Süddeutsche Zeitung - 10.09.2019

(Darren Dugan) #1
von thomas balbierer,
max gilbert und rainer stadler

München– Nach der bundesweiten Kritik
anlässlich der Wahl des NPD-Mitglieds Ste-
fan Jagsch zum Ortsvorsteher im hessi-
schen Altenstadt-Waldsiedlung soll das Er-
gebnis rückgängig gemacht werden. Sie-
ben der neun Mitglieder aus dem Ortsbei-
rat unterzeichneten einen Antrag von
CDU, SPD und FDP auf Abwahl von Jagsch.
Das bestätigte die stellvertretende hessi-
sche CDU-Vorsitzende Lucia Puttrich.
Wann genau die Abwahl stattfinden wird,
konnte Puttrich, die auch CDU-Vorsitzen-
de des Wetterau-Kreises ist, nicht sagen.
Es sei wichtig, dass juristisch alles sorgfäl-
tig gemacht werde.
Laut hessischer Gemeindeordnung ge-
nügt eine Zweidrittelmehrheit aller Orts-
beiratsmitglieder, um den Vorsitzenden
abzuberufen. Einen besonderen Grund
brauche es dafür nicht, heißt es aus dem
hessischen Innenministerium. Der Orts-
vorsteher, also Jagsch selbst, müsse infol-

ge des eingereichten Antrags „unverzüg-
lich“ eine Sondersitzung einberufen, in der
abgestimmt wird.
Dass die Ortsvorsteher-Wahl in Wald-
siedlung mit seinen 2700 Einwohnern auf
Jagsch fiel, begründete Norbert Szielasko,
der im Ortsbeirat die CDU vertritt, am Wo-
chenende pragmatisch. Man habe keinen
anderen gefunden, „vor allem keinen Jün-
geren, der sich mit Computern auskennt,
der Mails verschicken kann“. Jagschs Vor-
gänger Klaus Dietrich, der über die FDP-
Liste in den Ortsbeirat gewählt wurde, ist
erstaunt, dass die Wahl von Jagsch so hohe
Wellen schlägt. Dass nun Druck von oben
komme, nennt er eine „massive Beeinflus-
sung“. Es sei „wie in der Türkei, es wird so
lange gewählt, bis der Richtige dran ist“.
Zur Wahl Jagschs sagt Dietrich, die eigentli-
che Kandidatin für den Posten habe in der
Sitzung vergangenen Donnerstag gefehlt,
daher habe man schnell einen neuen Kan-
didaten gebraucht. Eine Vertagung der
Wahl habe niemand beantragt. Dass
Jagsch stellvertretender Landesvorsitzen-
der der NPD ist, will Dietrich nicht gewusst
haben. „Wir sehen nicht das Parteibuch,
sondern nur den Menschen.“
Auf seiner Facebook-Seite macht Stefan
Jagsch keinen Hehl aus seinen politischen
Überzeugungen. Oben steht der Schriftzug
„Lügenpresse bleibt Lügenpresse“, darun-
ter postete er Bilder mit Sprüchen wie „Mi-
gration tötet“ oder „Artenschutz auch für
Deutsche“. Sein CDU-Ortsbeiratskollege
Szielasko hatte im Hessischen Rundfunk
dennoch geäußert: „Was er in der Partei
macht oder privat, das ist nicht mein Ding,
nicht unser Ding.“ Im Ortsbeirat verhalte
er sich „absolut kollegial und ruhig“.
Inzwischen bedauerten die Ortsbeiräte
ihre Wahl und wollten sie rückgängig ma-
chen, betont CDU-Politikerin Puttrich.
„Sie waren sich der Unmöglichkeit dieser
Wahl wohl nicht bewusst.“
Dabei tauchte der Name Stefan Jagsch
2015 sogar im hessischen Verfassungs-
schutzbericht auf. Die hessische NPD
selbst bewertete der Landesverfassungs-
schutz zuletzt allerdings nur als „sehr ein-

