Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.09.2019

(Nandana) #1
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton FREITAG, 6. SEPTEMBER 2019·NR. 207·SEITE 11

Ü


ber Kunst, die in der DDR ent-
stand, gibt es seit langem sehr
stabile Vormeinungen. Sie un-
terlag staatlicher Kontrolle
und war insofern keine auto-
nome, sondern heteronome Kunst, Auf-
tragsmalerei, Kunst zur Stützung des
SED-Regimes. Die wohlgelittenen Künst-
ler waren infolgedessen „Staatskünstler“.
Dass sie zu Professoren an den Hochschu-
len der DDR berufen wurden, ins westli-
che Ausland reisen durften oder einen Na-
tionalpreis bekamen, sagt im Grunde alles
über ihre Person und das meiste über ihre
Bilder. Wem das aber nicht genügt, soll sie
doch bloß anschauen. Es wurde in der
DDR überwiegend „figurativ“ gemalt,
man hielt an handwerklichen, „altmeister-
lichen“ Gesichtspunkten des Malens fest.
Kunst musste politisch erbaulich sein. Die
Freiheiten der Abstraktion, die den Blick
vom wiedererkennbaren Objekt und sei-
ner Botschaft zum Nachdenken über das
Sehen selbst hinlenkten, waren der Kunst
in der DDR fremd.
All das sind aber nur Halbwahrheiten,
also gar keine, und mitunter schlimmer
noch: scheinheilige Kontrastfolien zum
Zweck, die Freiheitlichkeit der „West-
kunst“ und ihre überaus kritische Einstel-
lung zur Gesellschaft hochleben zu las-
sen. Ob es, von der Kunst aus betrachtet,
ein gewaltiger Vorsprung ist, ein Markt-
künstler statt ein Staatskünstler zu sein,
wäre an den Werken zu prüfen. Mindert
es den Rang der Malerei Jackson Pol-
locks, wenn wir seit langem wissen, wie
interessiert sich die CIA an der Durchset-
zung des abstrakten Expressionismus
zeigte? Werfen wir Warhol vor, nichts ge-
gen Konsum gehabt zu haben, oder Miró,
im Spanien Francos geblieben zu sein?
Malten denn nicht auch Hopper und
Hockney „figurativ“? Und wird zum Auf-
tragskünstler schon, wer Objekte für den
Reichstag lieferte, so wie Darboven, Haa-
cke und Sieverding? Produziert über-
haupt noch autonom, wer seine Bilder in
den Dienst der Weltverbesserung anstatt
der Kunstverbesserung stellt?
Die von Steffen Krautzig besorgte Aus-
stellung „Utopie und Untergang“ im Düs-
seldorfer Kunstpalast zeigt jetzt erstmals
in einem westdeutschen Museum die
Kunst der DDR von 1945, als sie noch SBZ
hieß, bis kurz nach dem Fall der Mauer.
Dreizehn Künstler wurden ausgewählt.
Das ist nicht viel, aber so sind von jedem
Werk mehrere Beispiele zu sehen.
Unter den Ausgewählten sind die be-
kanntesten Künstler der DDR, wie der
bei den sozialistischen Kunstwächtern
aufgrund „surrealistischer Verrätselungs-
taktik“ und zu vieler christlicher Symbo-
le wenig beliebte Werner Tübke. Man
kann sehr lange vor seinem „Siziliani-
schen Großgrundbesitzer mit Marionet-
ten“ von 1972 stehen, ohne in dem Bild
eines blasierten Dandys, der als Puppe
auf einer Puppenbühne mit Landschafts-
ausblick steht, das Bekenntnis zu einer
Partei-Ästhetik finden zu können. Oder
nehmen wir Wolfgang Mattheuer, des-
sen Bilder stets Gefühle der Ratlosigkeit
bezeichneten, die entstanden, wenn (so-
zialistische) Erwartung und (soziale) Er-
fahrung auseinanderfielen. „Die Ausge-
zeichnete“ von 1974, eine ältere Frau,
sitzt so zermürbt und niedergeschlagen
wie gefasst allein an einem Tisch, vor ihr
drei frische Tulpen, weit und breit keine
Auszeichnung. Soll das ein erbaulicher
Kommentar zur Praxis großzügiger Ver-
leihung von Verdienstorden und Belobi-
gungen entlang der Straße der Besten ge-
wesen sein?
Die bis in diese Tage wiederholte Be-
hauptung, man habe in der DDR so malen
müssen wie Willi Sitte, an dessen Werk
nicht viel zu retten ist, Bernhard Heisig,
Tübke oder eben Mattheuer, und das al-
lein beweise die Unfreiheit, ist schon da-
durch kurios, dass keiner von ihnen so

