Die Welt Kompakt - 10.09.2019

(ff) #1

Zu Besuch


im


Dauerfeuer


ders an Katie, die Metaebenen sind
unendlich. Aber ich musste so über
den absurden Preis lachen, dass
meine Kollegen mich gefragt haben,
was bloß los ist.“
„Klar, total süß, aber es sieht
doch etwas zu warm für August aus


  • das waren meine ersten Gedan-
    ken. Aber vielleicht ist es das, was
    das Outfit so anziehend macht ...
    wie schafft sie es, NICHT wie
    schwitzendes
    Durcheinander aus-
    zusehen? Und sagt
    jetzt nicht, sie bleibt
    wegen der nackten
    Schulter cool.“
    „Nimm das, Ja-
    mie Foxx!“ (Katie
    Holmes und Jamie
    Foxx haben sich erst
    kürzlich nach sechs Jahren Bezie-
    hung getrennt.)
    Die Menschen machen sich
    Gedanken über dieses Outfit, sie
    haben Fragen dazu, manche ent-
    wickeln elaborierte Theorien.
    Das muss ein Paparazzi-
    Schnappschuss erst mal schaffen.
    Es gibt schließlich eine Million
    andere und ja, wichtigere The-
    men und Bilder, über die man
    nachdenken könnte.
    Wieso viele dennoch lieber
    über einen Kaschmir-BH disku-
    tieren? Weil das Foto nicht nur
    schön ist, sondern pure Perfekti-
    on. Auf allen nur denkbaren Ebe-
    nen. Es zeigt eine Frau, die so
    aussieht, als würde sie sich wahn-
    sinnig wohlfühlen, als sei ihr
    Outfit extrem bequem – und
    doch sieht sie darin elegant und
    unbemüht aus. Sie winkt lässig
    ein Taxi heran, eine ganz selbst-
    verständliche, selbstbewusste
    Geste. Ihre Haut ist gebräunt,
    vielleicht war sie gerade in einem
    schönen Urlaub? Ihre Haare sit-
    zen, aber nicht zu perfekt, das
    kriegt man vielleicht an einem
    von 365 Tagen im Jahr so hin.
    Und dann ist diese Frau auch
    noch Katie Holmes, die gerade ei-
    ne Trennung hinter sich hat, aber
    nicht danach aussieht. Die auf
    einmal wieder so sehr an die Seri-
    enfigur erinnert, durch die sie
    berühmt wurde: Joey Potter in
    „Dawson‘s Creek“.
    Man könnte das endlos so fort-
    setzen, ihre Sonnenbrille, die
    Jeans, ihre Figur, der Sonnen-
    schein. Ach, einfach alles! Solche
    Bilder entstehen nicht in Foto-
    studios, sie passieren im richti-
    gen Moment, wenn vieles
    stimmt. Und diese Bilder tragen
    zu Karrieren bei, der des BH-La-
    bels Khaite genauso wie der von
    Katie Holmes. Ganz sicher wird
    sie bald für irgendeine Modestre-
    cke oder irgendeinen Hollywood-
    film gebucht.
    Frage drei – Warum war der
    BH dermaßen schnell ausver-
    kauft, wer gibt für so was 520
    Dollar aus? – ist vielleicht am
    schnellsten beantwortet: Es sind
    Frauen, die es sich leisten können
    und wollen, auch mal Geld für et-
    was rauszuhauen, das nicht pri-
    mär sinnvoll ist. Vielleicht, weil
    sie ein bisschen so selbstbewusst-
    lässig wie Katie Holmes sein wol-
    len. Oder auch einfach nur, weil
    Kaschmir-BHs bestimmt wirklich
    unfassbar bequem sind.


WWWas macht dasas macht das
FFFoto von Katieoto von Katie
Holmes im
KKKaschmir-BHaschmir-BH
so faszinierend?
UUUnd wer gibtnd wer gibt
5 20 Dollar für
einen BH aus?

fern reiht sich Katie Holmes
doch nur in eine lange Liste ein,
auf der schon Royals (Herzogin
Catherine, Herzogin Meghan),
Hollywood-Adel (Gwyneth Pal-
trow, Angelina Jolie) und Mode-
prominente (Olivia Palermo, Ale-
xa Chung) stehen, oder?
Ja, schon. Auch die gerade
noch bezahlbaren Kleider von
Herzogin Catherine sind zum
Beispiel oft rasant schnell aus-
verkauft, sobald das Internet sie
einmal darin gesehen hat. Und
selbst unter Instagram-Fotos von
Politikerinnen, die sich für Mode
interessieren, taucht neuerdings
häufiger die Frage auf, woher
denn dieses oder jenes Kleid
stammt (siehe Dorothee Bär).
Aber das alles reicht nicht an das
heran, was Katie Holmes im
Kaschmir-BH ausgelöst hat. Hier
nur drei von unzählbar vielen
Kommentaren dazu:
„Ich sah das Foto und dachte oh-
ne Mist: ‚Das ist DER Moment
2019.‘ Total dramatisch, aber ist das
ein guter Look, verdammt! Beson-


