Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.09.2019

(Nandana) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Deutschland und die Welt FREITAG, 6. SEPTEMBER 2019·NR. 207·SEITE 9


Jim Rakete


erklärt Peter Lindbergh
Jim Rakete lernte ihn schon Anfang der
achtziger Jahre kennen. Peter Lindbergh
hatte sich per Fax in Berlin angekün-
digt, und Rakete holte ihn am Flughafen
ab. „Danach haben wir dann die ganze
Nacht gesessen und miteinander ge-
redet“, sagt der Berliner Fotograf über
seinen Freund aus Paris, der am Diens-
tag im Alter von 74 Jahren gestorben ist.
Bis zum Schluss haben sie sich immer
wieder ausgetauscht. „Er ist mit seinem
unerschütterlichen Selbstbewusstsein
Ende der siebziger Jahre nach Paris ge-
gangen und dann nach New York, und
dort hat er dann die Fotografie revolutio-
niert.“ Lindbergh habe ihm gesagt, Ame-
rika sei damals noch im „Repräsentati-
onsstress“ gewesen. Von diesem Stress
hat Lindbergh mit seinen lässigen
Schwarzweißaufnahmen zumindest die
Modefotografie erlöst. Jim Rakete führt
die Bildsprache des Fotografen auf frü-
he Erfahrungen zurück. „Wenn er in die
Normandie fuhr, war das Erlebnissen
seiner Jugend geschuldet, als er mit sei-
nem kleinen 4CV und mit seiner Freun-
din und seinem besten Freund und des-
sen Freundin an den Strand fuhr.“ Die
Erinnerung an diesen kalten Strand
habe ihn immer wieder dorthin getrie-
ben. „Vier Generationen von Models
mussten da in dicken Pullovern frieren.“
Die Fähigkeit Lindberghs, Models in
Supermodels zu verwandeln, erklärt
Rakete so: „Er war ja eigentlich nicht
der typische feine Modefotograf, der im
gebügelten Anzug zum Set kommt, son-
dern ganz im Gegenteil: Perfektion hat
ihn nie interessiert. Ihm war es wichtig,
Persönlichkeiten einzufangen – nicht
Äußerlichkeiten. Er interessierte sich
bei der Modefotografie am allerwenigs-
ten für die Mode. Und am allermeisten
für den Menschen, der darin steckt. Er
hat immer die richtigen Augenblicke er-

fasst.“ Seine Schwarzweißfotografie sei
„ehrlich, authentisch und wirkmächtig“.
Das habe ihn von anderen Fotografen
unterschieden. (arwe.)

Scarlett Johansson


verteidigt Woody Allen
Auf Woody Allen lässt Scarlett Johans-
sonnichts kommen. Nach den abermals
hochgekochten Missbrauchsvorwürfen
gegen den Filmemacher, der im Jahr
1992 seine Adoptivtochter Dylan Far-
row begrabscht haben soll, versicherte
die Schauspielerin, ihn für unschuldig
zu halten. „Ich treffe Woody, wann im-
mer ich kann. Wir haben das Thema oft
diskutiert. Ich glaube ihm“, sagte Jo-
hansson dem „Hollywood Reporter“.
Die Vierunddreißigjährige, die mit Al-
len die Filme „Vicky Cristina Barcelo-
na“, „Scoop“ und „Match Point“ drehte,
warnte vor vorschnellen Verurteilungen
in Zeiten von MeToo. „Wir leben in ei-
ner Zeit, in der die Leute verständlicher-
weise auf den Barrikaden sind. Das
macht es schwierig.“ In Hollywood
schwimmt die Schauspielerin damit ge-
gen den Strom. Amazon Studios sagte in-
zwischen mehrere Produktionen mit
dem 83 Jahre alten Oscar-Preisträger Al-
len ab. Schauspieler wie Colin Firth,
Greta Gerwig und Mira Sorvino gaben
bekannt, in seinen Filmen keine Rollen
mehr zu übernehmen. (ceh.)

