Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.09.2019

(Nandana) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik FREITAG, 6. SEPTEMBER 2019·NR. 207·SEITE 7


SPD offen für Anti-IS-Einsatz
Nach wochenlanger Ablehnung zeigt
sich die SPD nun doch offen für eine Ver-
längerung des Anti-IS-Einsatzes der in
Jordanien stationierten Tornado-Flug-
zeuge der Bundeswehr. Innerhalb der ver-
bleibenden Wochen bis zum Auslaufen
des derzeitiges Mandats am 31. Oktober
sei ein vollständiger Abzug der Aufklä-
rungsflugzeuge und der Infrastruktur
nicht mehr zu schaffen, sagte SPD-Frakti-
onschef Rolf Mützenich am Donnerstag
in Berlin. Der früheren Verteidigungsmi-
nisterin Ursula von der Leyen (CDU)
warf er vor, es sei ihr Versäumnis, dass
sie den Abzug mit den Partnern nicht aus-
reichend abgesprochen habe. Ihre Nach-
folgerin Annegret Kramp-Karrenbauer
(CDU) habe zugesagt, „dass sie in relativ
überschaubarer Zeit mit den Partnern


eine Lösung finden wird“. Mützenich hat-
te bisher eine Verlängerung des Mandats
abgelehnt mit Verweis darauf, dass
Deutschland ein Jahr im Voraus angekün-
digt habe, dass die Soldaten und Flugzeu-
ge am 31. Oktober abgezogen würden.
„Darauf konnten sich unsere Partner ein-
stellen“, sagte der kommissarische Frak-
tionsvorsitzende noch vor knapp zwei
Wochen. (Reuters)

Franco A. plante Anschlag
Der unter Terrorverdacht stehende Bun-
deswehroffizier Franco A. hat nach ei-
nem Medienbericht Planungen für einen
Anschlag schriftlich festgehalten. Den
Ermittlern lägen Notizen aus einer Ter-
minmappe des Oberleutnants vor, be-
richtete das „Redaktionsnetzwerk
Deutschland“. Die Notizen könnten als

Ablaufplan für ein Attentat in Berlin ge-
deutet werden. Das Medium beruft sich
auf einen Vermerk des Bundeskriminal-
amts. Danach habe Franco A. von seiner
Heimatstadt Offenbach mit einem Mo-
torrad nach Berlin fahren wollen. Ein
Komplize habe ihm eine Schrotflinte in
die Hauptstadt bringen sollen. Dem Be-
richt zufolge sollte der Anschlag der Vor-
sitzenden der Amadeu Antonio Stif-
tung, Anetta Kahane, gelten. Dass
Franco A. Kahane als Anschlagsopfer in
den Blick gefasst hatte, war bekannt.
Die Bundesanwaltschaft hatte bei der
Anklageerhebung im Dezember 2017
mitgeteilt, dass dies aus „Aufzeichnun-
gen des Angeschuldigten“ hervorgehe.
Der Generalbundesanwalt glaubt, dass
Franco A. aus einer rechtsextremen Ge-
sinnung heraus Politiker und andere

Menschen töten wollte, die sich für
Flüchtlinge einsetzten. (dpa)

Zahl der Asylanträge rückläufig
Die Zahl der Asylanträge in Deutschland
ist weiter zurückgegangen. Wie das Bun-
desinnenministerium am Donnerstag mit-
teilte, wurden im August 11 076 Erst-
und 1696 Folgeanträge gestellt. Das wa-
ren 15,5 Prozent weniger als im Vorjahres-
monat. Am häufigsten stellten demnach
Syrer, Türken und Iraker einen Asylan-
trag. In diesem Jahr wurden damit bis-
lang rund 114 000 Asylanträge gestellt,
darunter rund 98 000 Erstanträge. Im Ver-
gleich zum Vorjahreszeitraum waren das
etwa 13 000 Asylbegehren oder 10,5 Pro-
zent weniger. Am häufigsten stellten in
diesem Jahr bislang Syrer, Iraker und Ni-
gerianer einen Antrag. (KNA)