geschränkt handlungsfähig“. Wenige
Kreisverbände seien aktiv gewesen oder
öffentlich in Erscheinung getreten. Zu flä-
chendeckenden Wahlerfolgen werde die
Partei „vor dem Hintergrund der gegenwär-
tigen personellen, organisatorischen und
finanziellen Schwäche jedoch kaum in der
Lage sein“.
In der Gemeinde Altenstadt allerdings
kam die NPD bei der Kommunalwahl 2016
auf zehn Prozent, bei der Wahl zum Ortsbei-
rat im selben Jahr auf 14,4 Prozent. Im be-
nachbarten Büdingen errang Daniel Lach-
mann, der NPD-Landesvorsitzende in Hes-
sen, mit seiner Partei zehn Prozent bei den
letzten Kommunalwahlen und 14 Prozent
bei der Bürgermeisterwahl. Wiederholt
fanden in Büdingen überregionale Treffen

der NPD statt, auch der Bundesvorsitzen-
de Frank Franz soll zugegen gewesen sein.
Der NPD-Landesvorsitzende Lach-
mann erklärt sich den Erfolg der Partei in
den Orten des Wahlkreises Wetterau da-
mit, dass Jagsch und er seit Langem poli-
tisch aktiv seien, „uns kennt hier jeder“.
Mitglieder der FDP und von „Pro Ver-
nunft“, einer Abspaltung der Freien Wäh-
ler, hätten in Büdingen wiederholt für An-
träge der NPD gestimmt, sagt Lachmann.
„Die gehen ganz vorurteilsfrei mit uns
um.“ Die Wahl von Jagsch zum Ortsvor-
stand zeige, schrieb die NPD Hessen auf ih-
rer Homepage, „wie wichtig die kommuna-
le Verankerung und der regelmäßige Kon-
takt zum Volk ist, um politisch ernst ge-
nommen zu werden“.

Lachmann und Jagsch rechneten schon
vor Bekanntwerden des Abwahlantrags da-
mit, dass als Reaktion auf die bundeswei-
ten Proteste im Ortsbeirat der Waldsied-
lung versucht werde, das Wahlergebnis
rückgängig zu machen. Wenn diejenigen,
die Jagsch gewählt hätten, nun von außen
Druck bekämen und ihn deshalb wieder ab-
wählten, sagt Lachmann, „dann wäre das
ein Armutszeugnis für die Demokratie“.
CDU-Politikerin Puttrich sagt ange-
sichts der heftig kritisierten Wahl, man
müsse vor Ort noch „mehr politisch sensi-
bilisieren“. Es sei zwar Realität, dass
Jagsch in der dortigen Lokalpolitik eta-
bliert sei, aber man müsse den Leuten dort
stärker klarmachen: „Das ist nicht der gute
Mann von nebenan.“  Seite 4

Berlin –Die Grünen am Montag nach der
Bewerbung, das ist ein ziemlich unruhiger
Haufen. Schaffen die das? Muss das sein?
Welche Chancen haben Cem Özdemir und
Kirsten Kappert-Gonther, wenn sie in zwei
Wochen nach dem Fraktionsvorsitz im
Bundestag greifen? Und wäre es nicht auch
mal Zeit für frische Luft an der Spitze der
Grünen-Fraktion?
Solche Fragen stellten sich Bundestags-
abgeordnete und Parteiobere der Grünen
am Montag zuhauf, beantworten mochte
sie vorläufig keiner, schon gar nicht öffent-
lich. Nachdem der frühere Grünen-Chef
Özdemir am Samstag angekündigt hatte,
zusammen mit der Bremer Abgeordneten
Kirsten Kappert-Gonther für den Frakti-
onsvorsitz im Bundestag zu kandidieren,
wirkten viele Parteifreunde zunächst über-
rumpelt. Vor allem im linken Spektrum
der Partei löste die Ankündigung wenig Be-
geisterung aus. Aber auch bei den grünen
Realos war zunächst kein Jubel zu hören,
sie wollten sich am Montagabend erst ein-
mal beim Strömungstreffen beraten. Gars-
tige Töne oder gar ein grüner Flügelstreit
sollen unbedingt vermieden werden.

