Die Welt Kompakt - 10.09.2019

(ff) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,10.SEPTEMBER2019 FORUM 15


S


elten hat eine Internationa-
le Automobilausstellung
(IAA) den Zustand der
Branche so gut widergespie-
gelt wie in diesem Jahr.
Noch immer glänzt bei der Frankfurter
AAAutoshow das Chrom. An der Ober-utoshow das Chrom. An der Ober-
fffläche scheint alles in Ordnung zu sein,läche scheint alles in Ordnung zu sein,
doch wer daran kratzt, stellt schnell
fffest, dass nicht nur die Messe in einerest, dass nicht nur die Messe in einer
tiefen Krise steckt. Beide müssen sich
neu erfinden – die IAA genauso wie die
gesamte Industrie. Es ist nicht nur der
rasante technologische Wandel, der die
Branche unter Druck setzt. Hinzu kom-
men eine konjunkturelle Schwächepha-
se, die sich zu einer Krise auswachsen
kann, und eine gesellschaftliche Debat-
te über das Klima und die Mobilität von
morgen, die Deutschlands Schlüssel-
industrie zunehmend zur Zielscheibe
werden lässt.
Schon vor Beginn der Leistungsschau
haben die Gegner des Autos für Wirbel
gesorgt mit ihrer Ankündigung von
Großdemonstrationen und Blockaden.
Es können ziemlich hässliche Bilder
werden, wenn sich die Chaoten, die sich
bislang vor allem in kleineren Wald-
stücken im Tagebaugebiet austobten,
tatsächlich mobilisieren lassen. Die
extreme Linke versucht, die berechtigte
Debatte über klimafreundliche Mobili-
tät und eine Verkehrswende, die den
Namen verdient und nicht nur in der
massenhaften Aufstellung von Elek-
trotretrollern besteht, für ihre Ziele zu
instrumentalisieren. In Frankfurt wird
sich in den kommenden Tagen zeigen,
ob dieses Vorhaben gelingt, ob tatsäch-
lich die Bilder des Schwarzen Blocks das
glänzende Chrom verdrängen können.
In der Industrie tut man sich schwer,
den richtigen Umgang mit der sich
wandelnden Stimmung zu finden. Na-
türlich wird der Verband der Auto-
mobilindustrie (VDA) als Veranstalter
versuchen, die Kritiker durch heftiges
Umarmen zu beruhigen. Hektisch wur-
den in den letzten Wochen noch Ge-
sprächsrunden angesetzt. Souverän
wirkt das alles nicht. Doch die Fronten
werden sich so ohnehin nicht auflösen.
Die militanten Gegner ließen sich auch
dann nicht umstimmen, wenn die Bran-
che ausschließlich Elektroautos bei der
IAA präsentieren würde. Sie haben
längst das Auto an sich ins Visier ge-
nommen.
Dagegen gilt es, sich zu wehren, nicht
nur weil Hunderttausende Arbeits-
plätze in Deutschland an dieser Indus-
trie hängen. Das Klima wird man nicht


retten, indem man das Autofahren
verbietet. Stattdessen muss endlich ein
sinnvolles und umsetzbares Konzept
her, wie sich der CO 2 -Ausstoß im Ver-
kehr nachhaltig senken lässt, ohne die
individuelle Mobilität einzuschränken.
Tatsächlich verändert sich die Branche
in einem Tempo, das noch vor wenigen
Jahren kaum denkbar erschien. VW
stellt mit dem ID.3 einen Stromer in
den Mittelpunkt der IAA, der den Golf
aaablösen und zum ersten Elektro-Volks-blösen und zum ersten Elektro-Volks-
wagen werden soll, der den Namen
auch verdient.
Die übrigen Hersteller drängen eben-
fffalls in diese Richtung, auch wennalls in diese Richtung, auch wenn
BMW und Daimler eher auf Hybride
mit einer Kombination aus Verbren-
nungs- und Elektromotor setzen. Sie
alle handeln weniger aus Überzeugung
als aus existenzieller Notwendigkeit
heraus. Die von der Politik in Brüssel
vorgegebenen Klimaziele sind nur dann
zu erreichen, wenn die Autobauer die
Elektroautos so schnell wie möglich in
den Markt drücken – ob der Kunde will
oder nicht.
Es ist ein riskantes Manöver für die
gesamte Industrie. Die über Jahrzehnte
aufgebaute Vorreiterposition der deut-
schen Autobauer beim Bau von Ver-
brennungsmotoren wird zunehmend
wertlos, die Elektromodelle sind zu-
mindest in den nächsten Jahren noch

