
dings nicht so und ich denke,
vielen anderen Frauen auch. Es
wird eine Menge Zeit darauf
verwendet, einem zu erklären,
wie wichtig Stillen ist, und
nicht darauf, einen zu unter-
stützen oder anzuerkennen,
dass es auch schwierig sein
kann. Das kann diese Phase
nach der Geburt stressiger ma-
chen, als sie sein müsste.

E


mily Oster ist ein Fak-
tenmensch. Als Pro-
fessorin für Volkswirt-
schaftslehre weiß sie,
wie man faktenbasiert die rich-
tigen Entscheidungen trifft. Als
Mutter ihrer beiden Kinder Pe-
nelope und Finn aber hat sie
festgestellt, wie wenig sie selbst
über Schwangerschaft, Geburt
und Erziehung wusste – und
wie groß das Unwissen auch bei
den anderen Eltern war. Ohne
Daten und Fakten, argumen-
tiert sie, könne man aber keine
guten Entscheidungen treffen.


VON NELE LANGOSCH

Sie will deshalb andere El-
tern dazu ermutigen, kompe-
tente Entscheidungen zu tref-
fen. In ihrem neuen Buch gibt
sie dazu einen Überblick über
die Studienlage zu den wich-
tigsten Themen in den ersten
Lebensjahren des Kindes.


WELT: Frau Oster, Sie sind
Ökonomin. Wieso haben Sie
ein Buch über Ihre Erfahrun-
gen als Mutter geschrieben?
EMILY OSTER:Als ich ein Kind
bekam, hatte ich das Gefühl,
ich sollte Entscheidungen tref-
fen, hatte aber eigentlich keine
Daten, auf die ich meine Ent-
scheidungen stützen konnte.
Manchmal lagen mir zwar Be-
funde vor, doch sie waren wi-
dersprüchlich. Für mein Buch
habe ich versucht zu unter-
scheiden, was wirklich gute
Studien zu einem Thema sagen
und wie sich die Ergebnisse
von denen weniger guter Stu-
dien unterscheiden. Ich habe
also in etwa das Gleiche ge-
macht wie in meinem Job.


Was können denn Eltern von
den Methoden der Volkswirt-
schaft lernen?
Zum einen beschäftigen sich
Ökonomen mit Daten: Sie
schauen ganz genau hin, welche
Zusammenhänge durch die Stu-
dien gestützt werden und wel-
che nicht. Ein weiterer Aspekt
betrifft die Entscheidungsfin-
dung. Ökonomen kombinieren
die Befunde aus den Studien
mit den individuellen Vorlieben
etwa einer bestimmten Familie.
In der Ökonomie spiegelt eine
Entscheidung immer einen
Kompromiss aus Kosten und
Nutzen wider. Ich persönlich
bin der Meinung, wir sollten al-
le Entscheidungen auf diese
ökonomische Weise treffen.


Können Sie ein Beispiel
geben?
Ich habe viel Zeit mit der Frage
verbracht, ob das Baby mit im
Elternbett schlafen sollte. Es
gibt Bedenken, dass dadurch Ri-
siken für das Kind entstehen
könnten. Die Daten sagen: Es
gibt tatsächlich einige Risiken,
aber diese sind nicht annähernd
so groß, wie manche Menschen
behaupten. Nun werden Famili-
en unterschiedliche Entschei-
dungen treffen, wenn sie die
Studienergebnisse betrachten.


Viele Eltern fragen sich, wann
ihr Kind endlich durchschläft.
Was sagt die Wissenschaft
dazu?
Nun, das Baby wird voraus-
sichtlich irgendwann durch-
schlafen. Viele Eltern scheuen
sich, ein Schlaftraining mit ih-
rem Kind zu machen, bei dem
man es ein wenig schreien lässt.
Es wird behauptet, dass das
Kind dadurch Bindungsproble-
me entwickeln könnte. Dafür
gibt es aber keine Beweise. Im
Gegenteil: Die Daten zu Schlaf-
trainings deuten darauf hin,
dass sie tatsächlich den Schlaf
des Kindes verbessern, aber
auch die mentale Gesundheit
der Eltern. Wenn Eltern das
Training also ausprobieren wol-
len, gibt es keinen Grund, es
nicht zu tun.

Hat solch ein Schlaftraining
auch bei Ihren Kindern funk-
tioniert?
Ja, bei beiden Kindern, aber viel
besser bei meinem Sohn als bei
meiner Tochter. Der Schlaf war
danach keinesfalls perfekt. Die
meisten Menschen stellen sich
vor, dass das Kind sofort durch-
schläft. Das ist am Anfang gar
nicht das Ziel. Es ist jedoch
richtig, dass Kinder im Durch-
schnitt nach dem Schlaftrai-
ning besser schlafen als zuvor.

Sie schreiben auch darüber,
wie die Geburt eines Kindes
eine Frau körperlich und psy-
chisch verändern kann.
Über diese Aspekte der Eltern-
schaft wird viel zu wenig ge-
sprochen. Es gibt viele Bücher
über Schwangerschaft und Kin-
der. Aber niemand erzählt ei-
nem, was mit einem nach der

Geburt passiert. Viele Frauen
sind überrascht, wie schwer
man sich von einer Geburt er-
holt. Man denkt, man ist die
Einzige, die diese Erfahrung
macht. Nein, jede macht diese
Erfahrung. Es spricht nur nie-
mand darüber, dass eine Geburt
eine Menge Wunden hinter-
lässt. Man wird für eine lange
Zeit bluten. Es kann Monate
dauern, bis man sich körperlich
wieder weitestgehend normal
fühlt. Gleichzeitig bekommen
zehn bis 15 Prozent der Frauen
eine postpartale Depression.
Noch viel mehr Frauen haben
eine Art Babyblues. Nicht über
diese Dinge zu sprechen macht
sehr einsam.