MAPUTO, 5. September


W


enn ein Papst zu Besuch
kommt, müssen Straßen für den
Verkehr gesperrt werden. So
war es auch, als Franziskus am Mittwoch-
abend auf der ersten Station seiner
knapp einwöchigen Südost-Afrikareise
in Maputo, der Hauptstadt von Moçambi-
que, eintraf. Um welche Straßen es sich
handelte, verlas im Staatsfernsehen in ei-
ner Art Endlosschleife Eneas Comiche,
Bürgermeister von Maputo und verdien-
ter Veteran der marxistischen „Befrei-
ungsfront Moçambiques“ (Frelimo). Un-
ter anderen blieben gesperrt: die Aveni-
da Guerra Popular sowie die Avenidas
Vladimir Lenine und Mao Tse Tung.
Es war, als schwelgte der 80 Jahre alte
Bürgermeister beim stoischen Verlesen
der nach dem Volkskrieg nach Lenin und
Mao benannten Straßen ein bisschen in
Erinnerungen an die selige Volksrepublik
Moçambique (1975 bis 1990). Die wurde
zwar offiziell vor fast drei Jahrzehnten
von der Republik Moçambique abgelöst,
einer Demokratie mit Mehrparteiensys-
tem, Marktwirtschaft, Meinungsfreiheit
und so weiter. Aber ganz verblichen ist
die Volksrepublik nicht. Auf jedem Auto-
kennzeichen prangt das Staatswappen
der 1990 gegründeten „República de Mo-
çambique“, noch immer mit Kalaschni-
kow und Feldhacke, mit rotem Stern und
gelbem Zahnrad, umrahmt von einem
Maiskolben und einem Zuckerrohr. Auch
die einstige Staatspartei Frelimo ist noch
immer an der Macht, ununterbrochen seit
der Republikgründung. Das dürfte sich
nach den Präsidenten-, Parlaments- und
Provinzwahlen vom 15. Oktober nicht än-
dern. Der gegenwärtige Staats- und Par-
teichef Filipe Nyusi wird gewiss auch der
nächste sein.
Die Kampagne für die Wahlen Mitte
Oktober haben vor kurzem begonnen,


und die Leute von Frelimo haben ganze
Arbeit geleistet. Allenthalben sind in Ma-
puto die Plakate der Frelimo zu sehen.
Die Farben und Symbole der Partei äh-
neln dem Staatswappen; bei der Frelimo
ersetzen ein Maiskolben und eine Trom-
mel die Kalaschnikow und die Hacke.
Dazu sieht man überall das Gesicht des
Präsidenten und die Worte „Vota Nyusi“.
Am Donnerstag, dem ersten vollen Tag
des Besuches von Franziskus, wich der
Präsident ihm nicht von der Seite. Er hielt
die Eröffnungsansprache beim Treffen
des Papstes mit Diplomaten, Politikern
und Vertretern der Zivilgesellschaft. Er
saß neben dem Papst beim interreligiösen
Treffen mit rund 5000 christlichen, musli-
mischen und hinduistischen Jugendlichen
in einem Sportkomplex. Dort gab es viel
Tanz, Theater und Gesang, Aufrufe zu
Frieden, Verständigung und Versöhnung.
Nyusi folgte Franziskus am Nachmittag
sogar zu dessen als Privatbesuch deklarier-
ter Visite beim Straßenkinderprojekt „Ma-
teus 25“. Nur beim Mittagessen in der
Nuntiatur sowie bei der Begegnung mit Bi-
schöfen und Priestern, Ordensleuten und
Seminaristen in der Kathedrale Nossa Se-
nhora da Conceição ließ der Präsident
den Papst, der sein Staatsgast ist, für eini-
ge Stunden aus den Augen.
Der Besuch von Moçambique, Mada-
gaskar und Mauritius ist die 31. Reise des
Pontifikats von Franziskus, aber die erste
nach Südost-Afrika. In Moçambique, wo
die Staatssprache Portugiesisch ist, fühlte
sich der Papst aus Argentinien sichtlich zu
Hause. Seine Reden hielt er in der Landes-
sprache, einen Übersetzer brauchte er nur
bei seinen unvermeidlichen Abschweifun-
gen aus dem Stegreif. Franziskus’unüber-
hörbarer spanischer Akzent tat dem Ver-
ständnis zwischen Redner und Zuhörern,
über die Grenzen von Herkunft und Haut-
farbe hinweg, keinen Abbruch. Etwa 28