Brad Pitt


war unter Alkoholikern
Die Monate nach der Trennung von An-
gelina Jolie hat Brad Pitt bei den Anony-
men Alkoholikern verbracht. Wie der
Hollywood-Star der „New York Times“
verriet, fühlte er sich in der Gruppe gut
aufgehoben, da er zum ersten Mal offen
über sich sprechen konnte. „Es war ein
sicherer Ort, an dem es kaum Schuldzu-
weisungen gab“, sagte der Schauspieler
(„Once Upon A Time In Hollywood“).
Um mit der Aufmerksamkeit der Fans
umgehen zu können, habe er in den
neunziger Jahren auch immer wieder
Marihuana geraucht: „Ich wurde eine
Art Einsiedler und habe bis zur Besin-
nungslosigkeit gekifft.“ Jolie hatte im
Herbst 2016 abrupt die Scheidung einge-
reicht. Dem Beziehungsende nach fast
zwölf Jahren war ein Streit mit dem ge-
meinsamen Adoptivsohn Maddox an
Bord eines Privatjets vorausgegangen.
Pitt soll den damals Fünfzehnjährigen
im Alkoholrausch gestoßen haben. Da
sich das früher als „Brangelina“ bekann-
te Glamourpaar bislang nicht über
Finanzen sowie das Sorgerecht für die
drei leiblichen und drei adoptierten Kin-
der einigen konnte, lässt die Scheidung
weiterhin auf sich warten. (ceh.)

G


utmöglich, dass in dieser Kolumne
vom Beipackzettel schon einmal ab-
schließend die Rede war. Das macht aber
nichts, wie denn auch „Des Meeres und
der Liebe Wellen“ schon zweimal aufge-
führt wurde, Grillparzers schwimmen-
der Leander folglich zweimal zu ertrin-
ken hatte, abschließend natürlich. Der
Beipackzettel alias Packungsbeilage
oder Gebrauchsinformation hat es zu kei-
nem deutschen Wort gebracht, das so
schön und einfach wäre wie „Meer“, „Lie-
be“ und „Welle“. Die Pharmawörter sind
kleine Güterzüge von Begriffen und lei-
der nur Definitionen. Trotzdem zählt,
ganz wie die erwähnte Tragödie, der Bei-
packzettel zur Literatur. Beweis: Er wird
von vielen Menschen nicht zur Kenntnis
genommen, wird ungelesen aufgehoben
oder unbeachtet entsorgt. Außerdem ist
der jeweilige Text lang, sehr lang, viel zu
lang. Personen, die für Kürze schwär-
men, können sich auf den Weltunter-
gang berufen, dem der Satz „Die Welt ist
untergegangen“ in beispielhafter Objekti-
vität gerecht wird. Die Leser freilich wer-
den, und zwar gerade bei einem interna-
tional so bedeutsamen Ereignis wie dem
Endpunkt aller Endpunkte, auch am
Drum und Dran interessiert sein, sich
also auf farbige Berichte stürzen, die aus-
führlich sind wie der Beipackzettel. Um
von nun an bei diesem zu bleiben: Er
spannt, durchaus im Sinne gewiefter Ro-
manautoren, den Leser auf die Folter. Er
rückt mit der Auskunft, wann und wie
das Fertigarzneimittel einzunehmen sei,
mittags oder um Mitternacht, mit drei Li-
ter Wasser oder nur mit Sputum, erst
nach einer Weile heraus, weshalb hoch-
begabte Patienten, ganz wie trainierte
Bücherleser, irgendwo in der Mitte zu le-
sen anfangen und ihren Knackpunkt im
Nu gefunden haben. Prompt fordern die
Arzneimittelhersteller Ihre Leser auf,
brave Leser zu sein und jedes einzelne
Wörtchen in sich aufzunehmen. Wie

wäre es, wenn auch Romanautoren,
gleich zu Beginn und dann auf Seite 627,
an das Durchhaltevermögen ihrer Kun-
den appellierten? Wie wäre es außer-
dem, wenn sie ihren Verleger bäten, wie
die Pillenmacher die Möglichkeiten des
Fettdrucks zu nutzen und dadurch die sti-
listisch besonders geglückten Passagen –
es werden ja nicht mehr als zwei oder
drei sein – grafisch hervorzuheben? Die
Leser, auch die kerngesunden, die wenig
Zeit haben, wären dankbar dafür. Gesagt
werden muss noch, dass es kinderleicht
ist, ein Buch zuzuklappen, doch höllisch
kompliziert, den Zettel wieder korrekt
zusammenzufalten. Die Pariser Blitz-
partie eines Russen gegen einen Franzo-
sen nachzuspielen, bereitet da weniger
Kummer. ROSWIN FINKENZELLER

