Die Welt Kompakt - 10.09.2019

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DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,10.SEPTEMBER2019 THEMA DES TAGES 3


selbst zur athletischen Bohnen-
stange trainiert und hungert. Der
Bauch als Wohlstandssymbol ist
verschwunden, das dicke Auto
bleibt es. Noch. Das Downsizing
erreicht die bürgerlichen Schich-
ten zäh. Die coolen Klima-Kids
mit ihren Fixies werden das kor-
rigieren. Ihre Eltern und Groß-
eltern werden den Trend viel-
leicht verschlafen.
Der SUV geht den anderen
Weg: Er liebt die Abschottung
und die Sicherheit. Er ist Body-
guard und Hochsicherheitstrakt
in einem. Thron und Zitadelle,
Ledersofa und Billardzimmer auf
Rädern. Die SUVs sind für Staus
gemacht. Sie sind Denkmäler ei-
ner Entschleunigung durch Träg-
heit und Selbstüberhöhung. Es
gibt kaum noch Unterschiede
zwischen dem Abhängen im
Wohnzimmer und dem Loungen
beim Stop-and-go in verstopften
Städten. SUVs sind Autos im
Endstadium ihrer Evolution hin
zu Stücken der Architektur.
Die Städte müssen lebenswer-
ter werden – und das heißt auch,
dass sie weniger Autos aufneh-
men sollen. Im Ideal nur die schö-
nen und schnellen. In der Realität
die Autos derjenigen, die mit ih-
rer Mautgebühr den vernünftigen
VVVerkehrsteilnehmern die Radwe-erkehrsteilnehmern die Radwe-
ge und S-Bahn-Tickets bezahlen.
Die Städte ersticken an zu viel
VVVerkehr. Und zu vielen Autos. In-erkehr. Und zu vielen Autos. In-
sofern ist es richtig, Parkplätze zu
verteuern und die Nutzung inner-


städtischer Straßen signifikant
kostspieliger zu machen.
Der Ton der Autofeinde je-
doch, der Fahrrad- und Umerzie-
hungsfetischisten, legt eine düs-
tere Spur in die Zukunft. Diese
Milieus sind ähnlich tolerant wie
die völkischen Gurken in der
Sächsischen Schweiz, sie sind
nur besser ausgebildet und privi-
legiert. Sie mögen Menschen
nicht, die ihre Klimapanik und
ihre Ökoutopie nicht teilen. Sie
jagen mit Fahrrädern schmallip-
pig durch die Stadt, auf der Suche
nach Menschen, die sie verachten
können. Sie wettern über die

Brutalität der SUVs und sind da-
bei selbst roh geworden in ihrem
Zorn. Sie mutieren mit Fahrrad-
helm und der geballten Faust zu
einer SUV-Pantomime. Sie sind
längst Geländewagen ohne
Blech. Es ist die klassische Herr-
Knecht-Dialektik. Die Zukunft
des Autos gehört den leichten,
schönen und schnellen Sportwa-
gen. Alle anderen müssen verbo-
ten werden.

S


chon lange hat man bei
Volkswagen kein solches
Getöse mehr um ein neu-
es Auto gemacht. Seit Jahren ha-
ben sie in Wolfsburg auf diesen
Tag hingearbeitet, an dem mit
dem ID.3 das erste reine Elektro-
Modell der Marke vorgestellt
wird.

VON PHILIPP VETTER

Bislang gab es zwar auch
schon elektrische Golf- oder Up-
Modelle, doch noch nie hatten
sie ein Auto gezielt für einen E-
Antrieb entwickelt. Am Montag,
dem Vorabend der Internationa-
len Automobilausstellung (IAA)
in Frankfurt, war es dann soweit.
Um zu verstehen, in welcher Ka-
tegorie für VW dieses Modell
spielt, muss man wissen, wen
der ID.3 beerben soll. Geht es
nach VW-Chef Herbert Diess,
steht das Elektroauto in einer
Reihe mit nur zwei anderen Mo-
dellen: dem Käfer und dem Golf.
Waren Käfer und Golf die
Volks-Wagen, so soll der ID.
nun der Volks-Stromer werden.
Mit dem nun vorgestellten Mo-
dell soll die Elektromobilität
auch für den größten Autobauer
der Welt endlich massentauglich
werden. Der Name ist bewusst
gewählt und spielt auf den bis-
lang schärfsten Konkurrenten
an: das Model 3 von Tesla. Denn
eigentlich gibt es keinen Grund
für die Ziffer im Namen des VW