Prozent der rund 30 Millionen Einwohner
Moçambiques sind Katholiken. Damit
stellen sie zwar noch immer die relative
Mehrheit aller Religionsgruppen, doch
der Anteil der Muslime nimmt zu und
wird auf inzwischen 20 Prozent geschätzt.
Auch evangelikale Pfingstkirchen aus Bra-
silien sind in Moçambique eine wachsen-
de Konkurrenz für die katholische Welt-
kirche. Mehr als 60 Prozent der Einwoh-
ner des Landes leben in extremer Armut.
Im Zentrum dieser Papstreise stehen
die Themen Frieden und soziale Gerech-
tigkeit, Klimawandel und Ausbeutung
der Natur. „Der Schutz der Erde ist zu-
gleich Schutz des Lebens“, sagte Franzis-
kus beim Höflichkeitsbesuch im Präsi-
dentenpalast am Donnerstagmorgen. Zu
den Zuhörern des Papstes im Palácio da
Ponta Vermelha gehörte auch Oppositi-
onsführer Ossufo Momade von der eins-
tigen Rebellenbewegung und jetzigen
rechten Partei „Nationaler Widerstand
Moçambiques“ (Renamo). Präsident
Nyusi und Renamo-Chef Momade ha-
ben erst am 6. August in Maputo den Ver-

trag für einen „definitiven Frieden“ ge-
schlossen, der den faktisch seit der Unab-
hängigkeit von 1975 andauernden Bür-
gerkrieg beenden soll. Frühere Friedens-
verträge, von 1992 und 2013, hatten die
in sie gesetzten Hoffnungen auf Versöh-
nung nicht erfüllen können. „Lassen Sie
in Ihrem Einsatz nicht nach, nachhalti-
gen Frieden zu schaffen“, mahnte Fran-
ziskus Nyusi und Momade. Zugleich er-
innerte der Papst daran, dass es „ohne
Chancengleichheit“ und ohne Dialog
über die Grenzen der Religion hinweg
keine wirkliche Kultur des Friedens ge-
ben könne; diese sei ihrerseits die Vor-
aussetzung für „eine produktive, nach-
haltige und inklusive Entwicklung“. Ob-
wohl Oppositionsführer Momade, der
selbst Muslim ist, beim Papstbesuch
deutlich im Schatten von Präsident Nyu-
si stand, zeigte er sich zuversichtlich.
„Die Menschen brauchen Frieden. Wir
befinden uns in einer Wahlperiode, aber
die Anwesenheit des Heiligen Vaters
wird zur Versöhnung beitragen“, sagte
Momade der Zeitung „O País“.