„Erst mal ist es ein Wettbewerb, und
das ist gut“, sagte betont unbekümmert
die Fraktionschefin Katrin Göring-
Eckardt am Montag im Bundestag. Und ja,
sie sei „überrascht“ worden von der Ankün-
digung, dass Cem Özdemir und Kirsten
Kappert-Gonther sich um den Fraktions-
vorsitz bewerben. Özdemir, einst Parteivor-
sitzender, hatte sich nach den Jamaika-
Sondierungen in die zweite Reihe der Grü-
nen zurückgezogen. Dass er ein Comeback
anstrebte, war keine Überraschung. Aller-
dings fehlte dem Schwaben lange eine

Frau vom linken Flügel, die für eine grüne
Doppelspitze unerlässlich ist. Die Verteidi-
gungsexpertin Agnieszka Brugger stammt
wie Özdemir aus Baden-Württemberg und
schied schon deshalb aus, soll aber auch
nicht interessiert gewesen sein. Die Wirt-
schaftspolitikerin Katharina Dröge, auch
sie eine Parteilinke, gilt als Anhängerin
von Fraktionschef Anton Hofreiter. Özde-
mir soll sie gar nicht erst gefragt haben.
Nun also hat der 53-Jährige die Medizi-
nerin und Drogenexpertin Kirsten Kap-
pert-Gonther für eine Kandidatur an sei-
ner Seite gewonnen. Die Bremerin hat bei
der letzten Bundestagswahl der Grünen-
Gründerin Marieluise Beck das Mandat ab-
gejagt. Sympathisch, klug, aber in der Frak-
tion noch unauffällig, war am Montag bei
den Grünen über die Überraschungskandi-
datin zu hören. Ihre Bewerbung habe „bis-
her keinerlei positives Feedback“ ausge-

löst, hieß es aus dem linken Parteiflügel.
Und: „Eine so unerfahrene Person geht ne-
ben Cem Özdemir unter.“
Kappert-Gonther soll das anders se-
hen, und auch die aktuellen Fraktions-
chefs Katrin Göring-Eckardt und Anton
Hofreiter demonstrieren Gelassenheit. Sie
habe immer deutlich gemacht, „dass die
Fraktion die inhaltliche Arbeit für die Par-
tei voranbringen muss, mit der Partei“, be-
tonte Göring-Eckardt. Bloß keine Experi-
mente, ist da die Botschaft, und bloß kein
Rückfall in die Zeit, als Partei- und Frakti-
onsspitze einander beharkten.
Unanfechtbar allerdings sind Göring-
Eckardt und Hofreiter nicht. Sechs Jahre
stehen die beiden an der Spitze der Bundes-
tagsfraktion, ihre Wiederwahl 2017 war
kein Triumphzug. Beide gelten als effekti-
ve Pragmatiker, die im Tagesgeschäft vie-
les wegschaffen, rhetorisch eher keine Fun-

ken schlagen – aber eben auch kein Pro-
blem damit haben, den Parteichefs Annale-
na Baerbock und Robert Habeck die große
Bühnenshow zu überlassen.
Die Parteispitze ist das Kraftzentrum
der Grünen, die Fraktion gilt als ruhiges Ar-
beitsdeck. Damit könnten viele in der Frak-
tion ganz gut leben, gab eine Reala aus
dem Bundestag am Montag zu verstehen.
Auch die Parteilinke Katja Dörner mag im
stillen Werkeln der Fraktionschefs keinen
Nachteil sehen: „Dass die Fraktionsvorsit-
zenden nicht automatisch so im Licht ste-
hen wie früher, ist ein Preis für dieses
Team-Play. Ich finde das nicht kritikwür-
dig, sondern gut und im Sinne des Gan-
zen.“ Andere wiederum betonten, Cem Öz-
demir erreiche ganz andere, eher konserva-
tive Milieus als die beiden Amtsinhaber.
Auch das gelte es zu bedenken.
Von der Parteispitze kam am Montag
nur Ausweichendes zur Personalie Özde-
mir und Kappert-Gonther: Man warte die
weise Entscheidung der Fraktion ab. Nun
ist es kein Geheimnis, dass Robert Habeck
und Cem Özdemir im Wettlauf um grüne
Spitzenposten harte Rivalen waren. Dass
die Chemie längst wieder stimmt, mag
nicht jeder glauben. Auf die Frage nach Öz-
demir sagte Bundesgeschäftsführer Micha-
el Kellner nur: „Ich führe jetzt keine Debat-
te über einzelne Personen.“ Entscheidend
für den Erfolg einer Partei sei die „Frage
von Geschlossenheit“. Es hat schon laute-
ren Zuspruch gegeben.
Wenn am 24. September abgestimmt
wird, treten die weiblichen Bewerberinnen
als erste an. Sollte Göring-Eckardt gegen
Kappert-Gonther gewinnen, wolle Letzte-
re nicht für den zweiten Platz an der Frakti-
onsspitze kandidieren, hieß es in der Frak-
tion. Eine weibliche Doppelspitze wird es
demnach nicht geben. Als nächstes tritt
dann mutmaßlich Özdemir gegen Hofrei-
ter an – wenn nicht noch weitere Bewerber
auftauchen. constanze von bullion