malte wie der andere. Außerdem zeigt die
Ausstellung, dass eine ganze Reihe von
Malern und Malerinnen dann eben die
Einsamkeit – oder im SED-Jargon: „die ge-
sellschaftliche Selbstisolierung“, die aber
auch Mattheuer vorgeworfen wurde – der
Anerkennung vorzogen.
Der mit geometrischen Formen arbei-
tende und deshalb in der DDR als „forma-
listisch“ verschriene Hermann Glöckner
etwa, der bis zu seinem 80. Geburtstag im
Jahr 1969 auf eine Ausstellung warten
musste. Oder Cornelia Schleime, die bis
1980 Malerei und Grafik in Dresdenstu-
dierte und 1984 nach fünf Ausreiseanträ-
gen das Land verlassen konnte. Allerdings
ohne mehr als ein paar ihrer Werke mit-
nehmen zu dürfen. Ihr Werk „Der Osten
ist grau, der Westen hat auch etwas Farbe“
von 1986, das also schon im Westen ent-
stand, ist eine Art Mauerbild, dessen Witz
nicht nur im „auch“ des Titels liegt, son-
dern zusätzlich darin, dass er selbst in der
Farbe Grau aufgetragen ist.

D

ie Plazierung von Ironie und
Witz im Bild ist ein Thema,
das sich anhand von Kunst in
der DDR gut studieren ließe.
Am wunderlichsten war hier
der Zeichner und Radierer Carlfriedrich
Claus, der ganze Wolken, Gestrüppe, Fä-
den und Spuren von Zeichen auf seinen
mit merkwürdigen Titeln versehenen
Blättern – „Reflexion unbewusster TV-
Wirkungen“, „Skizze zur Anonymität des
Subjekts“ – verteilte, so als sei nicht das
Betrachten, sondern das Lesen die grund-
sätzliche Haltung zur sichtbaren Welt.
Selbst Hebräisch, hat man den Eindruck,
brachte er sich mehr um der Schrift als
um der Sprache willen bei. Absurderwei-
se interessierte sich die Staatssicherheit
für ihn, weil sie das hochgeordnete Ge-
kritzel, das er auch seinen Briefen bei-
gab, für einen Spionage-Code hielt. Wie
Gerhard Altenbourg, der auch zu den Zu-
rückgezogenen gehörte, war Claus von
immenser literarischer Bildung und ei-
ner Experimentierlust, die weit über die
Grenze der bildenden Kunst hinausging.
Am anderen Ende der Bildformate ent-
ziehen sich auch die Werke von Michael
Morgner der betrüblich primitiven Unter-
scheidung von „gegenständlich“ und „ab-
strakt“: Dunkle, sowohl malerisch wie
zeichnerisch, aber auch wie flache Skulp-
turen behandelte Leinwände, auf denen
man Körper, Gesten und Landschaften
zu erkennen meint, aber nie ganz sicher
sein kann. Trat demgegenüber Angela
Hampel im Sommer 1985 mit Bildern
hervor, die mythologische Figuren, meist
Frauen, in wilder, farbiger Expressivität
auf Leinwand und Papier brachte, so sagt
das Urteil „figürlich“ überhaupt nichts
mehr über eine von oben erpresste Ästhe-
tik aus. Ganz zu schweigen davon, dass
„DDR“ bei diesen Werken nur noch ei-
nen Entstehungsort bezeichnet, den man