HOLON, 5. September. Wenn man so
will, dann verkörpert Meni Grinstein das
Herz der israelischen Arbeitspartei. Grin-
stein ist mittlerweile 65, steht in Holon,
einer Stadt in der Peripherie von Tel
Aviv, und bedauert die Arbeitsmoral der
jungen Leute. „Jeder wechselt den Job,
sobald er woanders mehr bekommt“,
sagt Grinstein, „und niemand interes-
siert sich noch für die Gewerkschaft“.
Sein Berufsleben verbrachte er erst als
Angestellter einer Bank und später als
Funktionär in der damals mächtigen Ge-
werkschaft. Die Gewerkschaft machte
ihn wohlhabend, zum Ruhestand erhielt
er ein Vermögen. Was nicht weiter auf-
fällt, wenn er da steht mit kurzer Hose,
T-Shirt und einem Pappbecher mit In-
stant-Kaffee.
Tel Giborim ist ein Stadtteil der unte-
ren Mittelklasse. Links und rechts der
Straße ziehen sich einfache Mehrge-
schosshäuser, und an den Bushaltestel-
len stehen junge religiöse Juden mit nord-
afrikanischem Hintergrund. Üblicherwei-
se findet Tel Giborim in Israel wenig Be-
achtung, und wenn, dann meist im Zuge
der Berichterstattung über die örtliche
Kriminalität. Aber heute kommt Amir Pe-
retz, Vorsitzender der Arbeitspartei – ein
alter Gewerkschaftsführer, den Grin-
stein noch persönlich kennt. „Holon war
mal eine rote Stadt, jetzt ist sie Likud“,
sagt der Parteiaktivist. „Dabei machen
wir das bessere soziale Angebot.“ Die
meisten Gebäude hier wurden in den
fünfziger Jahren errichtet. Rote, schwar-
ze und weiße Luftballons haben sie an
der löchrigen Waschbetonmauer des Ge-
meindezentrums befestigt, in dem Peretz
spricht. Ein paar Dutzend Männer und
Frauen sind gekommen, der Altersdurch-
schnitt ist um die siebzig. Israels Sozialde-


mokratie hat nicht nur Nachwuchssor-
gen, sondern auch ein Existenzproblem.
Der Partei David Ben-Gurions, die
den Staat gründete und Israel jahrzehnte-
lang regierte, gleichsam eins war mit
dem Establishment und der Armee, geht
es so schlecht wie nie. Derzeit hat sie
noch sechs von hundertzwanzig Sitzen in
der Knesset. Bei der Parlamentswahl in
zwei Wochen könnte sie sogar an der
3,25-Prozenthürde scheitern. Das Zen-
trum deckt mittlerweile das Wahlbünd-
nis Blau-Weiß des ehemaligen General-
stabschefs Benny Gantz ab, und auf der
Linken tritt ein Bündnis von linken Awo-
da-Abweichlern zusammen mit dem frü-
heren Ministerpräsidenten Ehud Barak
und der linken Meretz-Partei an.
Amir Peretz ist der fünfte Vorsitzende,
den sich die Arbeitspartei in den letzten
acht Jahren gewählt hat. Von 2005 bis
2007 war Peretz schon einmal Vorsitzen-
der, jetzt ist er siebenundsechzig. Gerade
schaffte er es in die Schlagzeilen, weil er
sich nach Jahrzehnten den Schnauzbart
abrasierte. Die Umfragen hat das nicht
verbessert. „Benny Gantz sagte, er wolle
Netanjahus Wähler überzeugen“, ruft
Amir Peretz in Tel Giborim, „dabei trinkt
er unsere Wähler, einen nach dem ande-
ren.“ Auf das Straßenbild des Ortes, an
dem er spricht, nimmt Peretz dagegen
keinen Bezug. Mittlerweile werden in Is-
rael mehr Juden mit orientalischem
denn europäischem Hintergrund gebo-
ren. Staatsgründer Ben-Gurion verfuhr
mit den jüdischen Einwanderern aus
Staaten wie Marokko, dem Irak oder Je-
men nicht eben glimpflich, ließ sie in die
Peripherie verfrachten. Die entsprechen-
de Abneigung gegen die Arbeitspartei
zieht sich deshalb bis heute durch diese
Familien. Peretz, selbst in Marokko gebo-