Weiß:Nepomnjaschtschi;Schwarz:Vachier-La-
grave – Sizilianisch – 1.e4 c5 2.Sc3 d6 3.f4 g6 4.Sf
Lg7 5.Lc4 Sc6 6.0-0 e6 7.d4 cd4: 8.Sb5 a6 9.Sbd4:
Sge7 10.Lb3 0-0 11.c3 Sd4: 12.Sd4: e5 13.Sf3 Dc
14.fe5: de5: 15.Sg5 Db6+ 16.Kh1 Le6 17.Se6: fe6:
18.Lg5 Tf1:+ 19.Df1: Te8 20.Td1 h6 21.Lh4 Kh7 (sie-
he Diagramm) 22.Df7 (Schwarz gab auf)

Auflösung vom 30. August:
1.Ld5 (Schwarz gab auf)

Foto AFP


WAAGERECHT: 1 Hier hat man sich mal
freigenommen von Standardausstattung
und Grundeinkommen 8 Voll ruheloser
Seelen und unter einem pechschwarzen
Mond landete ihr Werk in der Asche
(Vorn.) 10 Behördenbeamtenberufe auf
gehobener Stufe (Pl.) 13 Dieses auf Spa-
nisch steht für einen Mann aus Tartu
15 Verbreitet demonstrativ keine durch-
sichtigen Parolen 16 Nach dem nicht immer
angenehmen Bootsmann der gefürchtetste
Mann im Gorch-Fock-Lied 17 „Wenn das
Theater eingeht, ist auch der... einge-
gangen“ (Max Frisch) 18 Den Echten Dost
kann man Wohlgemut auchWilden Majoran
nennen 21 Fredrik Vahlesallein auf einem
Bein tanzende Katze will sie niemandem
reichen 23 Sobald das vorder Türe steht,
gibt’s was zu lesen 24 Beim Fliesenleger
hat sie einen Papageienschnabel 26 Via
Apfelsaft auch eine Brücke in die russi-
sche Sprache 27 Welche Art von Schlangen
sind als Kanonen durchgegangen? 28 Er
schrieb von Eulenpfingsten, Wunnigel
und von Pfisters Mühle (Nachn.) 29 „Ein
gesunder Mensch wird immer.. ., wenn er
ein Gedicht gemacht hat“ (Frank Wede-
kind) 31 Insgesamt in vollem Umfang
inklusive 32 Wie das Proton eines der
Baryonen unter Fermionen und Hadronen
33 Außer dem waren Jean-Paul Belmondo
und Jean Seberg in einem französischen
Klassiker 35 Jene bekannte Sorte von
Alten, die in Hamburgs Kirchen Kollegium
halten 36 Zeigt ein ziemliches Imposanz-
verhalten – dieser Großkopferte mit seinen
Meeresarmen 40 Das hat Franz Josef im
Nordpolarmeer und Chato im Kino
41 Auf jeder KARTE des Mittelmeers
kaum zu übersehen 42 Gemäß dem von
Rexona benannten prinzipiellen Verhältnis
zu Transpiranten 43 Es sind die des Herrn
Urian, die Matthias Claudius erzählen
kann (Pl.)

SENKRECHT: 1 Brettert als Emmy,
Eddy und Stella durch Deutschlands

Großstädte 2 „Unser Verstand hat die.. .,
nur auf dasjenige aufmerksam zu sein,
was ihm nicht der erste Blick entdeckt,
und nachlässig zu übergehen, was ihm
klar war wie die Sonne“ (Johann Joachim
Winckelmann) 3 Alter Wein ist damit auch
Schnee von gestern 4 Quasi Leinenaus-
gabe der Christlichen Seefahrt 5 Die führen
ihre Tänze bis an die Gewundenheits-
grenze (Pl.) 6 So ganz groß raus kam er
erst mit seinem Grab 7 So kühl kalkuliert,
dass sich Schleckermäulchen die Kugel

geben (Pl.) 9 Urbanes Rundum-Sicher-
heits-Angebot à la Mittelalter (Pl.)
11 Pflegt in Kellern, an Klippen und
Mauern auch namentlich zu überdauern
12 Wenn er nicht verschnupft ist, dann
raucht’s demnächst irgendwo 14 Für viele
ein Traum: Sandburgenland an der Water-
kant für immer 18 Mit all jenen Haken
verbunden, die man im Klauselkleinkram
gefunden (Pl.) 19 Steigert sich zum Preise
der Wertschätzung und darüber hinaus
20 Den will Karl Moor in Schillers

