Süddeutsche Zeitung - 10.09.2019

(Darren Dugan) #1
Berlin– Nach dem Besuch von Bundes-
kanzlerin Angela Merkel (CDU) in China ha-
ben sich Aktivisten aus Hongkong ent-
täuscht gezeigt. „Sie hätte mehr tun kön-
nen“, sagte Yik Mo Wong, einer der Organi-
satoren der jüngsten Massenproteste am
Montag in Berlin. Es sei allerdings ein „gu-
tes Zeichen“, dass die Bundeskanzlerin die
Lage in der Sonderverwaltungszone in Pe-
king angesprochen habe. Die Kanzlerin
hatte erklärt, die Volksrepublik müsse sich
in Hongkong um eine friedliche Lösung be-
mühen. Gewalt gehe zu „99 Prozent“ von
der Polizei aus, betonte Wong. An sie müs-
se sich daher die Forderung nach Gewaltlo-
sigkeit richten. „Wir erwarten von Deutsch-
land und der Europäischen Union, dass sie
keine Polizeiausrüstung mehr nach Hong-
kong exportieren“, sagte die Aktivistin Gla-
cier Kwong. Die Europäer stünden in der
Pflicht, sich für den Schutz der Menschen-
rechte einzusetzen.
Nach seiner vorübergehenden Festnah-
me konnte am Montag mit Verspätung
auch Joshua Wong, einer der bekanntesten
Organisatoren der Hongkonger Proteste,
eine geplante Reise nach Deutschland an-
treten. Er wurde am späten Abend in Ber-
lin erwartet. Am Sonntag war Wong nach ei-
genen Angaben am Flughafen festgenom-
men worden, weil ihm der Verstoß gegen
Kautionsauflagen vorgeworfen wurde. Die-
se waren ihm nach einer Inhaftierung im
August auferlegt worden, nachdem er mit
anderen prominenten Aktivisten zu einer
nicht genehmigten Versammlung aufgeru-
fen und daran teilgenommen hatte. In Ber-
lin waren eine Reihe von politischen Ge-
sprächen des Aktivisten geplant, aller-
dings keine Begegnung mit Merkel. „Die
Bundeskanzlerin plant nicht, Herrn Wong

zu treffen“, erklärte Regierungssprecher
Steffen Seibert. Bundesaußenminister Hei-
ko Maas (SPD) ließ sich ein Gespräch mit
Wong offen. „Dass wir im Auswärtigen
Amt Vertreter der Zivilgesellschaft treffen,
ist ein ganz normales Verfahren“, sagte ein
Sprecher. Es gehe darum, sich ein Bild von
der Lage vor Ort zu machen. Am Mittwoch
will Wong in Berlin eine Pressekonferenz
geben.
Man sei um mehr Aufmerksamkeit in
Deutschland für die Vorgänge in Hong-
kong bemüht, betonten die Aktivisten. „Es
geht nicht nur um uns“, sagte Kwong. Chi-
na weite seinen Einfluss global aus, daher
könnten die Vorgänge in der ehemaligen
britischen Kronkolonie „ein Lehrbeispiel

auch für andere“ sein. „China ist kein
Land, dem vertraut werden kann“, sagte
sie. Beide Aktivisten waren zusammen mit
Joshua Wong von der Vorsitzenden des
Menschenrechtsausschusses des Bundes-
tages, Gyde Jensen (FDP), zu Gesprächen
eingeladen worden. Sie stellten klar, dass
sie die von Hongkongs Regierungschefin
Carrie Lam angekündigte Rücknahme des
umstrittenen Auslieferungsgesetzes nicht
als ausreichend erachten, um die Proteste
einzustellen. Unabdingbar sei eine unab-
hängige Aufklärung der Polizeigewalt. Es
gebe unzählige Beispiele willkürlicher, ex-
zessiver Gewalt. In dem herrschenden Kli-
ma der Angst fürchteten sich Opfer dieser
Gewalt aus Furcht vor Verhaftung sogar da-
vor, Krankenhäuser aufzusuchen. Ein von
Ärzten geschaffenes Untergrundsystem
für medizinische Versorgung sei überlas-
tet. „In Hongkong wollen wir Freiheit“, sag-
te Wong. Wenn die Proteste aufhörten, wer-
de die Regierung nicht einlenken.
Wenn Deutschland sich nicht für ein En-
de der Polizeigewalt einsetze, mache es sei-
nen „Job nicht richtig“, sagte die FDP-Abge-
ordnete Jensen. Sie bedauere, dass Merkel
auf dem Rückweg von ihrer Chinareise kei-
nen Zwischenstopp in Hongkong eingelegt
habe. daniel brössler

