Handelsblatt - 10.09.2019

(Amelia) #1
Ein Bremsklotz für E-Mobilität sind
die hohen Preise. Wann bieten Sie
ein E-Auto für 10 000 Euro in
Europa an? In China gibt es das ja
schon.
Wir arbeiten daran. Und es wird weit
weniger als fünf Jahre dauern, bis ein
solches Auto in Europa auf den Markt
kommt. Die Preise für Elektroautos
müssen dramatisch sinken, das ist ei-
ne Notwendigkeit. Nicht nur für Men-
schen, die ein Elektroauto kaufen
wollen, sondern auch im Bereich der
Shared Mobility. Aber wir können
auch nichts überstürzen. Damit die
Entwicklung einer neuen Mobilität
nachhaltig ist, muss sie auch profita-
bel sein.

Sie zeigen den neuen Captur, einen
Plug-in Hybrid, in Frankfurt. Ist das
ein Strategiewechsel weg vom E-Au-
to?
Nein, überhaupt nicht. Das ist kein
Strategiewechsel. Wir haben uns vor
einigen Jahren dafür entschieden,
nicht nur auf eine Lösung zu setzen,
sondern sowohl auf E- als auch auf
Hybridantriebe. Damit wollen wir ei-
ne breite Palette von Motoren anbie-
ten, um flexibel auf die Nachfrage
reagieren zu können. Wir haben ja
auch Kunden, die lange Distanzen
bewältigen müssen, und dafür reicht
die derzeitige Batterietechnologie
noch nicht aus. Unser neuer Clio Hy-
brid kann bis zu 80 Prozent der Zeit
in der Stadt elektrisch fahren, und
der Plug-in-Hybrid-Captur schafft bis
zu 65 Kilometer im Elektromodus.
Diese Technologie bietet jederzeit
das volle E-Fahrgefühl. Das ist eine
echte technische Neuerung. Und mit
diesen Autos kann man auf jeden Fall
in die Städte fahren, egal bei welcher
Regulierungslage. Davon profitieren
sowohl die Kunden als auch die Städ-
te und die Gesellschaft.

Sie sprachen gerade die Batterie-
technologie an. Frankreich und
Deutschland haben mit EU-Unter-
stützung im Mai den sogenannten
„Airbus der Batterien“ gegen das
asiatische Monopol für Elektroautos
lanciert. Die ersten Batterien sollen
2024/25 hergestellt werden. Was hal-
ten Sie von der europäischen Vision
einer Batterieherstellung?
Sie ist sehr sinnvoll. Vor allem, weil
wir bei der nächsten Akkugeneration
die Fragen um Recycling und Seltene
Erden gelöst haben werden. Es ist
doch logisch, dass die europäischen
Länder sich gegenseitig helfen. Wir
haben uns verpflichtet, dieses Projekt
zu unterstützen.

Wie, glauben Sie, entwickelt sich der
Automarkt?
Der Sektor befindet sich in so etwas
wie einer Krise. Einerseits ist der
weltweite Fahrzeugabsatz um rund
sechs Prozent gesunken. Und wir se-
hen keine großen Aussichten auf Ver-
besserungen im zweiten Halbjahr.
Durch den Brexit könnte sich die La-
ge sogar noch verschlechtern. Ande-
rerseits wächst der Mobilitätsmarkt
rasant. Wenn man zum Beispiel ei-
nen Blick auf den Luftfahrtsektor
wirft: Als dort die Ticketpreise um 20
Prozent sanken, weil die Billigairlines
in den Markt drängten, stieg die Ti-
cketnachfrage um 40 Prozent. Immer
wenn der Zugang zur Mobilität er-
leichtert wird, steigt auch die Nach-
frage nach Mobilität.

Heißt das, Sie werden Ihre Autos

künftig billiger verkaufen?
Nein, wir konzentrieren uns darauf,
eine höhere Reichweite zu ermögli-
chen. Dazu wollen wir günstigere,
unkompliziertere und umweltfreund-
lichere Mobilitätslösungen anbieten.
Das erreichen wir durch Carsharing,
Konnektivität und autonomes Fah-
ren, also durch smartere Angebote.

Frankreich und Japan haben erklärt,
dass sie im Automobilbereich zu-
sammenarbeiten wollen. Wissen Sie
von den Gesprächen?
Wir freuen uns, dass die beiden Län-
der über das sprechen, was wir
schon tun. Die Allianz zwischen Re-
nault und Nissan ist von höchster Be-
deutung – vor allem mit Blick auf die
Zukunft unserer Unternehmen. Wir
haben schon viele gemeinsame Ferti-
gungselemente. Unser Captur und
der Juke von Nissan basieren zum
Beispiel auf derselben Plattform.

Wie sieht es denn mit einer Fusion
zwischen Renault und Nissan aus?
Wir haben diese Idee mit Nissan
mehrmals besprochen, aber es blieb
bei einer Diskussionsphase. Das ist
nicht die aktuelle Richtung.

Nach wie vor nicht?
Nein. Das akzeptieren wir. Am Ende
ist entscheidend, dass die Produkti-
onsprozesse effizienter und agiler
werden. Denn der Wettbewerb wird
schneller und härter. Uns geht es da-
rum, die Allianz besser zu machen.
Wenn wir das auch ohne Fusion er-
reichen können, ist es gut.

