Die Welt Kompakt - 10.09.2019

(ff) #1

Das


Überzeichen


Ideales Gefährt für muskelbepackte Jungs: der Rapper 50 Cent vor seinem SUV

2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,10.SEPTEMBER


scheinlich britischen Adligen zu
verdanken, die von ihrem Jagd-
schloss einfach mal in ihrem De-
fender in das Stadthaus in Ken-
sington gerollt sind.
Demnach war es folgerichtig,
dass es Briten waren, die im Som-
mer 1970 den Range Rover auf
den Markt brachten. Er garan-
tierte gleichermaßen Gelände-
gängigkeit und Repräsentations-
freude. Er war für Popper eine
rollende Barbour-Jacke und für
Großkotzige eine Villa mit vier
Rädern. Der Range Rover bedeu-
tete eine Abkehr von der Doktrin,
dass geländegängige Fahrzeuge,
spartanisch ausgestattet, mons-
tröses Statussymbol für die ei-
nen, noch monströseres Feind-
bild für die anderen sein müssen.
Wer im Palais wohnte, sollte in
Anwesen herumfahren. Der Ben-
zinverbrauch und der CW-Wert
interessierten niemanden. Dabei
war der Ur-Range-Rover nur
„niedliche“ 4,45 Meter lang. Heu-
te misst der üppigste 5,20 Meter,
und wie so oft ist Größe nicht al-
les, obwohl Männer und Frauen
das gleichermaßen glauben.
Im Hip-Hop gehören Range
Rover zu den am meisten zitier-
ten Fahrzeugen in einer sowieso
auto- und markenbesessenen
Welt von Aufsteigern und Parve-
nüs. Der Range Rover ist mit sei-
ner einstigen kantigen Blässe der
britischen Oberschicht das ideale
Gefährt für jene muskelbepack-
ten Jungs, denen Goldketten und
Tattoos den Eintritt in einen
Golfklub in Surrey erschweren
würden. Zudem eignen sich
„Hangover“, „Sober“ und – was
seit Freitagabend einen gruseli-
gen Eindruck hinterlässt – „Run
Over“ ziemlich ideal für die bö-
sen Jungs zum Reimen.
Aber der SUV hat das Zeug da-
zu, alle böse zu machen. Wie zu
viel Blech zur Verrohung der Sit-
ten beitragen kann, lässt sich an
nahezu jedem Werktag morgens
auf den knappen Parkplätzen an
großen Flughäfen studieren.
Dort provozieren SUV-Fahrer ge-
wissermaßen unfreiwillig eine
Kampagne zur Bekämpfung der
Blechberge. Seit SUVs zu den be-
liebtesten Neuwagen der Deut-
schen gehören, wird es auf den
Straßen und Parkplätzen enger.
Die wuchtigen Wagenburgen rei-
zen nicht nur den Platz der einst
üblichen Parkflächen aus, son-
dern auch die Toleranz der ande-
ren Verkehrsteilnehmer.
Einige SUV-Parker haben auf-
gegeben, sich um ein sozialver-

I


ch verachte Ihren Range Ro-
ver, aber ich gäbe mein Leben
dafür, dass Sie ihn fahren dür-
fen.“ So oder ähnlich hat Vol-
taire oder seine Frau Evelyn Bea-
trice Hall über die Freiheit raiso-
niert. In Zeiten aufschäumender
Intoleranz links, rechts und auch
in der grünen Mitte sind diese li-
beralen Binsen wertvoll.


VON ULF POSCHARDT

Der SUV ist nach einem fürch-
terlichen, grausamen Unfall in
Berlin zum Überzeichen mutiert:
Monströses Statussymbol für die
einen, noch monströseres Feind-
bild für die anderen gab es bis-
lang wenig vernünftige Abhand-
lungen über den SUV. Er ist ein
großes Auto für die Stadt, obwohl
er in dieser auf den ersten Blick
vollkommen untauglich ist. Er ist
zu groß, zu schwer, zu hoch.
Kurzum: Er ist ein Elefant im ar-
chitektonischen Porzellanladen.
Und wer schon mal in einer
schmalen Straße eine – Vorsicht,


antineoliberales Feindbild! –
blonde Frau mit Pferdeschwanz
und Perlenohrringen allein in ih-
rem Mercedes GL gefangen in ei-
ner unauflöslichen Verkehrssi-
tuation erlebt hat, zürnt weniger,
als er Mitleid hat.
Das Auto ist der Enkel des
Planwagens, mit dem die Siedler
von der Ostküste Amerikas nach
Westen zogen. Der SUV ist der
Enkel der ersten Geländewagen,
die wie alle Dinge ihre Anfänge
als Kriegsgerät hatten. In ihm
verbaut ist eine alte Freiheits-
sehnsucht, am Ende eines lang-
weiligen, entfremdeten Lebens
eben auch in die Wildnis abbie-
gen zu können. Es ist eine Illusi-
on, die nie eingelöst wird. Die
meisten Fahrer eines SUVs haben
sogar Angst, ihre polierten Fel-
gen an einem Bordstein auf-
schrammen zu lassen. Die Besit-
zer sind Krieger ihrer enttäusch-
ten Hoffnung über sich selbst.
Dabei hätte alles auch ganz an-
ders werden können. Die ersten
SUVs im Städtebild sind wahr-