wissen kann, aber niemals durch Bildbe-
trachtung ermitteln könnte.
Die Wege der Malerei sind also auch un-
ter starkem politischen Druck nicht vor-
hersehbar, unerfindlich und keineswegs
eindeutig. So wenig wie die Urteile des Pu-
blikums, unter denen die der Kunstwarte
von gestern und heute nur die einer ein-
flussreichen Minderheit sind. Wollte man
den in Düsseldorf gezeigten Bildern über-
haupt eine Gemeinsamkeit zuschreiben,
so wäre es gewiss keine politische.
Cornelia Schleime, die in Düsseldorf
an der Ausstellungseröffnung mit Bundes-
präsident Frank-Walter Steinmeier betei-
ligt war, hielt anekdotisch eine ganz ande-
re Differenz zwischen allen Künstlern im
Osten undmanchen im Westen fest. Als
sie nach ihrer Übersiedlung Kollegen be-
suchte, fand sie auf deren großen Tischen
zur eigenen Überraschung oft nicht Far-
ben, Pinsel, Papier und andere Materia-
lien. Sondern „Wittgenstein-Bände mit
Spickzetteln“. Verwundert habe sie also
zur Kenntnis genommen, dass im Westen
in den achtziger Jahren Theorien und Kon-
zepte für viele Künstler viel wichtiger ge-
worden waren als Werke. Sie wirkten auf
sie, so Schleime, „wie Kuratoren ihrer
selbst“. Das Festhalten am Bildwerk gegen-
über Konzepten teilten denn auch jene
Künstler, die aus der DDR stammten und
früh ausgewandert waren, um die Kunst
der Bundesrepublik vom Rheinland aus zu
prägen – etwa Gerhard Richter, Günther
Uecker und Gotthard Graubner – mit de-
nen, die blieben. Womöglich ist darum die
politische oder moralische Unterschei-
dung von Kunstwerken viel informations-
ärmer, als man denkt. Und nur so beliebt,
weil es so leicht geht. JÜRGEN KAUBE
„Utopie und Untergang“, im Kunstpalast Düssel-
dorf, bis 5. Januar, der Katalog zur Ausstellung kos-
tet gebunden 38,– €.

D


ie Berufsaussichten für Wirt-
schaftswissenschaftler sind auch
nicht mehr das, was sie waren. Stärker
als bisher bekannt, konkurrieren sie
mit Geisteswissenschaftlern um Füh-
rungspositionen in der Wirtschaft. So
zumindest kann man mit viel gutem
(oder bösem) Willen zwei neue Studi-
en des Instituts für deutsche Wirt-
schaft in Kooperation mit dem Stifter-
verband und der Gerda Henkel Stif-
tung verstehen. Von der halben Milli-
on erwerbstätiger Geisteswissenschaft-
ler in Deutschland, das Lehramt ausge-
nommen, arbeiteten im Jahr 2016
schon 140 000 als Führungskräfte. Das
klingt, wenn man auf Geistis traditio-
nell eher herabschaut, nach erstaun-
lich viel. Berufserfahrene männliche
Geisteswissenschaftler, heißt es, stün-
den so gut da wie der Durchschnitt al-
ler Akademiker. Selbst die von vielen
belächelte Promotion, die, verzichtet
man aufs Pfuschen, schon ein paar ein-
same Stubenjährchen kosten kann, soll
sich lohnen. Jeder dritte Dr. phil. ver-
dient im Monat viertausend und mehr
Euro netto. Wenn der geisteswissen-
schaftliche Nachwuchs – diese Hal-
tung liest man aus den Studien heraus


  • jetzt noch bereit wäre, sich noch wei-
    ter zu verbiegen, seine inzwischen oh-
    nehin bis zur Servicementalität rei-
    chende Kommunikations- und Koope-
    rationsfähigkeit („gerne“, „genau“)
    weiter zu steigern sowie seine „Future
    Skills“ aufs Digitale auszuweiten, stün-
    de ihm eine gute Zukunft in der Indus-
    trie 4.0 bevor. Denn die eher schlechte
    Nachricht ist, dass der im Zuge der Bo-
    logna-Reform neu geschaffene, eigent-
    lich aufs Berufsleben schnittig vorbe-
    reiten sollende Bachelor-Studienab-
    schluss aus Sicht der Wirtschaft immer
    noch floppt. Vor allem weibliche Ba-
    chelors sollen es laut den Publikatio-
    nen im Berufsleben schwer haben.
    Kann es sein, dass die in der Wirt-
    schaft auch bei Geisteswissenschaft-
    lern nachgefragten Skills eher klas-
    sisch-männlicher Natur sind? Und nur
    für den Hinterkopf: Womöglich haben
    viele Geisteswissenschaftler eine eige-
    ne Mentalität, sind vermehrt wachs-
    tumsskeptisch, manche haben wohl
    gar ein Verständnis von Nachhaltig-
    keit, das mit dem verbreiteten Wirt-
    schaften nicht übereinzubringen ist.
    Aus den Studien hingegen spricht die
    Haltung: Der Bachelor ist vom Kommu-
    nikationskompetenzanteil her ja schon
    ganz schön, nur hätte man bei der Kon-
    zeption neben der Kür – der Geistes-
    wissenschaft im engeren Sinn – die
    Pflicht nicht vergessen sollen, also das
    Büffeln für die digitale Berufswelt. Ar-
    gumentativ gesehen, ist das auf viele
    Fälle angewendet so, als würde man ei-
    nem Veganer sagen, er wäre ja eigent-
    lich der perfekte Vegetarier, er solle
    sich künftig nur einfach an Milch ge-
    wöhnen. Ist der Weg zum gefragten
    Facharbeiter nicht doch etwas steini-
    ger für Geisteswissenschaftler? Oder
    können Geistis alles, wenn sie nur wol-
    len und sich nicht unterschätzen? Die-
    se Frage beantwortet gerade ein Alter-
    tumswissenschaftler, der es jüngst zum
    britischen Premierminister brachte,
    auf seine Weise. Das kann der Wirt-
    schaft auch nicht recht sein, zumal der
    Wirtschaftswissenschaftler an der Spit-
    ze der Vereinigten Staaten keine besse-
    re Figur macht. Vielleicht sollte man
    doch lieber über eine grundlegende Re-
    form des Universitätswesens nachden-
    ken, über eine, die Geisteswissen-
    schaftler und ihre Fähigkeit zur Durch-
    dringung einer immer komplexer und
    bedrohlicher werdenden Realität wirk-
    lich ernst nimmt. uweb