Da glänzt


nichts mehr


Die Internationale Automobilausstellung in


Frankfurt ist dieses Jahr ein Spiegelbild der


Krise. Technologischer Wandel und


Klimadebatte setzen Deutschlands


Schlüsselindustrie zu. Beide müssen sich neu


erfinden: die IAA und die gesamte Branche


PHILIPP VETTER

LEITARTIKEL


Viele


ausländische


Hersteller


bleiben fern,


die deutschen


verkleinern ihre


Stände


deutlich teurer in der Produktion, die
Gewinnmargen der Hersteller schmel-
zen entsprechend. Dabei ist die Zeit der
Rekordgewinne ohnehin vorbei. Schon
in den vergangenen Monaten jagte eine
Gewinnwarnung die nächste – nicht
nur von den Autobauern, sondern auch
von den Zulieferern. Weltweit schwä-
chelt der Automarkt, die Premiummar-
ken Mercedes und BMW können sich
bislang noch am besten behaupten.
Doch Lieferanten wie Bosch, Continen-
tal oder Schaeffler trifft die zurück-
gehende Nachfrage besonders bei den
Herstellern für die breite Masse. Und
ein Ende der Krise ist nicht in Sicht:
Brexit und immer neue Zollvolten von
US-Präsident Donald Trump werden
der Branche weiter zusetzen.
KKKünftiges Wachstum, da sind sichünftiges Wachstum, da sind sich
die Manager der Industrie einig, wird
zudem aus weit entfernten Märkten
wie China kommen, die Automobil-
produktion in Deutschland ist im ers-
ten Halbjahr weiter deutlich gesunken.
AAAuch der technologische Wandel unduch der technologische Wandel und
die Automatisierung werden dafür
sorgen, dass künftig weniger Beschäf-
tigte in der Industrie benötigt werden.
Elektromotoren lassen sich mit deut-
lich geringerem Aufwand und Personal
bauen, die Batteriezellen kommen bis
auf Weiteres ohnehin aus Asien. Bis-
lang gleicht die Branche all diese Effek-
te mit dem Abbau von Überstunden,
mit Altersteilzeit und Vorruhestands-
regelungen aus. Doch das stößt an
Grenzen. Hochrangige Manager, ins-
besondere aus den Zuliefererkonzer-
nen, schließen inzwischen selbst
WWWerksschließungen nicht mehr aus.erksschließungen nicht mehr aus.
Bislang wird die Fassade gewahrt, doch
das muss nicht so bleiben.
AAAuch an der IAA zeigt sich, dass sichuch an der IAA zeigt sich, dass sich
die Krise kaum noch verbergen lässt.
Die Messe hat mit einem massiven Aus-
stellerschwund zu kämpfen. Handelte
es sich früher tatsächlich um eine Leis-
tungsschau der globalen Autoindustrie,
bei der man nicht fehlen durfte, ver-
zichten in diesem Jahr reihenweise
ausländische Hersteller auf einen Stand
bei der IAA. Tesla stellt nur ein paar
AAAutos für Probefahrten zur Verfügung,utos für Probefahrten zur Verfügung,
Peugeot fehlt genauso wie Ferrari. Und
selbst die deutschen Autobauer, als
größte Mitglieder des VDA eigentlich
Mitveranstalter der Messe, haben ihre
Stände teils drastisch zusammenge-
schrumpft. Viele veranstalten inzwi-
schen lieber vor der IAA ihre eigenen
Hausmessen, bei denen ihnen die unge-
teilte Aufmerksamkeit sicher scheint.
Der Automobilverband, dessen Fi-
nanzierung zu einem großen Teil am
Erfolg der Messe hängt, reagiert mit
einem Konferenz- und Rahmenpro-
gramm voller Diskussionen – auch mit
den Kritikern. Doch all das wirkt bis-
lang eher aus der Not geboren. Die
Massen werden sich so wohl nicht anlo-
cken lassen. Mit Besucherrekorden ist
angesichts des Ausstellerschwundes
und der angekündigten Proteste nicht
zu rechnen.
Dabei hätte es die Autoindustrie so
nötig wie nie, die Massen für sich, ihre
Produkte und Ideen zu begeistern.
Dafür muss die Branche mehr tun, als
nur die Kritiker zu umarmen. Sie muss
den Wandel gestalten. In Frankfurt hat
sie die Chance zu beweisen, dass sie
dazu in der Lage ist.
[email protected]

