Handelsblatt - 10.09.2019

(Amelia) #1
Jens Koenen Frankfurt

E


s sind Zahlen, die es in
sich haben. Und die wohl
ganz bewusst von Green-
peace vor Beginn der Au-
toschau IAA in Frankfurt
vorgestellt werden. Nach Berechnun-
gen der Organisation stammten 2018
neun Prozent der weltweiten
CO 2 -Emissionen aus der Autoindus-
trie. Der größte Emittent: Volkswa-
gen – mit einem „CO 2 -Fußabdruck“
von 582 Millionen Tonnen. Das ent-
spricht dem CO 2 - Ausstoß von ganz
Australien.
Mit den Daten, die Greenpeace am
Dienstagmorgen vorstellen wird, soll
vor allem eines belegt werden. Trotz
entsprechender Bekenntnisse habe
die Autoindustrie in den zurücklie-
genden Jahren nichts in Sachen Kli-
maschutz unternommen, so Green-
peace. „In der Werbung betonen sie,
wie sehr sie sich um unser Wohlbe-
finden und unsere Sicherheit sorgen,
speziell um das unserer Kinder. Ihre
Geschäftsentscheidungen indessen
erzählen eine komplett andere Ge-
schichte“, heißt es in der Studie
„Crashing the climate“. Die zwölf
größten Autokonzerne produzierten
durch ihre Fertigung und mit den
Emissionen ihrer Autos mehr CO 2 als
die gesamte Europäische Union.
Die Zahlen sind Wasser auf die
Mühlen der Klimaaktivisten. Das
Bündnis „Aussteigen“ – zu dem auch
Greenpeace gehört – und die beiden
Partner Attac und „Sand im Getrie-
be“ wollen die Leistungsschau IAA
am kommenden Wochenende mit
zahlreichen Aktionen behindern.
Vor allem am Sonntag dürfte es zu

schweren Störungen kommen. „Wir
werden mit unseren Körpern die Zu-
gänge blockieren“, kündigte Tina Ve-
lo, die Sprecherin von „Sand im Ge-
triebe“, am Vormittag in Frankfurt
an. Sie erwarte mehrere Hundert
Teilnehmer, genug um die Zugänge
dicht zu machen: „Besucher, die den
großen Wunsch haben, sich die Au-
tos anzuschauen, sollten vielleicht ei-
nen anderen Tag auswählen.“
Es ist das erste Mal, dass Klima-
schützer eine Autoshow derart mas-
siv angreifen. Und es ist deshalb für
den IAA-Veranstalter – den Automo-
bilverband VDA – und die Autobran-
che eine ganz neue Situation. Dort
wächst die Sorge, dass getrieben
durch die Aktivisten und die aktuelle
Klimadebatte, der Individualverkehr
insgesamt infrage gestellt wird. Tat-
sächlich reichen die Forderungen der
Klimaschützer von der autofreien
Stadt bis hin zur Teilentmachtung
der Autoindustrie.

Ziviler Ungehorsam
Dass die beiden Gruppierungen am
Montag getrennt über ihre Pläne in-
formierten, hat einen Grund. „Aus-
steigen“ steht für eher moderatere
Proteste, „Sand im Getriebe“ und At-
tac setzen bewusst auf zivilen Unge-
horsam. „Wir wollen eine radikale
Verkehrswende von unten, mit deut-
lich weniger Autos. Dazu sind wir
auch bereit, die Grenze des legalen
Protests zu übertreten“, machte Velo
deutlich, deren Name ein Pseudo-
nym ist – zum Schutz vor tätlichen
Angriffen, wie sie erklärt. Klar sei
aber: Es werde keine Gewalt gegen