Seinen Rücktritt als Ortsvorsteher von
Waldsiedlungbegründete Stefan Jagschs
Vorgänger Klaus Dietrich im Juni mit der
„politischen Wirkungslosigkeit“ des Am-
tes. Er habe „keinerlei Entscheidungs-
befugnis“, beklagte der Lokalpolitiker laut
Sitzungsprotokoll. Der Ortsbeirat in Hes-
sen ist ein Gremium, das in bestimmten
Fällen zu konsultieren ist. In der Gemeinde-
ordnung heißt es: „Der Ortsbeirat ist zu
allen wichtigen Angelegenheiten, die den
Ortsbezirk betreffen, zu hören, insbeson-
dere zum Entwurf des Haushaltsplans.“ Zu-
dem besitzt er ein Vorschlagsrecht gegen-
über der Gemeinde. Entscheidungsmacht
hat ein Ortsvorsteher nur in Angelegenhei-
ten, die ihm die Gemeinde übertragen hat.
„Das kann zum Beispiel die Benennung
von Straßen oder Plätzen sein“, so ein Spre-
cher der Kreisverwaltung Wetterau. THBA

Berlin– Es sollen Feste der Begegnung
werden, Treffen, bei denen Ost- und West-
deutsche „schonungslos debattieren“ und
über ihre Erfahrungen sprechen können,
im Guten wie im Schlechten. So stellt sich
der frühere brandenburgische Minister-
präsident Matthias Platzeck die mehr als
ein Jahr dauernden Feierlichkeiten zu
30 Jahren friedlicher Revolution, Mauer-
fall und Deutscher Einigung vor. Am 9. No-
vember zum Beispiel, dem 30. Jahrestag
des Mauerfalls, soll an 30 Orten entlang
der früheren innerdeutschen Grenze ge-
meinsam gesprochen, gegessen und gefei-
ert werden. „Wir wollen näher zusammen-
rücken“, sagte Platzeck.
Der gebürtige Potsdamer führt die
22-köpfige Kommission „30 Jahre Friedli-
che Revolution und Deutsche Einheit“ aus
Politikern, Wissenschaftlern und Kultur-
schaffenden an. Sie wurde im April von der
Bundesregierung beauftragt, bis Mitte Au-
gust ein umfangreiches Konzept für die Fei-

ern zu erarbeiten, für die Finanzminister
Olaf Scholz (SPD) bereits 61 Millionen Euro
bewilligt hat. Am Montag stellte die Kom-
mission die „Meilensteine“ der friedlichen
Revolution vor, also jene Daten und Ereig-
nisse, die groß gefeiert werden sollen.
Platzeck sagte dabei, das Jubiläum falle
in „ein schwieriges Gesamtklima“. Die
Stimmung zwischen Ost und West sei ange-
spannt. Die Meinungen im Osten radikali-
sierten sich, wie die Landtagswahlen in
Brandenburg und Sachsen gezeigt hätten.
„Das Wessi-Bashing hat in den vergange-
nen zwei, drei Jahren zugenommen“, sagte
Platzeck. Bei den Westdeutschen wieder-
um stellt er ein „wachsendes Desinteres-
se“ am Osten fest.
Besonderen Wert legt die Kommission
auf den Dialog zwischen den Bürgern. Laut
Markus Kerber, Staatssekretär im Innen-
ministerium, soll herausgefunden wer-
den, wie der Transformationsprozess das
Land verändert hat und wie es den Men-

schen damit geht. Es sollen allerorts Zeit-
zeugen auf junge Menschen treffen, Bür-
ger aus westdeutschen Städten auf solche
aus ostdeutschen. Am Montag gingen die
Feiern bereits los. Am 9. September 1989
wurde das „Neue Forum“ gegründet, jene
Bürgerrechtsbewegung in der DDR, die die
Wende maßgeblich mit herbeigeführt hat.