ren, versucht dies zu ändern. Mit wenig
Erfolg bislang.
„Wenn sie den Einzug ins Parlament
verfehlt, dann wäre es das Ende der israe-
lischen Arbeitspartei“, sagt Ayelet Nah-
mias-Verbin, die sich als Abgeordnete
nicht zur Wiederwahl stellte. Die Grün-
de für den Absturz der Partei sind vielfäl-
tig. Mehr als die Hälfte der Israelis gibt
heute an, rechts eingestellt zu sein. Dass
die Arbeitspartei mittlerweile als links
gilt, sei ein Kernproblem, sagt Nahmias-
Verbin. „Israel ist wohl das einzige Land,
in dem das ‚Zentrum‘ eine eigene Ideolo-
gie ist“, sagt die Politikerin. „Und wir ha-
ben das Zentrum vernachlässigt.“ In den
vergangenen anderthalb Jahrzehnten sei
die Partei nach links gerückt, nicht nur
wirtschaftlich, sondern vor allem auch
im Umgang mit Minderheitsrechten und
der Palästina-Frage. Es sind ohnehin
schwache Stimmen, und ohne die Ar-
beitspartei würden sie in Israel noch lei-
ser werden.
Andererseits war es die Arbeitspartei,
unter deren Herrschaft der völkerrecht-
lich illegale Siedlungsbau in den besetz-
ten palästinensischen Gebieten einst
überhaupt begann und gefördert wurde.
Jahrzehnte später aber mehrte sich die
Kritik in der Partei am Verhalten des Mi-
litärs in diesen Gebieten, der angesehens-
ten Institution des Landes – im Gegen-
satz zur Bevölkerungsmehrheit. Auf den
Zusammenbruch des sogenannten Frie-
densprozesses und den Terror der Intifa-
da hat die Arbeitspartei bis heute keine
mehrheitsfähige Antwort gefunden.
Auch der Vorsitzende Peretz hat das er-
kannt. Zur Wahl am siebzehnten Septem-
ber tritt er nicht gemeinsam mit den
linksliberalen Parteien an, sondern in ei-
nem Bündnis mit Gescher – jener Partei,

deren Vorsitzende Orly Levy einst für
die nationalistische Partei Yisrael Beite-
nu in der Knesset saß. Sicherheitspoli-
tisch tritt sie hart auf, aber Kernanliegen
ist das Soziale. Peretz’ Wahlkampfmana-
ger sagt, in der Peripherie sehe er Potenti-
al, neue Wähler zu gewinnen.
„Peretz ist klassisch links eingestellt,
aber seine Wähler insbesondere in der
Peripherie und in Grenznähe vertreten si-
cherheitspolitisch viel härtere Positio-
nen“, sagt Nahmias-Verbin. Peretz be-
tont den schlechten Zustand der Kran-
kenhäuser, der israelischen Schulen, die
wachsende Zahl armer Kinder trotz gu-
ter Wirtschaftsdaten und verspricht eine
Anhebung der Grundrente auf umgerech-
net 1500 Euro monatlich. Die Palästina-
Frage übergeht Peretz. Doch rasch
kommt er zu Militärischem. „Ich holte
uns 2007 den Iron Dome“, ruft Peretz
mit hoher Stimme und schwenkt die
Arme. Die Anschaffung des teuren Rake-
tenabwehrsystems setzte er damals als
Verteidigungsminister durch. Im Wahl-
kampf lässt die Arbeitspartei deshalb
jetzt Fahrzeuge mit Modellen des Iron
Dome durchs Land fahren.
Und doch wird das Militärische im
Wahlkampf von Gantz dominiert, wenn
man von Netanjahu einmal absieht. „Für
mich verkörpert Benny Gantz heute die
einstige Arbeitspartei“, sagt Nahmias-
Verbin, die ihre Karriere als Rechtsbera-
terin des später ermordeten Ministerprä-
sidenten Jitzhak Rabin begann. Gantz
habe auch etwas von Rabin: den Respekt
vor dem Land und vor den Wählern.
Gantz jedoch lehnt jede Identifikation
mit der Arbeitspartei im Wahlkampf ab,
der sein Vater einst angehörte. „Das Ar-
beitspartei-Label ist in Israel zu einer
problematischen Marke geworden“, sagt
Nahmias-Verbin.