ACTION PRESS

/ ARIS

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,10.SEPTEMBER2019 PANORAMA 31


D


er Schuss kommt aus
dem Nichts. Patsch. Ein
Treffer direkt in den
Kopf, Blut spritzt. Meine Sitz-
nachbarn springen auf, jubeln,
klatschen ab. Ich bleibe sitzen
und bin genauso erschrocken
wie der Erschossene, der seine
Augenbrauen hochreißt. Doch
das Dauerfeuer pausiert nicht,
keine Zeit für Trauer. Denn es ist
nur einer von vielen tödlichen
Schüssen, die die Zuschauer in
der Berliner Mercedes Benz Are-
na an diesem Nachmittag be-
geistern. Wo normalerweise Bas-
ketball, Eishockey oder Musik
gespielt wird, finden an diesem
Tag die ersten beiden Viertelfi-
nals des StarLadder Counter
Strike Major, einer Art Welt-
meisterschaft, statt. Beim wich-
tigsten Turnier des Jahres tref-
fen die acht besten Teams der
Welt aufeinander, um den Meis-
ter des weltbekannten Ego-
Shooter-Spiels auszuschießen.

VON ROUWEN CHLEBNA

Es ist mein erstes E-Sport-
Event. Ich war nie ein großer Zo-
cker, habe als Jugendlicher, eher
Sportspiele gespielt. Dabei galt
für mich schon immer: Was auf
dem Bildschirm passierte, inte-
ressierte mich nur, wenn ich
selbst spielte. Sobald meine
Freunde die Controller in der
Hand hielten, ging ich aufs Klo,
holte mir etwas zu essen oder
drängelte, dass sie doch bitte
schneller spielen mögen. Zu-
schauen langweilte mich.
Am Tag der ersten Viertelfi-
nals stehen Tausende Besucher
schon zwei Stunden vor den ers-
ten Schüssen in langen Schlan-
gen vor der Arena. Überwiegend
junge Männer unter 30 haben
zwischen 100 und 250 Euro ge-
zahlt, um alle vier Tage des Tur-
niers live zu erleben. Frauen se-
he ich nur vereinzelt.
Im Innenraum riecht es nach
Sprühdeo und Bier. Die Kulisse
beeindruckt. Vier riesige Lein-
wände hängen über der Bühne,
auf der zwei Glaskästen stehen.
Auf halber Strecke dazwischen
der Siegerpokal. Die fünf Spieler
eines jeden Teams sitzen in den
schalldichten Boxen, die Reak-
tionen des Publikums würden
ansonsten stören oder wichtige
Hinweise im Spielverlauf geben.
Dann startet die Show. Über
die Leinwände flimmern High-
light-Videos vergangener Tur-
niere, begleitet von einer impo-
santen Lichtshow und eindring-
lichen Soundeffekten. Als der
Moderator die Teams des ersten
Viertelfinales in die Arena ruft,
bin ich der Einzige in meinem
Block, der noch sitzt. Cheerlea-
der in ultraknappen Shorts be-
gleiten die Spieler von „Ence”
und „Renegades“. Ich frage
mich, bei was für einer Veran-
staltung ich eigentlich bin. Ist
Computerspielen Sport?
Eine Frage, die noch kurz vor
dem Turnier in Berlin eifrig dis-
kutiert wurde. Auslöser der De-
batte ist ein umstrittenes Gut-
achten im Auftrag des Deut-
schen Olympischen Sportbun-

des (DOSB). Sport sei „durch die
langjährige Rechtsprechung im
traditionellen Sinne der Anfor-
derungen an die Körperlichkeit
konkretisiert“, hieß es in dem
Dokument, das dem E-Sport er-
neut die Anerkennung als Sport
verweigert. Schon im vergange-
nen Oktober hatte sich der
DOSB klar gegen E-Sport als
Sport positioniert.
In der E-Sport-Szene löste das
Gutachten erwartbare Kritik
aus. Die fehlende Anerkennung
als Sportart wird auch unter den
Gamern in Berlin diskutiert, ver-
dirbt aber niemandem die Freu-
de am Event. Viel eher stößt man
auf trotzige Reaktionen. Für
Wolfgang ist das Gutachten des
DOSB ein weiterer Beweis dafür,
dass die „alteingesessenen
Sportverbände“ sich vor der
neuen Konkurrenz vor dem Bild-
schirm fürchten. Der 27-Jährige
ist extra vom Bodensee ange-
reist, um seinen Vorbildern zu-
zuschauen. „Das hier ist die ab-
solute Weltelite, was diese Spie-
ler an der Tastatur leisten, ist
unvorstellbar.“ Jeder der Spieler
bei diesem Major kenne Hunder-
te strategisch wichtige Punkte
auf den Spielkarten auswendig
und können seine Maus so ziel-
genau ausrichten, dass der Feind
beinahe auf den Pixel genau ge-
troffen wird.
Diese Präzision trainieren die
Profis in sogenannten Gaming
Houses täglich bis zu zwölf
Stunden. Wer erfolgreich sein
will, braucht eine gute Hand-Au-
ge-Koordination, ein ausgepräg-
tes Konzentrationsvermögen
und – etwas überraschend – viel
Kondition. Dem Klischee des
leicht übergewichtigen, blassen
Computer-Nerds entspricht
kaum ein Profi. Stattdessen trai-
nieren Weltklassespieler im Fit-
nessstudio, um auch nach stun-
denlangem Sitzen vor dem Bild-
schirm noch die richtigen Ent-