von hubert wetzel

Washington –In denUSA dauert der Som-
mer vom letzten Montag im Mai bis zum
ersten Montag im September. Am Memori-
al Day, dem Gedenktag für die Kriegstoten,
machen die Freibäder auf. Am Labor Day,
dem Tag der Arbeit, machen sie wieder zu.
In dieser Zeit wird es ruhig in Washington,
der Kongress geht in die Sitzungspause.
Und manchmal ist die Welt, in welche die
Parlamentarier zurückkehren, eine andere
als jene, die sie verlassen haben.
Das gilt ganz sicher für Nancy Pelosi, die
Anführerin der Demokraten im Abgeord-
netenhaus, und das Dauerstreitthema
Impeachment. Vor dem Sommer hatte die
mächtige Demokratin ihre Truppen gut im
Griff. Pelosi ist dagegen, dass die Demokra-
ten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus
dazu nutzen, ein Amtsenthebungsverfah-
ren gegen Präsident Donald Trump zu be-
ginnen, egal wie verhasst der im linken La-
ger ist. Sie mag Trump zwar auch nicht,
aber sie kann Umfragen lesen. Und diese
sind klar: Die Mehrheit der Bürger will
kein Impeachment.

Bis zum Sommer schienen die allermeis-
ten demokratischen Abgeordneten Pelosis
Ansicht zu teilen. Ein Impeachment? Zu
unbeliebt, zu riskant, zu spalterisch und
vor allem ziemlich aussichtslos, denn im
Senat, der Trump verurteilen müsste, herr-
schen die Republikaner. Am Memorial
Day, der dieses Jahr auf den 27. Mai fiel, wa-
ren daher gerade einmal 44 der 235 Demo-
kraten im Repräsentantenhaus für ein
Amtsenthebungsverfahren.
Doch jetzt, nach der Sommerpause, ist
die Welt eine andere: Am Labor Day, in
diesem Jahr der 2. September, lag die Zahl
der Impeachment-Befürworter schon bei
133 Demokraten. Anders gesagt: Mehr als
die Hälfte der demokratischen Fraktion im
Abgeordnetenhaus will, dass Pelosi ein
Amtsenthebungsverfahren anstrengt.
Für diesen Meinungsumschwung gibt
es drei Gründe, an denen auch Pelosi nicht
vorbeikann. Erstens: Trumps Verhalten.
Der Präsident hat den Sommer unter ande-
rem damit verbracht, dass er rassistische
Ausfälle gegen demokratische Abgeordne-
te getwittert hat. Zweitens: Die demokrati-
sche Parteibasis macht Druck. Dem kön-
nen sich die Abgeordneten, die nächstes
Jahr alle zur Wiederwahl stehen, nicht ein-
fach entziehen. Und drittens: Die Zeit wird
knapp. Die Demokraten wissen, dass sie
nicht im Kongress- und Präsidentschafts-

wahljahr 2020 ein Amtsenthebungsverfah-
ren gegen Trump beginnen können. Das
würde nach unfairer Parteitaktik ausse-
hen und könnte dem Präsidenten womög-
lich nutzen, weil er sich als Opfer einer rach-
süchtigen Opposition darstellen könnte.
Die allgemeine Einschätzung ist daher,
dass die Demokraten das Impeachment in
diesem Herbst anschieben müssen. Ein
symbolisch wichtiger Schritt wird in die-
sem Zusammenhang ein für diese Woche
geplantes Votum im Justizausschuss des
Abgeordnetenhauses sein. Der Vorsitzen-
de, der New Yorker Demokrat Jerry Nadler,
will dabei über eine Resolution abstimmen
lassen, in der die Details zu den Impeach-
ment-Ermittlungen gegen Trump festge-
schrieben sind. Bisher hatte Nadler den zö-
gerlichen Kurs von Pelosi unterstützt, aber
jetzt will er offenbar mehr Tempo machen.
In dem Dokument sollen unter ande-
rem die Themenkomplexe umrissen wer-