ǑǑ


KOMMENTAR

RICARDA BREYTON

Land ohne


Lehrer


D


eutsche Eltern können sich
schon mal mental vorberei-
ten auf die Misere: Wer
heute ein Kind zur Welt bringt,
weiß, dass es zur Einschulung zwar
einen Schulplatz bekommen wird,
aber nicht unbedingt einen Grund-
schullehrer, der es betreut. Der ekla-
tante Lehrkräftemangel ist bekannt,
ebenso, dass er weit in die Zukunft
reicht: Im Schuljahr 2025/26 werden
mehr als 15.000 regulär ausgebildete
Grundschullehrer fehlen, im Jahr
2030 noch knapp 9000. Das sind die
Zahlen, die sich aus den Daten der
Kultusministerkonferenz (KMK)
ablesen lassen. Doch in Wahrheit ist
der Mangel noch krasser.
Wissenschaftler der Bertelsmann-
Stiftung haben berechnet, dass im
Schuljahr 2025/26 mehr als 26.
Grundschullehrer fehlen könnten –
11.000 mehr, als die KMK vorhersah.
Die Begründung für die Diskrepanz
ist banal. Die Autoren der Studie
haben sich die aktuelle Bevölke-
rungsschätzung des Statistischen
Bundesamtes angeschaut. Anders
die Kultusministerkonferenz, die in
ihrer aktuellsten Prognose mit Be-
rechnungen aus dem Jahr 2015 han-
tiert. Damals hatte man weder die
zuletzt höheren Geburtenraten im
Blick noch die große Zahl der Mig-
ranten. Erst für November sind neue
Prognosen geplant.
Um zu vermeiden, dass im Jahr
2 025/26 abermals händeringend nach
AAAushilfslehrern gesucht wird, sindushilfslehrern gesucht wird, sind
nun drei Maßnahmen nötig. Erstens
brauchen Quereinsteiger mehr Spiel-
raum, um voll ausgebildete Lehr-
kräfte zu werden. Sie unterrichten
schon heute an Schulen, haben aber
oftmals nicht die Muße oder über-
haupt die Gelegenheit, neben der
Arbeit eine qualitativ hochwertige
Nachqualifizierung zu absolvieren.
Zweitens müssen Gymnasial-
lehrer, von denen es auch heute
zum Teil noch viel zu viele gibt, die
Möglichkeit zur Neuorientierung
erhalten. Wie so etwas geht, zeigt
Baden-Württemberg: Wenn arbeits-
lose Gymnasiallehrer einige Zeit an
einer Grundschule unterrichten, ist
ihnen später eine Stelle an einem
Gymnasium sicher.
Drittens muss endlich ernsthaft
über die von Lehrern zu leistenden
AAAufgaben diskutiert werden. Weil dieufgaben diskutiert werden. Weil die
Nachmittagsbetreuung ausgebaut
wwwurde und Inklusion und Integrati-urde und Inklusion und Integrati-
on hinzukamen, stieg in den letzten
Jahren die Zahl der benötigten Leh-
rer stetig an. Kamen 2006 noch 19
Grundschüler auf eine Vollzeitlehr-
kraft, waren es 2017 nur noch 16.
Schulsozialarbeiter und Schul-
psychologen müssen gestärkt wer-
den, um Lehrer bei solchen Auf-
gaben zu entlasten. Diese könnten
sich dann auf ihre Kernkompetenz
konzentrieren: guten Unterricht.
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