Handelsblatt - 10.09.2019

(Amelia) #1
Textilproduktion
in Bangladesch:
Ein Unglück in einer
Textilfabrik hatte 2013
1 135 Todesopfer ge-
kostet.

Ziaul Haque Oisharjh/LightRocket/Getty Images

Donata Riedel, Georg Weishaupt
Berlin, Düsseldorf

E


ntwicklungsminister
Gerd Müller (CSU) will al-
les tun, um „Sklavenar-
beit für unseren Wohl-
stand“ in Entwicklungs-
ländern zu beenden. „Wir brauchen
soziale und ökologische Standards in
der gesamten Lieferkette der Textil-
branche“, sagte er am Montag in Ber-
lin. Und: „Der Grüne Knopf ist der
nächste Schritt auf diesem Weg.“
Das neue staatliche Gütesiegel für
Bekleidung soll Klarheit bringen für
Verbraucher in Deutschland: Klei-
dung mit diesem eingenähten Siegel
erfüllt zumindest in den Produktions-
schritten „zuschneiden und nähen“
sowie „bleichen und färben“ Min-
deststandards, die staatlich über die
gesamte Lieferkette geprüft werden.

In der Textilbranche sorgt der Grü-
ne Knopf für Aufregung. Der Einzel-
handelsverband HDE kritisiert, dass
Müller mit dem Siegel über die Ziele
seines seit 2014 an Verbesserungen
arbeitenden Textilbündnisses hinaus-
schießt: Der Knopf honoriere die bis-
herigen Anstrengungen nicht.
Ingeborg Neumann, Präsidentin
des Branchenverbandes Textil+Mode,
hält das neue Siegel gar für schädlich:
„Der sogenannte Grüne Knopf ist
nicht mehr als eine Doppelauszeich-
nung, die zu mehr Siegel-Unklarheit
führen wird“, sagte sie dem Handels-
blatt. Die deutsche Industrie produ-
ziere bereits nach den weltweit
höchsten Umwelt- und Sozialstan-
dards. Da ihr Verband mit 1 400 Mit-
gliedsunternehmen nahezu die ge-
samte deutsche Textilindustrie reprä-
sentiere, stimme auch die Aussage
des Ministers nicht, dass nur einige

wenige Firmen den Grünen Knopf
kritisieren würden.
Allzu klein ist der Kreis, den Mül-
ler für sein neues Siegel hat gewin-
nen können, allerdings nicht mehr:
27 Firmen, darunter Tchibo, Vaude,
Lidl, Aldi oder Trigema, hatten die
Prüfung bereits am Starttag absol-
viert, 26 weitere Unternehmen sind
im Prüfprozess. Unter ihnen sind
manche allerdings verärgert, dass sie
erst im Oktober einen Prüftermin bei
einem von der Deutschen Akkredi-
tierungsstelle (DAkkS) autorisierten
unabhängigen Prüfer bekommen
hätten. Patrick Zahn, Chef der Mode-
kette Kik, folgert daraus, „dass das
Ministerium beim Start auf eine klei-
ne Gruppe von auf Nachhaltigkeit fo-
kussierten Anbietern setzt anstatt auf
die große Käuferschicht im Massen-
markt“, wie er gegenüber dem Han-
delsblatt kritisierte. Kik wird deshalb

voraussichtlich erst im nächsten Jahr
die ersten Textilien mit dem Grünen
Knopf verkaufen.
Den Knopf-Kritikern widerspricht
allerdings Tchibo-Chef Thomas Line-
mayr. „Wir waren anfangs auch skep-
tisch gegenüber noch einem Siegel“,
sagte er bei der gemeinsamen Presse-
konferenz mit dem Minister. Er habe
seine Meinung allerdings geändert.
Denn ein Siegel, das nach staatlich
geprüften klaren Kriterien vergeben
werde, habe es zuvor nicht gegeben.
„Das ist ein Meilenstein“, sagte er.
Antje von Dewitz, Chefin des Out-
door-Kleidungsproduzenten Vaude,
wiederum hofft, dass der Knopf ih-
rem Unternehmen, das seit 2008 sei-
ne Zulieferer in Entwicklungsländern
prüfen lässt, endlich einen Wettbe-
werbsvorteil bringt: „Natürlich drückt
der Aufwand auf die Marge“, sagte sie.