den, bei denen die Demokraten dem Präsi-
denten Gesetzesverstöße vorwerfen, die ih-
rer Ansicht nach ein Amtsenthebungsver-
fahren rechtfertigen und die nun genauer
geprüft werden sollen. Dazu zählen zum
Beispiel: Behinderung der Justiz bei den Er-
mittlungen zu Russlands Einmischung in
die Wahl 2016; illegale Schweigegeldzah-
lungen an die Pornodarstellerin Stormy
Daniels; persönliche Bereicherung im Amt
durch die Nutzung von Trump-Hotels für
offizielle Anlässe.
Zwar haben die Demokraten nach der
Machtübernahme im Abgeordnetenhaus
Anfang 2019 in diversen Ausschüssen mit
Untersuchungen gegen Trump begonnen,
die sich ebenfalls mit diesen Themen be-
schäftigen. Diese sind aber offiziell nicht in
ein Amtsenthebungsverfahren eingebet-
tet. Die Resolution des Justizausschusses
würde hingegen erstmals explizit feststel-
len, dass gegen Trump zum Zweck eines

Impeachment ermittelt wird. Das wäre ein
starkes politisches Signal, hätte aber auch
juristische Folgen. Zum Beispiel würde es
dann für vorgeladene Zeugen schwieriger
werden, die Aussage zu verweigern. Behör-
den und Banken müssen Dokumente her-
ausgeben, die der Ausschuss anfordert,
etwa Trumps Steuerunterlagen.
Die Resolution im Justizausschuss wäre
aber nur ein Schritt auf dem Weg zu einem
Impeachment – eine Art Durchsuchungs-
befehl, den die Demokraten sich selbst aus-
stellen. In einem weiteren Schritt müsste
eine förmliche Anklageschrift gegen den
Präsidenten geschrieben und vom Abge-
ordnetenhaus mit einfacher Mehrheit ge-
billigt werden. Da die Demokraten in der
Kammer die Mehrheit haben, ist es durch-
aus denkbar, dass es so weit kommt. Da-
nach ginge das Verfahren allerdings in den
Senat, der Trump mit Zweidrittelmehrheit
schuldig sprechen müsste, um ihn tatsäch-

lich aus dem Amt zu jagen. Das ist nach der-
zeitigem Stand ausgeschlossen.
Das ist genau der Grund, warum Pelosi
ein Amtsenthebungsverfahren scheut, das
keine Aussicht auf Erfolg hat. Mit der Reso-
lution des Justizausschusses kann sie dage-
gen wohl gerade noch leben: Je länger und
schärfer gegen Trump ermittelt wird, des-
to leichter fällt es Pelosi, mit Verweis auf
eben diese scharfen Ermittlungen eine An-
klageerhebung zu verzögern.
Denn die politischen Risiken, die für die
Demokraten in einem Impeachment ste-
cken, werden auch durch noch so detaillier-
te Untersuchungen nicht geringer. Und
wenn Pelosi nächstes Jahr aus der Sommer-
pause zurückkehrt, will sie auf keinen Fall
damit rechnen müssen, dass sie wegen ei-
ner halbgaren Amtsenthebungsshow im
Herbst ihre Mehrheit im Abgeordneten-
haus verliert und Donald Trump die Präsi-
dentschaftswahl noch einmal gewinnt.

Luxemburg– Eswar ein langer Kampf der
Bürgerrechtler, aber im Dezember 2016
schien er entschieden zu sein. Eine „allge-
meine und unterschiedslose“ Vorratsdaten-
speicherung ist mit EU-Recht nicht verein-
bar, entschied der Europäische Gerichts-
hof (EuGH) in Luxemburg. An diesem Mon-
tag, zweidreiviertel Jahre später, hat der
EuGH über drei Fälle verhandelt, und wie-
der stand die Speicherung und Nutzung
von Telefon- und Internet-Verbindungsda-
ten auf der Tagesordnung. Denn der Daten-
hunger der Sicherheitsbehörden ist noch
längst nicht gestillt. François Alabrune, der
Vertreter Frankreichs, gab sich im Ange-
sicht der EU-Richter jedenfalls unbeein-
druckt davon, dass seit dem damaligen Ur-
teil die ganze Speicherherrlichkeit vorbei
sein soll: „Eine allgemeine Speicherung ist
unabdingbar, sowohl für die Strafverfol-
gung als auch für die Aufdeckung von Straf-
taten“, gab er zu Protokoll. Sein britischer
Kollege Gerry Facenna sekundierte: Haupt-
zweck der Datenanalysen sei die „Identifi-
zierung von bisher unbekannten Bedro-
hungen der nationalen Sicherheit“.