Bereits nachmittags fand dazu eine Diskus-
sionsrunde statt. Am 30. September, dem
Tag der Ausreise der Botschaftsflüchtlinge
von Prag in die Bundesrepublik, soll ein
Sonderzug von Dresden nach Prag fahren.
Am 9. Oktober wird in Leipzig ein Volksfest
gefeiert, weil vor 30 Jahren dort die erste
große Montagsdemonstration mit 70 000
Menschen stattfand. Es folgen die bundes-
weiten Feiern anlässlich des Mauerfalls
am 9. November, der ersten freien und de-

mokratischen Volkskammerwahl in der
DDR am 18. März 1990, des Inkrafttretens
der Währungs-, Wirtschafts- und Sozial-
union am 1. Juli, der Unterzeichnung des
„2+4 Vertrages“ am 12. September und des
Tags der Deutschen Einheit am 3. Oktober.
An der Einsetzung der Kommission war
in den vergangenen Monaten auch Kritik
laut geworden. Dieter Dombrowski, der
Vorsitzende der Union der Opferverbände
Kommunistischer Gewaltherrschaft, be-
mängelte, sie sei zu spät einberufen wor-
den. Zudem seien die Opfer der SED in ihr
nicht vertreten. Matthias Platzeck entgeg-
nete am Montag auf Nachfrage, dass die
späte Regierungsbildung für die späte Ein-
berufung der Kommission verantwortlich
sei. Vertreter der Opferverbände würden
bei den Feiern zu Wort kommen. Außer-
dem seien ehemalige Mitglieder der Bür-
gerrechtsbewegung Teil der Kommission.
„Wir haben die Signale aufgenommen“,
sagte Platzeck. benjamin emonts

Berlin– Bürger sollen sich künftig über
eineStiftung des Bundes direkt am Klima-
schutz beteiligen können – und daran ver-
dienen. Das geht aus den Plänen für eine
„Bürger-Stiftung Klimaschutz“ hervor, die
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmai-
er (CDU) am Montag präsentiert hat. Da-
nach soll jeder Bürger Anleihen bis zu 2500
Euro zeichnen können, die dann zehn Jah-
re lang laufen und mit zwei Prozent ver-
zinst werden. Eine vierköpfige Familie
könnte so Anleihen über 10 000 Euro zeich-
nen – und erhielte im Jahr 200 Euro Zin-
sen. Angesichts des aktuellen Zinsniveaus
wäre das für sie äußerst rentabel. „Ich glau-
be, dass das bei sehr vielen Bürgern auf gro-
ßes Interesse stoßen wird“, sagt Altmaier.
Bis zu 50 Milliarden Euro Stiftungskapi-
tal sollen so zusammenkommen, darunter
auch ein Grundstock des Bundes in Höhe
von fünf Milliarden Euro. Das Geld soll
dem Klimaschutz dienen. „Die Stiftung
vergibt zinslose Darlehen für Investitions-
vorhaben von privaten Haushalten und
Unternehmen zur CO2-Einsparung“, heißt
es in einem zweiseitigen Abriss, den Alt-
maier zu seinem Vorschlag gefertigt hat.
Einzelne Darlehen dürfen dabei bis zu
50 Millionen Euro umfassen. Die Darlehen
sollen bis zu 30 Jahre lang laufen. Die CO2-
Effekte – etwa durch die Sanierung eines
Gebäudes – sollen dokumentiert werden.