scheidungen treffen zu können.
„Es ist wie beim Fußball. Wir
kommen hierher, weil wir die
besten Spieler der Welt sehen
wollen. Und wir haben sogar die
theoretische Chance, im Online-
Modus auf einen dieser Spieler
zu treffen“, sagt sein Kumpel Ju-
lian, 29 Jahre alt. Natürlich kön-
ne man das Major auch im Live-
Stream verfolgen, aber für die
außergewöhnliche Atmosphäre
zahle er gerne das Geld.
Gespielt wird in Berlin „Glo-
bal Offensive“, eine Fortsetzung
des Ego-Shooter-Klassikers
Counter Strike. Zwei fünfköpfi-
ge Teams treten gegeneinander
an. Die einen als Terroristen, die
anderen als Mitglieder einer An-
ti-Terror-Einheit. Was klingt wie
ein stumpfes Ballerspiel, er-
scheint nach wenigen Spielrun-
den wie eine gewaltige mentale
Herausforderung. Im ersten
Viertelfinale trifft das finnische
Team „Ence“ auf die „Renega-
des“ aus Australien. Je spektaku-
lärer die Treffer, desto lauter die
„Uhhhhhhhs“ auf den Tribünen.
Mit im Glaskasten steht ein Trai-
ner, der nach tödlichen Schüssen
sanft die Schultern seiner Spie-
ler tätschelt oder Fist-Bumps
verteilt. Nach gut zwei Stunden
schlagen die Australier die favo-
risierten Finnen klar 2:0.
Bald geht ein lautes Raunen
durch die Arena: In einem klei-
nen Studio über den Tribünen
stehen die vier Experten, die
zwischen den Spielen das Ge-
schehen analysieren. Der austra-
lische Kollege lässt es sich nach
dem überraschenden Sieg der
„Renegades“ nicht nehmen, ei-
nen Shoey zu machen – also ei-
nen großen Schluck Bier aus sei-
nem Schuh zu trinken. Der lo-
ckeren Atmosphäre steht die kri-
tische Betrachtung solcher Ego-
Shooter-Spiele gegenüber. Seit
der Erstveröffentlichung von
Counter Strike 2000 streiten
sich Experten, Politik und Spie-
ler um die Frage, wie gefährlich
die virtuelle Schießerei für die
Entwicklung junger Menschen
ist. Nach jedem Amoklauf wird
die Frage gestellt, ob der Täter
Ballerspiele gespielt haben
könnte. „Ich finde die Diskussi-
on schwachsinnig“, betont Wolf-
gang. Er selbst spiele Counter
Strike seit rund 13 Jahren. „Bei
Amokläufern hat meist das so-
ziale Umfeld versagt. Das ist viel
entscheidender.“
Die Altersbeschränkung bei
Counter Strike beträgt 16 Jahre.
In Berlin dürfen 16-Jährige nur
zusammen mit ihren Eltern in
die Arena. Doch daheim schie-
ßen auch deutlich jüngere Spie-
ler durch die Gassen der Spiel-
karten. Wer zur absoluten Elite
gehören will, muss deutlich jün-
ger anfangen zu trainieren.
Am Ende gewinnt dann das
dänische Team „Astralis“ seinen
insgesamt vierten Major-Titel
und damit 500.000 Dollar Preis-
geld. Ich stehe mit Julian vor der
Arena. „Irgendwann wird das
Ganze auch bei uns in einem
Fußballstadion stattfinden. In
Asien ist das schon Normalität“,
sagt er.

5 0.000 Zuschauer
bei der

Counter-Strike-WM
in Berlin sind
fasziniert von jungen
Männern, die sich
virtuell über den

Haufen schießen


„Wie beim Fußball“ – die Fans
fffiebern mit ihrer Mannschaft mitiebern mit ihrer Mannschaft mit

AFP/ GETTY IMAGES

/ I. FASSBENDER
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