„Räubern“ vergiften 22 Betriebsbasis
fürs Busbusiness (Abk.) 25 Was gemeine
Frankfurter zur Umstellung zwingt
29 Na, die Bank, auf der Ben Hur ständig
zu tun hatte 30 Womit lassen sich Darm
und Magen etwas Gemeinsames nach-
sagen? 34 Mythischer Goldmacher
(Vorn.) 35 Funny van Dannens Geburts-
tagspostermotivwunsch 37 Dort im Tal
hat man die Feen meist im Schottenrock
gesehen 38 Todesfall im Club der toten
Dichter (Vorn.) 39 Welche Züge können
uns gestohlen bleiben? meu.

Auflösung vom 30. August:
Waagerecht: 1 Weltenbummlerin 9 Olivenernte
(Olivenöl = wichtiger Bestandteil des griech. Ex-
ports) 12 Sina (= A-N-I-S) 13 Raub(-bau) 14 Dekolle-
té 18 Kate(-gorisch; Kalauer, Pardon!) 20 Nanu
22 Onno (Behrends, ostfries. Teefabrikant, 1862 bis
1920) 23 (So’n) Ding (wie mein Tuut Tuut, Textzeile
im Lied „Mein Tuut Tuut“ von Leinemann, 1985)
24 Adel 25 Stern(-formation, Flugformation beim
Fallschirmspringen mit mehreren Personen)
26 Weil (am Rhein, Stadt in Baden-Württemberg)
27 Ross 28 Ulan (Lanzenreiter bei der Kavallerie)
29 Tank 30 (Boris Johnson und David Cameron gin-
gen beide zur selben Zeit aufs) Eton (College, Elite-
schule in England) 31 Ausmessen 34 Agil 36 Dorn
38 Nebenbuhler 41 Treibholzhaufen
Senkrecht: 1 Weisskrautsalat (Kappes = Bezeich-
nung für Weißkohl) 2 Lyon (Stadt in Frankreich, Sitz
von Interpol) 3 Edi (Mainzelmännchen ohne Müt-
ze) 4 (Müllers) Buero (österr. Filmkomödie, 1986)
5 Muell 6 Lan (Abk. Local Area Network, engl. loka-
les Computernetzwerk) 7 Rhea (Göttin in der
griech. Mythologie; klingt ähnlich wie Reha; Kalau-
er, Pardon!) 8 Neubauplanungen 10 Ladenlokale
11 Trennwaende 15 (Palast von) Knossos (auf Kre-
ta, in der griech. Mythologie Sitz des Königs Minos)
16 Limette 17 Erdnuss(-flip) 19 (Segel-)Toern
(Fahrt mit einem Segelboot) 21 (Geheim-)Agent
32 (Hu-)Manko(-mpetenz) 33 (Helfrich Peter) Sturz
(dt. Schriftsteller der Aufklärung, 1736 bis 1779)
35 (Wenn ich die blonde) Inge (abends nach Hause
bringe, Textzeile des Lieds „Wenn ich die blonde
Inge.. .“ von Friedrich Schwarz, 1929) 37 (Carl) Orff
(dt. Komponist, 1895 bis 1982, komponierte für
sein Schulwerk das Musikstück „Gassenhauer“,
1952) 39 Bob (Hope, amerik. Entertainer und Schau-
spieler, 1903 bis 2003) 40 Lea (dt. Sängerin, Lied
„Heimweh nach wir“, 2018)