Wichtiges in Kürze


Mit Kalaschnikow


und Feldhacke


Handys zum Himmel:Papst Franziskus in Maputo Foto EPA


Politik


Blau-Weiß hat übernommen


Einst stand Israels Arbeitspartei für den Staat – vor der Knesset-Wahl kämpft sie ums Überleben / Von Jochen Stahnke


Papst Franziskus besucht Südost-Afrika und


setzt sich für einen nachhaltigen Frieden in


Moçambique ein.Von Matthias Rüb


Der F.A.Z. sei gedankt, dass sie ihren de-
taillierten Bericht über die Hongkong-De-
monstrationen in Australien schon auf
Seite drei darstellt (Till Fähnders „Von
Freiheit haben sie keine Ahnung“. F.A.Z.
vom 30. August) Tatsächlich sollte dieses
Phänomen sehr zu denken geben. Seit Ti-
anmen hat sich die Einwanderung von
Volksrepublikanern nach Australien ge-
zielt verstärkt. Anders als zur Zeit der
Sowjetzone braucht die Volksrepublik die
Auswanderung ihrer klugen jungen Leute
in Wissenschaft und Wirtschaft nicht zu
fürchten, denn die materiellen Anreize
und der steigende Luxus im Land sind at-
traktiv genug, um sie und ihre Familien
an der Kandare zu halten. Außerdem ist
China ja groß genug.
Die singenden Studenten in Melbourne
und Sydney wissen, dass sie Volksrepubli-
kaner auf Lebenszeit bleiben auch wenn
sie einen Australischen Pass bekommen.
Australien ist in den letzten Jahrzehnten
auf der Welle des chinesischen Auf-
schwungs fröhlich mitgeschwommen.
Universitäten und Wirtschaft haben sich


  • vom Geld betört – gedankenlos ver-
    strickt. Ein Zurück gibt es schon lange
    nicht mehr. Geschichte kann man ja so-
    wieso nicht zurückdrehen. Man sollte sie
    allerdings kennen und angemessen bewäl-
    tigen, was allerdings bei den vielen volks-
    republikanischen Einwanderern und Stu-
    denten in Australien nach meiner Erfah-
    rung weitgehend nicht der Fall ist. Sie ha-
    ben nicht nur keine Ahnung über die wirk-
    lichen Erfordernisse der Freiheit, ihre El-
    tern und Großeltern erzählen ihnen auch


nichts über ihre eigenen Taten und Erfah-
rungen während der Kulturrevolution.
Diese massive kollektive Verdrängung
wird von der Kommunistischen Partei
Chinas offenbar nicht bewältigt, sondern
eher gefördert. Bei aller Begabung und In-
telligenz findet man daher häufig Denk-
und Verhaltensmuster, wie man sie von
unbewältigten Traumata kennt. Reibungs-
loses Funktionieren und emsiges Überle-
ben fliehen zur Abwechslung in zerstreu-
enden Konsum und Chatrooms. Dabei
wundert sich sogar Chairman Xi, warum
seine jungen Leute so hedonistisch sind.
Australien und die westlichen Demokra-
tien wissen aus ihrer Geschichte, dass es
keinen menschlichen Wohlstand ohne
Freiheit der Seele und ihrer Gedanken
gibt. Sie müssen die Volksrepublik ohne
Gesichtsverlust daran erinnern, das seeli-
sche Unwohlsein zu lichten, das aus der
Verdrängung der Geschichte und des Ge-
wissens kommt.
Das ist eine schwierige Aufgabe, bei
der vor allem jetzt Universitäten und ihre
Geisteswissenschaften gefragt wären.
Selbst verstrickt, sind diese allerdings
auch in Australien noch zunehmend vom
postmodernen Geist bedrängt, was durch
Unterspülung der Wahrhaftigkeit die Ge-
dankenlosigkeit befördert. Eines bleibt
in dieser krisenhaften Konstellation, die
täglich in Hongkong tapfer eine Stimme
findet, allerdings klar: Nur wo Gedanken
und Gewissen in Freiheit zusammenflie-
ßen, kann wahrhafter Wohlstand dauer-
haft sein.
DR. GOETZ RICHTER AM, SYDNEY