Verbesserungen vermisst
Müller begründete sein Engagement
für das neue Fairness-Staatssiegel
denn auch damit, dass das Textil-
bündnis viel zu langsam Verbesse-
rungen erreiche. Nur die Hälfte der
Branche mache mit, klagt er seit ei-
nem Jahr, die andere Hälfte genieße
auf Kosten der Engagierten Wettbe-
werbsvorteile. „Am liebsten hätte ich
europaweit gültige gesetzliche Stan-
dards“, sagte Müller. Als Entwick-
lungsminister habe er aber nicht die
Gesetzgebungsmacht. Auf den Natio-
nalen Aktionsplan (NAP) der Bundes-
regierung gibt Müller wenig: In einer
Umfrage, koordiniert vom Außen-
amt, sollen Unternehmen darlegen,
was sie zur Durchsetzung ökologi-
scher und sozialer Standards in ihren
Lieferketten tun: Wenn die Hälfte der
Antwortenden zu wenig tut, soll es
ein Lieferkettengesetz geben. „Ich ha-
be erhebliche Zweifel, dass der NAP
zum Ziel führen wird“, sagte Müller.
Bundeswirtschaftsminister Peter Alt-
maier (CDU) hatte den Fragebogen
zuletzt abmildern lassen.
„Ich tue alles, was ich kann, die
bisher folgenlosen Beschlüsse der G7-
und der G20-Gipfel umzusetzen“,
sagte Müller. Der Grüne Knopf sei ein
Schritt auf diesem Weg. Die bisher 26
Kriterien sollen nach und nach aus-
geweitet werden. Existenzsichernde
Löhne in Entwicklungsländern etwa
könne das Siegel bisher nicht garan-
tieren. Aber immerhin als Anfang,
dass bei Grüne-Knopf-Produkten kei-
ne giftigen Farbstoffe in Flüsse ge-
schüttet werden und dass es Kontrol-
len vor Ort gibt. „Wir zeigen, dass es
geht, auch weltweite Lieferketten zu
prüfen“, so Müller. Etablierte Siegel
würden anerkannt, Doppelprüfun-
gen seien daher nicht nötig.
Nichtregierungsorganisationen
(NGO) kritisierten, dass das neue Tex-
tilsiegel zum Start nur die in den je-
weiligen Produktionsländern festge-
setzten Mindestlöhne garantiert; in
Äthiopien sind das 26 Euro im Monat,
in Bangladesch inzwischen 95 Dollar


  • eine Verdopplung seit dem Unglück
    in der Fabrik Rana Plaza mit 1 135 To-
    ten und 2 500 Schwerverletzten vor
    sechs Jahren. Höhere, existenzsi-
    chernde Löhne sollen erst nach der
    dreijährigen Einführungsphase von
    einem Beirat erarbeitet werden.
    Initiativen halten den Grünen
    Knopf denn auch für zu schwach. 17
    Umwelt- und Entwicklungsinitiati-
    ven, darunter Oxfam, Misereor, der
    BUND und der Deutsche Gewerk-
    schaftsbund, wollen deshalb an die-
    sem Dienstag ein Lieferkettengesetz
    fordern und bei einer Demonstration
    Grabsteine auf der Reichstagswiese
    in Berlin aufstellen: Sie sollen die To-
    ten bei Unglücken in Textilfabriken
    deutscher Zulieferer symbolisieren.


Nachhaltige Textilien


Neues Siegel spaltet


die Industrie


Entwicklungsminister Gerd Müller hofft durch das staatliche


Textilsiegel „Grüner Knopf“ auf faire Arbeitsbedingungen.


95


DOLLAR
beträgt der
Mindestlohn in
Bangladesch.

Quelle:
Barrett-&-Baumann-Pauly

Wirtschaft & Politik


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DIENSTAG, 10. SEPTEMBER 2019, NR. 174
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