Weiß am Zug


Frau Greenfield, Sie haben als Filme-
macherin und Fotografin mehr als
20 Jahre lang für Ihr Projekt „Genera-
tion Wealth“ Superreiche beobachtet.
Für Ihren neuen Film „The Kingmaker“
haben Sie immer wieder die philippini-
sche Diktatorenwitwe Imelda Marcos ge-
troffen. Was hat Sie an ihr interessiert?
Mit ihren 3000 Paar Schuhen ist sie ja
auch eine Ikone des Reichtums und Ex-
zesses. Ich war in heller Aufregung, als
ich herausfand, dass sie noch lebt und
dass ich sie sogar treffen kann. Richtig ge-
fangen genommen hat sie mich aber, als
ich von der Safari-Insel mit afrikanischen
Tieren hörte, die sie 1976 anlegen ließ.
Davon wusste ich bis dahin überhaupt
nichts. Auch dass sie nach ihrem Exil in
den neunziger Jahren auf die Philippinen
zurückgekehrt ist und dort als Kongress-
abgeordnete wiedergewählt wurde, nach-
dem man sie ursprünglich wegen Korrup-
tion aus dem Land gejagt hatte, war für
mich neu. Also dachte ich mir: Andere
Leute wissen darüber wahrscheinlich
auch nichts. Und als ich sie traf, musste
ich feststellen, dass ihre Persönlichkeit
sehr einnehmend ist.
Ist das einer der Gründe, warum sie
noch heute so beliebt ist? Im Film sieht
man sie am Wahlkampf ihres Sohnes
Bongbong Marcos teilnehmen, und die
Leute jubeln ihr noch immer zu.
Nun ja, zum einen wirft sie buchstäb-
lich Geld ins Volk. Das macht natürlich
beliebt. Zudem baut ihre Familie Infra-
struktur auf. Bereits während der Dikta-
tur hat sie viel bauen lassen, angefangen
von Straßen über Krankenhäuser bis hin
zu Kulturzentren. Dazu kommt der Perso-
nenkult. Sie ist eine Berühmtheit, man
kennt ihren Namen, sie war sehr schön.
Mit ihrem Mann war sie so etwas wie
John F. und Jackie Kennedy für Manila.
Und man kannte sie auf der internatio-
nalen Bühne. Die Frage für mich ist: War-
um erinnern sich die Leute nur daran?
Warum denn?
Zum einen sieht man im Film, dass die
Geschichte über die Greuel der Diktatur
den jungen Leuten nicht beigebracht
wird. Zum anderen gibt es auf den Philip-
pinen diese Kultur der Vergebung. Man
akzeptiert Korruption. Und dann ist da
noch ein Aspekt, den Imelda selbst an-
spricht: Für die armen Leute dort sind
ihre Schönheit und ihr Glamour der
sprichwörtliche Hoffnungsschimmer.
Sie stellt sich selbst als Mutter der Philip-
pinen dar. Funktioniert das auch wegen
des starken katholischen Glaubens dort?
Ich glaube, die Mutterrolle kommt eher
von ihr selbst. Ich habe niemanden sonst
getroffen, der sie als Mutter bezeichnet. Es
ist mehr in ihrem eigenen Kopf. Sie hat als
Kind ihre Mutter verloren, das hat sie sehr
geprägt. Daraus entwickelte sich eine Art
Obsession mit der Mutterrolle.
Hier beim Filmfestival in Venedig wird
viel über die Wahrheit gesprochen, der
Eröffnungsfilm trug sogar den Titel „La
Verité“.
Sehr interessant. Ich war gestern auf
der Kunstbiennale, und „die Wahrheit“
ist auch dort in der Kunst ein großes The-
ma – denn wir leben in einer Zeit von
Fake News und Social Media.
Welche Lügen erzählt Imelda Marcos
denn über sich selbst?

Für mich hat sich die Richtung meines
Films komplett geändert, als ich fest-
gestellt habe, dass Imelda Marcos’Dar-
stellung ihrer Regierungszeit überhaupt
nicht mit jener der Historiker oder der
Zeitzeugen zusammenpasst. Ich habe viel
darüber nachgedacht, wer Geschichte
schreibt und ob und
wie man, wenn man
Macht und Geld hat,
Geschichte umschrei-
ben kann. Anfangs
wusste ich gar nicht,
dass sie lügt. Etwa
wenn sie erzählt, dass
sie mit Mao und Gad-
dafi und Saddam Hus-
sein befreundet war
und wie nett sie zu ihr waren, obwohl im-
mer alle denken, diese Männer seien
Monster gewesen. Da dachte ich: Viel-
leicht hat sie einfach ihren eigenen Blick
auf die Welt, der eben aus ihren Erfahrun-
gen gespeist wird. Doch dann erzählte sie
eben auch Dinge, von denen ich wusste,
dass sie nicht stimmen.
Wie zum Beispiel?