Die Stellungnahmen Großbritanniens
und Frankreichs, über deren Gesetze (ne-
ben einer belgischen Regelung) verhandelt
wurde, standen stellvertretend für die
Mehrheit der EU-Länder. Sie haben sich
keineswegs mit dem Verzicht auf die Spei-
cherpflicht abgefunden, sondern forder-
ten den EuGH dazu auf, seine strikte Linie
aufzuweichen. Im Juni hat der Rat der Euro-
päischen Union bei der EU-Kommission ei-
ne „umfassende Studie über mögliche Lö-
sungen für die Vorratsspeicherung von Da-
ten“ in Auftrag gegeben, sprich: eine Umge-
hungsstraße, vorbei am datenschutz-
freundlichen Urteil. In Deutschland gibt es
nach wie vor ein Speichergesetz, das der-
zeit aber im künstlichen Koma liegt. Die
Bundesnetzagentur hat es wegen des
EuGH-Urteils für unanwendbar erklärt.
Nun ist die anhaltende Sammelei der Bri-
ten und Franzosen keine offene Aufleh-
nung gegen die EU-Rechtsprechung, weil
die Fälle etwas anders gelagert sind. In
Großbritannien geht es um die Befugnisse
von Nachrichtendiensten, Massendaten
von Telekommunikationsanbietern auf ei-
gene Server auszuleiten. Daten, die das
„Wer, wann, wo, wie und mit wem“, der Te-
lefon- und Internetnutzung enthalten, wie
ein britisches Gericht es formulierte. Das
spielte sich lange Zeit im Geheimen ab, erst
2015 räumte die Regierung diese Praxis

ein. Mithilfe einer Art elektronischer Ras-
terfahndung wollen die Dienste im großen
Datenpool Bedrohungen für die nationale
Sicherheit identifizieren.
Auch die vor wenigen Jahren stark erwei-
terten französischen Regeln setzen auf au-
tomatisierte Suche – dort soll aber die In-
frastruktur der Provider selbst genutzt wer-
den. Ziel sei außer der Bekämpfung des Ter-
rorismus und schwerer Verbrechen die Ver-
folgung jeglicher Straftaten sowie die Wah-
rung wirtschaftlicher Interessen, sagte Hu-
go Roy von der Bürgerrechtsorganisation
Privacy International. Sogar eine Echtzeit-
analyse komme zum Einsatz. Das könne al-
le Telekommunikationsnutzer treffen. Al-
lein der Anbieter Orange habe 30 Millionen
Teilnehmer.
Weil die „nationale Sicherheit“ im Spiel
ist, lautet die Schlüsselfrage: Ist europäi-
sches Recht und damit die Grundrechte-
charta überhaupt anwendbar? Oder geht
es um nationale Angelegenheiten? Die Fra-
ge mutet zunächst eher technisch an. Die
E-Privacy-Richtlinie macht eine Ausnah-
me bei der nationalen Sicherheit, zudem
heißt es in Artikel 4 des Vertrags über die
Europäische Union, sie achte die „grundle-
genden Funktionen des Staates“, wozu die
nationale Sicherheit zähle. Aber an der Ant-
wort wird sich entscheiden, ob die massen-
hafte, schwer kontrollierbare Datenspei-
cherung in Europa eine Zukunft hat. Stößt

der EuGH auch bei Nachrichtendiensten
die Tür zum Europarecht auf, dann müsste
er nach eigener Rechtsprechung die Lizenz
zum Speichern an konkrete Gefahrenlagen
knüpfen und stärkere rechtsstaatliche Si-
cherungen einfordern, denn Datenschutz
zählt zu seinen großen Anliegen.
Das länderübergreifende Großverfah-
ren könnte dem EuGH also Gelegenheit für
ein großes Update seiner Rechtsprechung
geben. Erstens: Was bedeutet die massen-
hafte Verfügbarkeit sensibler Kommunika-
tionsdaten, die präzise Verhaltens- und Be-
wegungsprofile ermöglichen, in Zeiten im-
mer potenterer Algorithmen? Ermöglicht
die verbesserte Technologie, präziser nach
der Nadel im Heuhaufen zu suchen und Kol-
lateralschäden beim Datenschutz zu verrin-
gern? Oder ist es umgekehrt: Vergrößert
die automatisierte Rasterfahndung das Da-
tenmissbrauchsrisiko, weil sie so einfach
geworden ist? Zweitens: Welches Gefahren-
potenzial für Bürger bergen solche Daten-
pools angesichts des internationalisierten
Informationsaustauschs der Geheimdiens-
te? Und drittens: Mahnt nicht die Rückkehr
autoritärer Regime in Europa zu einer be-
sonders rechtsstaatlichen EuGH-Linie?
Vor dem EuGH warnte ein Bürgerrechtler,
dass Demonstranten zunehmend ins Vi-
sier der Behörden gerieten – in Frankreich.
Der EuGH wird sein Urteil in einigen Mona-
ten verkünden. wolfgang janisch