  • er ist das erste ID-Modell,
    nicht das dritte. Doch der ID.
    soll eine offene Kampfansage an
    Elon Musk und dessen Mittel-
    klassemodell sein.
    Man hat sich bei VW einiges
    von Musk und Tesla abgeschaut.
    So hat der Wolfsburger Konzern
    bereits im Vorfeld Reservierun-
    gen für die ersten Exemplare des
    ID.3 entgegen genommen – und
    sich bezahlen lassen. Nach VW-
    Angaben haben inzwischen
    30.000 Menschen 1000 Euro an-
    gezahlt, um sich einen der ersten
    Volks-Stromer zu sichern. Damit
    sei die sogenannte „First Editi-
    on“ schon ausverkauft, heißt es
    bei VW. Auch hier zeigt sich,
    dass man von Apple und Tesla
    gelernt hat: Auch durch künstli-
    che Verknappung lässt sich
    Nachfrage erzeugen.
    Doch die ersten Exemplare
    sind preislich noch nicht mas-
    sentauglich. Knapp 40.000 Euro
    sollen die ID.3 der ersten Edition
    kosten, später soll es auch eine
    Variante für unter 30.000 Euro
    geben. Tesla hatte ebenfalls zu-
    nächst eine leistungsfähigere
    und damit teurere Version des
    Model 3 auf den Markt gebracht,
    bevor nach einigen Monaten das
    Basismodell für 35.000 Dollar
    angeboten wurde. Zumindest
    mit der günstigsten Version liegt
    VW klar unter dem Preis, den
    Tesla derzeit für sein Model 3 in
    Europa verlangt. Möglich macht
    das vor allem der sogenannte
    Elektrobaukasten des Konzerns.
    Auf Basis einer gemeinsamen Ar-
    chitektur sollen neben dem ID.
    noch zahlreiche weitere Elektro-
    modelle von VW und sogar von
    anderen Herstellern wie Ford


entstehen. Durch die hohe Zahl
gleicher Bauteile, die dann in
großen Mengen benötigt wer-
den, sinken die Preise pro Fahr-
zeug.
Die ersten Kunden, die den
ID.3 kaufen, bekommen ihn mit
einer Batterie mittlerer Kapazi-
tät. Zumindest im realitätsnahen
Prüfzyklus WLTP kommt man
damit rund 420 Kilometer weit,
bevor der ID.3 zurück an die hei-
mische Steckdose oder eine La-
desäule muss. Die Höchstge-
schwindigkeit dieser Variante
liegt bei 160 Kilometern pro
Stunde. Die günstigste Basisver-
sion soll in Zukunft eine Batterie
mit nur 45 Kilowattstunden Ka-
pazität statt 58 Kilowattstunden
in der „First Edition“ enthalten.
Damit soll kommt man dann im
Prüfzyklus noch 330 Kilometer