Und Sie werden auch die Anteils-
strukturen nicht anfassen? Nissan
war ja unzufrieden mit der französi-
schen Dominanz.
Die Aktionärsstruktur hat mit der in-
dustriellen Logik nichts zu tun, das
hat für mich daher keine Priorität.
Unser Ziel ist es, gemeinsam effizien-
ter und agiler zu werden, da sich die
Branche sehr schnell entwickelt. Wir
konzentrieren uns darauf, unsere ge-
meinsamen Projekte in der vorgese-
henen Zeit fertigzustellen.

Sprechen Sie auch über einen poten-
ziellen Merger mit Fiat Chrysler?
Wir kennen das Unternehmen gut,
weil wir schon viele gemeinsame Pro-
jekte hatten – unter anderem das
Nutzfahrzeug. Und das schon, bevor
FCA ein formales Angebot gemacht
hat. Das Interesse von FCA zeigt ein-
deutig, wie attraktiv unsere Allianz
ist. Wir haben in Zukunftstechnolo-
gien investiert: Hybrid, E-Antrieb, au-
tonomes Fahren. Und wir würden
uns freuen, wenn wir unsere Techno-
logien in größerem Umfang auf die
Straße bringen könnten.

Der letzte Anlauf zu dieser Fusion
scheiterte am Zögern der französi-
schen Regierung. Glauben Sie, dass
sich das noch mal ändern könnte?
Da müssen Sie die Regierung fragen.
Bisher hat sie immer gesagt, es sei ihr
wichtig, dass sich unsere Allianz wei-
ter stabilisiert ...

... und sobald das erledigt ist, kommt
das Thema noch einmal auf den
Tisch?
Fragen Sie mal!

Aber die industrielle Logik ist nach
wie vor gegeben, oder hat sich durch
die Klimadebatte auch der Blick auf
FCA verändert? Die produzieren

schließlich jede Menge SUVs.
Natürlich stimmt die industrielle Lo-
gik hinter dem Deal noch immer.
Und zu den SUVs: Die produziert
FCA ja vor allem für den amerikani-
schen Markt, und das mit sehr gro-
ßem Erfolg.

Sie würden sich aber eine ökologi-
sche Hypothek in die Bilanz holen.
Einerseits ja. Andererseits könnten
wir die Autos ja mit unseren Elektro-
technologien verbessern.

Was bleibt von der Kooperation mit
Daimler übrig, der Plattform für
leichte Nutzfahrzeuge (LCV)?
Wir haben exzellente Beziehungen
zum neuen Management. Wir ma-
chen mit der Kooperation weiter.
Vielleicht etwas weniger bei Dieselan-
trieben, aber durchaus bei den ande-
ren Motoren. Wir arbeiten auch beim
autonomen Fahren zusammen und
bei der Konnektivität. Letzten Monat
hat Daimler bekanntgegeben, dass
sie für den neuen Citan, den sie im
französischen Maubeuge produzie-
ren, unsere LCV-Plattform nutzen
möchten.

Ist die Ghosn-Affäre für Renault ab-
geschlossen? Die Hochzeitsfeier in
Versailles von Carlos Ghosn mit der
Libanesin Carole Nahas im Oktober
2016 war im Visier, es soll um 50 000
Euro gegangen sein, außerdem die
Filiale RNBV von Renault und Nissan
mit Niederlassung in Holland.
Alle internen Untersuchungen sind
abgeschlossen. Wir haben nichts an-
deres gefunden als das, was Sie er-

wähnt haben. Was das Unternehmen
RNBV angeht, haben wir mit Nissan
zusammengearbeitet. Wir haben Din-
ge gefunden, die uns überrascht ha-
ben, aber darüber kann ich nicht
sprechen, weil die Untersuchungen
andauern.

Haben Sie Kontakt zu Carlos Ghosn?
Nein, seit dem 19. November nicht
mehr.

Sie haben an mehreren Stellen den
Diesel angesprochen. Ist die Ära Die-
sel vorbei?
Ich glaube, dass die Debatte fatal für
den Diesel war. Der Kampf in der öf-
fentlichen Diskussion hat die Techno-
logie getötet. Gesetzliche Anforde-
rungen haben außerdem saubere
Diesel immer teurer gemacht. Die
Dieseltechnologie steht heute in Be-
zug auf die Kosten im Wettbewerb
mit Hybrid- und Elektromotoren, ins-
besondere für Kleinwagen. Welchen
Platz hat der Diesel am Ende noch?
Vielleicht werden wir Dieselfahrzeu-
ge noch auf dem Land sehen, dort,
wo die Menschen große Distanzen
zurücklegen müssen. Auch in Nutz-
fahrzeugen sind in der Zukunft Die-
selmotoren weiterhin denkbar. In
diesem Bereich gibt es aufgrund der
steigenden Nachfrage nach Lieferun-
gen immer noch einen großen Bedarf
an Dieselautos.

Herr Bolloré, vielen Dank
für das Interview.

Die Fragen stellten Andrea Rexer
und Tanja Kuchenbecker.

Unsere


größte


Heraus -


forderung in


Bezug auf


Arbeitsplätze


ist der


Antriebs -


wechsel


hin zur


E-Mobilität


und der damit


verbundene


Wandel der


Anforderungs -


profile.



   
 


 



Autoindustrie im Umbruch


DIENSTAG, 10. SEPTEMBER 2019, NR. 174
5

Anzeige

‹+DQGHOVEODWW0HGLDURXSPE+ &R.*$OOH5HFKWHYRUEHKDOWHQ=XP(UZHUEZHLWHUJHKHQGHU5HFKWHZHQGHQ6LHVLFKELWWHDQQXW]XQJVUHFKWH#KDQGHOVEODWWJURXSFRP

Free download pdf