trägliches Verhalten zu bemühen.
Sie gönnen sich zwei oder we-
nigstens eineinhalb Parkplätze
und schüren damit jene Vorurtei-
le, die sich oft genug auch im au-
tomobilen Alltag bewahrheiten:
Der Zwei-Tonnen-Hochsitz ver-
hindert Empathie mit anderen
VVVerkehrsteilnehmern und führterkehrsteilnehmern und führt
durch Entfremdung von den Nie-
derungen des Straßenverkehrs zu
grassierender Rücksichtslosig-
keit. Der SUV ist stets eine po-
tenzielle Straßensperre. Kommt
dann auch noch eine Art Klassen-
kampf-von-oben-Neigung dazu,
wenn SUVs in verengte Straßen
einbiegen, obwohl das Hindernis
auf ihrer Seite liegt, führt das
zum Straßenkampf, zumindest

auf der verbalen Ebene. SUVs
waren am Anfang ein Ausbruch
aus der oft genug egalitären Au-
tonormalität und der Wunsch
nach etwas mehr Größe und
Großzügigkeit. Heute sind sie
selbst in höchstem Masse ge-
wöhnlich und vulgär geworden.
WWWaren die Autos klein, als deraren die Autos klein, als der
erste Range Rover produziert
wwwurde, sind heute alle Autos eherurde, sind heute alle Autos eher
zu lang und zu schwer und zu

breit und einfach scheußlich,
verglichen mit den zierlichen,
leichten und schnellen Geschöp-
fffen der Vergangenheit.en der Vergangenheit.
Heute funktioniert die Dis-
tinktion in die andere Richtung.
Wer früher Range Rover gefahren
ist aus dem primitiven Grund,
sich abzusetzen, greift heute
zum Smart oder noch schlauer
zum Fahrrad. Das teuere Status-
symbol mit nur zwei Rädern, das
mit einem leichten Handgriff
auch in die S-Bahn getragen wer-
den kann, verschiebt den Zeit-
geist in eine leistungsgerechtere
Dimension. Du bist, was du
kannst. Du kommst so schnell
hin, wie du es eben draufhast. Li-
berale lieben Fahrräder.

Und dennoch hat die mediale
Treibjagd am Wochenende deut-
lich gemacht, dass die Autohas-
ser jede Chance nutzen, um blind
auf alles zu schlagen, was sie we-
der kennen noch verstehen. Sie
verstehen nicht, dass jemand, der
einen Porsche GT3 RS kauft,
nicht automatisch einen Porsche
Macan interessant findet. Sie
verstehen auch nicht, dass weder
die PS-Zahl eines Autos relevant

ist noch die Beschleunigungswer-
te, sondern das Verhalten der
Menschen, die in ihm sitzen.
Der SUV wird zum Teil von
ängstlichen Menschen bewegt.
Sie haben Angst, mit dem ge-
wöhnlichen Volk verwechselt zu
werden, und sie haben Angst vor
den Konflikten, die aufziehen.
Und da könnten sie recht haben.
Der Ton der Ökokrieger wird
schriller. Es brennen zunehmend
mehr Autos, und innerhalb der
Klimabewegungen nehmen die
aggressiven Stimmen zu.
So ist der strahlende Erfolg
der SUVs auch eine Metapher auf
die Dialektik jedes Sicherheits-
strebens: Es verdickt, macht
schwerfälliger und raubt die Lust
auf schnelle Bewegungen und
Korrekturen eingeschlagener
Richtungsentscheidungen. SUVs
fahren am besten geradeaus. Die
unzähligen Assistenzsysteme,
Rückwärtskameras, Spurhalte-
und Bremsassistenten, Kollisi-
onswarner und Totwinkelhilfen
entlasten und entmündigen die
Piloten gleichermaßen.
Besonders viele SUVs stehen
vor den Fitnessstudios. Dort quä-
len sich Männer wie Frauen Rich-
tung Size Zero, um dann in Zwei-
einhalbtonnern in ihre zierlichen
Townhouses oder minimalisti-
schen Lofts zurückzufahren. Das
blecherne Double des Menschen,
seine wehrhafte Verpanzerung
wächst, während die/der Erfolg-
reiche hinter dem Lenkrad sich

Monströses Statussymbol für die einen,


noch monströseres Feindbild für die anderen:


Eine Kulturgeschichte des SUVs aus


tragischem Anlass


Einige SUV-Parker haben aufgehört,


sich um ein sozialverträgliches


Verhalten zu bemühen


NICHT VERPASSEN!

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