weit. Die teuerste Version
schafft mit 77 Kilowattstunden
sogar 550 Kilometer. Wer den
ID.3 an eine Schnellladesäule an-
schließt, soll innerhalb von nur
30 Minuten bis zu 290 Kilometer
Reichweite wieder aufladen kön-
nen, selbst wenn man danach
ausschließlich Autobahn fahre,
könne man noch 200 Kilometer
weit kommen, heißt es bei VW.
In Wolfsburg hat man sich –
wohl auch nach den Erfahrungen
mit unrealistischen Angaben bei
Spritverbrauch und CO2-Aus-
stoß von Verbrennern – ent-
schieden, offen damit umzuge-
hen, dass die angegebene Reich-
weite eher ein theoretischer
Wert ist: „Die tatsächliche
Reichweite weicht in der Praxis
unter anderem von Fahrstil, Ge-
schwindigkeit, Einsatz von Kom-
fort- und Nebenverbrauchern,
Außentemperaturen, Anzahl der
Mitfahrer, Zuladung und Topo-
grafie ab“, heißt bei VW. Realis-
tisch seien mit der kleinsten Bat-
terie 230 bis 330 Kilometer, mit
der mittelgroßen Variante 300
bis 420 Kilometer und mit der
größten 390 bis 550 Kilometer.
Das untere Ende dieser Band-
breite decke „auch Fahrten bei
moderaten Autobahngeschwin-
digkeiten sowie Fahrten bei tie-
fen Außentemperaturen im Win-
ter ab“, heißt es weiter.
Tatsächlich hat sich VW vor-
genommen, die größten Ängste
der meisten potenziellen Elek-
troautokäufer mit dem ID.3 of-
fen anzusprechen und weitge-
hend zu lösen. Neben der relativ
hohen Reichweite und der
Schnelllademöglichkeit über-
nimmt Volkswagen auch acht
Jahre oder 160.000 Kilometer
lang die Garantie, dass die Batte-
rie funktioniert.
Von außen sieht der ID.3 ei-
nem Golf ähnlich, auch die Maße
sind nahe an denen des bisheri-
gen Vorzeige-Modells des Kon-
zerns. Weil die Technik für den
elektrischen Antriebsstrang al-
lerdings weniger Platz braucht
als ein herkömmlicher Verbren-
nungsmotor, bietet der ID.3 den
Insassen mehr Platz als der Golf.
Statt durch glänzendes Chrom
soll der ID.3 außen durch zahl-
reiche LED-Licht-Effekte auffal-
len. Auch im Innenraum ist der
Einfluss des Model 3 von Tesla
nicht zu übersehen. Ähnlich wie
der amerikanische Konkurrent
hat auch Volkswagen ein etwa
iPad-großes Display im Querfor-
mat in der Mitte zwischen Fah-
rer und Beifahrer angebracht.
Die Absatzziele von VW für
den ID.3 sind ambitioniert. Bis
2023 will der Konzern insgesamt
zehn Millionen Elektroautos
bauen, neben dem ID.3 sind
mehr als 20 Modelle in Planung.
Der ID.3 wird nach Angaben von
VW komplett CO2-neutral pro-
duziert, da für die Herstellung
von Batterien und Fahrzeug nur
Energie aus erneuerbaren Quel-
len genutzt werde. CO2-Emis-
sionen, die in der Lieferkette
dennoch anfallen, sollen kom-
pensiert werden. Ausgeliefert
wird der ID.3 ab Mitte nächsten
Jahres.

Elektro


fürs Volk


Der ID.3 ist nicht nur
Volkswagens erstes

echtes E-Auto,
er soll sogar den
Konzern-Ikonen
Käfer und Golf
nachfolgen. Dabei ist

der Einfluss von Tesla
unübersehbar

Der neue ID.3 von Volkswagen

VOLKSWAGEN

/ MARTIN MEINERS

Das Verbändebündnis
Aussteigen hat von den
deutschen Autobauern die
sofortige Abkehr vom
Verbrennungsmotor ge-
fordert.Die Hersteller
müssten sich „umgehend“
auf Elektrofahrzeuge kon-
zentrieren und „laufende
Entwicklungen angekün-
digter weiterer SUVs oder
sonstiger Verbrennermo-
delle beenden“, erklärte
das Bündnis vor dem Start
der Automesse IAA.Die
Mitgliedsorganisationen
rechnen demnach mit
Tausenden Teilnehmern an
ihrer für Samstag geplan-
ten Demonstration. Ein
weiteres Aktionsbündnis
will die Messe tags darauf
blockieren.

Umweltverbände
protestieren

NICHT VERPASSEN!

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