Gedanken und Gewissen in Freiheit


Zum Thema polnische Reparationsforde-
rungen: Menschenleben sind nicht in Ver-
mögenswerten aufzuwiegen. Die Opfer
von Massenmorden noch viel weniger.
Deutschland hat unter dem „Führer“ Hit-
ler in maßloser Selbstüberschätzung ge-
glaubt, dem Rest der Welt eine Unmoral
sozialdarwinistischer Machart aufzwin-
gen zu können. Für dieses Verbrechen
hat Polen als erstes Opfer deutschen Grö-
ßenwahns Entschädigung in Gestalt drei-
er deutscher Provinzen erhalten – nicht

nur Staatsgebiet, sondern rentierliches
Grundeigentum im Wert von vielen Milli-
arden.
Soweit dies unter Menschen möglich
ist, sind mit dieser zeitlich unbegrenzten
Vermögensleistung auch unbezahlbare
Verluste ausgeglichen. Polen sollte mit
weiteren Reparationsforderungen nicht
seine eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel
setzen.
PROFESSOR EM. DR. IUR. DR. H. C. DIETMAR
WILLOWEIT, WÜRZBURG

Zu „Klare Kante gegen alle“ von Paul In-
gendaay im Feuilleton der F.A.Z. vom 3.
September: Von allen Kommentaren zu
den Landtagswahlen in Brandenburg und
Sachsen bringt es Paul Ingendaay am bes-
ten auf den Punkt: „Eine phantasielose,
ängstliche Gesellschaft starrt auf die Stö-
renfriede vom rechten Rand und ist zu trä-
ge, in deren Themen die eigene Aufgabe
zu erkennen.“
Die bisherigen „Altparteien“ zeigen
alle „klare Kante“ gegen die AfD und wer-
ten diese dadurch zur angeblich einzigen
Opposition auf, anstatt sich darauf zu kon-
zentrieren, ihre jeweils eigenen Positio-
nen aufzuzeigen und zu verteidigen. War-
um suchen die (immer noch) stärksten
beiden Regierungsparteien CDU und
SPD in Sachsen und Brandenburg nun
„Schnittmengen“ mit den anderen Partei-
en, um in vermutlich langen Verhandlun-
gen zu Kompromissen zwischen wider-

streitenden Standpunkten und zu am
Ende niemanden befriedigenden Koaliti-
onsverträgen zu kommen? Warum haben
sie nicht den Mut zu Minderheitsregierun-
gen? Das würde ihnen vermutlich wieder
mehr Anerkennung bei ihrer Stammwäh-
lerschaft verschaffen und dazu dienen,
ihre jeweils eigenen Vorstellungen mit
wechselnden Mehrheiten besser durchzu-
setzen. Zugleich würde dadurch das
Gleichgewicht zwischen den drei Gewal-
ten wiederhergestellt, welches heute
durch ein Übergewicht der Exekutive ge-
stört ist, und der Wähler hätte nicht mehr
den Eindruck, seine Stimme habe ohne-
hin keinen Einfluss, weil „die da oben“
doch machten, was sie wollten. Die SPD
hat es doch in Nordrhein Westfalen erfolg-
reich vorgemacht!
DR. HANS GEORG VON HEYDEBRECK,
STADTHAGEN

Der Bericht „Münchens Hyperloop hegt
Start-up-Ideen“ von Rüdiger Köhn
(F.A.Z. vom 17. August) lässt hoffen:
Vielleicht kann dieser internationale Er-
folg Deutschlands leicht angekratzten
Ruf als „Land der Ideen“ doch noch ret-
ten. Mit dem Hyperloop haben junge Stu-
denten der Technischen Universität Mün-
chen aus verschiedenen Fakultäten, von
der Luft- und Raumfahrt über die Elek-
trotechnik bis hin zur Betriebswirt-
schaftslehre, eindrucksvoll gezeigt, was
es heißt, sich von Chancen antreiben zu
lassen, das Scheitern in Kauf zu nehmen