Ähnliche Vorschläge kursieren seit Wo-
chen. Sie sollen helfen, Geld zu mobilisie-
ren, ohne die Schuldenbremse zu verlet-
zen. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch
hatte „eine Art Ökoschatzbrief“ vorgeschla-
gen, ebenfalls mit gesichertem Zinssatz.
Die CSU präferiert eine Klimaanleihe, die
„in Zeiten von Negativzinsen eine attrakti-
ve Anlagemöglichkeit“ schaffe. Altmaier
selbst sagt, er habe diese Vorschläge „wei-
terentwickelt“. Ihm schwebt eine jährliche
Finanzspritze des Bundes von einer Milliar-
de Euro für die Stiftung vor. Auch soll sie
Spenden annehmen können, die sich bis zu
einer bestimmten Höhe von der Steuer
absetzen lassen. Die Spenden dürften
dann aber vor allem dazu dienen, Bürgern
die versprochenen Zinsen zu zahlen.
Für Altmaier ist die Idee nicht neu. Als
Umweltminister hatte er 2012 die Idee ei-
ner „Bürgerdividende“ für den Stromnetz-
ausbau ersonnen; so sollten Bürger finanzi-
ell profitieren. Das Projekt versandete.
Diesmal stehen die Chancen besser: Anlei-
hen könnten Teil des Klimapakets werden,
das die Koalition nächste Woche schnüren
will. Die Grünen kritisierten den Vorstoß.
Angesichts ohnehin günstiger Zinsen brau-
che es diesen Impuls nicht, sagte deren Kli-
mapolitikerin Lisa Badum. „Herr Altmaier
sollte sich auf sein Kerngeschäft konzen-
trieren. Und das sind nicht die Finanzen.“
Klimaschutzdarlehen mit günstigen Zin-
sen gibt es übrigens jetzt schon, von der
staatlichen Förderbank KfW. Bei einigen
Angeboten, so heißt es dort, sei der Zins so-
gar negativ. michael bauchmüller

Ortsvorsteher


Rechtsextremist


soll abgewählt werden


Wie wird man einen NPD-Mann als Ortsvorsteher wieder los?
Das treibt nun einen Ortsbeirat in der Wetterau in Hessen um

Potsdam– Der Brandenburger CDU-Ab-
geordnete Jan Redmann kandidiert
nach dem Rückzug von Ingo Senftleben
für die Fraktionsspitze im Landtag. Das
verlautete am Montagabend aus Partei-
kreisen. Die Fraktion wählt an diesem
Dienstag einen neuen Vorstand. Ob die
sechs Abgeordneten, die sich in der
vergangenen Woche gegen Senftleben
gestellt hatten, dann für Redmann stim-
men, ist offen. Senftleben hatte am
Freitag auch angesichts eines internen
Machtkampfes angekündigt, als Lan-
des- und Fraktionschef zurückzutreten.
Redmann war bisher Parlamentarischer
Geschäftsführer der Fraktion. dpa


Berlin– Angela Merkel (CDU) hat sich
in der Klimaschutzdebatte nachdrück-
lich hinter Pläne für eine Verteuerung
des Ausstoßes von klimaschädlichem
Kohlendioxid (CO2) gestellt. „Wer, wenn
nicht wir, muss dazu jetzt einen wirkli-
chen Beitrag leisten“, wurde die Kanzle-
rin am Montag von Teilnehmern der
ersten Unionsfraktionssitzung nach der
Sommerpause zitiert. „Wir stellen Wei-
chen für die Zukunft – für die nächsten
30 Jahre.“ Es gehe „um zukunftsfähiges
Wirtschaften“, der „Sinn der Beprei-
sung ist ur-marktwirtschaftlich“, sagte
die Kanzlerin demnach. Die große Koali-
tion will am 20. September ein Maßnah-
menpaket für mehr Klimaschutz be-
schließen. Zwischen Union und SPD
gibt es noch unterschiedliche Ansich-
ten, wie dieser zu erreichen ist. dpa


Feiern trotz angespannter Atmosphäre


Ein Jahr lang will Deutschland an die friedliche Revolution 1989 und das Ende der DDR erinnern


Plötzlich Kandidaten


Viele Grüne fühlen sich angesichts der Bewerbung von Kappert-Gonther und Özdemir für den Fraktionsvorsitz überrumpelt