Brüssel –Knapp zweiMonate, nachdem
Ursula von der Leyen mit denkbar knapper
Mehrheit vom Europaparlament zur ers-
ten Präsidentin der EU-Kommission ge-
wählt wurde, wird sie an diesem Dienstag
mitteilen, wer in ihrem Team welches
Portfolio übernehmen soll. Ihre politi-
schen Leitlinien für die Zeit bis 2024 hat
die CDU-Politikerin mit „Eine Union, die
mehr erreichen will“ überschrieben. Die
Aufgabenverteilung im Kollegium wird
andeuten, welche Prioritäten sie setzt und
wer ihre Stützen sein werden.
Völlig freie Hand hatte von der Leyen,
die keine Spitzenkandidatin bei der Euro-
pawahl war, jedoch nicht. Im Juli bestimm-
ten die Staats- und Regierungschefs nicht
nur den Spanier Josep Borrell zum nächs-
ten EU-Außenbeauftragten, sondern wie-
sen dem Sozialdemokraten Frans Timmer-
mans und der dänischen Liberalen Mar-
grethe Vestager herausgehobene Rollen
als Vizepräsidenten zu. Seit Tagen machen
in Brüssel viele Gerüchte die Runde, doch
es gilt als sicher, dass der Niederländer für
das Großthema Klima verantwortlich sein
soll, während sich die bisherige Wettbe-
werbskommissarin Vestager um digitale
Wirtschaft kümmert.
Bis von der Leyen um zwölf Uhr im Pres-
sesaal der Kommission ihre Personalent-
scheidungen erläutert, sind noch Änderun-
gen möglich, doch vieles scheint unstrittig.
Demnach soll Sylvie Goulard, Vertraute
von Frankreichs Präsident Emmanuel Ma-
cron, das begehrte Ressort Wettbewerb er-
halten, und der Italiener Paolo Gentiloni
wird als Nachfolger von Währungskommis-
sar Pierre Moscovici gehandelt. Demnach
wären vor allem Südeuropäer für Wirt-
schaftspolitik zuständig – die Euro-Grup-
pe führt der Portugiese Mário Centeno.


Nachfolger von Haushaltskommissar
Günther Oettinger dürfte Johannes Hahn
aus Österreich werden; um Rechtsstaatlich-
keit soll sich die Tschechin Věra Jourová
kümmern. Der Ire Phil Hogan soll das Han-
delsportfolio bekommen und wäre dann
nach einem Brexit für die Gespräche über ei-
nenHandelsvertrag mit Großbritannien zu-
ständig. Fest steht zudem, dass von der Ley-
en ihr Ziel, ein Kollegium zu präsentieren,
„das aus gleich vielen Frauen wie Männern
besteht“, knapp verfehlt: Auf der am Mon-
tag veröffentlichten Liste stehen die Namen
von 13 Frauen und 14 Männern (Großbritan-
nien hat niemanden nominiert).
Nach der Vorstellung am Dienstag ist
das Europaparlament am Zug, denn ohne
dessen Zustimmung kann von der Leyen
nicht loslegen. Alle Bewerber müssen in
den Fachausschüssen Fragen beantwor-
ten; dies dürfte zwischen 30. September
und 8. Oktober geschehen. Am Ende steht
ein Votum. „Mindestens einer fällt durch“,
heißt es aus dem EU-Parlament, das verlan-
ge das Selbstbewusstsein. Als gefährdet
gelten die Kandidaten aus Ungarn und Po-
len: DemSpiegelzufolge ermittelt die Anti-
betrugsbehörde Olaf gegen den
designierten Landwirtschaftskommissar
Janusz Wojciechowski – es gehe um Unre-
gelmäßigkeiten bei der Erstattung von Rei-
sekosten aus seiner Zeit als Abgeordneter
im Europaparlament.
Wenn alles nach Plan läuft, stimmen al-
le 751 Abgeordnete am 23. Oktober über Ur-
sula von der Leyen und ihr Team ab. Gibt
es ein „Ja“, löst sie pünktlich zum 1. Novem-
ber Jean-Claude Juncker ab. Dann beginnt
die richtige Arbeit. matthias kolb


