Die Welt Kompakt - 11.09.2019

(Darren Dugan) #1

D


ie designierte Prä-
sidentin der EU-
Kommission, Ursu-
la von der Leyen,
will die Kommission stärker
als bisher auf zentrale politi-
sche Themen ausrichten und
weniger stark auf die Struktur
der EU-Verwaltung.

VON TOBIAS KAISER
AUS BRÜSSEL

Vor allem die sechs Vizeprä-
sidenten und die drei heraus-
gehobenen Exekutiv-Vizeprä-
sidenten sollen eine stärkere
Rolle spielen und die Kernthe-
men der Präsidentschaft wie
Klima, Digitalisierung und
Rechtsstaatlichkeit betonen.
Mit 13 Frauen und 14 Män-
nern sitzen in dem Gremium
erstmals in der Geschichte

beinahe so viele Frauen wie
Männer. Damit hat von der
Leyen ein zentrales Verspre-
chen ihrer Kandidatur einge-
löst. Die Bedeutung des Kamp-
fes gegen den Klimawandel,
den die CDU-Politikerin zu ei-
nem der zentralen Ziele ihrer
Präsidentschaft gemacht hat,
spiegelt sich auch in der neuen
Struktur wider: Der Nieder-
länder Frans Timmermans soll
als einer von drei Exekutiv-Vi-
zepräsidenten dieses Thema
vorantreiben.
Für eine kleine Sensation
sorgte das Portfolio von Mar-
grethe Vestager: Die Dänin ist
als Exekutiv-Vizepräsidentin
fffür das Kernthema Digitalisie-ür das Kernthema Digitalisie-
rung verantwortlich und be-
hält zudem die Zuständigkeit
fffür den Bereich Wettbewerb –ür den Bereich Wettbewerb –
einer der wichtigsten der Kom-

mission. Ein solch gewichtiges
Portfolio zweimal hintereinan-
der zu führen ist eine absolute
AAAusnahme. Dass die liberaleusnahme. Dass die liberale
Politikerin künftig für Digitali-
sierung und die wettbewerbs-
rechtlichen Ermittlungen ge-
gen die US-Tech-Konzerne zu-
ständig ist, sorgt für eine deli-
kate Gemengelage.
AAAuch Sylvie Goulard besetztuch Sylvie Goulard besetzt
im Zuständigkeitsbereich Bin-
nenmarkt eine zentrale Positi-
on. In das Portfolio der Fran-
zösin fallen künftig die Indus-
triepolitik, das Thema künstli-
che Intelligenz und der digitale
Binnenmarkt – mithin wichti-
ge Bereiche der Wirtschaft. Zu-
dem soll die ehemalige franzö-
sische Verteidigungsministerin
eine völlig neue Generaldirek-
tion für die Bereiche Verteidi-
gung und Raumfahrt aufbauen.
Die Neuausrichtung der
Kommission zeigt sich auch in
teilweise sehr kreativen Na-
men für die neuen Zuständig-
keiten der Vizepräsidenten.
Exekutiv-Vizepräsident Valdis
Dombrovskis etwa soll an ei-
ner „Wirtschaft, die den Men-
schen nützt“ arbeiten. Für
Protest in den sozialen Medien
sorgte sehr schnell das Portfo-
lio des Vizepräsidenten Mar-
garitis Schinas: Der Grieche
soll sich um die Themen Asyl,
Flüchtlinge und gesteuerte
Migration kümmern. Über-
schrieben ist sein Arbeitsbe-
reich mit dem Titel „Europas
Lebensstil bewahren“.
Bei der Verteilung der Zu-
ständigkeiten ist von der Ley-
en den osteuropäischen Staa-
ten weit entgegengekommen.
So soll der Pole Janusz Wojcie-
chowski das budgetstarke
Agrarressort führen – obwohl
Polen der größte Empfänger
von Agrarsubventionen in der
EU ist. Für Nachfragen bei der
Vorstellung des Kabinetts
sorgte auch, dass die bisherige
Justizkommissarin Věra Jou-
rová künftig das Portfolio Wer-
te und Transparenz verant-
worten soll. Ihr Heimatland
Tschechien gehört zur Vi-
segrád-Gruppe – wie Polen
und Ungarn, mit denen Brüs-
sel über das Thema Rechts-
staatlichkeit im Clinch liegt.
Dass mit László Trócsányi ein
Politiker der rechtsnationalen
ungarischen Fidesz-Partei für
das Ressort Erweiterung zu-
ständig sein soll und künftig
mit den Westbalkanstaaten
über das Thema Rechtsstaat-
lichkeit diskutiert, sorgte denn
auch prompt für Kritik von eu-
ropäischen Parlamentariern.
Die designierten Kommissa-
re müssen sich Ende des Mo-
nats Anhörungen im Europa-
parlament stellen, das dem
Gremium als Ganzes zustim-
men muss. Es ist zu erwarten,
dass das Parlament wie bei der
Aufstellung der vorangegange-
nen Kommission einen oder
mehrere Kandidaten zurück-
weisen wird, um eine Neube-
setzung zu verlangen.