Geld mobilisieren, ohne
die Schuldenbremse zu verletzen

Karlsruhe/Berlin– Die Bundesanwalt-
schaft hat die Witwe des Berliner Gangs-
terrappers und späteren IS-Terroristen
Denis Cuspert alias Deso Dogg verhaf-
ten lassen. Omaima A., die deutsche
und tunesische Staatsbürgerin ist, wur-
de drei Jahre nach ihrer Rückkehr nach
Deutschland am Montag in Hamburg
verhaftet, so die Bundesanwaltschaft.
Sie sei dringend verdächtig, in Syrien
Mitglied der Terrormiliz Islamischer
Staat (IS) gewesen zu sein. Cuspert wur-
de Medienberichten zufolge 2018 in
Syrien bei einem Luftangriff getötet. A.
soll diesen Dienstag dem Ermittlungs-
richter vorgeführt werden, gegen sie
liegt ein Haftbefehl vor. Danach hat sie
sich im Januar 2015 dem IS angeschlos-
sen. Dazu sei die Frau gemeinsam mit
ihren drei minderjährigen Kindern über
die Türkei nach Syrien gereist. Die Bun-
desanwaltschaft verdächtigt sie auch
der Verletzung ihrer Fürsorge- und
Erziehungspflicht. Außerdem habe sie
gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz
verstoßen. A. lebte dpa-Informationen
zufolge zuletzt im Süden Hamburgs.
Schon vor ihrer Abreise nach Syrien soll
sie als Spendensammlerin für muslimi-
sche Fanatiker aufgetreten sein. dpa


Rom– Nur einen Tag nach Start ihres
Sucheinsatzes im Mittelmeer hat die
Besatzung derOcean Viking50 Flücht-
linge aus Seenot gerettet (FOTO: AP). Die
Menschen seien in internationalem
Gewässer vor der libyschen Küste ent-
deckt worden, so die Organisationen
Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerra-
née, die das Schiff gemeinsam betrei-
ben. Unter den Geretteten seien zwölf
Minderjährige und eine Schwangere.
Vom RettungsschiffAlan Kurdivor
Malta wurden am Montag drei junge


Flüchtlinge an Land gebracht. Sie seien
völlig erschöpft gewesen, erklärte die
Organisation Sea-Eye. Die Crew des
Schiffes hatte am 31. August 13 junge
Männer aus den Gewässern der maltesi-
schen Sicherheitszone gerettet. Inzwi-
schen sind noch fünf von ihnen auf dem
Schiff. „Malta scheint zu warten, bis
jeder der Geretteten zu einem kriti-
schen medizinischen Fall geworden ist“,
kritisierte Sea-Eye. Bereits davor waren
mehrmals Gerettete vom Schiff geholt
worden. Zwei Männer hatten versucht,
sich das Leben zu nehmen. epd


Berlin– Knapp jeder vierte Internetnut-
zer in Deutschland (24 Prozent) ist
schon mindestens einmal Opfer von
Cyber-Kriminalität geworden. Beson-
ders häufig trifft es jüngere Menschen.
Das ergab die repräsentative Studie
„Digitalbarometer“, die vom Bundes-
amt für Sicherheit in der Informations-
technik (BSI) und der Polizei erstellt
wurde. 36 Prozent der Betroffenen ha-
ben demzufolge Betrug beim Online-
shopping erlebt. Bei 28 Prozent wurden
vertrauliche Daten abgefischt, 26 Pro-
zent berichteten von Schadsoftware-An-
griffen durch Viren oder sogenannte
Trojaner. In 18 Prozent der Fälle ging es
um Identitätsdiebstahl. Mit Cybermob-
bing oder Erpressersoftware haben
jeweils 13 Prozent der Betroffenen Er-
fahrungen gemacht. dpa


DDR-Opfer kritisieren, nicht in die
Vorbereitung einbezogen zu sein

DEFGH Nr. 209, Dienstag, 10. September 2019 (^) POLITIK HMG 5
Stefan Jagsch kann E-Mails verschicken. Aber der NPD-Mann postet auch: „Migration tötet.“ FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA
Bewerber für CDU-Spitzenamt
Merkel für CO 2 -Verteuerung
Cem Özdemir ist einer der bekanntesten Politiker der Grünen – doch beim linken
Flügel der Partei löst er keine Begeisterung aus. FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAND/DPA
Erst einmal sei Wettbewerb
gut,sagt Katrin Göring-Eckardt
betont unbekümmert
Sparen
fürs Klima
Altmaier legt Pläne
für milliardenschwere Stiftung vor
Terroristen-Witwe verhaftet
50 Flüchtlinge gerettet
Studiezu Cyber-Kriminalität
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