Ikarus, aufs


Visum wartend


Wie viel Schlaf braucht ein Esel? Wel-
ches Körpergewicht sollte ein Darstel-
ler des Heilands nicht überschreiten,
wenn er sich nicht den Vorwurf der
Tierquälerei zuziehen will? Und
schließlich: Sind Esel natural born
Rampensäue,die den Auftritt vor gro-
ßen Zuschauermengen genießen, oder
handelt es sich um eher schüchterne
Tiere, die es kaum aushalten, wenn sie
im Scheinwerferlicht stehen? Mit sol-
chen Fragen müssen sich die Veranstal-
ter der traditionellen Oberammergauer
Passionsspiele beschäftigen. Denn
nach Ansicht von Tierschützern soll Je-
sus bei der Freilichtaufführung im kom-
menden Jahr nicht mehr auf einem
Esel, sondern auf einem E-Scooter
nach Jerusalem einziehen. Der Ritt ei-
nes erwachsenen Christus-Darstellers
auf einem Esel sei tierschutzwidrig, er-
klärte die Tierschutzorganisation Peta
der Deutschen Presseagentur zufolge in
dieser Woche: „Heutzutage würde Je-
sus nicht mehr auf einem Esel reisen.
Er würde sich vermutlich auf einem
E-Roller oder mit einem anderen tier-
und umweltfreundlichen Elektromobil
fortbewegen.“ Aus Oberammergau ist
Widerspruch zu hören. Die Alternative
mit E-Scootern sei nicht denkbar, er-
klärte ein Sprecher. Die Passionsspiele
stünden in einem historischen Kontext,
in dem es noch keine Elektrofahrzeuge
gegeben habe. Das stimmt. Man sollte
Esel übrigens nicht unterschätzen. Sie
sind jedenfalls klug genug, sich jede
Spekulation darüber, was Jesus heute
tun oder lassen würde, zu sparen. igl

Dr. phil. 4.


Um Esels willen
Oberammergau in der Kritik

Erstmals wird in Westdeutschland die Malerei der


DDR in historischer und ästhetischer Breite gezeigt.


Die Düsseldorfer Schau „Utopie und Untergang“


konfrontiert ihre Betrachter dabei mit Vorurteilen,


die über Kunst aus der DDR in Umlauf sind.


Angela Hampels „Judith“ von 1985 (oben rechts) präsentiert
denKopf des Holofernes ohne jeden Triumph und ist auch sonst
nicht geeignet, viele Mann-Frau-Stereotype aufzurufen.
Carlfriedrich Claus’ „Bioelektrizitätskombinat mit versuchter
historischer Rückverbindung“ von 1965 (oben links) wurde
von dem westdeutschen Sammler, der es dem Künstler abgekauft hatte,
der Grenzpolizei der DDR gegenüber als Kinderzeichnung deklariert.
Cornelia Schleime bebilderte in der Collage ihrer Serie „Bis auf
weitere gute Zusammenarbeit“ (unten rechts) 1993 ihre Stasi-Akte
mit Fotografien. Zum Witz vom Wolfgang Mattheuers
„Seltsamer Zwischenfall“ (unten links) von 1984 gehört es,
dass die glotzende Reisegruppe, die des gefallenen Helden
ansichtig wird, sich in einem Wagen des ungarischen
Omnibus-Herstellers „Ikarus“ befindet. Abbildungen aus dem Katalog
Free download pdf