Sie behauptet, auf der Insel Calauit
gebe es keine Tiere mehr. Ich war auf der
Insel, ich habe die Tiere gesehen. Als Fil-
memacherin hatte ich im Schnitt sehr ge-
hadert, denn die Zuschauer vertrauen mir
und glauben das, was sie sehen und hö-
ren. Und was Imelda sagt, ist so überzeu-
gend, dass die Zuschauer die Lüge nicht
gesehen hätten, wenn ich sie nicht direkt
neben die Wahrheit gestellt hätte. Das
hat den Schnittprozess sehr beeinflusst.
Denn wenn sie sagt: „Es gibt keine Tiere
mehr“, dann kommen danach die Aufnah-
men der Tiere, die wir auf der Insel ge-
filmt haben. Und dann musste ich die
Zeitzeugen finden, die ihre Worte gegen
Imeldas stellen.

Sie haben Journalisten und Aktivisten
getroffen, die während der Diktatur
gefoltert oder vergewaltigt wurden, mit
dem Sohn des ermordeten Oppositions-
führers Ninoy Aquino gesprochen, Ar-
chiv- und Fernsehaufnahmen der siebzi-
ger Jahre ausgegraben. Wie lange dauer-
te Ihre Recherche?
Sie sollte zwei Jahre dauern, hat dann
aber fünf verschlungen. Es war zum Bei-

spiel schwierig, in den Dörfern Zugang zu
den Ureinwohnern zu bekommen, die
von Calauit vertrieben wurden. Wir muss-
ten Regierungsvertreter in der Stadt um
Erlaubnis bitten und dann die Stammes-
ältesten im Dorf überzeugen. Und als wir
all das hatten, folgte ein sehr langer Boots-
trip zur Insel. Wir mussten viel vorberei-
ten, denn es gibt dort kein Trinkwasser,
keinen Handyempfang, keine Unterkünf-
te. Meine Crew schlief im Zelt und alles,
was wir zum Filmen brauchten, Batte-
rien, Akkus und so, das mussten wir vor-
her irgendwie organisieren. Es war logis-
tisch weitaus herausfordernder als alles,
was ich bisher gemacht habe.
2003 hat die Dokumentarfilmerin Ramo-
na S. Diaz versucht, einen Film über
Imelda Marcos zu machen, die dann zu
verhindern versuchte, dass er gezeigt wer-
den darf. Hatten Sie ähnliche Erfah-
rungen mit ihr gemacht?
Sie hat den Film noch nicht gesehen.
Noch niemand hat ihn bislang gesehen,
außerhalb dieses Festivals. Wir werden
sehen, wie er ankommt.
Die Fragen stellteMaria Wiesner.

KREUZWORT


Foto Jim Rakete, courtesy Schirmer/Mosel


PERSÖNLICH


SCHACH


„Anfangs wusste ich nicht, dass sie lügt“


Dokumentarfilmerin Lauren Greenfield über Imelda Marcos, deren 3000 Schuhe und Nächte im Zelt


Zurückgekehrt:Allen Korruptionsvorwürfen zum Trotz lebt Diktatorenwitwe Imelda Marcos wieder auf den Philippinen. Foto AP


Lauren Greenfield


1 2 3 4 5 6 7

8 9 10 11 12 13 14

15

16 17

18 19 20

21 22 23 24 25

26 27

28 29 30 31

32

33 34 35

36 37 38 39

40 41 42

43

Prinzessin Charlottegilt als der freche
Sprössling von Prinz William und Her-
zogin Kate, seit sie im August bei einer
Regatta-Eröffnung den Zuschauern lie-
ber die Zunge herausstreckte, als könig-
lich zu winken. Als die vier Jahre alte bri-
tische Prinzessin (links) am Donnerstag
eingeschult wurde, versteckte sie sich
aber lieber doch erst mal hinter ihrer
Mutter und spielte schüchtern mit ihren
Haaren. „Sie ist sehr aufgeregt“, sagte
Prinz William der Leiterin der Unter-
stufe. Die Privatschule Thomas’s Batter-
sea im Süden Londons, die auch ihr Bru-
der Prinz George besucht, legt beson-
ders viel Wert darauf, dass die Kinder
freundlich sind. Da kann Charlotte also
noch etwas lernen. (jant.) Foto AP
Free download pdf