Menschen und Gegenstände geben,
auch nicht gegen Autos. „Das ist nicht
unsere Aktionsform“, so Velo.
Regelkonformer, aber deshalb
nicht weniger wirksam dürfte am
Samstag die geplante Fahrrad-Stern-
fahrt sein. „Angemeldet haben sich
10 000 Teilnehmer. Wie viele kom-
men werden, hängt aber auch vom
Wetter ab“, sagt Uwe Hiksch von der
Organisation Naturfreunde. Die Wege
nach Frankfurt führen auch über
Bundesstraßen und die beiden Auto-
bahnen A661 und A648.
Alle Gruppierungen vereinen zwei
Dinge: den Frust und die Wut über
die Autoindustrie und der Vertrau-
ensverlust in die Politik. „Wir haben
eine hochgradig kriminelle Autoin-
dustrie und völlig unfähige Verkehrs-
minister, ein mafiös gestricktes Kon-
glomerat“, wettert Velo. Dass diese
Beteiligten freiwillig etwas ändern
werden, daran glaubt keiner. „Die
Autoindustrie versteht nichts von
Verkehr und Mobilität“, sagt Ludger
Koopmann vom Allgemeinen Deut-
schen Fahrradclub ADFC.
Weil sie die Autoindustrie nicht als
Teil der notwendigen Verkehrswende
sieht, weigerte sich Velo lange Zeit,
überhaupt mit Vertretern der Bran-
che zu sprechen. Am Montagabend
tat sie es doch und diskutierte mit
VW-Chef Herbert Diess. VW werbe
mit einer E-Offensive, habe aber noch
vor drei Jahren alle belogen und be-
trogen. „Dieses falsche grüne Image
würde ich gerne im Streitgespräch
mit Herrn Diess demaskieren. Ich ha-
be da auch keine Angst davor, weil
wir die besseren Argumente haben.“

Auch wenn solche heftigen verba-
len Attacken nicht bei jedem verfan-
gen, rollt auf die Autoindustrie eine
ernste Gefahr zu. Denn die Aktivisten
sind alles andere als unstrukturierte
„Chaoten“. Alles ist minutiös und
professionell geplant. Etwa bei der
Sternfahrt. Mithilfe von Informations-
technik habe man exakt ausgerech-
net, wann die Fahrradgruppen wel-
chen Ort erreichen, um neue Teil-
nehmer aufzunehmen, berichtet
Werner Buthe vom ADFC und Koor-
dinator der Sternfahrt am Rande der
Pressekonferenz. Intensiv habe man
die Fahrraddemonstration gemein-
sam und in enger Abstimmung mit
der Polizei geplant. Man ziehe da mit
den Behörden an einem Strang. Das
Ziel sei auch nicht, die Autofahrer zu
behindern. „Wir wollen zeigen: Auch
uns gibt es als Verkehrsteilnehmer
beim Hochamt der Autoindustrie.“
Den Verbraucher nehmen die Akti-
visten dagegen erstaunlich wenig in
die Pflicht. Natürlich müsse es auch
eine Verhaltensänderung der Konsu-
menten geben“, sagt Marion Tie-
mann, Sprecherin von Greenpeace,
nicht zuletzt mit Blick auf die Sucht
der Kunden nach schweren SUVs.
Aber auf dem Land gebe es Men-
schen, die seien auf das Auto ange-
wiesen. „Ich bin die Letzte, die denen
sagst: Du darfst nicht mehr Auto fah-
ren. Was wir wollen, ist Wahlfreiheit
für diese Verbraucher beim Thema
Mobilität.“ Dazu müssten öffentliche
Verkehrsmittel ausgebaut werden.
Und die Leitplanken dafür würden
nun mal die Industrie und die Politik
setzen, nicht die Konsumenten.

IAA


In der Klimafalle


Eine Greenpeace-Studie macht die Autobranche für neun Prozent der weltweiten


CO 2 -Emissionen verantwortlich. Allein VW soll so viel emittieren wie ganz Australien. Ob


es stimmt oder nicht – es befeuert Aktivisten, die am Sonntag die IAA lahmlegen wollen.


Wir haben


eine


hochgradig


kriminelle


Autoindustrie


und völlig


unfähige


Verkehrs -


minister,


ein mafiös


gestricktes


Konglomerat.


Tina Velo
Sprecherin „Sand im
Getriebe“

Letzte Vorbereitungen
auf der IAA: Alles Polie-
ren und Verhüllen wird
wenig ausrichten gegen
die erwarteten Proteste
von Autogegnern.

AP (2)

Unternehmen & Märkte
DIENSTAG, 10. SEPTEMBER 2019, NR. 174
18

‹+DQGHOVEODWW0HGLD*URXS*PE+    &R.*$OOH5HFKWHYRUEHKDOWHQ=XP(UZHUEZHLWHUJHKHQGHU5HFKWHZHQGHQ6LHVLFKELWWHDQQXW]XQJVUHFKWH#KDQGHOVEODWWJURXSFRP
Free download pdf