Was sagt die Wissenschaft
denn darüber, wie man als
Paar glücklich bleibt, nach-

dem man Eltern gewordendem man Eltern geworden
ist?
Die Zufriedenheit in der EheDie Zufriedenheit in der Ehe
sinkt, das sagen im Grunde ge-sinkt, das sagen im Grunde ge-
nommen auch die Daten aus.nommen auch die Daten aus.
Es gibt wenig Evidenz dafür,Es gibt wenig Evidenz dafür,
wie man sie wieder steigernwie man sie wieder steigern
kann. Hilfreich ist, sich regel-kann. Hilfreich ist, sich regel-
mäßig einmal im Jahr mit sei-mäßig einmal im Jahr mit sei-
ner Partnerin oder seinemner Partnerin oder seinem
Partner zu besprechen, wie diePartner zu besprechen, wie die
Dinge laufen und was man Dinge laufen und was man
verbessern kann. Das macht verbessern kann. Das macht
Eltern glücklicher.Eltern glücklicher.

Ihre Kinder sind inzwi-Ihre Kinder sind inzwi-
schen vier und acht Jahreschen vier und acht Jahre
alt. Werten Sie als Mut-alt. Werten Sie als Mut-
ter immer noch laufendter immer noch laufend
Studien aus, wenn SieStudien aus, wenn Sie
Entscheidungen treffenEntscheidungen treffen
müssen?müssen?
Ja, das tue ich. Jetzt wo die Kin-Ja, das tue ich. Jetzt wo die Kin-
der größer werden, werden dieder größer werden, werden die
Entscheidungen komplizierter.Entscheidungen komplizierter.
Und häufig gibt es gar keineUnd häufig gibt es gar keine
passenden Daten. Ich versuchepassenden Daten. Ich versuche
trotzdem immer, strukturierttrotzdem immer, strukturiert
über Entscheidungen nachzu-über Entscheidungen nachzu-
denken. Die größten Fragen be-denken. Die größten Fragen be-
treffen im Moment die Wahltreffen im Moment die Wahl
der richtigen Schule undder richtigen Schule und
Hobbys. In ein paar Jahren wer-Hobbys. In ein paar Jahren wer-
de ich mich dann damit be-de ich mich dann damit be-
schäftigen, wann man seinemschäftigen, wann man seinem
Kind ein eigenes Handy gebenKind ein eigenes Handy geben
sollte. Das habe ich noch nichtsollte. Das habe ich noch nicht
herausgefunden.herausgefunden.

Ihr Buch soll Eltern entspann-
ter machen. Wie können
Daten dabei helfen?
Ein Teil der Sorgen junger El-
tern wird dadurch ausgelöst,
dass sie eine Entscheidung im
Nachhinein anzweifeln. Man
erzählt jemandem davon, und
das Gegenüber erwidert: „Wie
kannst du das bloß tun? Was
stimmt mit dir nicht?!“ Dann
fragt man sich, ob diese Person
richtig liegen könnte. Ich hoffe,
dass Eltern mithilfe meines Bu-
ches bewusster über ihre Ent-
scheidungen nachdenken und
erkennen werden, dass sie eine
Entscheidung immer nur für ih-
re eigene Familie treffen. Wenn
sie dann jemand kritisiert, wis-
sen sie genau, warum sie diese
Wahl getroffen haben. Den El-
tern ihre Ängste zu nehmen
macht sie entspannter.

Warum fällt es vielen Eltern
so schwer, Entscheidungen zu
treffen?
WWWeil sie sich so sehr um ihr Kindeil sie sich so sehr um ihr Kind
sorgen. Dann fällt es schwer,
üüüberhaupt eine Wahl zu treffen,berhaupt eine Wahl zu treffen,
auch wenn man die wissen-
schaftlichen Daten zu einem
Thema und seine eigenen Vorlie-
ben kennt. Hinzu kommt, dass
wir üblicherweise mit Befunden
arbeiten, die im besten Fall un-
vollständig sind. Manchmal
müssen wir einsehen, dass es die
meiste Zeit wahrscheinlich meh-
rere richtige Entscheidungen
gibt. Und auch wenn sich jede
Entscheidung für junge Eltern
wie die wichtigste anfühlen
kann, sind eigentlich sehr weni-
ge Entscheidungen die wichtigs-
ten. Selbst wenn du in in einem
Moment nicht die richtige Wahl
triffst, wird alles gut werden.

Muttermilchuttermilch


und nd


Faktenakten


Eine Ökonomin ine Ökonomin


bekommt Kinder – ekommt Kinder –


und wundert sich, nd wundert sich,


wie wenig rationalie wenig rational


junge Eltern an unge Eltern an


die neue Aufgabeie neue Aufgabe


herangehenerangehen


DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,11.SEPTEMBER2019 WISSEN 27


Emily Osterist Professo-
rin an der Brown Univer-
sity, einer der ältesten
Universitäten der USA,
und forscht zur Ökonomie
im Gesundheitswesen. Ihr
aktuelles Buch „Cribsheet


  • A data-driven guide to
    better, more relaxed pa-
    renting, from birth to
    preschool“ ist bisher nur
    auf Englisch erschienen.


Zur
DANA SMITH Person

GETTY IMAGES

/ VECTORIG
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