  • und nach dem Motto „No risk, no fun“
    dabei sogar ein bisschen Spaß zu haben.
    Spaß am Tüfteln, am gemeinsamen Aus-
    probieren, am Testen und Optimieren –
    um schließlich erneut als Sieger bei Elon
    Musks Wettbewerb hervorzugehen.
    Ein junges Münchner Team mit einem
    Pod „Made in Germany“ im amerikani-
    schen Silicon Valley an der Spitze, das
    kann sich sehen lassen. Und vielleicht
    können wir diese Erfolgsstory hierzulan-
    de als Ansporn nutzen, intensiver dar-
    über nachzudenken, wie wir (noch) mehr
    Gründergeist in unsere Hochschulland-
    schaft bringen können. Dabei wäre es si-
    cherlich hilfreich, eine Stufe früher anzu-
    setzen und bereits in den Schulen zu
    mehr innovativer und kreativer Ideenent-


wicklung und -umsetzung anzuregen,
und zwar flächendeckend an allen Schul-
typen.
Was spricht gegen regelmäßige Projekt-
wochen, in denen Schüler und Lehrer mit
Studenten und Unternehmern gemein-
sam konkreten Fragen nachgehen wie:
„Welche Produkte oder Services nutzen
wir im Alltag, und wie können wir sie ver-
bessern?“, „Vor welchen Herausforderun-
gen steht unsere Gesellschaft, und wie
können wir sie lösen?“, „Wie können wir
die -Fridays for Future‘-Begeisterung in
Taten umsetzen und konkrete Lösungen
zur Verbesserung des Klimas entwi-
ckeln?“ Da braucht es Mathe-Stars, Phy-
sik-Profis und Allround-Werkler ebenso
wie Schreib-Genies, Bewegungs-Exper-
ten, Designer und Programmier-Freaks.
Dazu braucht es aber auch Stundenplä-
ne, die mehr Raum bieten für kreatives
Produzieren und Ausprobieren. Let’s go!
VERENA LAUFFS, ICKING

Zu „Wiedergutmachung in den Mühlen
derBürokratie. Wie Berlin Ungerechtig-
keiten für die Nachfahren von NS-Verfolg-
ten beseitigen will“ von Alexander Hane-
ke über die Erlangung des deutschen Pas-
ses für Nachkommen geflüchteter Juden
(F.A.Z. vom 30. August): Ich bin meiner
hochgeschätzten F.A.Z. dankbar, dass sie
dem Thema deutsche Pässe für die Nach-
kommen geflüchteter Juden breiten
Raum gegeben hat.
Ich habe vor Jahren erlebt, dass es
selbst für die Geflohenen/Überlebenden
schwierig sein konnte, ihre deutsche
Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen,
obwohl es da auch noch emotionale Ver-

bindungen zu ihrer deutschen Heimat
gab. Und nun also die Nachkommen. Prag-
matische Gründe stehen gewiss im Vor-
dergrund. Na und? Sie haben es sich nicht
ausgesucht, wo sie geboren wurden und
von wem. Ich frage mich, wie viele Nach-
kommen von Nazi-Bürokraten heute
noch in den Amtsstuben sitzen, die unge-
trübt von Wissen oder gar Einsicht ihre
Ablehnungen formulieren. Es macht
mich wütend. Es bedarf einer klaren ge-
setzlichen Regelung, die für die ganze
Bundesrepublik Gültigkeit hat. Und das
bitte bald, denn es kann ja nicht so
schwer sein.
CORNELIA SCHMALZ-JACOBSEN, BERLIN

Briefe an die Herausgeber


Deutsche Pässe


Polen sollte seine Glaubwürdigkeit nicht gefährden


Mut zu Minderheitsregierungen


Let’s go, Deutschland


X
Von den vielen Zuschriften,die uns täglich erreichen
unddie uns wertvolle Anregungen für unsere Arbeit
geben, können wir nur einen kleinen Teil veröffent-
lichen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie Kritik
oder Zustimmung enthalten. Oft müssen wir kürzen,
denn möglichst viele Leser sollen zu Wort kommen.
Wir lesen alle Briefe sorgfältig und beachten sie, auch
wenn wir sie nicht beantworten können.
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