Margrethe Vestager
iiist als Exekutiv-Vize-st als Exekutiv-Vize-
präsidentin für das
KKKernthema Digitali-ernthema Digitali-
sierung verantwort-
lich und behält die
Zuständigkeit für den
Bereich Wettbewerb
BLOOMBERG/ GEERT VANDEN WIJNGAERT

Von der Leyen setzt


auf Klimaund Digitales


Das Team der künftigen EU-Kommissionspräsidentin steht.


Eine neue Struktur soll helfen, ihre Kernthemen


voranzubringen. Osteuropäer können Erfolg verbuchen


Großbritannien muss bei
einer Brexit-Verschiebung
in der neuen EU-Kommis-
sion mit einem Kommis-
sar vertreten sein.Dies
sähen die Regeln des
EU-Vertrages vor, sagte
die künftige Kommis-
sionspräsidentin Ursula
von der Leyen. Nun müsse
abgewartet werden, was
in Großbritannien passie-
re. Sollte es einen briti-
schen Kommissar geben,
werde dieser auch einen
Fachbereich bekommen.

Bei Verschiebung
des Brexit: ein
Posten für Briten

4 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,11.SEPTEMBER


E


uropa ist einen Versuch
wert. Die EU-Kommission,
wie sie Ursula von der Ley-
en am Dienstag vorstellte, ist nicht
nur in Sachen Emanzipation eine
Modernitätsgeste, sondern auch in
der Wahl der Themen und Protago-
nisten, die Aufregendes zumindest
vorstellbar machen. Die starke
Nummer zwei wird die Dänin Mar-
grethe Vestager, die Liberale, Bür-
gerliche und Grüne gleichermaßen
inspiriert. Sie ist Vordenkerin des
großen liberalen Blocks im EU-Par-
lament, eine zukunftsverliebte Ma-
cherin, die sich um Wettbewerb
und Digitales kümmern soll. Ihre
Expertise hat ihre Karriere bislang
nicht behindert. Unerschrocken
gegen die Tech-Monopolisten aus
Amerika, wütend darauf, wie halb
ambitioniert die Europäer sind und
wie wettbewerbsmüde zu viele eu-
ropäische Unternehmer.
Die Pastorentochter aus Glo-
strup und Ururenkelin des Grün-
ders ihrer Partei schafft, was nach
dem baldigen Abschied der markt-
orientierten Briten und ihres unbe-
dingten Siegeswillens notwendig ist
in Sachen Wachstum, Digitalisie-
rung und Nachhaltigkeit. Vestager
wird von Grünen in Deutschland
gefeiert und erhält doch den Hayek-
Preis für ihre ordnungspolitische
Unerschrockenheit. Ein wenig me-
lancholisch dürfen deutsche Libera-
le schon werden, weil deutlich wird,
wie sehr eine hellgrüne Freiheits-
fffreundin den hiesigen Verbots- undreundin den hiesigen Verbots- und
Steuer-Grünen die Hälfte der Stim-
men abnehmen könnte. Jetzt muss
sie es eben europäisch richten. Zur
Seite springt ihr da eine französi-
sche Liberale, Sylvie Goulard, eben-
fffalls eine Intellektuelle mit scharfenalls eine Intellektuelle mit scharfen
Krallen, wenn es darum geht, Euro-
pa seine Sozialbequemlichkeit und
Innovationsfeigheit auszutreiben.
Das Elend in Großbritannien
zeigt, welche Fliehkräfte ein dys-
funktionales, überbürokratisiertes
Europa, zum Feindbild hochge-
föhnt, erzeugen kann. Macrons
Etatismus ist ebenso wenig zu-
kunftstauglich wie die Menschen-
rechtsdiät in Polen und Ungarn.
Dabei ahnen alle, wenig originell:
Europa muss sich weniger einmi-
schen in die kleinen Dinge, um da-
für umso mächtiger die großen su-
pranationalen Aufgaben, Umwelt,
Digitalisierung, Wachstum, unauf-
geregt zu gestalten. Der andere
Stellvertreter von der Leyens, der
Lette Valdis Dombrovskis, ist ein
Physiker und Banker mit der richti-
gen Unruhe, wenn es um den läh-
menden Bürokratismus und die
Konsensheimelei geht. Es ist ein
guter Auftakt. Europa ist nur dann
unsere Zukunft, wenn die EU-
Kommission diese Zukunft formen
und einfordern kann. Los geht’s!
[email protected]


KOMMENTAR

ULF POSCHARDT

Der letzte


Versuch

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