Der Afrika-Cup, das letzte Fußballtur-
nier, an dem Tunesien teilnahm, liegt
fast zwei Monate zurück. Dennoch könn-
te man im Land den Eindruck gewinnen,
es sei wieder Match Time: Seit Samstag
versammeln sich abends Familien vor
den Fernsehern, Café-Betreiber bauen
Großleinwände auf, in Hinterhöfen ver-
anstalten Freundeskreise ihr eigenes Pu-
blic Viewing. Sobald die Übertragungen
begonnen haben, sind vielerorts Anfeue-
rungsrufe oder empörte Schreie zu hö-
ren, wenn der Gegner Foul gespielt hat.
Bei dem aktuellen kollektiven Fern-
sehmomenten in Tunesien stehen sich je-
doch nicht 22 Männer in kurzen Hosen
auf einem Rasen gegenüber. Es gibt ins-
gesamt 26 Bewerber, von ihnen treten
zwei Damen und 22 Herren in einem
blau ausgeleuchteten Studio an gläser-
nen Rednerpulten gegeneinander an,
jeweils in Grüppchen zwischen acht und
zehn Kandidaten. Das Mutterland des
Arabischen Frühlings wählt am kom-
menden Sonntag einen neuen Präsiden-
ten und erlebt seine erste TV-Debatte.
Verschiedene Kandidaten über den
richtigen Weg in die Zukunft streiten zu
sehen, waren bei allem Frust über die
teils mageren Ergebnisse der Demokrati-
sierung für viele Tunesier historische
Momente. Und weil die neue Verfassung
die Medien verpflichtet, allen Kandida-
ten gleichermaßen Aufmerksamkeit zu
schenken, luden die Organisatoren eben
alle 26 Bewerber ein. Ausgerechnet ei-
ner der Favoriten, der TV-Mogul Nabil
Karoui, blieb dem Format jedoch fern:
Er sitzt wegen Geldwäscheverdacht in
Untersuchungshaft.mob


„Es geht nicht nur um uns“


Hongkongs Aktivisten bitten in Deutschland um Unterstützung


Ein anderer Wind im Washingtoner Herbst


In derFrage eines Impeachment gegen US-Präsident Donald Trump hat die Abgeordnetenführerin der Demokraten bisher gebremst, weil
die Aussicht auf Erfolg gegen null geht. Nach dem Sommer aber wächst nun der Druck auf Nancy Pelosi, doch eine Amtsenthebung anzustreben

Heimlich hamstern


EuGHverhandelt über nachrichtendienstliche Vorratsdatenspeicherung – ein Politikum


Fast wie Fußball


Tunesien fiebert vor der Wahl


6 HF3 (^) POLITIK Dienstag,10. September 2019, Nr. 209 DEFGH
Die Demonstrationen in Hongkong wir-
ken auch in Berlin, wo Aktivisten Unter-
stützung erhoffen. FOTO: REUTERS/PFAFFENBACH
Es gibt drei Gründe:
Trumps Verhalten, die Ungeduld
der Basis, und 2020 wäre zu spät
An diesem Mittwoch will
Joshua Wong in Berlin
eine Pressekonferenz geben
Muss mit Ermittlungen zum Zweck eines Impeachment rechnen: US-Präsident Donald Trump im Sommer in Pennsylvania. FOTO: BRENDAN SMIALOWSKI / AFP
So gut wie
paritätisch
EU-Kommissionschefin von der
Leyen präsentiert ihr Team
Blick in eine Serverhalle in Schweden. Die Massendaten von Telekommunikations-
anbietern sind für Geheimdienste eine begehrte Ware. FOTO: SUSANNE LINDHOLM/DPA
Ist europäisches Recht und
damit dieGrundrechtecharta
überhaupt anwendbar?
„Mindestens einer fällt durch“,
heißt es im Parlament

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